A-3360
M E D I Z I N DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT
(60) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 49, 5. Dezember 1997 Ältere amerikanische Bürger ge-
nießen den Schutz einer staatli- chen Krankenversicherung; dabei kön- nen sie ein Kostenerstattungssystem wählen (FFS – Fee For Service) oder sich einem Sachleistungssystem mit be- schränkter Arzt- und Krankenhaus- wahl anschließen (HMO – Health Maintenance Organization). Garan- tiert die Bezahlung der Einzelleistung eine bessere Versorgung? Um dies zu bestätigen oder zu widerlegen, unter- suchten die Autoren zwei fast gleich große Gruppen von Schlaganfall-Pati- enten aus HMO- und FFS-Versicher- ten. Dabei stellte sich heraus, daß es hinsichtlich der Sterblichkeit während
der stationären Behandlung und in ei- ner etwa dreißig Monate langen Nach- beobachtung zwischen beiden Grup- pen keinen signifikanten Unterschied gab. Sehr unterschiedlich war hingegen der Weg der Patienten nach der Entlas- sung aus dem Krankenhaus: 41,8 Pro- zent der HMO-Patienten wurden in Pflegeheime überwiesen, aber nur 27,9 Prozent der Selbstzahler. In Rehabilita- tionseinrichtungen hingegen kamen nur 16,2 Prozent der HMO-Patienten, jedoch 23,4 Prozent der FFS-Patienten.
Über die Gründe für diesen Un- terschied können die Autoren dieser Studie nur spekulieren. Möglicherwei- se decken die HMO weniger bereitwil-
lig physikalische Therapien ab – Selbst- zahler könnten eher bereit sein, Kosten für eine rehabilitative Therapie zu übernehmen (die, wie aus anderen Stu- dien referiert wird, zu einer schnelleren Rückkehr nach Hause führen kann).
Die Autoren räumen ein, daß bei der Randomisierung der untersuchten Fäl- le möglicherweise einige Faktoren übersehen worden seien – also Äpfel mit Birnen verglichen sein könnten. bt Retchin SM, Brown RS, Yeh SCJ, Chu D, Moreno L: Outcomes of Stroke Patients in Medicare Fee for Service and Mana- ged Care. JAMA 1997; 278: 119–124.
Dr Sheldon M. Retchin, Box 980270, Richmond, VA 23298-0270, USA.
Die Autoren, Priv.-Doz. Reker und Priv.-Doz. Eikelmann, haben mit Deutlichkeit und Engagement den sozialpsychiatrischen Versorgungsbe- darf unter Wohnungslosen beschrie- ben.
Anzufügen bleibt noch, daß bei Wohnungslosen auch aufgrund ko- gnitiver Störungen die Ressourcen zur Selbsthilfe oft gering sind. In un- serer in Berlin durchgeführten Studie zu Alkoholabhängigkeit unter Woh- nungslosen fanden wir fast 20 Prozent Sonderschulabgänger. Selbst bei Berücksichtigung der schulischen Qualifikation lagen 15,2 Prozent der Wohnungslosen in einem kognitiven Kurztest (Mini-Mental-State) mehr als eine Standardabweichung unter der Norm. Als Ursache hierfür erga- ben sich im klinischen Interview früh- kindliche Hirnschäden, erworbene Hirntraumen und vor allem alkohol- bedingte amnestische und dementiel- le Störungen der Betroffenen (1).
Literatur
1. Podschus J, Dufen P: Alkoholabhängigkeit unter Wohnungslosen in Berlin. 1995; 41:
348–354.
Dr. med. Jan Podschus Hertzbergstraße 2 12055 Berlin
Dem Hinweis des Kollegen Podschus kann ich nur zustimmen.
Kognitive Störungen sowohl als prä-
morbide Handicaps als auch als eine Folge eines exzessiven Alkohol- konsums sind häufig und begrenzen die Fähigkeit zu Selbsthilfe und eigenverantwortlichem gesundheits-
fördernden Verhalten bei den Be- troffenen. Die damit zusammenhän- gende klinische Problematik ist aller- dings nicht nur auf die Gruppe der wohnungslosen Suchtkranken be- schränkt. Vielmehr zeigt sich hier ein konzeptionelles Defizit in der Be- handlung von Suchtkranken ganz all- gemein.
Therapeutische Konzepte und praktische Hilfen für chronisch Ab- hängige mit ihren multiplen Folge- schäden sind bisher zu wenig ent- wickelt und praktisch erprobt wor- den. Dies gilt vor allem für außerkli- nische Angebote.
Im Vergleich zum Beispiel zu chronisch-schizophren erkrankten Menschen findet sich hier ein erheb- liches Versorgungsdefizit, das sich an den wohnungslosen psychisch Kran- ken in besonders dramatischer Weise zeigt.
Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Reker Klinik für Psychiatrie der
Universität Münster
Albert-Schweitzer-Straße 11 48149 Münster
Wohnungslosigkeit,
psychische Erkrankungen und
psychiatrischer Versorgungsbedarf
Kognitive Störungen unter Wohnungslosen
Schlußwort
Zu dem Beitrag von
Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Reker, Priv.-Doz. Dr. med. Bernd Eikelmann in Heft 21/1997