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Archiv "Wer kann Arzneimittel sicherer machen?" (25.09.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

Wer kann Arzneimittel sicherer machen?

Z

ur Novellierung des Arz- neimittelgesetzes '76 wer- den die Beteiligten im Herbst gehört. Der vorliegen- de Referentenentwurf läßt nur zaghafte Ansätze erkennen, dem wachsenden Ärgernis ständiger sogenannter Arznei- mittelskandale Einhalt zu ge- bieten. Es scheint deshalb an der Zeit, praktikable, in ande- ren Ländern bewährte Lösun- gen, vorzuschlagen.

Zunächst ist festzuhalten, daß unerwünschte Arzneimittelwir- kungen ein weit geringeres Risiko darstellen als Dinge, die dem Volke, zum Beispiel zum Freizeitgenuß, unent- behrlich erscheinen. W. H. W.

Inman hat im letzten Jahre in einem zu wenig beachteten Vortrag die Arzneimittelrisiken zu denjenigen des täglichen Lebens in Beziehung gesetzt (Kasten).

Man sieht, daß selbst das Risi- ko, an einem weltweit verbo- tenen Arzneistoff wie Benoxa- profen (Coxigon®) zu sterben, mehr als zwei Zehnerpoten- zen niedriger ist als das durch den Genuß von mehr als 20 Zi- garetten pro Tag. Unser The- ma hieße demnach richtiger

„Wer kann Arzneimittel noch sicherer machen"?

S

tatistisch gesehen mag das Risiko letaler uner- wünschter Arzneimittel- wirkungen niedrig sein

(„Drugs remarkably nontoxic", Jick 1974). Angehörige und Freunde der Betroffenen wer- den das ganz anders sehen.

Auch für den Arzt kann die politisch motivierte Duldung weitaus größerer Risiken (Al- kohol, Rauchen) kein Grund sein, nicht alles zu tun, um unerwünschte Wirkungen der

von ihm verordneten Arznei- mittel so gering wie möglich zu halten.

Diejenigen, die Arzneimittel- probleme im Rampenlicht der Medien zur Diskussion stell- ten, mögen das zum Teil in der guten Absicht getan ha- ben, die für die Arzneimittelsi- cherheit Verantwortlichen und die Öffentlichkeit nachdenk- lich zu stimmen. Sie haben sich jedoch nicht die Mühe gemacht, den Ursachen nach- zugehen. So werden diese

nicht abgestellt und „Arznei- mittelskandale" nach wie vor Schlagzeilen machen. Viel schwerer wiegt jedoch, daß diese Enthüller nicht wissen, daß sie mit ihrem Tun weitaus größeren Schaden anrichten als das von ihnen publik ge- machte Arzneimittelrisiko.

V

orsichtige Schätzungen besagen, daß mindestens 30 Prozent aller verordne- ten Arzneimittel nicht einge- nommen werden. Früher be- traf das überwiegend Mittel gegen lästige, aber folgenlose Beschwerden. Die gegen alles

„Chemische" geschürte Angst führt jetzt dazu, daß auch le- bensrettende und gegen schwerwiegende Folgeer- scheinungen verordnete Arz- neimittel nicht mehr einge- nommen werden. Ohne Zwei- fel ist das durch die allgemei- ne Verängstigung bedingte

„Nicht-Einnahme-Risiko" von Arzneimitteln heute bei wei- tem höher als das durch Arz-

neimittel selbst. Hierzu addiert sich die Gefährdung durch zu- nehmende Inanspruchnahme unüberprüfter Außenseiterver- fahren.

Aufklärung hat die Menschen des Mittelalters von vielen ih-

rer ursprünglichen Ängste be- freit. Umfassende und objekti- ve Aufklärung ist auch gegen die Angst vor Arzneimitteln wirksam. Daß diese im Zeital- ter unbegrenzter Kommunika- tionsmöglichkeiten unzurei- chend ist, mag den Außenste- henden überraschen. Zum Teil ist das in unserer Arzneimittel- gesetzgebung begründet. Den Herstellern zuliebe gab man ihnen für bereits im Markt be- findliche Arzneimittel 15 Jahre Zeit, deren Risikoinformation den hohen Ansprüchen anzu- passen, die an neuzugelasse- ne Arzneimittel gestellt wer- den. Selbst in der neuen „Ro- ten Liste" findet man für iden- tische Arzneistoffe abweichen- de Risikoangaben.

Aber auch die für neuzugelas- sene Arzneimittel lassen zu wünschen übrig, so die Aussa- ge bei einem soeben zugelas- senen „Gyrasehemmer": „Ne- benwirkungen treten sehr sel- ten auf. Es kann zu Magen- und Darmbeschwerden kom- men. Selten sind Hautverän- derungen und Störungen im Bereich des zentralen Nerven- systems" — das hilft dem ver- ordnenden Arzt nicht viel.

W

as ist zu tun? So wie man ein Haus nicht im 3. Stock zu bauen be- ginnen kann, ist eine Verbes- serung der Arzneimittelsicher- heit nicht ohne Grundlagen- forschung möglich. Während es zum Beispiel in England ei- nen Lehrstuhl für die Epide- miologie von Arzneimittelrisi- ken gibt, wird erst an einer einzigen deutschen Universi- tät eine Vorlesung über uner- wünschte Arzneimittelwirkun- gen angeboten. Trotz ver- dienstvoller Bemühungen der wenigen Vertreter der Klini- schen Pharmakologie in der Bundesrepublik ist die Lage

2820 (66) Heft 39 vom 25. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Risiko bestimmter Tätigkeiten, des Zigarettenrauchens oder der Medikamenteneinnahme (jährliche Todesfälle pro eine Million Betroffene). Ausgenommen Unfälle im Haushalt und Straßenverkehr

Frontsoldat im Ersten Weltkrieg Präsident der USA

Stierkämpfer

Raucher (mehr als 20 Zigaretten pro Tag) Firmendirektor

Bergmann

Benoxaprofen (Coxigon®), mehr als 600 mg pro Tag

Orale Kontrazeptiva (Frauen unter 35 Jahren) Schneider

Zomepirac (Zomax 8): Anaphylaktischer Schock

62 000 22 000 17 000 5 000 1 800 600

40 13 3 0,5

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

des Faches nach wie vor de- solat. In der derzeitigen Ap- probationsordnung für Ärzte wird der Pharmakotherapie nach wie vor eine stiefmütter- liche Rolle zugedacht; von Arzneimittelsicherheit ist über- haupt keine Rede.

Eine Gefahr ist um so gerin- ger, je mehr man über sie

weiß. Das gilt auch für Arznei- mittelrisiken. Sieht man die bei der Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzte- schaft eingehenden Berichte durch, hätte so manche uner- wünschte Wirkung vermieden oder gemindert werden kön- nen, hätte der Arzt nur um das Risiko gewußt. Das ist meist nicht seine Schuld, es liegt an den Informationsquellen und an ihrer Aktualisierung.

D

ie häufigst benutzte Infor- mationsquelle „Rote Li- ste" kann bei der Vielzahl der Arzneimittel aus Platz- gründen nur auf die wesent- lichsten Risiken eingehen, zu- dem sind die Angaben, wie

zuvor erwähnt, nicht aufeinan- der abgestimmt und über- prüft. Die 1981 vom 84. Deut- schen Ärztetag geforderte Ge- brauchsinformation für Fach- kreise wird nur von 20 Prozent aller im Bundesverband zu- sammengeschlossenen Her- steller und nicht für alle deren Präparate zur Verfügung ge- stellt. Viele sind bereits meh-

rere Jahre alt und entspre- chen nicht mehr dem letzten Stand.

Dabei hat sich die Information über neue unerwünschte Arz- neimittelwirkungen weltweit gebessert. Spontanerfas- sungssysteme, wie die in Großbritannien, Schweden, den Niederlanden und der Bundesrepublik, weisen früh- zeitig auf Verdachtsfälle hin.

Auch werden in den führen- den internationalen Fachzeit- schriften Berichte über neue unerwünschte Arzneimittelwir- kungen oft innerhalb weniger Tage veröffentlicht. In der Bundesrepublik vergehen, aus

juristischen und administrati- ven Gründen, oft mehrere Wo- chen bis zu offiziellen Infor- mationsmaßnahmen. Die Arz- neimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft bemüht sich, mit ihren Informationen und Bekanntgaben im „Deut- schen Ärzteblatt" in dringen- den Fällen diese Lücke zu schließen.

D

er verordnende Arzt be- nötigt jedoch nicht nur die Information über ein neues Arzneimittelrisiko, son- dern ebenso darüber, wie groß es ist. Über häufige uner- wünschte Wirkungen, das heißt um ein Prozent, weiß man aus den der Zulassung vorausgegangenen klinischen Prüfungen meist genug. Es sei denn, daß diese unter Bedin- gungen stattfanden, die nicht der späteren praktischen An- wendung entsprachen. Über den kritischen Bereich zwi- schen 1 auf 1000 und 1 auf 10 000 kann erst dann etwas ausgesagt werden, wenn Be- obachtungen an 4000 bis 40 000 Patienten vorliegen.

Diese werden in der Regel erst nach der Zulassung ge- sammelt. In Großbritannien hat man diese Informations- lücke mit dem „Prescription Event Monitoring" bereits er- folgreich geschlossen. Ansät- ze in der Bundesrepublik be- zogen sich auf kaum verord- nete Arzneimittel oder dienten vorwiegend Marketing-Absich- ten. Die Häufigkeit von selte- ner als in einem auf 10 000 Fällen auftretenden Arzneimit- telrisiken festzustellen, ist, wie die immer noch nicht abge- schlossene Metamizol-Studie zeigt, sehr aufwendig und me- thodisch schwierig.

Zur Risikominderung, das heißt der verläßlichen Nutzen-

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 39 vom 25. September 1985 (69) 2821

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EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FÜR SIE GELESEN Risiko-Abschätzung verordne-

ter und in der Apotheke selbst gekaufter Arzneimittel in der Bundesrepublik sind folgende Voraussetzungen zu schaffen:

C) Die gesetzliche Verpflich- tung des Herstellers, die Ärzte über neu bekannt gewordene unerwünschte Wirkungen sei- ner Arzneimittel, auch in be- gründeten Verdachtsfällen, in- nerhalb von einer Woche durch eine entsprechend ge- änderte Gebrauchsanweisung für Fachkreise zu unterrich- ten. Die Änderung ist entspre- chend zu kennzeichnen. Sie sollte jedem Arzt in einem nur für diesen Zweck verwende- ten, gekennzeichneten Um- schlag übersandt oder durch den Ärztebesucher übergeben werden. Später kann an eine

noch schnellere Übermittlung, zum Beispiel durch Bild- schirmtext, gedacht werden.

C) Die ersten 20 000 bis 30 000 Patienten, denen ein neuer Arzneistoff verordnet wird, sollten auf bislang unbe- kannte unerwünschte Arznei- mittelwirkungen und deren Häufigkeit nach einem dem

„Prescription Event Monito- ring"-System analogen Verfah- ren überwacht werden. Da- nach sollte die endgültige Zu- lassung ausgesprochen wer- den. Die Kosten hierfür betra- gen nur einen Bruchteil der für die Einführungswerbung aufgewandten Mittel. Der Steuerzahler würde hierdurch (wie bei dem Spontanerfas- sungssystem der Ärzteschaft, das von dieser selbst finan- ziert wird) nicht belastet.

(Professor Dr. med. Fritz Scheler zum 60. Geburtstag vom Verfasser gewidmet.)

Dr. med. Karl Heinz Kimbel Geschäftsführer der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41

Nierentransplantation

In der Bundesrepublik Deutsch- land leben über 15 000 Kranke mit Nierenversagen. Der größte Teil der Patienten wird mit der künst- lichen Niere behandelt, obwohl ein hoher Prozentsatz auch für ei-

ne Nierentransplantation geeig- net wäre. Trotz der Zunahme an Nierentransplantationen von 471 im Jahre 1979 auf 923 im Jahre 1982 und weiterhin steigender Transplantationsfrequenz warten zunehmend mehr Patienten auf eine Transplantation. Die Zahl der Nierentransplantationen wird je- doch immer noch durch das unzu- reichende Angebot an Spenderor- ganen begrenzt. Hier könnte durch Aufklärung der Bevölke- rung und höhere Bereitschaft zur Organspende, verstärkte Mitar- beit der Ärzte bei der Meldung ge- eigneter Verstorbener und perso- nelle Verstärkung der Experten- teams eine erhebliche Verbesse- rung der Entwicklung erreicht werden.

In Norwegen sind 29 Prozent, in Schweden 23 Prozent, in Deutsch- land nur 4 Prozent aller Nieren- transplantationen Lebendtrans- plantationen. Die meist günstige- ren immunologischen Ausgangs- bedingungen und die höhere Transplantatfunktionsrate bei Le- bendnierenspenden unter Ver- wandten können durch die guten Erfolge von Bluttransfusionen vor der Operation neuerdings mit gleichzeitiger lmmunsuppression weitgehend verbessert werden, so daß auch Lebendspende unter Nichtverwandten in Frage kommt.

Bei der Basisimmunsuppression ist durch die Entdeckung des Cy- klosporins ein entscheidender Fortschritt erzielt worden, wenn- gleich Nebenwirkungen beobach- tet werden müssen. Wichtig für die Transplantationsmedizin war die Entwicklung effektiver Medi- kamente zur Behandlung auftre- tender Infektionskrankheiten. Die Rehabilitationsphase nach einer Nierentransplantation sieht vor, daß in den ersten sechs Monaten Arbeitsunfähigkeit besteht und

bei einem günstigen Verlauf der Nierentransplantation mit einer Erwerbsfähigkeitsminderung von 50 Prozent zu rechnen ist. Soziale und berufliche Rehabilitations- aspekte bei Dialysepatienten und Patienten nach Nierentransplan- tation können gleich eingestuft werden. ret

Habersetzer, R., B. Schneider, S. Schleibner und W. D. Illner: Aktueller Stand der Nieren- transplantation und ihre Ergebnisse. Lebens- vers. Med. 37 (1985) 72-74.

Nephrologische Abt. der Med. Klinik I und Transplantationszentrum der Chir. Klinik, Kli- nikum Großhadern, Marchioninistr. 15, 8000 München 70

Alkohol-Urtikaria

Nicht wenige Menschen rea- gieren auf Alkohol mit einer Flush-Symptomatik, zum Teil auf- grund einer Enzymschwäche der Leber wie bei den Japanern, zum Teil infolge einer Histaminfreiset- zung.

Bei einer 31jährigen Patientin kam es 10 Minuten nach Einnah- me eines alkoholhaltigen Ge- tränks zu einer Urtikaria mit Juk- ken von Hand- und Fußsohlen und einer Schwellung von Lippen und Zunge. Die Reaktion dauerte je- weils für eine Stunde an und ließ sich durch Gabe von Natriumchro- moglykat, lndomethacin, Chlor- pheniramin, Cimetidin oder Nalo- xon nicht unterdrücken. Eine Nah- rungsmittelallergie ließ sich aus- schließen, ein Hauttest verlief ne- gativ, eine Kontaktallergie konnte durch Applikation von 99,86 Pro- zent reinem Alkohol ausgeschlos- sen werden. Wurde derselbe Al- kohol jedoch oral oder über eine Magensonde (30 ml) zugeführt, kam es zu einer Urtikaria. Zu die- sem Zeitpunkt konnten erhöhte Plasma-Histaminspiegel gemes- sen werden. Bei zweimaliger Ex- position innerhalb 24 Stunden konnte eine Toleranzentwicklung dokumentiert werden.

Elphinstone, P. E., A. Kobza Black, M. W.

Greaves: Alcohol-induced urticaria. J. Roy.

Soc. Med. 78: 340, 1985

St. John's Hospital for Diseases of the Skin, London WC2.

2822 (70) Heft 39 vom 25. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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