Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 8½½½½22. Februar 2002 AA461
S E I T E E I N S
D
ie seit Beginn der Gesetzlichen Krankenversicherung (1883) für die Bemessung der Beiträge gelten- de Lohnbezugsbasis ist infolge der sinkenden Lohnquote, der hohen und anhaltenden Arbeitslosigkeit und der ständig wachsenden Zahl unterdurchschnittlich Verdienender ursächlich dafür, dass die Grundlohn- summe unzureichend geworden ist, jedenfalls um den fülligen Leistungs- katalog der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) und die Versi- chertenwünsche zu bedienen und den medizinischen und medizinisch-tech- nischen Fortschritt rasch zu imple- mentieren. Forderungen von Verbän- den der Leistungserbringer, zum Teil auch der Parteien und der Gewerk- schaften, neben der Lohnbezugsbasis auch andere Einkunftsarten zur Be- messung der Krankenversicherungs-beiträge einzubeziehen (etwa Mieten, Pachten, Ertragswert von Renten und anderen Einkünften), stoßen inzwi- schen zumindest bei Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt auf Skepsis bis Ablehnung. Sie erklärte bei einer Expertentagung der Bertels- mann-, Heinz Nixdorf- und Ludwig- Erhard-Stiftung am 1. Februar in Hamburg, dies könne eine Quadratur des Kreises heraufbeschwören. Es sei zwar wichtig, dass die Gesamtabga- benlast von zurzeit rund 44 Prozent unter die 40-Prozent-Grenze herun- tergedrückt wird und die Sozial- beiträge stabilisiert werden, damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht weiter durch eine Sondersteuer auf den Produktions- faktor Arbeit beeinträchtigt wird.
Doch scheint eine Erweiterung der Bemessungsbasis aus der Sicht
der Ministerin kaum praktikabel zu sein. Auch müsse berücksichtigt werden, dass jene Aktivversicher- ten, die während ihres Erwerbs- und Berufslebens regelmäßig GKV-Bei- träge entrichtet und Spargroschen zurückgelegt haben, bei einer erwei- terten Abgabenpflicht zusätzlich be- lastet würden. Andere hingegen, die besitzlos sind, weil sie nicht vorge- sorgt haben, wären bei den GKV- Beiträgen besser gestellt. Praktische Umsetzungsschwierigkeiten dürften sich auch insoweit ergeben, als die Krankenkassen quasi die Rolle eines Ersatzfinanzamtes bei der Über- prüfung sämtlicher Einkünfte und Einkunftsarten übernehmen müss- ten, oder das Finanzamt müsste an die Kassen Kontrollmeldungen über die richtige Beitragsbemessung ma- chen. Dr. rer. pol. Harald Clade
Beitragsbemessung
Frau Schmidt zögert E
s gibt Aussagen, die tun Ärztengut. Eine solche Aussage ist:
„Ärzte brauchen wieder Perspekti- ven!“ Gesagt hat dies Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bei einem Kurzbesuch des Länderausschusses der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (KBV) am 15. Februar in Berlin.
Perspektiven – nach mehr als zehn Jahren Budgetierung und dar- aus folgenden Verteilungskämpfen um sinkende Honorare ist es genau das, was die niedergelassenen Ärzte am dringendsten brauchen. Den Anfang hat Ulla Schmidt mit der Abschaffung der Arzneimittelbud- gets gemacht: Die aufgelaufenen und angedrohten Kollektivregresse (immerhin 1,5 Milliarden A) sind
vom Tisch, stattdessen setzt die Mi- nisterin auf die Steuerungskraft der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen. Wenn Schmidt es aber tatsächlich ernst meint mit der Abschaffung der Bud- gets – das hat sie in Berlin erneut be- tont –, muss auch eine Lösung der Honorarproblematik her. Wie diese aussehen könnte, deutete die Bun- desgesundheitsministerin bei ihrem Treffen mit dem KBV-Vorstand und den KV-Vorsitzenden an: „Die nie- dergelassenen Fachärzte könnten eine Vergütungsform erhalten, wie sie derzeit in den Krankenhäusern eingeführt wird: Fallpauschalen. Bei den Hausärzten denken wir über morbiditätsbezogene Kopfpauscha- len nach.“
Das macht Sinn, wenn man eine bessere Verzahnung des stationären und ambulanten Sektors will. Mit der Übernahme der Fallpauschalen aus den Krankenhäusern wäre die Vergütung der fachärztlichen Lei- stungen sektorübergreifend kompa- tibel. Die Hausärzte könnten mit ei- ner morbiditätsbezogenen Kopf- pauschale ihr Behandlungskonzept besser als bisher auf die angestrebte Lotsenfunktion ausrichten.
„Wir müssen lernen, das Gesund- heitswesen als Prinzip der kommu- nizierenden Röhren zu begreifen“, sagte die Ministerin in Berlin. Dar- auf müssten sich auch die KVen ein- stellen, denen eine neue Rolle zuge- dacht sei, aber keineswegs das Aus
drohe. Josef Maus