A 1884 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 37|
16. September 2011MEDIZINISCHE REHABILITATION
Mehr psychische Erkrankungen
Jede fünfte stationäre Rehabilitation der Rentenversicherung findet mittlerweile aufgrund einer psychischen Indikation statt. Häufige Gründe sind Depressionen und Alkoholabhängigkeit.
P
sychische Erkrankungen spie- len im Gesundheitswesen ei- ne immer größere Rolle. Die Zahl der Diagnosen steigt, und es gibt mehr Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen. Auch in der medizinischen Rehabilitation ist die Entwicklung spürbar. So finden mittlerweile 20 Prozent der statio- nären Leistungen zulasten der Deut- schen Rentenversicherung (DRV) wegen einer psychischen Indikation statt. 2010 lagen die psychischen Erkrankungen damit auf dem zwei- ten Platz der Diagnosegruppen und haben die Tumorerkrankungen von dort verdrängt. An erster Stelle steht nach wie vor die Orthopädie (siehe Grafik).Die Ursachen für diese Entwick- lung sind vielfältig. „Psychische Störungen werden inzwischen bes- ser erkannt als früher“, sagt Dr.
med. Christiane Korsukéwitz, Lei- terin des Geschäftsbereiches Sozi- almedizin und Rehabilitation der DRV Bund. Die Tabuisierung sei rückläufig, verbunden mit einer wachsenden Sensibilisierung für das Thema. Außerdem sei es auch denkbar, dass ein „Diagnosen- Shift“ eine Rolle spielt. Das heißt:
Psychische Erkrankungen werden zum Beispiel nicht mehr hinter der Diagnose unspezifischer Rücken- schmerz verborgen. „Von einem realen Anstieg gehen wir eher nicht aus“, erläutert Korsukéwitz. Gleich- wohl, sagt die Sozialmedizinerin, müsse man zur Kenntnis nehmen, dass sich zum Beispiel die Ar - beitswelt verändert habe. „Die psy- chomentalen Anforderungen haben sich erhöht“, sagt sie. Es sei mehr Effizienz, Flexibilität und Mobilität gefordert. Hinzu kämen Arbeits- platzunsicherheit und auch Arbeits- losigkeit. Beides seien bedeutsame Stressfaktoren.
Frauen sind depressiv, Männer alkoholabhängig
Bei den Rehabilitationsleistungen aufgrund psychischer Störungen gibt es geschlechtsspezifische Un- terschiede. Frauen nehmen häufiger eine Behandlung in Anspruch als Männer. Und Frauen werden in ers- ter Linie wegen affektiver Störun- gen behandelt, vor allem Depres- sionen. Bei Männern hingegen ist die häufigste Diagnose eine „Psy- chische und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen“.Dahinter verbirgt sich meist eine Entwöhnung bei Alkoholabhängig- keit. Der mit Abstand größte Teil der Behandlungen bei den psy- chischen Indikationen findet statio- när statt. Die ambulante Reha spielt kaum eine Rolle – anders als bei or- thopädischen Erkrankungen.
Trends der letzten Jahre setzen sich fort
Die Zunahme psychischer Indika- tionen ist ein Trend der vergange- nen Jahre. Daneben haben sich 2010 zwei weitere Entwicklungen fortgesetzt. Zum einen gibt es einen Zuwachs bei den Anschlussrehabi- litationen (AHB), die mittlerweile etwa 32 Prozent ausmachen. Zum anderen ist der Anteil ambulanter Rehabilitation weiter gestiegen – auf circa 12 Prozent.
2010 gab die DRV für medizini- sche Rehabilitation etwa 4,26 Milli- arden Euro aus. Im Vorjahr waren es 4,20 Milliarden. 996 154 Leis- tungen wurden durchgeführt (2009:
978 335). Die Zahl der Anträge ist im vergangenen Jahr auf 1,67 Mil- lionen gestiegen. Bei den Bewilli- gungen gab es einen leichten Rück- gang auf 1,06 Millionen.
Ein spürbarer Rückgang ist in ei- nem relativ kleinen Bereich zu ver- zeichnen, der Kinderrehabilitation.
Die Anträge sind 2010 um drei Pro- zent zurückgegangen, die Bewilli- gungen um zehn Prozent. Derzeit werde analysiert, welche Ursachen das habe, sagt Korsukéwitz. Die Rehabilitation von Kindern und Ju- gendlichen sei eine wichtige Inves- tition in die Zukunft der Gesell- schaft. Man stehe daher auch mit den zuständigen Ministerien und den gesetzlichen Krankenkassen als weiterem Kostenträger in dem Be-
reich in Kontakt.
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Dr. med. Birgit Hibbeler GRAFIK
Auf Platz zwei:
Die psychischen Erkrankungen haben die Neu bildungen überholt.
Medizinische Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung:
Häufige Diagnosen – Verteilung stationär
Skelett, Muskeln, Bindegewebe
43 % 32 %
Herz- Kreislauf 10 % 9 %
Stoffwechsel, Verdauung 4 % 4 % Neubildungen
14 % 19 %
2000 2010
Psychische Erkrankungen
15 % 20 %
Quelle: DRV