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Archiv "Zu einem Symposium der Ortskrankenkassen: Mehr ,,Markt'' oder mehr ,,Reklame''?" (22.10.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Zu einem Symposium der Ortskrankenkassen

J

n jedem Jahr stimmen viele Tausende junger Berufsanfän- ger darüber ab, welcher Kran- kenkasse sie angehören wollen. Stimmzettel sind die Beitritts- erklärungen für eine der bundes- weit organisierten Ersatzkassen.

Nur wem der Beitritt zu einer Er- satzkasse von Berufs wegen ver- wehrt oder wem nicht die Mitglied- schaft in einer Innungs- oder Be- triebskrankenkasse vorgeschrie- ben ist, der hat "keine Wahl"- ihn zwingt das Gesetz in die AOK.

Was ist der Grund, warum außer- dem so viele Angestellte, Techni- ker, Kaufleute, junge Akademiker in die Ersatzkasse und nicht in die AOK gehen?

Ist es die Folge eines von den Er- satzkassen gut organisierten

"Wettbewerbs im Lohnbüro"? Sind individuell-rationale Überle- gungen des einzelnen im Spiel, et- wa Leistungs- und Beitragssatzun- terschiede? Sind es irrationale Gründe, wobei an gewisse Stilele- mente der AOK zu denken ist, wie der Geruch einer angeblichen "Ar- me-Leute-Krankenkasse"? Oder sind die Ersatzkassen sympathi- scher als die AOK? Wenn ja, was macht die Ersatzkassen im Ver- gleich zur AOK sympathisch, an- ders gefragt: Was könnte die AOK tun, um in der Öffentlichkeit ge- nauso sympathisch zu erscheinen wie die Ersatzkassen?

Diese und andere Fragen werden seit langer Zeit diskutiert, so zu- letzt im Rahmen eines AOK-Sym- posiums, dessen Generalthema lautete: "Marktorientiertes Han- deln der AOK", veranstaltet mit Hilfe der Ruhr-Universität Bochum von den AOK-Landesverbänden Westfalen-Lippe und Baden-Würt- temberg. Aufgeboten wurde fast ein Dutzend Experten aus den Ge- bieten Soziologie, Sozialökono- mie, Konsum- und Verhaltensfor- schung, Wirtschafts- und Sozial- wissenschaften, Marketing, Unter- nehmensberatung, Publizistik und

Mehr ,,Markt'' oder mehr

,,Reklame''?

Kommunikationswissenschaft. Al- lein sieben Professoren der Uni- versität Bochum gaben der Veran- staltung mit über 500 Zuhörern das Gepräge.

Aber wie verhält es sich mit den Antworten? Wie stehen die Chan- cen für das "marktorientierte Ver- halten der Ortskrankenkassen"? Weiß man jetzt in den Chefetagen der AOK, was "Markt" ist, wie man sich "im Markt" verhalten muß, was man bislang falsch gemacht hat und worauf es bei der Sympa- thiewerbung für die AOK-Produkte ankommt? Werden die potentiel- len Ersatzkassenmitglieder mit Schwung und Elan auf das neue

"AOK-Marketingkonzept" (vom

Frühjahr 1986) abfahren?

Frommer Wunsch der AOK Bereits der Eröffnungsvortrag ver- breitete Nüchternheit unter den Zuhörern, denn wie soll eine AOK in einem "Nicht-Markt", wie ihn die gesetzliche Krankenversiche- rung darstellt, "marktorientiert"

handeln? Sie ist nun einmal kein

"Modellbeispiel für einen wettbe- werblieh orientierten Markt" - meinte der Vortragende und über- ließ das Erstaunen den Zuhörern. Aber es wurde noch drastischer durch die sachliche Feststellung eines weiteren Experten, die ge- setzliche Krankenversicherung sei geradezu darauf angelegt, keine Marktbezeichnungen zuzulassen.

Hinzuzufügen ist, daß sich auch die AOK-Oberen bislang wegen ih- rer ständigen Sorge um die Erhal-

TAGUNGSBERICHT

tung des Solidarprinzips strikt ge- gen "mehr Markt" ausgesprochen haben.

Das AOK-Symposium konnte zur Belebung des Wettbewerbs nichts beitragen. Solange der Staat nicht durch eine ordnungspolitische Weichenstellung die Vorausset- zungen schafft, ist "marktwirt- schaftliches Handeln" der AOK ein frommer Wunsch. Glauben die Veranstalter des Symposiums, daß bei mehr wettbewerblicher Wahl- freiheit in der Krankenversiche- rung den Ersatzkassen Mitglieder weglaufen und zur Allgemeinen Ortskrankenkasse überwechseln werden, oder muß man vielmehr mit einer umgekehrten Bewegung rechnen?

Einige Referenten verzichteten auf

"marktorientierte" Handlungsvor- schläge und berichteten statt des- sen über die Kostenprobleme der Krankenversicherung. Andere zo- gen es vor, sich mit der Weltwirt- schaftslage und ihrer Dynamik so- wie der Bedeutung des Technolo- giewandels zu befassen. Wenn ge- legentlich von "mehr Markt" im Gesundheitswesen die Rede war, paßten die "Konzepte" eher für den Verkauf von Autos mit Kataly- sator, nicht jedoch für AOK-Ge- sundheitsleistungen. Es fehlte je- doch nicht an begrifflichen Erläu- terungen des strategischen, ope- rativen und taktischen Marketing, und wer wissen wollte, ob Portofo- lio-Strategien und Szenario-Tech- niken obsolet sind oder nicht, er- fuhr auch dieses.

Für die Vorbereitung eines Rekla- mefeldzuges, um den es sich doch wohl handelt, brauchte man ei- gentlich nur zu wissen, wie man als AOK zukünftig in der Öffent- lichkeit sympathischer als bisher in Erscheinung treten kann.

..,.. ln dieser Hinsicht können die Ortskrankenkassen bereits Ach- tungserfolge verbuchen. Auf bun- ten Plakaten und T-Shirts, in der Regenbogenpresse, in Springers

"Hör zu", beim "Trimm-Trab" mit Prominenten und Preisverleihun- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 43 vom 22. Oktober 1986 (23) 2929

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ortskrankenkassen

gen für junge Leute liegt die AOK gut im Rennen. Jedoch hat sich dadurch das echte „Wir-Gefühl"

innerhalb und außerhalb der gro- ßen AOK-Gemeinschaft noch nicht eingestellt. Wenn die Ausstrah- lung auf alle „Noch nicht"-AOK- Mitglieder bis jetzt ausgeblieben ist, so liegt es daran, daß die per- sonifizierten Leitbilder für eine wirksame Sympathiewerbung feh- len.

Nicht einmal die DGB-Spitze ist in der AOK versichert, sondern er- freut sich der Mitgliedschaft in Er- satzkassen, Betriebskrankenkas- sen und der Postbeamten-Kran- kenkasse. Und Boris Becker will offenbar auch nicht AOK-Mitglied werden.

Das Symposium hätte ein Erfolg werden können, wenn sich die Be- teiligten gefragt hätten, woran es liegt, daß es bei manchen Kran- kenkassen an Sympathieeigen- schaften mangelt. Liegt dieses an der bürokratischen Mentalität von Mitarbeitern, an dem obrigkeitlich geprägten Denk- und Handlungs- schema, an der Nähe zum Vertrau- ensarzt oder mangelnden Nähe zum einzelnen Mitglied? Sind die Sympathiebeweise ausgeblieben, weil eine bestimmte Kassenart ständig auf Staatsräson und Ge- meinwohl pocht, stolz ist auf die Urheberschaft an den Kosten- dämpfungsgesetzen? Liegt es dar- an, daß immer wieder dieselben Kassen bei unvermeidlichen Aus- gabensteigerungen öffentlich la- mentieren und stets „die anderen"

und niemals sich selbst beschuldi- gen?

Krankenkassen, die ständig mit der Methode „Knüppel aus dem Sack" zu beeinflussen versuchen, woran immer auch ihre eigenen Mitglieder beteiligt sind, können nicht sympathisch sein. Es scheint so, als ob bestimmte Krankenkas- sen zuviel „Politik" machen. Diese Krankenkassen bleiben dann auch von einer Vertrauenskrise der Bür- ger zum Staat nicht verschont, vor allem, wenn sie gern als staatliche Daseinsfürsorger Wert darauf le-

gen, immer in der ersten Reihe zu sitzen. Es ist dem Image einer Krankenkasse ohnehin abträglich, daß ihr äußeres Erscheinungsbild fast ausschließlich durch den mo- natlichen Lohnstreifen geprägt wird, aber muß sie dann in der be- schriebenen Weise auch noch ständig auf den Putz hauen? Um wessen Beiträge geht es denn ei- gentlich?

Da gibt es Krankenkassen, die ver- halten sich anders und erscheinen deshalb nicht nur sympathisch, sie sind es auch. Nicht alles, was bei ihnen glänzt, ist Gold, aber sie sind weniger auf Machtstreben und Meinungsführerschaft aus, sie gängeln ihre Mitglieder nicht, bemühen sich um gute Beziehun- gen zu den Heilberufen, sorgen für einen vernünftigen Transfer des medizinischen Fortschritts in die ärztliche Behandlung, sie nötigen ihre Mitglieder nicht in einen kas- seneigenen Brillenladen, verzich- ten auf die Computerkontrolle von Zahnersatzanträgen und halten et- was auf die Selbstbestimmung ih- rer Mitglieder.

Im übrigen befleißigen sie sich ei- ner nüchternen kommerziellen As- sekuranz, verbreiten einen Hauch von fast privater Kundenfreund- lichkeit, wünschen den Gesetzge- ber eher zum Teufel, als daß sie ihn rufen, und lehnen das ewige Krisenmanagement durch staat- liche Eingriffe ab; wen wundert es, daß diese Krankenkassen mehr Är- ger mit der privaten Krankenversi- cherung haben als andere Kas- sen?

Am Ende ein großer Flop?

Zugegeben, manche Krankenkas- sen, wie z. B. die Ersatzkassen, ha- ben es leichter als die AOK: zu- meist günstige Beiträge, hohe Grundlohnsummen, günstige Risi- ken, Kostenerstattungsprinzip für höherverdienende Mitglieder.

Aber dies sind keine Attribute, die ihr sympathisches Erscheinungs- bild erklären . .

Sympathie wecken heißt Vertrau- en entwickeln. Darauf ist in dem Symposium hingewiesen worden, aber wie macht man das? Auf kei- nen Fall doch wohl mit einem be- nutzerfreundlichen und markt- orientierten Leistungsangebot, es sei denn, der Gesetzgeber läßt Wahltarife zu. In einer hoch ent- wickelten Industriegesellschaft will jeder seinen eigenen Lebens- stil verwirklichen, also seine Wün- sche erfüllt sehen. Dieses geht in der gesetzlichen Krankenversiche- rung nur mit Wahltarifen, und erst dann kann man auch über Marke- tingkonzepte diskutieren. Denn was heißt Marketing? Die Grund- gedanken eines Austauschpart- ners aufnehmen und dessen Wün- sche situationsgerecht verarbei- ten, also ihn zufriedenstellen und damit zugleich die eigenen Ziele erfüllen.

Zur Zeit können die Ortskranken- kassen auf der Wunschseite nur ein zweifelhaftes und oft ärger- liches Randsortiment an Leistun- gen anbieten, denn 90 Prozent sind Regelleistungen. Was bleibt, sind: Yoga-Kurse, autogenes Trai- ning, fröhliches Tanzen, Ernäh- rungskurse, Heilpraktikerkosten, Kurzuschüsse und mancherlei Schnick-Schnack zur Hebung des allgemeinen Wohlbefindens.

Übrigens: Ein Vertreter der Heilbe- rufe kam in dem Symposium nicht zu Wort, obwohl täglich tausend- fache persönliche Kontakte zwi- schen ihnen und den AOK-Mitglie- dern gepflegt werden. Keine Orts- krankenkasse hat in einem Jahr so viele persönliche Gespräche mit ihren Mitgliedern wie Ärzte und Zahnärzte an einem einzigen Tag.

Deren Meinung über mitglieder- orientiertes (nicht marktorientier- tes) Handeln der AOK war in dem Symposium nicht gefragt. Warum nicht? Weil die Aquisitionskampa- gne der AOK bereits beschlossene Sache ist? Bleibt die Frage, ob am Ende mehr Sympathie für die All- gemeinen Ortskrankenkassen da- bei herauskommen wird oder ein grandioser Flop? FB 2930 (24) Heft 43 vom 22. Oktober 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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