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Archiv "Walter Arendt: Der Gewerkschafter auf dem Ministersitz" (25.03.2005)

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er kennt noch Walter Arendt?

Vor fast 29 Jahren trat er als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zurück. Jetzt ist er, knapp zwei Monate nach seinem 80.

Geburtstag, gestorben, wohl auch ein wenig einsam und verbittert. Seinen Abgang aus dem Ministeramt am 14.

Dezember 1976 unmittelbar nach der Wiederwahl Helmut Schmidts zum Kanzler hat er nur schwer verkraftet.

Die Ärzte sind mit ihm gut gefahren.

Gescheitert ist Arendt an seiner Ren- tenpolitik. Zurückgetreten ist der Berg- arbeiterführer jedoch, als er im Koaliti- onsstreit mit der FDP über die Mit- bestimmung nicht verhindern konnte, dass die leitenden Angestellten bei den Wahlen zu den Aufsichtsräten der großen Kapitalgesellschaften als selbst- ständige Gruppe zugelassen wurden.

Erst in der Nacht vor der Kanzlerwahl haben Schmidt und Wehner (SPD), Genscher und Mischnick (FDP) den Kompromiss über die Wahlordnung oh- ne Arendt und gegen ihn ausgehandelt.

Aufstieg in der IG Bergbau

Der Westfale Arendt war gelernter Bergmann. Er hatte die Volks- und Be- rufsschule besucht, sich nach 1946 und dem Eintritt in die SPD und die IG Bergbau auf den Akademien der Ge- werkschaften in Frankfurt und Ham- burg fortgebildet. 1948 wurde er für die Pressearbeit der IG Bergbau verant- wortlich. 1955 rückte er als Repräsen- tant des radikaleren Flügels in den ge- schäftsführenden Vorstand auf. 1964 wurde er als Nachfolger des legendären Heinrich Gutermuth zum Vorsitzenden gewählt. Dies blieb er bis zu seinem überraschenden Eintritt als Sozialmini- ster in das Kabinett Brandt Ende 1969.

Die Führung der SPD zog den Gewerk-

schafter Arendt, der seit 1961 dem Bun- destag angehörte, dem „Sozialpapst“

der Partei und Fraktion, Professor Ernst Schellenberg, vor. Die politische Kon- stellation in der mit knapper Mehrheit regierenden Koalition von SPD und FDP war für Arendt

nicht einfach. Er wollte

„mehr soziale Gerech- tigkeit“. Diese Formel kehrte in all seinen Re- den wieder. Er verstand darunter eine Politik für die Masse der Ar- beitnehmer und für mehr Umverteilung.

Arendt sah sich als Mann der Gewerkschaf- ten in der Regierung, in der für die SPD zunächst die Minister Schiller, Schmidt und Möller den Ton anga-

ben. Doch Arendt gewann rasch an Un- terstützung in der Partei, in der jene an Einfluss gewannen, die die Leistungs- kraft der Wirtschaft testen wollten. Die große Koalition hatte die Voraussetzun- gen für einen Wachstumsschub gelegt, der freilich in eine inflationäre Spirale mündete, an deren Ende die Löhne um bis zu elf Prozent und die Preise um mehr als sieben Prozent stiegen. Das spülte Geld in die öffentlichen Kassen.

Arendt sah Verteilungsspielräume, die real nicht vorhanden waren.

Arendt wollte sich als Sozialrefor- mer profilieren. Sein Ziel, über die Aus- weitung der Mitbestimmung die Stel- lung der Arbeitnehmer und der Ge- werkschaften in den Betrieben und den großen Kapitalgesellschaften zu stär- ken, hat er weitgehend erreicht. Die von ihm angestrebte Parität hat er nur knapp verfehlt. Einen zweiten Schwer- punkt setzte er bei der Einführung der

„flexiblen“ Altersgrenze. Diese lief für

die meisten Arbeitnehmer faktisch auf die Herabsetzung der Altersgrenze um zwei auf 63 Jahre hinaus. Arendt igno- rierte, dass sich schon damals die deutli- che Verschlechterung der Altersstruk- tur der Bevölkerung abzeichnete. Wie vor ihm Hans Katzer (CDU), so scheute sich auch Arendt, zumal mit der FDP, eine Reform der Krankenversicherung anzugehen. Von Selbstbeteiligung oder Einschränkung der Lohnfortzahlung wollte Arendt jedenfalls nichts wissen.

Er setzte auf die Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen. Mit dem KBV-Vor- sitzenden Dr. med. Hans Wolf Muschal- lik spielte er zusammen, nicht nur Skat.

Die hohen Lohnraten jener Jahre sorg- ten dafür, dass die Kas- sen ihre Ausgaben fi- nanzieren konnten, oh- ne die Beiträge stärker zu erhöhen. Erst un- ter Arendts Nachfolger Herbert Ehrenberg be- gann das Zeitalter der Kostendämpfung. Ver- dienstvoll war Arendts Initiative, die Früher- kennung für Kinder, Frauen und Männer aus- zuweiten und die Lei- stungen zur Rehabilita- tion zu verbessern. Er kümmerte sich um die soziale Absicherung von Behinderten und der Künstler, und er dynamisierte die Kriegsopferrenten.

Arendts Bilanz wird vor allem durch seine Rentenpolitik belastet. Kaum im Amt, versprach er den Rentnern ein Weihnachtsgeld von 100 DM. Daraus wurde nichts. Wenig später hat er den von der großen Koalition eingeführten Krankenversicherungsbeitrag der Rent- ner von zwei Prozent wieder abge- schafft und sogar die gezahlten Beiträge den Rentnern erstattet. Arendt war an dem Reformdesaster von 1972 beteiligt, als die Politiker aller Parteien glaubten, die Rentenversicherung in den folgen- den 15 Jahren mit rund 200 Milliarden DM belasten zu können. Schon 1975/76 geriet die Rentenversicherung in die Schieflage. Als nach der Wahl die vor der Wahl zugesagten „Renten- und Bei- tragsgarantien“ nicht gehalten werden konnten, war sein Rücktritt die logische Konsequenz. Walter Kannengießer P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 12⏐⏐25. März 2005 AA805

Walter Arendt

Der Gewerkschafter auf dem Ministersitz

Früherer Bundesarbeitsminister starb mit 80 Jahren.

Der frühere Bundesminister für Arbeit, Walter Arendt

Foto:dpa

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