Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 4⏐⏐26. Januar 2007 A149
A K T U E L L
UMFRAGE
Ärzterolle im Wandel
Für 90 Prozent der deut- schen Ärztinnen und Ärz- te hat sich ihre Rolle in den letzten Jahren stark verändert. 84 Prozent von ihnen sind zudem der Auf- fassung, dass sich auch die Einstellung der Pati- enten gewandelt habe. Das schließen die Autoren ei- ner Umfrage der Philoso- phischen Fakultät der Uni- versität Passau aus einer bundesweiten Befragung.
Dafür wurden 700 nieder- gelassene Ärzte interviewt. Im Ein- zelnen ging es um Themen wie ärzt- liches Selbstverständnis, Patienten- verständnis, Arzt-Patient-Verhältnis und die Auswirkungen institutionel- ler Rahmenbedingungen.
90 Prozent der Befragten erklär- ten, zur Veränderung ihrer Rolle ha- be beigetragen, dass Verwaltungs- aufgaben beziehungsweise wirt- schaftliche Aspekte ihrer Tätigkeit immer mehr in den Vordergrund träten. 76 Prozent beklagten, dass sie sich für ihre Tätigkeit immer stärker rechtfertigen müssten. Nach Ansicht von 61 Prozent der befrag- ter Ärzte forderten Patienten ver- stärkt medizinische Leistungen von ihnen. 45 Prozent gaben an, die Pa- tienten seien misstrauischer gegen- über der ärztlichen Therapieent- scheidung als früher.
Trotz zahlreicher kritischer An- merkungen vertraten fast zwei Drit- tel der Befragten die Auffassung, dass das deutsche Gesundheitswe- sen hinsichtlich Humanität, Qualität und sozialem Niveau besser sei als sein Ruf. (Weitere Informationen:
www.zufog.de) Zip
Die alte Dame wirkt ziemlich verun- sichert, als sie die Praxis ihres Hausarztes betritt. In der Hand hält die 77-Jährige ein Schreiben ihrer Krankenkasse. „Mehr Medizin, we- niger Pillen“ steht dort in großen Buchstaben. Tabletten seien nicht immer hilfreich, informiert die AOK Hessen, könnten sogar gefährliche Komplikationen verursachen. „We- niger kann mehr sein.“ Die Patientin
fragt sich nun: Braucht sie ihre Me- dikamente wirklich oder sind die vielleicht sogar schädlich? Sie reicht das Papier ihrem Hausarzt.
„Gute Ärzte verschreiben eher weniger“, liest der Allgemeinmedizi- ner. Beim nächsten Satz stockt er:
Anstatt der Pillen empfiehlt die AOK
„mehr Bewegung, ausreichend trin- ken oder einfach mal die Seele bau- meln lassen“. In seinem Kopf schril- len die Alarmglocken. Geht es nach der AOK, dann setzt also ein herzin- suffizienter Patient sein Diuretikum ab, trinkt einfach etwas mehr und wenn dann das Atmen schwer fällt, hilft vielleicht ein Spaziergang an der frischen Luft?
In der hehren Absicht, zur Sen- kung der Arzneimittelkosten beizu- tragen, hat sich die AOK Hessen vergaloppiert. „Es sind hier und dort Fehler passiert“, räumt ein AOK- Sprecher ein. Ende 2006 erhielten mehrere Tausend Versicherte das besagte Schreiben – darunter wohl auch chronisch Kranke. Die an der Aktion beteiligte Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen erklärt, sie sei zwar inhaltlich über das Schrei- ben informiert gewesen. Den Adressverteiler der AOK bewerte man jedoch als kritisch, sagt ein KV-Sprecher.
Die Verunsicherung bei den Pati- enten bleibt und außerdem die Er- kenntnis: Mehr „Information“ führt manchmal zu weniger Klarheit.
RANDNOTIZ
Birgit Hibbeler
Weniger kann mehr sein
Foto:mauritius images
Von Januar 2007 bis Ende 2013 läuft das 7. EU-Forschungsrahmen- programm, für das die Europäische Union 54,4 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. „Wissenschaft und Forschung haben in Europa jetzt die oberste Priorität“, sagte Bundesfor- schungsministerin Annette Schavan bei der Vorstellung des Programms in Bonn. Dies sei auch unverzicht- bar, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern.
Inhaltliche Schwerpunkte des Programms sind die Themen Ener- gie, Gesundheit, Umwelt und Kli- mawandel, Ernährung, Landwirt- schaft und Biotechnologie, Nano- technologie, Material- und Produk- tionstechnologien, Transport, Sicher- heitsforschung und Weltraum sowie Informations- und Kommunikati- onstechnologien. Die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis erhält ein besonderes Ge- wicht. Sozial- und Geisteswissen- schaften sind erstmals Bestandteil des Programms.
Speziell für die Förderung der Grundlagenforschung wurde der Europäische Forschungsrat (ERC)
eingerichtet. Dort entscheiden Wis- senschaftler autonom über die Mit- telvergabe. Darüber hinaus soll das Rahmenprogramm auch die Nach- wuchsförderung voranbringen.
Forscher aus Deutschland sind inzwischen an rund 80 Prozent aller Projekte des Rahmenprogramms
beteiligt. 950 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt gehen an deut- sche Forschungseinrichtungen, das sind etwa 5,5 Prozent der For- schungsausgaben von Bund und Ländern. Bezogen auf die Förde- rung des Bundesforschungsministe- riums entspricht der EU-Anteil rund 50 Prozent der Fördermittel. KBr FORSCHUNG
7. EU-Rahmenprogramm gestartet
Annette Schavan:
Oberste Priorität für Wissenschaft und Forschung
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