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Archiv "Rehabilitation/Rentenversicherung: Es geht wieder aufwärts" (21.01.2000)

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ie stationäre medizinische Re- habilitation und die Anschluss- heilbehandlung (AHB) ver- zeichnen seit rund einem Jahr wieder zunehmende Antragszahlen und ei- nen größeren realen Rehabilitations- bedarf zumindest bei den Rentenver- sicherungsträgern. Ursächlich dafür waren offenbar die von der Regie- rungskoalition angekündigte und seit 1. Januar 2000 wirksam geworde- ne Senkung der Zuzahlungs- pflichtbeiträge für die Versi- cherten und der Wegfall der Urlaubsanrechnungsregelung.

Auch die Absicht der Bun- desregierung, die Rehabilitati- on zu stärken und aufzuwerten, hat zu dieser „Normalisierung“

im Bereich der medizinischen Rehabilitation beigetragen. Gab es ab Herbst 1996 im Zusam- menhang mit dem Beitragssta- bilisierungsgesetz und dem am 1. Januar 1997 in Kraft getrete- nen Wachstums- und Beschäf- tigungsförderungsgesetz noch Antragsrückgänge und Um- satzeinbrüche bei den Rehabili- tationseinrichtungen in einer Größenordnung von 25 bis über 30 Prozent (mit einer Schließung von 150 Kliniken und einem Wegfall von rund 30 000 Arbeitsplätzen), so registrieren die Rentenversicherungsträger jetzt wieder eine Trendumkehr – trotz fast unveränderter Arbeitsmarktsituation, enger Budgets und anhaltender Ko- stendämpfungsmaßnahmen.

Im Jahr 1998 stieg die Zahl der Anträge auf allgemeine Reha-Maß- nahmen um 11 Prozent gegenüber 1997. Auch im Jahr 1999 hielt dieser Aufwärtstrend unvermindert an. Wie der Leiter „Rehabilitation“ der Bun-

desanstalt für Angestellte (BfA), Her- bert Schillinger, bei einem Pressese- minar im November 1999 in Weimar mitteilte, kann für die Jahre 1998 und 1999 mit einer deutlichen Konsolidie- rung des Rentenantrags- und Durch- führungsniveaus gerechnet werden, al- lerdings auf einem wesentlich niedrige- ren Ausgangsniveau seit Anfang 1997.

Rückblende: Im Jahr 1997, als das Wachstums- und Beschäftigungs-

förderungsgesetz in Kraft trat, wurde eine Budgetkürzung im Bereich der Rehabilitationen der gesetzlichen Ren- tenversicherung in Höhe von 25 Pro- zent innerhalb eines Jahres wirksam.

In absoluten Beträgen: Landesversi- cherungsanstalten und BfA: Rück- gang insgesamt 2,8 Milliarden DM, Angestelltenversicherung allein: Rück- gang um 1,2 Milliarden DM gegen- über 1996. In einem Nachfolgegesetz wurde zwar der Budgetdeckel für die Durchführung medizinischer Reha- Maßnahmen für die Jahre 1998 und 1999 um jeweils 450 Millionen DM er-

höht. Insgesamt änderte dies aller- dings nichts am Wegbrechen des Re- ha-Marktes und einer Reduzierung medizinisch indizierter und beantrag- ter, aber dann doch nicht durchge- führter Reha-Maßnahmen. Die Rück- gänge betrafen insbesondere die Jahr- gänge der besonders häufig rehabili- tationsbedürftigen 50- bis 55-jährigen Versicherten. Hier reduzierte sich die Zahl der Anträge im Antragsverfahren (ohne Anschlussheilbehand- lung) im Jahr 1997 auf 48 Pro- zent des Niveaus von 1995.

Trotz dieses Rückgangs blieb die Altersstruktur der Rehabilitanden zwischen 1995 und 1998 fast unverändert. Der Anteil der 55- bis 64-Jährigen an den bewilligten Anträgen betrug 1998 genauso wie 1995 rund ein Drittel. Nach Schät- zungen der Bundesversiche- rungsanstalt wird auch künf- tig die Zahl der medizinisch notwendigen Reha-Maßnah- men überdurchschnittlich wach- sen. Vorhergesagt wird eine Zunahme der Reha-Anträge bei der BfA von heute rund 470 000 (1998) auf rund 503 000 im Jahr 2005. Dies entspricht einem An- stieg um rund sieben Prozent. Dies wird von den Rentenversicherungsex- perten in erster Linie auf das wachsen- de Durchschnittsalter der Versicher- ten zurückgeführt. Gleichzeitig be- deutet dies: Der Anteil der relativ rehabilitationsintensiven Altersgrup- pen zwischen 45 und 54 Jahren nimmt stetig zu. Untersuchungen zeigen, dass ein erheblicher Teil der Versi- cherten subjektiv rehabilitationsbe- dürftig ist. Der Anteil der Renten- versicherten, die ihre Erwerbsfähig-

Rehabilitation/Rentenversicherung

Es geht wieder aufwärts

Nach erheblichen Rückgängen bei den bewilligten Anträgen auf medizinische Rehabilitationsleistungen ist seit Mitte 1998 wieder ein Anstieg festzustellen.

Die Rentenversicherungsträger beanspruchen bei der Rehabilitation eine eigene Kompetenz.

D

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Harald Clade

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keit durch eine gesundheitliche Be- einträchtigung gefährdet sehen, steigt in höherem Alter deutlich und er- reicht zum Beispiel in der Altersgrup- pe der 50- bis 54-Jährigen bereits ei- nen Anteil von 17 Prozent und einen Anteil von 13 Prozent in den neuen Bundesländern. Demgegenüber nah- men 1997 nur drei Prozent (West und Ost) der Versicherten dieser Alters- gruppe eine Rehabilitationsmaßnah- me in Anspruch.

Wie BfA-Experte Schillinger be- richtete, sind die Ausgaben für die me- dizinische Rehabilitation für die Ren- tenversicherungsträger eine „lohnen- de Investition“. Ein Indiz: Die bei der BfA versicherten Rehabilitanden sind zu 44 Prozent in einem Zeitraum von fünf Jahren nach Abschluss der Reha- Maßnahme noch ununterbrochen er- werbstätig; weitere 23 Prozent blei- ben mit Unterbrechungen erwerbs- tätig, ohne aus dem Erwerbsleben de- finitiv auszuscheiden. Damit verblei- ben mehr als zwei Drittel aller Re- habilitanden nach Durchführung von Maßnahmen noch im Erwerbsleben, dies, obwohl ihnen bei der Bewilligung der medizinischen Reha-Maßnahmen die Arbeitsmarktsituation und enger werdende Budgets nicht gerade entge- genkommen und wegen einer gemin- derten Erwerbsfähigkeit immer mehr in die Erwerbsunfähigkeit überwech- seln oder den Vorruhestand antreten.

Heute liegt das Rentenzugangsalter im Durchschnitt bereits vor dem 60.

Lebensjahr, ungefähr bei einem Zu- gangsalter von durchschnittlich 59,4 Jahren. Die Rentenversicherungs- träger bemühen sich, die Effizienz und die Kosten-Wirksamkeits-Relation von Rehabilitationsleistungen weiter zu verbessern. Grundsätzlich müsse der im Gesetz verankerte Grundsatz

„Rehabilitation vor Rente“ beachtet werden. Die Maßnahmen müssten medizinisch indiziert und flexibel an- gewandt werden, auch die Dauer und Wiederholungsintervalle. Feststellbar ist eine medizinisch begründbare Ver- kürzung und Flexibilisierung der Be- handlungsdauer in den Reha-Einrich- tungen (heute gibt es rund 1 400 Vor- sorge- und Reha-Einrichtungen; zu- züglich rund 310 semistationäre Ein- richtungen; Angaben der BfA).

Die Behandlungsdauer der Re- habilitanden bei einer Anschlussheil-

behandlung – das ist die Form der me- dizinischen Rehabilitation, die im An- schluss an einen Akutkrankenhaus- aufenthalt ohne verwaltungsseitige Prüfung erfolgt – sank zwischen 1990 bis 1998 von rund 35 Tagen auf rund 27 Tage. Im Antragsverfahren liegt die durchschnittliche Maßnahmen- dauer aufgrund des gestiegenen An- teils der Drei-Wochen-Maßnahmen und der Einführung von Richtwerten für Verlängerungen in fast allen In- dikationen inzwischen unter 26 Jah- ren. Die Rehabilitationsträger (LVA;

BfA) haben sich über den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger e.V. auf ein Programm zur Qualitätssi- cherung in der medizinischen Rehabi- litation verständigt. Der Maßnahmen- katalog enthält ein Klinikkonzept, Pa- tiententherapiepläne, Qualitäts-Scree- ning, Patientenbefragungen und Qua- litätszirkel. Das Programm soll sicher- stellen, dass in allen qualitätsgeprüf- ten Rehabilitationskliniken, die von den Rentenversicherungsträgern be- legt und vertraglich eingebunden sind, ein bundesweit vergleichbarer Qua- litätsstandard eingehalten wird. Ziel ist es, die Qualität der medizinischen Rehabilitation weiter zu verbessern.

Eigenständige Kompetenzen

Die Rentenversicherungsträger beanspruchen eine abgegrenzte Zu- ständigkeit für die Durchführung, Steuerung und Finanzierung von Maß- nahmen der medizinischen Rehabilita-

tion. So das Credo des Geschäftsfüh- rers der Landesversicherungsanstalt Thüringen, Dr. Wolfgang Kohl, Erfurt, in einer Expertise, die der Bundesver- band Deutscher Privatkrankenanstal- ten e.V. (BDPK), Bonn/Berlin, kürz- lich unter dem Titel „Rehabilitation und Rentenversicherung. Notwendig- keiten und Perspektiven“ publizierte.

Einen gravierenden Unterschied gibt es im gegliederten System der ge- sundheitlichen Sicherung in Deutsch- land im Vergleich zu anderen Indu- striestaaten: Im Ausland ist die Finan- zierung und Durchführung von Re- habilitationsmaßnahmen überwiegend der Gesetzlichen Krankenversiche- rung übertragen worden.

Für das deutsche System müsse der Rehabilitation im Rahmen der Rentenversicherung eine eigenstän- dige Rolle als vierte Säule der Ver- sorgung eingeräumt werden. Eine zunehmende Übertragung der Reha- Befugnisse auf die Gesetzliche Kran- kenversicherung würde die Renten- versicherungsträger in diesem Sektor entfunktionalisieren. Dadurch würde nicht nur der Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen konterkariert wer- den, sondern vielmehr würden auch die GKV-Ausgaben dadurch weiter steigen und das Niveau der Rehabili- tation infrage gestellt werden.

Das Plädoyer für die Eigenstän- digkeit der Reha im Rahmen der Ren- tenversicherung fußt auf folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Axiomen: Nach deutschem Sozial- recht ist die Zuständigkeit des Sozial- Grafik

Medizinische Leistungen zur Rehabilitation 70 000

60 000 50 000 40 000 30 000 20 000 10 000

0 Jahre 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2005*

* geschätzte Zahlen, Zahlen: nur BfA – Quelle: Bundesanstalt für Angestellte, Berlin, Dezember, 1999

Anträge durchgeführte Leistungen

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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leistungsträgers an das Prinzip der einheitlichen Risikozuordnung ge- knüpft. Danach ist derjenige Träger für die Durchführung, Steuerung und Finanzierung der Maßnahmen zu- ständig, der für die finanziellen Fol- gen des Scheiterns von Rehabilitati- onsmaßnahmen und sonstigen Maß- nahmen aufkommen muss. Kohl fol- gert daraus: Bei unterlassenen und nicht zielgerechten Reha-Maßnahmen werden in erster Linie die Rentenver- sicherungsträger mit Leistungsgewäh- rungen belastet (BU-, EU-Renten).

In ausländischen Systemen spielen dagegen derartige abgrenzbare insti- tutionelle, organisatorische und recht- liche Rahmenbedingungen nur eine untergeordnete Rolle. Dort sind die Träger zumeist für die Übernahme mehrerer Risiken und Versorgungs- bereiche gleichzeitig zuständig.

Die bewährte Zuständigkeitsver- teilung sollte auch im Bereich der Anschlussheilbehandlung beibehal- ten werden. Würden AHB-Maßnah- men zunehmend auf die Krankenver- sicherung verlagert, würden die Vor- teile einer einheitlichen Risikozuord- nung, der Arbeitsteilung, der Speziali- sierung und der Offenheit sowie die Bemühungen der Rentenversicherung um eine stärkere Vernetzung zwi- schen Akutversorgung und Rehabili- tation aufgehoben werden.

Notwendig ist eine stärkere Ver- netzung zwischen ambulanter, teilsta- tionärer und stationärer medizinischer Rehabilitation und Anschlussheilbe- handlung. Vor allem müssten die bü- rokratischen Zugangsstrukturen und Arbeitsweisen überwunden werden, damit keine Behandlungslücke ent- steht. Notwendig ist es auch, dass künftig niedergelassene Ärzte stärker in das Rehabilitationsgeschehen ein- gebunden werden und ihnen eine Leit- funktion bei Diagnostik, Antragstel- lung und Leitung des Rehabilitanden eingeräumt wird.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-90–92 [Heft 3]

Anschrift des Verfassers Dr. rer. pol. Harald Clade Ottostraße 12

50859 Köln

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/FORUM

Zu der umfassenden Positionie- rung des BMG in Sachen substituti- onsgestützter Behandlung muss aus ärztlicher Sicht mit einem entschiede- nen „Ja, aber . . . “ geantwortet wer- den. Ja sicherlich zur Auffassung, dass die Substitutionsbehandlung schon lange keine Außenseitermethode mehr ist, sondern eine vernünftige Option in der Behandlung Opiatab- hängiger. Ja auch zu der Forderung nach einer qualifizierten Behandlung, die sich nicht allein in der Abgabe des Substitutionsmittels erschöpfen kann.

Und ein ganz deutliches Ja ebenso zu der Feststellung, dass allein die Opiat- abhängigkeit – ohne weitere schwere suchtbegleitende Erkrankung – als In- dikation für eine substitutionsgestütz- te Behandlung im Rahmen der ver- tragsärztlichen Versorgung ausreicht.

Aber wenn Frau Nickels behaup- tet, dass diese Erkenntnisse und For- derungen bereits in den NUB-Richtli- nien vom Juni 1999 ihren Nieder- schlag gefunden hätten oder, anders gesagt, dass die Substitutionsbehand- lung in Deutschland für Patienten und Ärzte leichter zugänglich geworden wäre, so stimmt dies eindeutig nicht.

Fakt ist: Die bürokratischen Hürden bei der Beantragung einer Behand- lung sind höher geworden, die Bevor- mundung des Arztes durch eine zur Hälfte mit Krankenkassenvertretern – also Laien – besetzten Kommission hat zugenommen. Die auf Veranlas- sung des BMG in die Richtlinie einge- fügten Veränderungen sind aufgrund ihrer Formulierung keinesfalls eine Klarstellung der Leistungspflicht, sondern erlauben Interpretations- spielräume, die in der Praxis zur Ab-

lehnung von Behandlungen genutzt werden.

Nach Paragraph 2 der NUB- Richtlinien muss heute jeder Fall – auch bei eindeutiger Indikation (HIV- Infektion, Hepatitis) – von der Bera- tungskommission genehmigt werden.

Dies wird verständlicherweise von den Ärzten als Bevormundung emp- funden und hat zum Beispiel in West- falen-Lippe zu einem erheblichen An- tragsstau geführt. Auch die Befristung der Substitutionsbehandlung auf sechs beziehungsweise zwölf Monate – dann folgt ein Neuantrag mit zusätz- lichem Aufwand – ist problematisch und praxisfern. Schließlich handelt es sich um die Behandlung einer chroni- schen Krankheit, die es nun einmal mit sich bringt, dass ein Behandlungs- ende nicht vorgegeben werden kann.

Der auf Intervention des BMG eingefügte Paragraph 3a sollte unge- achtet zulässiger Indikationen einer Öffnung der Substitutionstherapie die- nen. Die hier festgelegten erheblichen Ermessensspielräume werden aber nach unseren Erkenntnissen nicht ge- nutzt. Vielmehr wird der Paragraph 3a in den Beratungskommissionen so rigi- de ausgelegt, dass nur ein sehr geringer Teil der entsprechenden Anträge ge- nehmigt wird. Es ist einfach schwer, die geforderten „medizinischen Gründe“

ausreichend und für die Kommission akzeptabel zu begründen.

Diese Kritik der substituierenden Ärzte ist Frau Nickels, wie sie es auch in ihrem Artikel darstellt, durchaus be- kannt. Nur leider zögert sie mit den Konsequenzen. Sie meint offensicht- lich, es reiche aus, wenn das Ministeri- um verbal klarstelle, „dass die substitu- tionsgestützte Behandlung Opiat- abhängiger Bestandteil der Leistungs- pflicht der GKV ist“. Diese Aussage ist

Drogenpolitik

Substitutionsgestützte Behandlung

Zu dem Beitrag von Frau Christa Nickels, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, in Heft 44/1999

Totbürokratisiert

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jedoch eine völlige Verkennung der täglichen Praxis in den NUB-Aus- schüssen. Seitens der Kostenträger wird hier nämlich ausgesprochen of- fensiv vertreten, dass sie eine aus- schließlich bestehende Opiatabhängig- keit nicht als Indikation akzeptieren.

Die neuen NUB-Richtlinien ma- chen die behandelnden Ärzte mürbe.

Nach einer Umfrage in meinem Kam- merbereich beklagen die Kolleginnen und Kollegen die bürokratische und aufwendige Beantragung, die lange Unsicherheit vor Beginn der Behand- lung, hohe Ablehnungsquoten sowie die befristeten Behandlungszeiten und die Bevormundung durch die Kommission. Für sie stellen die neuen NUB-Richtlinien eine systematische Behinderung und Demotivierung dar.

In der Konsequenz kündigen viele an, sich aus der Substitutionsbehandlung zurückzuziehen oder zumindest keine neuen Patienten mehr anzunehmen.

Zunehmend wird, selbst bei eindeuti- ger NUB-Indikation, privat liquidiert, um den bürokratischen Aufwand zu umgehen.

Dies, Frau Nickels, ist die Rea- lität: Die aufgebaute Bürokratie kon- terkariert die durch die Politik formu- lierten drogenpolitischen Vorgaben.

Soll die Substitutionstherapie eine niedrigschwellige Behandlungsalter- native bleiben, müssen die Behand- lungsvoraussetzungen und Leistungs- verpflichtungen klar und deutlich defi- niert werden. Ansonsten wird die Me- thadonbehandlung „totbürokratisiert“.

Dr. Ingo Flenker, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Vor- sitzender des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer

In dem Aufsatz wird dankens- werterweise auf die Wichtigkeit der Einhaltung der Bestimmungen der Betäubungsmittelverschreibungsver- ordnung (BtMVV) hingewiesen. Es wird auch erwähnt, dass hier Ände- rungen erforderlich sind, die derzeit diskutiert werden. In diesem Zusam- menhang wird ein wichtiger Punkt nicht erwähnt: Seit Februar 1998 kann unter bestimmten Umständen Substi- tuierten Methadon bis zu sieben Ta-

gen mit nach Hause gegeben werden (vom Apotheker). Diese so genannte

„Take-home-Regelung“ hat zu einem deutlichen Anstieg der so genannten Methadontoten geführt. Dabei han- delt es sich häufig um Angehörige oder Freunde von Substituierten, die selbst nicht opioidabhängig sind.

Wenn sie Methadon versehentlich oder absichtlich einnehmen, können sie schon an einer Tagesdosis zu Tode kommen. Es wurden aber auch Me- thadon-Todesfälle von Substituierten selbst im Zusammenhang mit „take home“ beobachtet.

Im Interesse einer sicheren Sub- stitutionsbehandlung ist es unbedingt erforderlich, dass die angeführte Re- gelung der BtMVV so geändert wird, dass Methadon oder andere Substitu- tionsmittel nicht zur freien Verfügung von Substituierten ausgegeben wer- den, sondern ausschließlich beauf- sichtigt verabreicht werden. Nur da- durch können Überdosierungen oder Methadon-Unfälle von Nichtabhängi- gen ausgeschlossen werden.

Prof. Dr. med. W. Poser, Klini- sche Pharmakologie, Universität Göt- tingen, Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen

Danke, Frau Staatssekretärin!

Wir substituierenden Ärzte wissen ein aufmunterndes Schulterklopfen zu schätzen. Dass wir seit 1. Juli 1999 ei- ne „qualifizierte substitutionsgestütz- te Behandlung“ mit maximal vier Ge- sprächen und 20 Drogenscreeningpa- rametern pro Quartal erbringen sol- len, ist nicht Ihre Schuld. Sie und Ihre Ministerin haben es gut gemeint, als Sie die Methadonsubstitution aus dem Budget nahmen. Die Finsterlinge von der KBV, wissend, dass das Geld vom Budget abgezogen und nicht zu- sätzlich von den Kassen gezahlt wird, haben uns den Hahn abgedreht. Eini- ge KVen zahlen gerade noch 300 DM pro Patient und Quartal für eine Be- handlung, die laut BtMVV und Ärzte- kammer wöchentliche Konsultatio- nen und sorgfältige Kontrollen auf Beigebrauch verlangt. 20 Parameter reichen meist nicht aus; allein für die (technisch ohnehin unzureichenden)

Schnelltests sind oft 150 bis 200 DM pro Patient und Quartal fällig. Dem Arzt bleibt mit 100 bis 150 DM zu we- nig, um seine Unkosten zu decken.

Richtig böse kann man den Kar- tellbrüdern von der KBV dafür gar nicht sein, folgen sie doch nur der Lo- gik des Budgets . ..

Joachim F. Grüner, Eckenheimer Landstraße 46-48, 60318 Frankfurt

Christa Nickels propagiert die opiatgestützte Behandlung Drogen- abhängiger als eine der Entwöh- nungsbehandlung ebenbürtige Maß- nahme und nicht als Ultima Ratio. Die- ser unkritischen Haltung entspricht ihre euphemistische Tautologie: „Sub- stitutionsgestützte Behandlung“. Sub- stitution bedeutet als medizinischer Terminus: Ersatz eines natürlicher- weise im Körper gebildeten Stoffes.

Dies ist bei Methadon, Codein, He- roin nicht der Fall, da die Endorphi- ne in Menge und Zerfallszeit wesent- lich ungleich sind. Insofern ist schon die Verwendung des Begriffes Substi- tution ein Euphemismus. Bei Nickels kommt noch „gestützt“ hinzu. Es passt nur zur Substanz: „Opiatgestütz- te Behandlung“ wäre ein korrekter Begriff (und neutraler als Substitution oder Intoxikation).

Der Tendenz des Artikels ent- sprechen die Auslassungen: Es fehlt die notwendige Stellungnahme zur Prohibition. Die Opiatvergabe an Süchtige kann die Prohibition sowohl durch Minderung unerwünschter Fol- gen unterstützen als auch durch Stoff- vermehrung unterlaufen. Aus einer klaren Antwort auf diese Frage wür- den auch Kriterien für die Opiatver- gabe resultieren.

Kritisch erwähnt werden der Handel unter Drogenabhängigen mit Methadon aus ärztlicher Verschrei- bung und der steigende Anteil, den Methadon an den Drogentodesfällen hat. Unerwähnt bleibt die Tatsache, dass die verschriebenen Opiate bei den lebenden Drogenabhängigen ihre Jahreskonsummenge vervielfachen.

Der Ausstieg aus der opiatgestützten Behandlung und die erschwerte Ent- giftungs- und Entwöhnungsbehand-

T H E M E N D E R Z E I T FORUM

Beaufsichtigt verabreichen

Eigentor

Euphemismus

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lung dieser Patienten sind heute ein Hauptproblem der abstinenzorien- tierten Suchtkrankenhilfe. Sie leidet gleichzeitig unter den Einsparungen im Gesundheitswesen, während Frau Nickels neue Programme und Locke- rungen für die opiatgestützte Behand- lung fordert. Mit welchem Ziel?

Dr. med. Helmut Waldmann, Therapiezentrum Bischofsried, 86911 Diessen

. . . Zunächst sollte ganz klar sein, dass die mit Methadon gestützte Sub- stitutionsbehandlung in allererster Li- nie die lebensbedrohlichen Risiken der täglich vier- bis sechsmaligen, sehr hoch dosierten intravenösen Injektio- nen von Heroin beseitigen soll, die sich jeder Süchtige appliziert. Einigkeit sollte auch darüber bestehen, dass es sich nicht um eine Entzugsbehandlung handelt oder um einen Ersatz für eine solche. Die Opiatsucht ist, bis auf we- nige Ausnahmen, bei denen im Alter eine Spontanheilung eintreten kann, eine unheilbare Krankheit, und zwar eine chronische Vergiftung, die durch die zwanghafte, ständig wiederholte Aufnahme des Giftes unter Steigerung der Dosis bis hinauf in den hochtoxi- schen, tödlichen Bereich zustande kommt. Folgt man dieser These, dann sollte es, wie bei Vergiftungen gene- rell, auch hier gelingen, eine kausale Heilung der Sucht zu entwickeln. Da- zu sind umfassende, aber streng geziel- te Forschungsarbeiten nötig. Vergif- tungen gehören zu der kleinen Gruppe von Krankheiten, die sich prinzipiell kausal heilen lassen, wenn es gelingt, das Gift und seine Reaktionsprodukte aus dem Körper zu eliminieren . . .

Es wird also der Mitarbeit der Be- sten in den verschiedensten Ländern und in den verschiedensten Diszipli- nen – nicht nur der klinisch- und der nicht klinisch-medizinischen – bedür- fen, um das Ziel, die kausale Heilung der Sucht, zu erreichen. Allein diese Kooperation zu organisieren und zu koordinieren wäre eine logistische Aufgabe allerersten Ranges . ..

Prof. Dr. med. Helmut Kewitz, Kaunstraße 2, 14163 Berlin

Zu den wichtigsten Äußerungen zu meinem Beitrag nehme ich wie folgt Stellung:

« Die Befürchtungen substi- tuierender Ärzte hinsichtlich der Durchführung substitutionsgestützter Behandlung im vertragsärztlichen Bereich nehme ich sehr ernst. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat deshalb von den Spitzen- verbänden der Ärzte und Kranken- kassen die Objektivierung dieser Ent- wicklung erbeten. Sollten sich die Be- fürchtungen bestätigen, werde ich bei den Selbstverwaltungsorganen der Ärzte und Krankenkassen auf eine unverzügliche Änderung der für den vertragsärztlichen Bereich geltenden Regelungen drängen. Eine zögerliche Haltung – jedenfalls des BMG – kann ich hier nicht erkennen.

¬ Zu Paragraph 3a der Richtli- nien des Bundesausschusses der Ärz- te und Krankenkassen zur substituti- onsgestützten Behandlung vertritt das BMG folgende Auffassung: Eine substitutionsgestützte Behandlung ist auf der Grundlage des Paragraph 3a der Richtlinien auch bei den opiatab- hängigen Patienten zulässig, die ge- genwärtig für eine drogenfreie Thera- pie nicht motiviert werden können, sofern sie für eine Substitution geeig- net sind. Die nicht vorhandene Moti- vation ist ein ausreichender medizi- nischer Grund nach Paragraph 3a Abs. 1 Nr. 1 dafür, dass eine drogen- freie Therapie nicht durchgeführt werden kann. „Eine wissenschaftlich untermauerte, von Fachleuten mehr- heitlich akzeptierte und damit eta- blierte Differenzialindikation für die Zuordnung opiatabhängiger Patien- ten zu einer Behandlung mit oder oh- ne Substitutionsmittel existiert bisher nicht“ (Bühringer u. a., Methadon- standards 1995 S. 34). Die Erzwin- gung einer drogenfreien Therapie bei nicht vorhandener Motivation ist nach allen Erfahrungen auch nicht sinnvoll. Paragraph 3a der Richtlini- en ermöglicht deshalb grundsätzlich eine substitutionsgestützte Behand- lung auch bei solchen Patienten, bei denen neben der Opiatabhängigkeit keine weitere Begleitindikation vor- liegt. Dabei sind jedoch auch die Be-

dingungen des Paragraphen 3a Abs. 1 Nr. 2 einzuhalten, nach denen Aus- sichten für eine Erfolg versprechende Behandlung der Opiatabhängigkeit bestehen müssen. Dafür genügt das alleinige Auswechseln des illegal konsumierten Opiats durch ein Sub- stitutionsmittel nicht.

­ Ich teile die Sorge, dass infol- ge der „Take-home-Regelung“ der Betäubungsmittelverschreibungsver- ordnung (BtMVV) Gefährdungen von abhängigen Patienten oder de- ren Angehörigen eintreten können.

Eine Streichung dieser Regelung hal- te ich nicht für geeignet, weil eine Vielzahl von Patienten nur auf die- ser Grundlage ein integriertes und ein relativ selbstbestimmtes Leben führen kann.

Vielmehr muss die Beseitigung dieser Gefahren durch die Verbesse- rung der teilweise unzureichenden Qualität ärztlicher Tätigkeit erfol- gen. Nach § 5 Abs. 7 BtMVV ist die

„Take-home-Verschreibung“ eine Er- messensentscheidung des Arztes, die er nur unter bestimmten Bedin- gungen vornehmen darf. Offensicht- lich erfolgen derartige Verschreibun- gen aber gelegentlich auch leichtfertig und ohne die Einhaltung dieser Be- dingungen. Aus meiner Sicht muss da- her die Qualität der substitutionsge- stützten Behandlung in der Breite spürbar verbessert werden. Hier sieht das BMG in voller Übereinstimmung mit der Bundesärztekammer folgende Maßnahmen vor:

c Einrichtung eines Zentralen Substitutionsregisters,

c Einführung einer besonde- ren Qualifikation für substituierende Ärzte und

c Unterstützung der substitu- ierenden Ärzte durch Richtlinien der Bundesärztekammer zur substituti- onsgestützten Behandlung.

Die dafür erforderlichen Maß- nahmen des Gesetz- und Verord- nungsgebers sind eingeleitet worden.

Dazu hat die Bundesregierung mit dem Entwurf eines 3. BtMG-Ände- rungsgesetzes, dem der Bundesrat noch zustimmen muss, die gesetzli- chen Grundlagen gelegt.

Christa Nickels, Parlamentari- sche Staatssekretärin im Bundesmini- sterium für Gesundheit, Am Propst- hof 78 a, 53108 Bonn

T H E M E N D E R Z E I T FORUM

Schlusswort

Kausale Heilung

entwickeln

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