Die Information:
Bericht und Meinung
Bundestagsdebatte zur Gesundheits- und Sozialpolitik
sten im Gesundheitswesen darin bestand, auf die Verantwortung und Verpflichtung des einzelnen hinzuweisen, sich gesundheitsge- recht zu verhalten. Welchen Bei- trag die Ärzte bereit sind zu leisten - die Ärzte, die doch im Gesund- heitswesen eine Schlüsselstellung einnehmen und darüber entschei- den, welche Leistungen in der sta- tionären und ambulanten Versor- gung erbracht werden, hat man sich vergeblich gefragt."
(Siehe dazu vergleichsweise auch Frau Fockes Ausführungen beim 78. Deutschen Ärztetag in Ham- bu~. DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 21/1975, Seite 1634 ff.)
Es sei zwar unstrittig, daß nichtge- sundheitsgerechtes Verhalten der Bürger eine Ursache für die Ko- stenentwicklung ist. Aber sie sei nicht die einzige und dürfe nicht als "Alibi" dienen, "um nicht vor der eigenen Tür kehren zu müs- sen."
Die Forderung nach mehr Koope- ration im Gesundheitswesen richte sich nicht nur an jene, die Lei- stungen im Gesundheitswesen er- bringen, sondern im gleichen Maß an die, die Entscheidungen in der Gesundheitspolitik treffen. Frau Fockes Schlußsatz: "Nur wenn wir hier Konfrontation abbauen und Kooperation aufbauen,kann auf die Frage nach der Situation des Ge- sundheitswesens in der Bundes- republik Deutschland die Antwort
lauten: gut, aber verbesserungs-
fähig."
Walter Arendt (SPD), Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
Antwort auf strukturelle Fragen Walter Arendt, der zur Einbringung des Regierungsentwurfs zur Wei- terentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung das Wort nahm, erklärte u. a., mit diesem Gesetz gebe die Bundesregierung eine Antwort auf strukturelle Fra- gen, die auch für die Kostenent-
wicklung von Bedeutung seien.
Der Gesetzentwurf trage zur Dämp-
fung der steigenden Kosten im Ge-
sundheitswesen bei. Im Kassen- arztrecht müßten rechtzeitig Ände- rungen vorgenommen werden, da- mit man nicht bereits in wenigen Jahren vor neuen Problemen in der Kostenentwicklung stehe. Damit wäre zu rechnen, wenn die zuneh- mend ungleiche Verteilung der Ärzte nicht rechtzeitig korrigiert würde. Im übrigen verfolge der Ge- setzentwurf das Ziel, auch für die Zukunft eine bedarfsgerechte ärzt- liche Versorgung sicherzustellen.
Für die erforderlichen Änderungen brauche man die verantwortliche Mitwirkung der Ärzte, um die sich der Gesetzgeber bemühe. Es müs- se aber auch erwartet werden, daß die ärztlichen Organisationen Auf- geschlossenheit für eine Weiterent- wicklung des geltenden Rechts zeigten: "Das sollten auch die ärzt- lichen Berufsverbände bei ihren Stellungnahmen berücksichtigen.
Wer die Niederlassungsfreiheit der Ärzte will, muß auch dafür sorgen, daß die ärztliche Versorgung der Bevölkerung reibungslos funktio- niert."
.,. Die vorgesehenen Änderungen, so führte Arendt weiter aus, seien darauf gerichtet, zunächst und vor allem die für die ärztliche Versor- gung verantwortlichen Kassenärzt- lichen Vereinigungen in die Pflicht zu nehmen, denn sie würden ver- pflichtet, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die ambulante ärztliche Versorgung sowohl wirt- schaftlich effizient als auch be- darfsgerecht zu sichern. Dies sei Voraussetzung dafür, daß jeder Bürger tatsächlich gleiche Gesund- heitschancen in unserer Gesell- schaft habe.
.,. Die im Regierungsentwurf ent- haltenen Änderungen im Kassen- arztrecht erfolgen nach Minister Arendt auf der Grundlage des gel- tenden Systems. "Es geht also nicht um eine Überwindung des Systems, sondern um notwendige Verbesserungen. Das System hat sich in seinen Grundsätzen be- währt."
1866 Heft 25 vom 19. Juni 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATT
.,. Die Bundesregierung halte fol- gende Verbesserungen für erfor- derlich:
t> die Einführung einer bundeswei- ten Bedarfsplanung in der ambu- lanten ärztlichen und zahnärztli- chen Versorgung;
t> den Ausbau von Maßnahmen,
mit denen Kassenärztliche Vereini- gungen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung der ver- sicherten Bevölkerung sicherstel- len können und
t> die gesetzliche Absicherung von
besonderen Maßnahmen zur Besei- tigung von ärztlicher Unterversor- gung der Bevölkerung.
Der Regierungsentwurf halte daran fest, daß den Kassenärztlichen Ver- einigungen die Verantwortung für die Sicherstellung der kassenärztli- chen Versorgung übertragen bleibt. Diese Verantwortung der Körperschaften wolle die Bundes- regierung noch verstärken, damit alle geeigneten Maßnahmen ergrif- fen würden, die für eine bedarfsge- rechte Versorgung notwendig sei- en.
"Bedarfsplanung"
Ein wichtiges, wenn auch nicht das alleinige Steuerungsinstrument für eine bedarfsgerechte und gleich- mäßige Versorgung stelle der Be- darfsplan dar. Deshalb seien vor allem die Krankenkassen an der Bedarfsplanung zu beteiligen. Das gebe den Kassen die Möglichkeit, die Interessen der Versicherten so- wohl an einer bedarfsgerechten als auch an einer wirtschaftlichen Ver- sorgung wahrzunehmen. Ungeach- tet dieser Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und den Ländern sollten die Kassenärztlichen Verei- nigungen aber die letztverantwortli- che Entscheidung über die Be- darfsplanung haben. ln gleicher Weise verbleibe auch die Verant- wortung für die Organisation und Steuerung der einzelnen Maßnah- men zur Sicherstellung der ärztli- chen Versorgung bei den Kassen- ärztlichen Vereinigungen.
Diese Verantwortung bedeute aber auch, daß die Kassenärztlichen
Vereinigungen mit allen Konse- quenzen bis zum partiellen Verlust des Sicherstellungsauftrages für mögliche Mißerfolge einstehen müßten. "Durch die Verbindung von Verantwortung und Einstands- pflicht soll die Bereitschaft der kassenärztlichen Selbstverwaltung, eigenverantwortlich Ordnungsfunk- tionen im allgemeinen Interesse wahrzunehmen, noch gestärkt wer- den."
Diese abgestuften Regelungen lie- ßen es zu, im ambulanten Versor- gungsbereich den Grundsatz der Berufsausübung der Ärzte durch freie Niederlassung und der freien Arztwahl der Versicherten zu wah- ren. Es werde daher auch keine Verplanung der Ärzte geben. Da- hingehende Befürchtungen seien unbegründet. Nur dann, wenn es trotz Ausschöpfung aller Mittel der Kassenärztlichen Vereinigun- gen zu einer ärztlichen Unterver- sorgung der Bevölkerung komme, solle die Niederlassungsfreiheit be- schränkt werden können.
Zulassungsbeschränkung und Niederlassungsfreiheit
Zu der im Gesetzentwurf der Bun- desregierung vorgesehenen Zulas- sungsbeschränkung stellte Minister Arendt fest, daß diese als ein mit- telbares Steuerungsinstrument ent- wickelt worden sei. Damit werde das Recht eines jeden Arztes, an jedem beliebigen Ort eine Kassen- praxis zu eröffnen, nur dort einge- engt, wo es genügend Ärzte gebe, damit es dort verwirklicht werden kann, wo Ärztemangel herrscht.
"Um Mißdeutungen vorzubeugen - so erklärte Arendt -: Auch hier ist kein Zwangsinstrument zur Landverschickung von Ärzten aus- gedacht worden."
Zulassungsbeschränkungen könn- ten erst nach dem Scheitern aller notwendigen Sicherstellungsbemü- hungen der Kassenärztlichen Ver- einigungen und zudem nur in ei- nem genau geregelten und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Niederlassungsfreiheit entspre- chenden gestuften Verfahren vor-
gesehen werden. Sie sollten die im geltenden Recht bestehenden sta,r- ren und unflexiblen Regelungen über eine Zulassungssperre erset- zen. Dabei werde von staatlicher
~eite sehr darauf geachtet werden, daß vor der Beschränkung der Nie- derlassungsmöglichkeit auch tat- sächlich alle geeigneten Mittel zur Sicherstellung der ärztlichen Ver- sorgung ausgeschöpft werden. Die Bundesregierung betrachte es als notwendig und auch als zurnutbar für die Ärzte, bei Notständen in der ärztlichen Versorgung zu verlan- gen, daß bestimmte berufliche In- teressen der Ärzte hinter dem An- spruch der Bürger auf eine funktio- nierende ärztliche Versorgung zu- rückstehen müßten.
Niemand könne aber von vornher- ein garantieren, daß Zulassungsbe- schränkungen als letztes Mittel in jedem Fall zum Erfolg führen. Der Entwurf sehe deshalb für diesen Sonderfall vor, daß dann die Kran- kenkassen die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung vornehmen können, z. B. durch Eigeneinrich- tungen oder durch Verträge mit Krankenhäusern.
Kostenentwicklung
Zur Kostenentwicklung nahm Arendt im Rahmen seiner Ausfüh- rungen zum Gesetzentwurf über die Finanzierung der Rentnerkran- kenversicherung Stellung. Hier gel- te es, die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Krankenversiche- rung besser in den gesamtwirt- schaftlichen Rahmen einzupassen.
Dies werde nicht ohne "merkliche"
strukturelle Änderungen auch im Krankenkassenwesen möglich sein.
Am stärksten trage zweifellos der Krankenhaussektor zu den gegen- wärtigen Beitragssatzerhöhungen bei. Aber daraus könne keiner, der im Gesundheitswesen außerhalb des Krankenhauses tätig sei, für sich einen Freibrief für Gleichgül- tigkeit oder Untätigkeit ableiten.
Das gelte auch für die Ärzte und für die Krankenkassen. Die Ärzte sollten bei den anstehenden Hono-
Die Wormation:
Bericht und Meinung
rarverhandlungen eine angemesse- ne Zurückhaltung zeigen.
Die Krankenkassen selbst könnten im eigenen Bereich df:'J Ausgaben- anstieg auf das notw<3ndige Maß beschränken. Die Versicherten sollten stärker als bisher über die Zusammenhänge zwischen dem Kostenanstieg und ihrem eigenen Verhalten informiert werden. Es müsse aber deutlicher werden, daß verstärkte · Gesundheitsvorsorge und ein gesundheitsgerechtes Ver- halten ebenso dazu beitragen, die ärztliche Versorgung finanzierbar zu halten, wie andere Maßnahmen.
Ambulante
und stationäre Versorgung
~ Zur ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung der Patien- ten sagte Arendt, es könne nicht übersehen werden, daß die Struk- turen und Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen sich zuneh- mend als zu starr und unrationell erweisen. Dies führe zu einer an sich vermeidbaren Verteuerung der Krankheitskosten. Die starre Ab- grenzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung mit der Fol- ge einer überlangen Krankenhaus- verweildauer und unnötiger Dop- peluntersuchungen gehöre zu den Mängeln des Gesundheitswesens, die das Krankheitssicherungssy- stem erheblich verteuern. Es sei nicht zu bestreiten, daß die wirt- schaftliche Effizienz dieses Sy- stems in vielen Teilbereichen nicht ausreichend gesichert sei. Hinzu kämen auch die Fragen einer an- gemessenen Vergütung der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker als der wichtigsten LeistunJgserbringer. Der mangelnde Preiswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt führe eben- falls zu spürbaren Verteuerun- gen. Alldiese Aufgaben könnten of- fensichtlich von der Selbstverwal- tung allein nicht gelöst werden; hier werde das Krankenversiche- rungswesen geändert und verbes- sert werden müssen, um die Funk- tionsfähigkeit des Systems zu si-
chern. HM/PM