A 548 Deutsches Ärzteblatt
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22. März 2013H
at sich mit dem am 26. Fe - bruar 2013 in Kraft getrete- nen Patientenrechtegesetz im Ver- hältnis zwischen Arzt und Patient etwas verändert, und was sind die Auswirkungen einer zunehmend„verrechtlichten“ Arzt-Patienten- Beziehung? Mit diesen Fragen be- fasste sich die Tagung „Alles was Recht ist – Patientenrechte in der Diskussion“, ausgerichtet vom Zen- trum für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum gemeinsam mit dem Landesverband Niedersachsen des Deutschen Haus- ärzteverbandes und der Evangeli- schen Stadtakademie Hannover.
„So viel hat sich durch das Pa- tientenrechtegesetz nicht geändert“, befand Dr. Karsten Scholz, Justizi- ar der Ärztekammer Niedersachsen.
Das Verhältnis von Arzt und Patient sei ohnehin weitaus mehr als eine ju- ristische Vertragsbeziehung: „Mehr als sonst in sozialen Beziehungen des Menschen fließt im ärztlichen Be- rufsbereich das Ethische mit dem Rechtlichen zusammen.“ So findet sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten als zentrales Prinzip der medizinischen Behandlung seit langem in der Rechtsprechung wie- der. Der Jurist verwies auf ein Ur- teil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 1979, wonach die Be- achtung des Selbstbestimmungs- rechts ein wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs ist. Al- lerdings habe das Gericht auch darauf hingewiesen, dass es der Mitwirkung des Patienten bedürfe und es nicht nur um die in passiver Haltung erteilte Einwilligung gehe.
Scholz widersprach ebenso der These, dass ärztliche Pflichten, etwa hinsichtlich Aufklärung und Doku- mentation, zunehmend gesetzlich ge- regelt würden. „Die patientenbezo- genen Pflichten bestanden eigentlich schon immer“, erklärte Scholz. „Neu ist, dass sie teilweise doppelt gere-
gelt werden.“ Das zivilrechtlich Ge- botene sei jedoch nicht zwangsläu- fig auch berufsrechtlich sanktionier- bar. Bei der Dokumentationspflicht habe sich ebenfalls „juristisch im Kern nichts geändert“, meinte Scholz. Neu sei allenfalls, dass nachträgliche Änderungen gekenn- zeichnet werden müssten, wobei noch unklar sei, wie das bei elek - tronisch geführter Dokumentation praktisch umgesetzt werden könne.
Inhaltlich wenig Neues
Unterstützung für diese Thesen kam auch von ärztlicher Seite: Das Pa- tientenrechtegesetz biete inhaltlich wenig Neues, bekräftigte Dr. med.
Matthias Berndt, Facharzt für Allge- meinmedizin in Hannover. Dennoch äußerte er die Befürchtung, dass das Recht immer mehr in die Berufs - ausübung hineinspielen und sich auch negativ auswirken könnte, in- dem es „die Arzt-Patienten-Bezie- hung ungewollt schädigt“, so Berndt.
Beispiel Behandlungsdokumentati- on: Eine Zunahme des Dokumenta-
tionsaufwands bedeute noch weni- ger Gesprächszeit und Zuwendung für den Patienten. Die „Absiche- rungsmedizin“, etwa durch „Sicher- heitsdiagnostik“ und vermehrtes Ein- holen von Zweitmeinungen, werde weiter zunehmen, prognostizierte Berndt. Das bedeute auch einen Kostenanstieg. Beispiel Informati- onspflicht über Behandlungsfehler auf Nachfrage des Patienten: Wie sich das im Verhältnis von Arzt und Patient auswirke, sei unklar. Mögli- cherweise werde dadurch eine Kul- tur des Misstrauens gefördert.
Über die Erfahrungen in der Pa- tientenberatung berichtete Guido Klumpe von der Unabhängigen Pa- tientenberatung, Hannover. Typi- sche Problemfelder in der Beratung sind Klumpe zufolge die Verweige- rung der Einsichtnahme in die Be- handlungsunterlagen, Behandlungs- fehler, Fragen zu Leistung und Ab- rechnung bei individuellen Gesund- heitsleistungen sowie Fragen zum Krankengeld. „Es gibt nicht den mündigen Patienten“, betonte Klum- pe. Der Bedarf an Entscheidungs- unterstützung sei individuell und si- tuationsbedingt sehr unterschiedlich.
Der Einfluss der Medien wächst, mit unterschiedlichem Resultat: Oft sind die Informationen durch Me- dien, Internet und Foren aus Sicht des Experten nicht hilfreich, weil sie von Interesse geleitet und von zweifelhafter Evidenz sind und zu- dem den Allmachtsglauben an die Medizin mehren können. Hingegen fördern hochwertige Informationen die Adhärenz, mindern Ängste und verbessern den Therapieerfolg.
Das Gespräch mit dem Patienten sei vor diesem Hintergrund nicht einfacher geworden, es erfordere Zeit und Gesprächskompetenz von den Leistungserbringern, meinte Klumpe. Sein Resümee nach sieben Jahren Beratungspraxis: Die Ratsu- chenden werden tendenziell sensib- Patienten werden
tendenziell sen- sibler und kriti- scher. Sie fordern mehr Gesprächs- kompetenz, mehr Mitspracherecht und mehr Zeit ein, und sie bringen mehr Bereitschaft auf, für ihre Rechte einzutreten.
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PATIENTENRECHTE
Patienten werden selbstbewusster
Auch wenn das Patientenrechtegesetz juristisch keine wesentlichen Neuerungen bringt, wird es das Verhältnis von Arzt und Patient verändern.
T H E M E N D E R Z E I T
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22. März 2013 A 549 ler und kritischer. Sie fordern mehrGesprächskompetenz, mehr Mit- spracherecht und mehr Zeit ein. Sie bringen mehr Bereitschaft auf, für ihre Rechte einzutreten, und sie tre- ten souveräner auf, sind besser in- formiert und tauschen sich mehr aus. Zudem steigt der Anteil psy- chosozialer Beratung (zu Mobbing, Burn-out, Depression et cetera).
Es geht nicht primär ums Geld Mit diesen subjektiven Erfahrungen aus der Patientenberatung korres- pondiert die Zunahme der Fälle von Arzthaftungsstreitigkeiten. Oft seien Störungen in der Kommunikation der Grund dafür, dass Konflikte zwischen Arzt und Patient eskalie- ren und die Schlichtungsstellen für Arzthaftpflichtfragen angerufen werden, sagte Johann Neu, Ge- schäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen der Nord- deutschen Ärztekammern, Hanno- ver. Das zeigt sich vor allem am Beispiel von vermuteten Behand- lungsfehlern: Ärzte seien häufig zu- rückhaltend, wenn eine Behandlung nicht zufriedenstellend verlaufen ist aus der Annahme heraus, dadurch ihren Versicherungsschutz zu ge- fährden. „Dabei dürfen sie über Be- handlungsfehler sprechen, sie dür- fen nur den Haftpflichtanspruch nicht anerkennen“, erläuterte Neu.
Circa 40 000 zivilrechtliche Arzt - haftungsstreitigkeiten gibt es nach Schätzungen des Robert-Koch-In - stituts jährlich in Deutschland. Ge- richtsverfahren sind jedoch teuer, langwierig und belastend, zudem ha- ben die Urteile oft nur eine begrenzt befriedende Wirkung. Die ärztli- chen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen sind eine effekti- ve Alternative zu gerichtlichen Ver- fahren: Die zeitnahe unabhängige Begutachtung einer medizinischen Behandlung und Bewertung der Haf- tungsfragen durch die Schlichtungs- stellen führten in etwa 90 Prozent der Fälle zu einem guten Ergebnis und der Vermeidung einer gerichtli- chen Auseinandersetzung, berichtete Neu. „In 86 Prozent der Fälle hat die Versicherung Geld gezahlt, in elf Prozent der Fälle wollte der Patient nicht Geld, sondern nur Recht.“
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Heike E. Krüger-Brand
Als Arztgattin turne ich gern auf mei- nem zweistufigen Antritt durchs Büro, um hoch oben vom letzten Regalbo- den die jeweils dringend einzusehende Ablage unseres Qualitätsmanage- ments zu angeln. Eben gilt die Übung der Desinfektionsautomaten-Doku- mentation, als das Telefon klingelt. In einem Anflug von Hellsichtigkeit hatte ich das Mobilteil schon so positioniert, dass ich es unter mäßiger Luxation meiner Wirbelsäule erreichen kann.
Die Anzeige verkündet den Anruf un-
seres Steuerberaters. Ich tue es mei- nem Blutdruck gleich und bleibe oben auf der Leiter, auch wegen der Augen- höhe. Routinemäßige Betriebsprüfung nach dem Sozialgesetzbuch, er erspa- re mir die detaillierte Aufzählung un- serer Pflichten, übernehme vielmehr selbige und stelle uns das in Rech- nung. Äh. Ja. Danke. Das mit der Au- genhöhe war noch nicht ganz perfekt.
Eher so wie zwischen Reflexhammer und Patellarsehne.
Aus dem Desinfektionsraum brüllt es, was denn nun sei mit Garantie und Wartungsvertrag. Im Abstieg schnappe ich besagten Ordner und spurte eilfer- tig und mit angemessen gesenktem Haupt in den Bannkreis des wild schnaufenden Technikers. Der Desin- fektionsautomat schaltet sich selbst ab. Leichtfertig möchte ich antworten, dies hätten auch wir schon bemerkt und sei der Grund seiner Anwesenheit in unserer Praxis, doch bedeutet mir mein Gefühl für Augenhöhen, besser zu schweigen.
Ob er denn den Grund kenne, frage ich und verkneife mir den Hinweis auf seine bereits in die zweite Stunde ge- hende Ursachenforschung. Zwei red- undante Temperaturfühler lieferten un- terschiedliche Messergebnisse und schalteten so die Maschine ab. Und nun? Ja, neue Fühler hätte er nicht
dabei, er käme so bald wie möglich wieder. Jetzt wird es schwierig. Das Gefühl sagt, nicht widersprechen, sonst rutschen wir in der Terminliste weit, weit nach unten. Andererseits wage ich darauf hinzuweisen, wir sei- en als Arztpraxis ohne automatisierte Desinfektion eher über kurz als lang am Ende. Der Techniker würdigt mich keines Blickes. Schon halb im Trep- penhaus murmelt er mehr zu sich selbst, alle seine Kunden seien Pra- xen. Dann stehe ich allein auf dem
Schlachtfeld im Desinfektionsraum. So fühlt sich die Augenhöhe von Zahn- schmerz und Bohrer an.
Meine gedrückte Grundstimmung droht, in eine wahnhafte Depression umzuschlagen, als unser Audiometrie- PC streikt. Er scheint auf abgelegte Patientendaten keinen Zugriff zu ha- ben. Ich fürchte, das Problem hängt mit dem zentralen Server zusammen und rufe die Fernwartung an. Nach 100 Jahren in der Warteschleife sehe ich auf dem Servermonitor einen von Zauberhand geführten Zeiger, Batch- dateien werden programmiert, Spei- cherplätze definiert, Zugriffsrechte vergeben. Gefühlte Augenhöhe zwi- schen Programmierer und mir etwa die von Phagozyt und Virus kurz vor dem Exitus.
Die Tür öffnet sich. Nein, weder Teufel noch Beelzebub, ein blasser Herr, der sich mittels Versicherungs- karte als Patient ausweist. Damit ist er in höchstem Maße privilegiert, und zwar seit neuestem gesetzlich. Denn unser Gesundheitsminister weiß: „Ein informierter und mit ausreichenden Rechten ausgestatteter Patient kann seinem Arzt auf Augenhöhe gegen- übertreten.“ Welche Augenhöhe meint er bloß? Und sollte ich prophylaktisch die Sprechzimmer mit Trittleitern aus- statten?
GLOSSE
Elke Hussel
ARZTPRAXIS