DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Familienbefund AUSSPRACHE
daher zunächst auf eine mögliche Risikoerhöhung bei seinen Ange- hörigen hinweisen und ihn auffor- dern, den Verwandten selbst einen Arzt aufsuchen zu lassen. Er sollte es von der Schwere der zur Debatte stehenden Krankheit, dem Wieder- holungsrisiko bei den Angehörigen und den präventivmedizinischen Möglichkeiten abhängig machen, wie nachhaltig er seinem Patienten die Notwendigkeit zur Untersu- chung der Angehörigen nahelegt.
Ausblick
Der Familienbefund ist ein wichti- ger Indikator für Krankheiten oder Krankheitsdispositionen. Früher ließen sich Risiken meist nur stati- stisch angeben. Eine wachsende Anzahl genetischer Marker erlaubt jedoch bei immer mehr Krank- heiten die konkrete Erkennung von Krankheitsdispositionen, be- vor entsprechende Symptome auf- getreten sind. Diese Entwicklung wird sich durch die gentechnolo- gische Diagnostik beschleunigen.
Für den Arzt ergeben sich damit neue und wichtige präventivmedi- zinische Aufgaben, deren Anwen- dung ein hohes Maß an Verant- wortungsbewußtsein erfordert.
Literatur
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Anschrift für die Verfasser:
Professor Dr. med. Peter Propping Institut für Humangenetik
Wilhelmstraße 31, 5300 Bonn 1
Stellungnahme
Herr Kollege Kimbel vermeidet in ängstlicher Beflissenheit in sei- nem Editorial jeden Hinweis auf die politischen Hintergründe der verbesserungsfähigen Arzneimit- telsicherheit in der Bundesrepu- blik. In einem Satz gesagt, ist die Dienstaufsicht, die das Bundesmi- nisterium für Jugend, Familie und Gesundheit gegenüber dem Bun- desgesundheitsamt wahrnimmt, völlig insuffizient. Dies wird an fol- gendem Beispiel illustriert:
Das Bundesgesundheitsamt wird am 23. Mai 1984 auf eine tödliche (!) Arzneimittelnebenwirkung hin- gewiesen. Es handelt sich um eine Aluminiumosteopathie bei einem niereninsuffizienten Säugling, der lege artis mit Aluminiumhydroxid
ZU r Phosphatresorptionshem- mung behandelt worden war (Koch et al., Mschr. Kinderheilk., im Druck).
Das Bundesgesundheitsamt holt zwei Monate später eine Expertise bei einem bekannten Kinderne- phrologen ein, dieser bestätigt die von diesem Medikament ausge- henden Gefahren. Im weiteren Verlauf geschieht schlicht über- haupt nichts.
Intervention von meiner Seite im Mai 1985 beim Herrn Bundesmini- ster für Jugend, Familie und Ge- sundheit persönlich. Reaktion:
Weiterleitung des Schreibens an das Bundesgesundheitsamt. In der Folge gar keine Reaktion. Erst nachdem über einen Bundestags- abgeordneten der beamtete Staatssekretär in diesem Ministeri- um unmittelbar beim Bundesge- sundheitsamt interveniert, wird der Hersteller dieses Medikamen- tes zur Aufnahme eines Warnhin-
weises verpflichtet. Nachdem das Medikament aber auch von ande- ren Herstellern produziert wird, besteht die Gefahr fort.
Zwischenzeitlich sind zwei Fälle von tödlicher Aluminiumintoxika- tion bei niereninsuffizienten Säug- lingen aus den USA beschrieben worden, bei denen allein ein er- höhter Aluminiumgehalt der Milch deletär wirkte (Freundlich und Mit- arbeiter, Lancet II [1985] 527). Die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft, der unser Fall ebenfalls bekannt ist, hat ihn mit einer Nummer versehen (041917), aber auch nichts konkret unter- nommen.
Dr. med. H. Koch
Chefarzt der Kinderabteilung St.-Marien-Hospital
Marienstraße 6 2848 Vechta (Oldb.)
Schlußwort
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat auf- grund der geschilderten Fälle sehr wohl etwas unternommen! In Ab- stimmung mit dem Bundesge- sundheitsamt hat der Hersteller des betroffenen Fertigarzneimit- tels einen Rote-Hand-Brief an alle Pädiater und Nephrologen ver- sandt, in dem nochmals auf das von Herrn Kollegen Koch hervor- gehobene, jedoch den meisten der nierenkranke Kinder behandeln- den Kollegen bekannte Risiko hin- gewiesen wurde.
Dr. med. Karl Heinz Kimbel Geschäftsführer der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Herbert-Lewin-Straße 5 5000 Köln 41
Wer kann
Arzneimittel sicherer machen?
Zu dem Editorial von Dr. med. K. H. Kimbel in Heft 39/1985, Seiten 2820 bis 2822
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 30 vom 23. Juli 1986 (37) 2081