Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 44½½½½2. November 2001 AA2833
S E I T E E I N S
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as den Schutz weltweiter Pa- tentrechte betrifft, scheinen sich die USA vom Saulus zum Pau- lus bekehrt zu haben. Unter dem Eindruck der jüngsten Anthrax-Fäl- le – es sind bislang 14 Menschen er- krankt und drei gestorben – haben sie dem Pharmakonzern Bayer da- mit gedroht, sein Patent auf das Me- dikament Ciprobay zu brechen, das bis vor wenigen Tagen als einziges zur Behandlung des Lungenmilz- brandes zugelassen war. Zuvor hatte Kanada selbiges versucht. Den an und für sich zahlungskräftigen Kun- den sind die Bayer-Präparate zu teu- er. Beide Staaten beriefen sich auf eine Ausnahmeregelung im Welt- handelsabkommen. Diese sieht vor, dass bei einem nationalen Notstand Patentrechte durch Parallelimporteoder Zwangslizenzen für die Her- stellung preiswerter Generika aus- gehebelt werden können. Im Fall Kanadas dürfte der Notstand eher fiktiv sein – Milzbrand ist bisher nicht aufgetreten.
Die Haltung der USA angesichts ihrer nationalen „Anthrax-Kata- strophe“ verwundert nicht minder.
Als Thailand, Brasilien oder Süd- afrika sich auf eben jene Ausnahme- regelung beriefen, um preiswertere Aids-Generika herzustellen oder zu importieren, legten die USA zum Schutz ihrer Pharmaindustrie den Entwicklungsländern die Daumen- schrauben an und drohten offen mit Handelssanktionen. Gegen Brasili- en zog man gar vor die Welthandels- organisation. Dabei sprechen die Zahlen für sich: In Thailand leiden ei-
ne Million Menschen an HIV/Aids, in Südafrika sind es fast fünf Millio- nen, in Brasilien – unter anderem we- gen der aggressiven Arzneimittelpo- litik – „nur“ eine halbe Million.
Bayer hat im Kräftemessen mit den USA klein beigegeben und ver- treibt Ciprobay jetzt zu einem Bruchteil des ursprünglichen Prei- ses. „Wir stehen zu Euch“, heißt es dazu in einer US-Zeitungsanzeige.
Prinzipiell mag man von Patenten auf Arzneimittel halten, was man will. Doch es gibt sie, und Bayer be- ruft sich zu Recht darauf. Die USA täten in diesem Fall besser daran, die Kirche im Dorf zu lassen, auch wenn sich angesichts der weltweiten Solidarität gegen den Terror – auch von interessierter Seite – kein Pro- test regt. Heike Korzilius
USA/Bayer
Maß für Maß
E
ine Steigerung der Beitragssätze in der Gesetzlichen Krankenver- sicherung um 0,2 bis 0,5 Prozent hält Bundesärztekammerpräsident Prof.Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe für vertretbar. Hoppe beruft sich dabei auf die überragende Bedeutung des Gesundheitswesens auch für den Arbeitsmarkt. Er spricht sogar von der „Jobmaschine Gesundheitswe- sen“. Angesichts abflauender Kon- junktur und unerfreulicher Aussich- ten für den Arbeitsmarkt hält er es geradezu für sträflich, im Gesund- heitswesen kürzer treten zu wollen.
Vorsichtige Andeutungen, eine Beitragssatzsteigerung in begrenztem Rahmen sei tolerierbar, kamen in den letzten Wochen und Monaten
auch aus Regierungskreisen. Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt brachte soeben eine Beitragssatzstei- gerung von 0,2 Prozent ins Gespräch, und sie gab auch zu überlegen, dass bei einer künftigen Strukturreform des Gesundheitswesens nicht nur wie bisher in erster Linie die Ausgaben- seite angegangen werden müsse, son- dern auch die Einnahmenseite zu überprüfen ist.
Allerdings hat Schmidt mehrfach abgelehnt, bereits jetzt mehr Geld ins System zu bringen. Sie will den Druck, der aus den knappen Mitteln resultiert, nutzen, um die aktuellen Gesetzesvorhaben, etwa die Disease- Management-Programme, durchzu- bringen. Eine Neuordnung auch der
Einnahmenseite kommt für sie nur infrage, wenn zugleich eine allge- meine Strukturreform durchgezogen wird.
Das heißt, dass eine grundlegende Verbesserung der Finanzausstattung der Gesetzlichen Krankenversiche- rung frühestens in der kommenden Legislaturperiode angegangen wird – falls sich der Runde Tisch, an dem die Beteiligten des Gesundheitswe- sens sitzen, und die diversen Diskus- sionskränzchen im Regierungslager auf Grundzüge einer Reform ver- ständigt haben. Bis dahin bleibt es bei den jetzt ins Spiel gebrachten Prozentbruchteilen für Beitragssatz- erhöhungen, maximal einem halben Prozentpunkt. Norbert Jachertz