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A2432 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 38½½½½22. September 2000
Mit dem Freistempler „Arbeit für Jun- ge“ des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Postfach 14 02 80, in Bonn, erhielt der Berichterstatter zwei gleich lautende Briefe mit dem Ab- sender „Karl Hermann Haack, Mitglied des Deutschen Bundestages, Beauftrag- ter der Bundesregierung für die Belan- ge der Behinderten, 11017 Berlin“. Es handelte sich um eine Vorankündigung für einen Kongress in Düsseldorf am 20./21. Oktober 2000 mit dem Thema
„Gleichstellungsgesetze für Menschen mit Behinderung“: „Zu dieser Veran- staltung werden alle relevanten Grup- pen und Verbände eingeladen. Beson- ders interessiert bin ich an der Teilnah- me von Betroffenen, die auch als Ein- zelpersonen teilnehmen können. . . . für diesen Personenkreis ist die Teilnahme, einschließlich Unterkunft und Verpfle- gung, kostenfrei . . .“
Die Werbung des Bundesministe- riums für Arbeit und Sozialordnung auf dem Freistempler setzt sich für andere Sonderinteressen ein als die mit Porto desselben Hauses versandte Werbung
für Behinderte. Der Steuern zahlende Berichterstatter fragt sich: Wieso bedarf es für die Beachtung der Belange der Behinderten eines besonderen Beauf- tragten der Bundesregierung? Ist das nicht sowieso Aufgabe eines dafür zu- ständigen Ministeriums innerhalb sinn- voller Kompetenzzuteilung?
Oder ist es der Regierungsstil des Bundeskanzlers, neben den von der Verfassung vorgesehenen Institutio- nen Beauftragte und Sonderbeauftrag- te, Kommissionen und Sonderkommis- sionen einzusetzen, um die persönliche Herrschaft zu festigen?
Da werden immer mehr nach dem Grundgesetz nur ihrem Wissen und Gewissen verantwortliche Abgeordne- te für Sonderaufgaben und Sonderin- teressen in den Dienst der Regierung gestellt. Selbst wenn sie dafür keine Vergütungen neben ihren Diäten und Kostenpauschalen bekämen, belastet dies den Steuerzahler.
Als ob wir uns nicht schon genug über ganzseitige Regierungspropaganda aus unseren Steuergeldern ärgern müssten.
GLOSSEN
P O L I T I K
Destruktiv
Den Berichterstatter erreicht ein an- derthalb Seiten langer handgeschriebe- ner Brief aus einem der ärmsten Länder Afrikas mit der dringenden Bitte um Mittel zur Fortsetzung eines Studiums.
Beigefügt ist die Ablichtung des Zeug- nisses aus dem November/Dezember 1998 einer Hochschule des Landes.
Daraus ist allerdings nicht ersicht- lich, dass der handschriftliche Brief und die darin angegebene Anschrift eines Postfaches zu derselben Person ge- hören. Aus der Anschrift an den Be- richterstatter ist zu entnehmen, dass dessen nicht ganz aktuelle Anschrift auch aus einer kommerziell vertriebe- nen Adressliste stammen könnte. Of- fenbar lohnt sich der Fleiß handge- schriebener und „By Air Mail“ ver- sandter Briefe einschließlich Fotoko-
pierkosten und Luftpostporto. Der so auf Anhieb erzielte Effekt ist Hilfsbe- reitschaft, wie sie die Wohlstandsgesell- schaft in reichem Maße gewährt, wenn sie nur richtig angesprochen wird.
Dem spontanen Impuls folgt dann jedoch die Frage: Wie viel Hilfs- und Opferbereitschaft werden nicht von der Notwendigkeit, Not zu wenden, sondern von professioneller Propa- ganda bewegt und gelenkt? In wel- chem Maße wird Hilfsbereitschaft auch missbraucht?
Es ist gewiss richtig, lieber einmal mehr zu helfen, auch wenn es nicht nötig ist, als Hilfe zu versagen, wo sie die Not abwenden kann. Aber so ganz befriedigt es den Geber nicht, Gaben mit Luftpost ins Ungewisse zu ver-
streuen. Oder? VD