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Archiv "Die Finanzierungsfrage: Mehr Markt durch mehr Staat?" (15.06.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 24⏐⏐15. Juni 2007 A1717

P O L I T I K

D

ie vielen Kostendämpfungs- gesetze der vergangenen Jahr- zehnte sollten über eines nicht hin- wegtäuschen: Die gesetzliche Kran- kenversicherung (GKV) hat weniger ein Ausgaben- als vielmehr ein Ein- nahmenproblem. So zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Anteils der GKV-Ausgaben am Bruttoinlands- produkt (BIP), dass seit 1980 jähr- lich ein gleichbleibender Teil des gesellschaftlichen Wohlstands – gut sechs Prozent – zur Finanzierung der GKV aufgebracht wird. Die den- noch steigenden Beitragssätze der Krankenkassen sind vor allem mit den relativen Einnahmerückgängen infolge der gestiegenen Arbeitslo- sigkeit zu erklären. Das Problem:

Die GKV-Beiträge sind nicht Pro- zentsätze des BIP, sondern der bei- tragspflichtigen Löhne, Gehälter und Sozialeinkommen.

Nachdem die Finanzierungsfrage bei der letzten Gesundheitsreform 2004 noch explizit ausgeklammert worden war, wollte die Politik das Einnahmenproblem mit dem GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV- WSG) endlich angehen. Eher wider- willig in der Großen Koalition ver- eint, plädierte die SPD im Vorfeld des Gesetzes für die Einführung einer Bürgerversicherung, die Union favo- risierte ein Kopfpauschalenmodell.

Dabei zielte das SPD-Konzept darauf ab, die Einnahmebasis der GKV zu verbreitern, indem alle Bürger auf al- le Einkommensarten Kassenbeiträge zahlen. Im Gesundheitsprämienmo- dell der CDU werden die Kranken- kasseneinnahmen von der Entwick- lung der Löhne abgekoppelt; der so- ziale Ausgleich in der GKV wird über Steuermittel von allen Bürgern getra- gen. Die Koalitionäre einigten sich schließlich auf die Einrichtung eines Gesundheitsfonds. Die Idee ist para- dox: Indem der Staat bisherige Auf-

gaben der Kassen übernimmt, soll der Wettbewerb zwischen diesen ange- heizt werden.

Zum 1. Januar 2009 wird die Finanzautonomie der Krankenkassen beseitigt. Alle Kassen erhalten dann ihre Finanzmittel aus dem Gesund- heitsfonds. In diesen fließen die Beiträge der Arbeitnehmer und Ar- beitgeber sowie die für die GKV zur Verfügung gestellten Steuergelder.

Aus dem Fonds erhalten die Kassen Pauschalen für jeden ihrer Versicher- ten. Bei der Höhe der Pauschale wer- den die Versichertenstrukturen be- rücksichtigt. Dazu soll der bisheri- ge Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen zu einem morbiditätsori- entierten Ausgleich erweitert werden, der dann die Krankheitshäufigkeit der Versicherten berücksichtigt.

Kommt eine Krankenkasse mit den Zuweisungen aus dem Gesund-

heitsfonds nicht aus, kann sie von ihren Mitgliedern einen Zusatzbei- trag verlangen. Die Mitglieder ha- ben für diesen Fall ein Sonderkündi- gungsrecht. Der Zusatzbeitrag wird einkommensabhängig oder pauschal erhoben. Erzielt eine Krankenkasse Überschüsse, so kann sie ihren Mit- gliedern finanzielle Vergünstigun- gen oder Beitragsrückerstattungen gewähren.

Bundeszuschuss in der GKV

In den Gesundheitsfonds fließen auch Steuermittel. Der Bundeszuschuss von 2,5 Milliarden Euro in diesem und im nächsten Jahr soll ab 2009 jährlich um 1,5 Milliarden Euro an- wachsen – bis auf 14 Milliarden Euro.

Im Jahr 2006 hat der Bundeszuschuss in der GKV 4,2 Milliarden Euro be- tragen (also mehr als die vier Milli- arden Euro zum Start des Fonds).

DIE FINANZIERUNGSFRAGE

Mehr Markt durch mehr Staat?

Die Politik legt für die Krankenkassen einen einheitlichen Beitragssatz ab 2009 fest.

Über einen Gesundheitsfonds wird das Geld anschließend an die Kassen verteilt.

Dies soll den Wettbewerb beleben und so die Finanzierung des Systems sichern.

GRAFIK

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A1718 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 24⏐⏐15. Juni 2007

P O L I T I K

„Das neue Finanzierungssystem macht die Leistungen der Kranken- kassen beim Leistungs- und Kos- tenmanagement transparent“, wirbt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einer Informationsbro- schüre. Gerate eine Kasse in finanzi- elle Schwierigkeiten, habe ihr Vor- stand eine Reihe von Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Über erfolgreich geführte Rabattverhand- lungen könnten etwa die Ausgaben für Arzneimittel reduziert werden.

Die Kasse könne auch einen Weg aufzeigen, „der zuerst immer zum Hausarzt führt, statt teures Facharzt- Springen zu erlauben“.

Härtefallklausel

Die Frage, ob eine Krankenkasse mit den Zuweisungen aus dem Fonds auskommt, wird in diesem Konstrukt zum zentralen Parameter im Wettbe- werb zwischen den Kassen. Denn so- bald ein Versicherter eine Zusatzprä- mie zahlen soll oder diese „kleine Prämie“ angehoben wird, kann er die Kasse wechseln. Allerdings wird diese Wirkung des Zusatzbeitrags durch eine Härtefallklausel unterlau- fen. Denn nur bis zu einer Höhe von acht Euro muss jedes Kassenmit- glied die „kleine Prämie“ bezahlen.

Übersteigt der Zusatzbeitrag diese Grenze, greift eine Regelung, wo- nach der Zusatzbeitrag ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens des Mitglieds nicht übersteigen darf.

Folge: Um die gleichen zusätzlichen Einnahmen zu generieren, muss eine Kasse mit vielen „Härtefällen“ einen deutlich höheren Zusatzbeitrag ver- langen als eine Kasse mit wenigen

„Härtefällen“. Absehbar ist ein ver- zerrter Wettbewerb, insbesondere zulasten der AOKs, bei denen viele Niedrigverdiener versichert sind.

Den bisher entscheidenden Para- meter für den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen hat die Politik mit dem GKV-WSG kurzerhand ab- geschafft. Den GKV-Beitragssatz wird die Bundesregierung künftig selbst festlegen – erstmals zum 1. Ja- nuar 2009 –, und zwar einheitlich für alle Kassen. Zum Start des Gesund- heitsfonds soll der Beitragssatz da- bei so gewählt werden, dass die durch- schnittlichen Ausgaben der Kran- kenkassen zu 100 Prozent gedeckt

werden. Angehoben wird er laut Ge- setz erst dann, wenn die Ausgaben der Kassen nicht mindestens zu 95 Prozent aus dem Gesundheitsfonds gedeckt sind. Anders ausgedrückt:

Unterfinanzierungsquoten von bis zu fünf Prozent müssen die Kassen über Zusatzbeiträge sowie erfolg- reich geführte Vertragsverhand- lungen mit der Pharmaindustrie und den Ärzten/Krankenhäusern aus- gleichen. Die Bundesärztekammer schlussfolgert in ihrer Stellungnah- me zum GKV-WSG: „Sie [die Kas- sen] werden aufgefordert, mit Leis- tungserbringern Sonderverträge ab- zuschließen, denen die Zielsetzung zugrunde liegt, Ausgaben einzuspa- ren, was wiederum darauf hinaus- läuft, Leistungserbringern angemes- sene Vergütungen vorzuenthalten.“

Für einen funktionierenden Wett- bewerb zwischen den Krankenkas- sen ist auch entscheidend, dass die Zuweisungen aus dem Gesundheits- fonds an die Krankenkassen mög- lichst exakt das Krankheitsrisiko der Versicherten widerspiegeln. In den Verhandlungen zwischen SPD und Union haben allerdings Regelungen den Weg ins Gesetz gefunden, die die Zielgenauigkeit des morbiditätsori- entierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) gefährden. So be- schränkt der Koalitionskompromiss den Morbi-RSA auf 50 bis 80 Krank- heiten, bei denen die durchschnitt- lichen Leistungsausgaben je Versi- cherten die GKV-weiten durch- schnittlichen Leistungsausgaben um

mindestens 50 Prozent übersteigen.

Welche Krankheiten dies sein wer- den, legt das Bundesversicherungs- amt (BVA) auf Vorschlag eines wis- senschaftlichen Beirats (dessen Be- setzung noch offen ist) fest. Somit entscheidet künftig das BVA, wie viel Milliarden Euro im System um- verteilt werden. Zudem werden nur sehr kostenintensive Krankheiten berücksichtigt.

Einnahmeproblem nicht gelöst

Einen fairen Wettbewerb zwischen den Kassen dürfte die GKV-Finanzre- form somit nicht auslösen. Vor allem aber ändert sich an der Einnahmen- problematik so gut wie nichts. Denn die Beiträge, die in den Gesundheits- fonds fließen, sind nach wie vor lohnabhängig. Sinkt der Lohnanteil am BIP (die Lohnquote), so müssen auch weiterhin die Beitragssätze stei- gen. Lohnunabhängig ist neben dem zunächst konstanten Steueranteil nur die „kleine Prämie“. Deren Wirkung ist aber wegen der Begrenzung ge- ring. Und: Neue Einnahmequellen werden mit dem GKV-WSG nicht erschlossen.

Dass sowohl SPD als auch CDU dem Kompromiss „Gesundheits- fonds“ zugestimmt haben, ist einfach zu erklären: Die CDU feiert die „klei- ne Prämie“ als Einstieg in das Kopf- pauschalenmodell. Die SPD hofft, mit dem zentralen Beitragseinzug die Weichen für die Bürgerversicherung

gestellt zu haben. I

Jens Flintrop

ABSCHLUSS DER SERIE ZUR GESUNDHEITSREFORM

Folgende Beiträge sind erschienen:

>Heft 11:GKV-WSG: Nachhaltige Änderungen, aber keine nachhaltige Finanzierung

>Heft 12:Krankenhäuser: Geschröpft, aber lebensfähig

>Heft 13:PKV: Systemfremde Eingriffe bereiten den Ärzten Sorgen

>Heft 14:Gemeinsamer Bundesausschuss: Hauptamtlich unparteiisch

>Heft 15:Arzneimittel: „Es ist nicht übersichtlicher geworden“

>Heft 16:GKV-Wahltarife: Freiheit für Versicherte, Arbeit für Ärzte

>Heft 17:Rehabilitation: Krankenkassen in der Pflicht

>Heft 18:Ambulante Versorgung: Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf dem Euro-EBM

>Heft 19:Krankenversicherungsschutz: Historischer Meilenstein

>Heft 20:Neue Versorgungsformen: Konkurrenz für den Kollektivvertrag

>Heft 22:Bürokratie: Teure „Brieffreundschaften“

>Heft 23:Reform der gesetzlichen Krankenversicherung: An der kurzen Leine

>Heft 24:Die Finanzierungsfrage: Mehr Markt durch mehr Staat?

Referenzen

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