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Archiv "Positivliste: Wer hat Frau Schmidt beraten?" (24.01.2003)

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P O L I T I K

A

A158 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 424. Januar 2003

KOMMENTAR

E

s gibt ihn noch, den Mann aus Ha- meln! Haben Sie ihn nicht kürz- lich gehört? Nun, ich vernahm sei- ne Melodie: 1 410 Kliniken und 231 651 Krankenbetten sind überflüssig; Dis- ease-Management-Programme wer- den den Ärzten schon beibringen, wie sie behandeln sollen; ein Institut für Qualität in der Medizin wird dafür sorgen, dass Patienten endlich gut the- rapiert werden, und die Positivliste wird verhindern, dass Kranke falsche Medikamente erhalten.

Apropos „Positivliste“: Wissen Sie, wie sich unser fachkompetentes Ge- sundheitsministerium

auch auf Rat des klugen Mannes aus Hameln die medikamentöse „quali- tativ gute Medizin“ vor- stellt? Der Gesetzent- wurf liegt vor. Darin steht, was zulasten der Gesetzlichen Kranken- versicherung demnächst

„verordnungsfähig“ ist.

Die Liste besteht aus einem Hauptteil und drei Anhängen (Phytotherapie, Anthroposophie, Homöopathie). Alle verzeichneten Medikamente sind ver- ordnungsfähig, da sie nach Auffassung des Ministeriums für eine „zweck- mäßige, ausreichende und notwendige Behandlung“ geeignet sind. Im Geset- zestext heißt es zudem: „Nicht aufzu- nehmen sind Arzneimittel, die für ge- ringfügige Gesundheitsstörungen be- stimmt sind, die für das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten oder deren Wirkung wegen der Viel- zahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteil- bar ist.“

Da ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht langweilen will, werde ich nur einige wenige „Medika- mente“ aus dem Anhang 3 als Beispie-

le nennen. Glauben Sie aber nicht, dass es sich um Einzelfälle handelt!

Hoffentlich klingen der Gesundheits- ministerin und ihren Beratern die Oh- ren, wenn sie hören: bufo rana (Kröte – bei feuchten Händen zu verord- nen?), cor bovis (Rinderherz bei Herz- schmerzen?), fel tauri oder fel piscis (Galle von Stier oder Fisch bei Gelb- sucht?), glandula lacrimalis bovis (Trä- nendrüsen bei Patienten mit Depressi- on oder für Patienten mit Sicca-Syn- drom?), hirudo ex animale (Blutegel- extrakte dürfen nicht fehlen!), ilium suis (ileum vom Schwein bei ileitis ter-

minalis – Morbus Crohn?). So geht es weiter: nervus opticus suis bei Seh- störungen, ovarium bovis dextrum oder sinistrum bei Kinderlosigkeit, pe- nis bovis bei erektiler Dysfunktion.

Viagra steht nicht in dieser Liste – weil Stierhoden billiger und wirksa- mer sind?

Vielleicht sollen wir unseren Pa- tienten aus primär gesundheitsöko- nomischen Gründen konkurrenzlos billige „Medikamente“ verordnen: ci- nis (Asche), pix (Pech) und sulfur (Schwefel) bieten sich ebenso an wie formica (Ameise), cerevisia (Bier) oder lapis albus. Auch Onyx, Opal, Saphir, Rubin oder Granit sind zu finden, ebenso wie Knoblauch, Aflatoxin und Knollenblätterpilz. Da verlange ich aber vorsichtshalber zusätzlich nach der ebenfalls vorhandenen nux vomi- ca (Brechnuss)!

Diese „Medikamente“ sind also der rot-grünen Koalition die Finanzierung durch die Solidargemeinschaft wert.

Bei den ständigen Aufrufen zu wirt- schaftlichem Handeln ist dies nicht leicht zu verstehen! Alles das können Sie jedoch demnächst mit dem Se- gen dieser, die Naturwissenschaften so trefflich fördernden Bundesregierung auf Kassenkosten verordnen. Wussten Sie schon, dass diese „Medikamente“

erst dann richtig wirksam werden, wenn sie beim Verdünnen (= Potenzie- ren!) jeweils zehnmal gegen den Erd- mittelpunkt auf einen harten Gegen- stand gestoßen werden?

Aus meiner Sicht mag sich jeder Patient mit vor- mittelalterlicher Schama- nenmedizin behandeln las- sen, wenn er es denn wünscht – aber soll die All- gemeinheit diesen Hum- bug bezahlen? Ist diese

„Positivliste“ als Schmidt- scher Solidarbeitrag ei- ner anbrechenden neuen Zeit zu se- hen? Wozu gibt es denn Therapiestu- dien, evidence based medicine, good clinical practice, wenn Feuersalaman- der und Rinderkleinhirn, Tierkohle und Blütenstaub nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums ver- ordnungsfähig sind? Selbst wenn diese Paramedizin spottbillig ist, ist es un- ärztlich, unsere Patienten für dumm zu verkaufen und ihnen anus bovis oder rectum suis zu verordnen.

Wenn das die neue Qualität in der Medizin des 21. Jahrhunderts sein soll und der radikalen Berliner Gesund- heitsreform entspricht, vermute ich, dass hier wieder einmal ein typisches rot-grünes Jahrhundertgesetz vorberei- tet wurde. Wir Ärzte sollten uns dage- gen wehren, in eine Ecke mit Medizin- männern vergangener Kulturen gestellt zu werden. Prof. Dr. med. Erland Erdmann

Positivliste

Wer hat Frau Schmidt

beraten?

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