• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Bundestagswahl 2009: Die SPD will mehr Staat – und mehr Markt" (14.08.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Bundestagswahl 2009: Die SPD will mehr Staat – und mehr Markt" (14.08.2009)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 33

|

14. August 2009 A 1593

N

un also doch. Nachdem der Bundesrechnungshof Ulla Schmidt (SPD) in der Dienstwagen- affäre entlastet hat, darf die Bun- desgesundheitsministerin in das Kompetenzteam von SPD-Kanzler- kandidat Frank-Walter Steinmeier nachrücken. Die Prüfer hatten auf Antrag der Ministerin die Abrech- nung von privater und dienstlicher Nutzung des Dienstwagens in Schmidts Spanienurlaub unter- sucht. Die Abrechnung sei formal korrekt, so das Ergebnis des Rech- nungshofs. Der Flurschaden ist für die SPD dennoch immens.

Dass Steinmeier trotzdem nicht auf Schmidt verzichten will, zeigt, dass die Sozialdemokraten derzeit über keinen brauchbaren Alternativ- kandidaten für die sturmerprobte Gesundheitsministerin verfügen.

Unbesetzt konnte die Parteispitze den Bereich „Gesundheitspolitik“

im Kompetenzteam aber auch nicht lassen. Dies wäre den Wählern ange- sichts der ehrgeizigen Pläne der SPD für den Umbau des Gesundheitssys- tems kaum zu vermitteln gewesen.

Doch wie stellt sich die SPD konkret die künftige Gesundheits- versorgung vor? Zunächst über- raschte Steinmeier mit seiner An-

kündigung, bis 2020 vier Millionen neue Jobs schaffen zu wollen. Nach seinem sogenannten Deutschland- Plan soll eine Million neue Stellen allein im Gesundheitswesen ent - stehen. Der Haken daran: Was kon- kret zu tun ist, um das Jobwunder Wirklichkeit werden zu lassen, weiß Steinmeier nicht. Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftsminis- terium sollen Pläne erarbeiten, schlägt er vor. Die Wachstums - chancen seien im Gesundheits - sektor zu wenig erforscht. „Nicht zuletzt deshalb, weil Gesundheit viel zu oft als Kostenfaktor gesehen wird“, heißt es in dem Zukunfts- konzept der SPD.

Jobmotor braucht Treibstoff Immerhin schwingt dabei eine ge- hörige Portion Selbstkritik mit, lei- tete doch in den vergangenen acht Jahren eine SPD-Ministerin das Ge- sundheitsressort. Kennzeichnend für diesen Zeitraum ist, dass das Bun- desgesundheitsministerium (BMG) wichtige Entscheidungskompeten- zen der Selbstverwaltung an sich gezogen und damit „verstaatlicht“

hat. Gleichzeitig beförderte Schmidt den Wettbewerb und damit auch Privatisierungstendenzen. So wurde

die integrierte Versorgung mit Mil- liardenbeträgen auf Kosten der Re- gelversorgung subventioniert. Pri- vatinvestoren wurde mithilfe der Medizinischen Versorgungszentren der Zugang zur ambulanten Versor- gung ermöglicht. Viele niedergelas- sene Ärzte sehen sich für den Wett- bewerb mit finanzkräftigen Konkur- renten nicht gewappnet. Dies gilt auch für die Öffnung der Kranken- häuser für die ambulante Versor- gung, die viele Vertragsärzte als Be- drohung empfinden.

Diese Wettbewerbselemente will die SPD ihrem Wahlprogramm zu- folge künftig weiter ausbauen. Da- von versprechen sich die Sozial - demokraten viel. Denn sollte der Wettbewerb bislang vor allem dazu dienen, die Ausgaben im Gesund- heitswesen zu senken, wird mit mehr Markt nun auch noch die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze verbunden.

Doch auch wenn durch mehr Wett- bewerb manche Abläufe effizienter gestaltet werden können – es wird eine Menge Treibstoff, also Geld – nötig sein, um den Jobmotor Ge- sundheitswesen kontinuierlich zu befeuern. Die SPD hofft, dass mit dem von ihr favorisierten Konzept einer Bürgerversicherung, das eine BUNDESTAGSWAHL 2009

Die SPD will mehr Staat – und mehr Markt

Die Kassenlandschaft soll vereinheitlicht und der Wettbewerb unter den Ärzten befördert werden.

Damit will die SPD nicht nur Geld sparen, sondern auch Jobs schaffen. Daran glauben nicht einmal alle Genossen.

Foto: dpa

P O L I T I K

(2)

A 1594 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 33

|

14. August 2009 verbreiterte Bemessungsgrundlage

für Beiträge vorsieht, zusätzliche Mittel generiert werden können.

In ihrem Wahlprogramm gehen die Sozialdemokraten nicht sonder- lich detailliert auf die künftige Fi- nanzierung der gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) ein. Die Wähler müssen sich mit vagen Aus- sagen begnügen. „Wir wollen die gesetzliche Krankenversicherung kontinuierlich zu einer echten Bür- gerversicherung weiterentwickeln“, kündigt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Carola Reimann, an.

Sie verweist darauf, dass man mit dem Gesundheitsfonds, der Versi- cherungspflicht für alle und dem Einstieg in die Steuerfinanzierung bereits wesentliche Schritte hin zu einem neuen System gegangen sei.

Um die GKV fit für die Zukunft zu machen, müssten aber alle Ein - kommen zur Finanzierung der Ge- sundheitsausgaben herangezogen werden. Auch sollte die private Krankenversicherung (PKV) in den morbiditätsorientierten Risikostruk- turausgleich einbezogen werden.

„Vorfahrt für Einzelverträge“

Etwas konkreter wird da ein ge- sundheitspolitisches Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung. Darin skiz- ziert der Gesprächskreis „Sozial - politik“ Ziele künftiger sozial - demokratischer Gesundheitspolitik.

Zentraler Bestandteil des Konzepts ist auch hier die Bürgerversiche- rung. Die SPD-Vordenker, zu denen unter anderem BMG-Abteilungslei- ter Franz Knieps zählt, befassen sich unter anderem mit der Frage, wie bei Einführung einer Beitrags- pflicht für Kapitaleinkünfte eine ge- rechte Lastenverteilung ermöglicht werden kann. Hintergrund sind Be- fürchtungen, dass wegen der Bei- tragsbemessungsgrenze Versicherte mit Kapitaleinkünften, aber einem eher geringen Einkommen im Ge- gensatz zu Gutverdienern mit ent- sprechenden Zusatzeinkünften be- nachteiligt werden. Eine Idee ist es, die Beitragsbemessungsgrenze an- zuheben. Die Experten können sich auch vorstellen, eine eigene Bei- tragsbemessungsgrenze für Kapital - einkünfte zu ziehen.

Auch was die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen angeht, gibt der Gesprächskreis Hinweise auf den künftigen Kurs der SPD.

So sprechen sich die Autoren für dezentrale wettbewerbliche Steue- rungsansätze aus. „Vorfahrt für Ein- zelverträge“, heißt es wörtlich in dem Reformkonzept.

Gleichbedeutend mit dem Ende der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ist dies jedoch nicht. Die Gesundheitsexperten in der SPD wissen genau, was sie in Zeiten des Ärztemangels an den KVen haben.

„Es war nie das Ziel der SPD, die Kassenärztlichen Vereinigungen ab- zuschaffen“, sagt Reimann. Viel- mehr gehe es darum, die Körper- schaften weiter zu entwickeln und sie den neuen Verhältnissen anzu- passen. Den Kollektivvertrag sieht die Gesundheitsexpertin keines- wegs als Auslaufmodell. Er habe insbesondere in strukturschwachen Regionen seine Existenzberechti- gung. Nötig seien parallel dazu aber auch selektivvertragliche Lösungen, insbesondere in der hausärztlichen Versorgung.

Dass sie mit der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung für Hausarzt- modelle nicht glücklich ist, räumt Reimann unumwunden ein. Sie ver- weist darauf, dass die Neufassung

des § 73 b (Hausarztverträge), die dem Deutschen Hausärzteverband faktisch ein Verhandlungsmonopol mit den Kassen einräumt, auf Betrei- ben der CSU zustande gekommen sei. Ob man nach der Wahl wieder zur alten Regelung zurückkehren werde? Das will sie nicht beant - worten. Wie ihre Ministerin verweist Reimann auf die derzeit gültige Rechtslage. Auf dieser Grundlage müsse man nun arbeiten.

Gesundheits-Riester nötig Ob Hausarztmodelle dazu beitragen können, die Versorgungssituation in strukturschwachen Regionen zu verbessern, darf bezweifelt werden.

Die Folgen des Ärztemangels wer- den sich nach Meinung von Eike Hovermann wegen der demografi- schen Entwicklung eher noch ver- schärfen. „Wir stehen vor enormen Herausforderungen und müssen uns deshalb Gedanken machen, wie wir das alles bezahlen wollen“, sagt er.

Der SPD-Querdenker sieht die Bür- gerversicherung nicht als geeigne- tes Mittel, um den künftigen Fi- nanzbedarf im Gesundheitswesen zu decken. Ihm schwebt vielmehr eine staatlich geförderte private Zu- satzkrankenversicherung vor. Mit einem solchen „Gesundheits-Ries- ter“, wie ihn kürzlich auch der Mar- burger Bund gefordert hat, könnten Versicherte nach Meinung Hover- manns individuell Geld für die Ver- sorgung im Alter ansparen.

Bei seinen Parteifreunden macht er sich mit solchen Forderungen nicht beliebt. Als „bloße Einzelmei- nung“ wird auch Hovermanns Plä- doyer für eine „ehrliche Debatte“

über Leistungseinschränkungen in der gesetzlichen Krankenversiche- rung abgetan. Tatsächlich bestreitet Hovermann anders als viele seiner Parlamentskollegen nicht, dass schon heute rationiert wird. Künftig wer- de man um eine breite Diskussion über Rationierung und Priorisie- rung nicht vorbeikommen, sagt er.

Einige Gesundheitspolitiker weiß Hovermann parteiübergreifend auf seiner Seite. Ob dazu auch Ulla Schmidt zählt? „Nein, die Ministe- rin ist immer nur für das, was sie im Amt hält“, meint er. ■

Samir Rabbata Angekommen –

nach leidlich über - standener Dienst - wagenaffäre stößt nun auch Ulla Schmidt zum Kompetenzteam von SPD-Kanzler - kandidat Frank-Walter Steinmeier.

Foto: action press

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Niemand braucht sich daher zu wundern, dass nach einer Studie des Instituts für Markt und Meinungsforschung, TNS EMNID, vom August 2002 das Vertrauen in das Gesund-

Sollten Unternehmen sich gegen eine stärker regulierend eingreifende Politik beschweren, dann muss die Politik darin bestärkt werden, mit Selbstbewusstsein aufzutreten und

Ob Ärzte, KVen und Kassen der Netzidee weitere Impulse geben kön- nen, hängt nun maßgeblich von den Plänen der neuen Bundesregierung ab. Das Gesetz, bekräftigt

„grauen Marktes" für den vom Gesetzgeber gewoll- ten Bereich der nicht ver- planten marktwirtschaft- lichen Krankenhausversor- gung wenig glücklich ge- wählt, es ist Bruckenberger

Nicht alles, was bei ihnen glänzt, ist Gold, aber sie sind weniger auf Machtstreben und Meinungsführerschaft aus, sie gängeln ihre Mitglieder nicht, bemühen sich um gute

In der Medizin, aber auch in der Bil- dungspolitik überhaupt, muß man sich danach richten, welche Kapazitäten für eine sinnvolle Ausbildung zur Verfügung ste- hen. In der

Weil wir uns im Interesse der Patientinnen und Patienten aber auch der Ärztinnen und Ärzte für die Stärkung der sprechenden Medizin, mehr Transparenz und Qualitätssicherung

Einerseits verlagere der Staat die Verantwortung für Gesundheit mehr und mehr auf den Einzelnen – Stichwort Eigen- verantwortung – und ziehe sich selbst mehr und mehr aus