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Archiv "Perspektiven nach der Bundestagswahl Mehr Selbstverwaltung — weniger Staat!" (18.03.1983)

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LEITARTIKEL

Wahlen, insbesondere Bundes- tagswahlen, beeinflussen die künftige gesellschaftliche Ent- wicklung entscheidend. Sie sind auch Wegweiser und Markie- rungspunkte für die Arbeits- und Lebensbedingungen für jeden einzelnen. Sie stehen aber auch in engem Kontext zur allgemei- nen gesellschaftlichen und wirt- schaftlichen Lage. So haben ge- rade die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit einer auf rund 2,5 Millionen gestiegenen Arbeitslosenzahl auch Auswir- kungen auf die Gesundheits- und Sozialpolitik und damit auf die Arbeitsbedingungen der Ärz- te sowohl in der Praxis als auch am Krankenhaus. Erinnert sei an den nunmehr eineinhalb Jahre währenden Honorarverzicht und an die unübersehbaren Finanzie- rungsschwierigkeiten im Kran- kenhaus. Die GOÄ-Bürokratisie- rung und viele andere dirigisti- sche Interventionen haben die Ärzteschaft nicht in „rosige"

Stimmung versetzt.

Das Wahlergebnis stabilisiert die künftige Politik. Vor allen Dingen ist damit ein kräftezehrender, mehr als sechs Monate anhalten- der Wahlkampf beendet worden, der lediglich hektischen Still- stand brachte. Nun endlich kann die Sacharbeit beginnen.

Nach dem „Übergangspro- gramm" zur Vorlage eines rech-

nerisch ausgeglichenen Bundes- haushaltes ist auch eine Wende in der Gesundheits- und Sozial- politik nötig. Die Probleme sind nicht bereits mit der Wahl gelöst;

die Kärrner-Arbeit der Bewälti- gung beginnt erst jetzt.

Gerade die Ärzteschaft hat kei- nen Anlaß zu ebenso unbegrün- deter wie übertriebener Eupho- rie. Wie früher sind wir zur Ko- operation bereit, und zwar mit der Bundesregierung ebenso wie auch mit der Opposition. Wie früher wollen wir unsere sach- verständigen Argumente in die politische Diskussion einbrin- gen, hoffen allerdings, daß sie jetzt eher berücksichtigt werden.

Es wäre heute ebenso unfair wie früher, das ärztliche Engage- ment im Interesse des Gemein- wohls als bloße Interessenpolitik zur Sicherung ärztlicher Positio- nen abzutun.

Der „Verschiebebahnhof"

muß demontiert werden

Wir hoffen, daß sich die Politik künftig mehr an Realitäten und menschlichen Verhaltensweisen als an Utopien orientieren wird.

Für die ärztliche Argumentation ist deshalb keine Wende nötig.

Unsere Argumente werden wir kontinuierlich fortführen. Sie be- ruhen auf Erkenntnissen der me- dizinischen Wissenschaft; sie

liegen zudem elementar in der täglichen ärztlichen Erfahrung begründet.

Zu der geforderten „geistigen"

Wende gehört in erster Linie, Schluß zu machen mit überstei- gertem Anspruchs- und Versor- gungsdenken, mit permanenter Vergesellschaftung der Pflich- ten zugunsten egozentrischer, oft parasitärer „Selbstverwirkli- chung". Die ständige Beglük- kungspolitik muß ein Ende ha- ben.

Der Verschiebebahnhof zwi- schen den Systemen der sozia- len Sicherung muß demontiert werden; das ist geradezu De- montage zugunsten stabiler so- zialer Sicherung. Die Kranken- kassen müssen im Interesse ih- rer Funktionsfähigkeit von sach- und systemfremden Leistungen befreit werden; das hat über- haupt nichts mit sozialer Demon- tage zu tun, wie oftmals behaup- tet wird. Die Sozialversicherun- gen dürfen nicht wie bisher als zweites Besteuerungssystem zur Sanierung der Staatsfinanzen mißbraucht werden.

Es muß Schluß sein mit der im- mer stärkeren Reglementierung aller Details und aller Lebensbe- reiche durch eine Gesetzge- bungshektik, die nur darauf an- gelegt ist, noch vorhandene Frei- zonen der individuellen Lebens- gestaltung einzuschnüren. Im Gegenteil muß wieder Vertrauen auf Beständigkeit staatlicher Re- gelungen in der sozialen Siche- rung, vor allem auch in der Al- tersversorgung, geschaffen wer- den.

Jetzt müssen die Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit nachhaltig gestärkt werden, und es müssen für den einzelnen wie auch die gesellschaftlichen Gruppen wieder mehr Gestal- tungsfreiräume erhalten oder neu geschaffen werden. Nur so können die individuellen Wün-

Perspektiven nach der Bundestagswahl

Mehr Selbstverwaltung weniger Staat!

Die Ärzteschaft ist zur sachverständigen Kooperation in der Gesundheits- und Sozialpolitik bereit

Karsten Vilmar

Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrga g Heft 11 vom 18. März 1983 21

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Die Information:

Bericht und Meinung

Vilmar: Perspektiven nach der Bundestagswahl

sche und Bedürfnisse bestmög- lich befriedigt werden.

Selbstverständlich ist es auch unser Anliegen, daß die Systeme der sozialen Sicherung künftig finanzierbar bleiben. Es geht nicht darum — und ich unterstrei- che dies, weil mich in diesem Punkt manche bewußt mißver- stehen wollen —, den Ärzten ein- fach mehr Einkommen zu si- chern. Denn die dauerhafte Si- cherung der Finanzierbarkeit der Sozialversicherungssysteme nimmt die Ärzteschaft sehr ernst.

Leistung darf nicht bestraft werden

Wir fordern, daß unsere Vor- schläge mehr als bisher im politi- schen Raum berücksichtigt wer- den. Wir fordern aber auch die Stärkung der Selbstverwaltung;

sie muß wieder mehr in eigener Regie tätig werden können. Dem ist jedoch nicht mit ebenso voll- mundigen wie halbherzigen Er- klärungen gedient. Der Staat darf durch seine Gesetze nicht lediglich neue Schuldverlage- rungsmechanismen in Gang set- zen, die die Fehlentwicklungen

im Gesundheitswesen den Arz- ten anlasten. Die „Negativliste"

ist ein solches unrühmliches Beispiel. Die nicht ausschließlich atmosphärischen Störungen in der sozial- und gesundheitspoli- tischen Position werden aber auch durch Vokabeln wie etwa Bagatell- und Luxusmedizin ge- kennzeichnet, die angeblich von der Ärzteschaft bewirkt worden seien. Wir hoffen, daß auch hier endlich ein Umdenkungsprozeß erfolgt.

Vorrangig ist die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung.

Das Krankenhausfinanzierungs- gesetz von 1972, ursprünglich von amtlicher Seite seinerzeit als

„Jahrhundertgesetz" gepriesen, ist gescheitert. Es führte zu gro- ßen Problemen und führt weiter

zu großen Problemen für Kran- kenhäuser ebenso wie für die dort Tätigen. Es bewirkt, daß Lei- stung bestraft und nicht mehr belohnt wird.

Derartige negative Zeiterschei- nungen, übrigens auch in der Steuergesetzgebung festzustel- len, sollten künftig vermieden werden. Wir Ärzte wollen, daß Leistung nicht bestraft, sondern vielmehr belohnt wird.

Es ist erwiesen, daß die Kosten- dämpfung bislang durch die Selbstverwaltung weit effizienter bewirkt worden ist als durch noch so dirigistische, auf alle Einzelteile und einzelne Berei- che abzielende staatliche Rege- lungen, die schließlich in ei- ne staatliche Richtlinienmedizin einmünden müssen.

Es ist ein Irrglaube, daß alles schon allein deshalb besser wer- de, wenn nur der Staat es regele.

Das gilt auch für die Beeinflus- sung der Forschung durch den Staat oder durch halbstaatliche Institutionen und Instanzen. Die Pseudoforschung und die För- derung von solchen Modellver- suchen, die letztendlich doch nur der Systemveränderung die- nen sollen, müssen beendet wer- den. Wir fordern mehr Förde- rung von Forschung ohne wie auch immer verbrämte politische Vorgaben.

Die Persönlichkeitsrechte der Patienten wahren

Überfällig und vordringlich zu regeln ist auch die Reform der ärztlichen Ausbildung. In der Medizin, aber auch in der Bil- dungspolitik überhaupt, muß man sich danach richten, welche Kapazitäten für eine sinnvolle Ausbildung zur Verfügung ste- hen. In der Medizin wird die Ausbildungskapazität begrenzt durch die Zahl der Patienten, die zur Realisierung der Ausbildung

benötigt werden. Die Ausbildung muß weiterhin auf wissenschaft- licher Grundlage erfolgen. Es darf keine „Entwissenschaftli- chung" und „Technikstürmerei"

einsetzen. Wir brauchen nämlich keine „medizin-technische Abrü- stung", denn ohne die Technik ist moderne Medizin nicht denk- bar. Demnach leistet Technik an sich nichts, sondern immer be- dient der Arzt die Technik, die stets nur Mittel zum Zweck bleibt.

Wir fordern die Wahrung der Persönlichkeitsrechte, auch der Persönlichkeitsrechte der Pa- tienten, die nicht von vornherein dem Recht auf Freiheit der For- schung nachgeordnet werden dürfen. Wir werden uns deshalb gegen die Einführung ständig neuer Erfassungsregister und Meldepflichten wehren.

Wir werden uns unvermindert für eine möglichst gute, individuelle ärztliche Versorgung aller Pa- tienten einsetzen. Berufliche Freiheit und Freiberuflichkeit sind dazu entscheidende Vor- aussetzung.

Von ähnlicher Bedeutung dafür ist effiziente ärztliche, systema- tisch und lebenslang betriebene Fortbildung, damit die Ärzte so- wohl über den neuesten Stand der Medizin informiert sind als auch darüber, was obsolet ge- worden ist, aber auch über das, was sich in der Vergangenheit bewährt hat. Das erfordert das ärztliche Ethos, aber auch die Verpflichtung des Arztes gegen- über den Patienten.

Dr. Karsten Vilmar Präsident der

Bundesärztekammer

und des Deutschen Ärztetages Haedenkampstraße 5

5000 Köln 41 (Lindenthal)

22 Heft 11 vom 18. März 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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