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2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt

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2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt

B E S C H L U S S

AZ: 2 VK LSA 23/19 Halle (Saale), den 07.08.2019

§§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 u. 3, 168 Abs. 1 S. 2, 166 Abs. 1 S. 3 Alt. 3 GWB - Nachprüfungsantrag unzulässig

- Rüge verspätet

Eine positive Kenntnis ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Unkenntnis des Bieters nur als ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Erkenntnis des Vergabeverstoßes gewertet werden kann. Dies wird auch dann angenommen, wenn es der Bieter vorwerfbar versäumt, die Voraus- setzungen dafür zu schaffen, dass er Kenntnis von den Vergabeverstößen erlangen kann.

Aufgrund des im Vergabeverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes kann von einem Bie- ter erwartet werden, dass er die Unterlagen spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Eingang auf Verständlichkeit und Vollständigkeit prüft.

Dies gilt in gleicher Weise, wenn der Auftraggeber die Unterlagen modifiziert und den Bietern erneut zur Verfügung stellt. Die Antragstellerin hatte es verabsäumt, eine entsprechende Kontrolle innerhalb des oben genannten Zeitraums vorzunehmen.

Die erhobene Rüge war deshalb verspätet.

In dem Nachprüfungsverfahren der

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- Antragstellerin - Verfahrensbevollmächtigte

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gegen die

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- Antragsgegnerin -

wegen

der gerügten Vergabeverstöße zur Vergabe eines Dienstleistungsvertrages über Unterhalts-, Grund- und Fensterreinigung in öffentlichen Gebäuden sowie in den Kindereinrichtungen im offenen Verfah- ren, hat die 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt durch den Vorsitzenden XXX, die haupt- amtliche Beisitzerin Frau XXX und die ehrenamtliche Beisitzerin Frau XXX ohne mündliche Verhand- lung beschlossen:

1. Der Nachprüfungsantrag wird verworfen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens. Die Ver- fahrenskosten werden auf XXX Euro festgesetzt.

3. Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsver- folgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

Gründe I.

Die Antragsgegnerin beabsichtigt im offenen Verfahren einen Dienstleistungsvertrag über Unter- halts-, Grund- und Fensterreinigung in ihren öffentlichen Gebäuden und in ihren Kindereinrichtungen nach der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) zu vergeben. Die Bekanntma- chung wurde am 22.01.2019 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ver- öffentlicht.

Nach Ziffer II.2.4) sind 210 m² Gesamtfläche zu reinigen.

Die Vergabebekanntmachung sieht in Ziffer II.2.7 eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren mit einer Option der Vertragsverlängerung von ebenfalls zwei Jahren vor.

Die Angebotsfrist endete am 25.03.2019,13:00 Uhr.

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Bezüglich der Vorlage von Eignungsnachweisen wurde auf die Vergabeunterlagen verwiesen.

Für die Kalkulation der ausgeschriebenen Leistungen standen den Bietern jeweils eine Datei für Glasreinigungsarbeiten und eine für die Unterhalts- und Bedarfsreinigung zur Verfügung. Diese Da- teien beinhalten mehrere Kalkulationstabellen, die bereits mit Zahlen hinterlegt waren. Weiterhin waren u.a. die Kosten für Sozialversicherungsleistungen, Lohnnebenkosten, Lohnfolgekosten etc.

zu verpreisen.

Die Angebote waren ausschließlich nach Ziffer 3.2 der Bewerbungsbedingungen elektronisch abzu- geben.

Nach Ziffer 4.11 der Bewerbungsbedingungen sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzu- lässig.

Weiter ist unter Ziffer 5 von den Bietern u.a. die Erklärung verlangt, dass diese über einen geson- derten Creditreform-Bonitätsindex verfügen müssen. Auf gesondertes Verlangen ist ein entspre- chender Nachweis zu führen.

Gemäß Ziffer 6.3 der Bewerbungsbedingungen ist der Preis das alleinige Zuschlagskriterium.

In dem Leistungsverzeichnis ist u.a. nach Ziffer 1.3 vorgegeben:

„Die Flächenverzeichnisse resp. die Kalkulationsdatenbanken sind Excel-Dateien, welche sämtliche zu reinigenden Räume, den Bodenbelag, die Fensterflächen sowie die Reinigungsfrequenzen be- schreibt.

Die Kalkulationsdatenbanken dienen dem Bieter zur Kalkulation der Angebotspreise.

Bitte beachten Sie, dass Sie ausschließlich die farbig markierten Felder ausfüllen müssen.

Hierzu sind zunächst Angaben zum maßgeblichen Stundensatz (blaue Felder) und dann zur jeweils veranschlagten Leistung (Fläche pro Stunde) zu machen (gelbe Felder). Soweit diese Felder bereits Werte enthalten, sind diese ausschließlich zur Verdeutlichung vorhanden. Ein Realitätsbezug ist nicht beabsichtigt.“

Der Geschäftsführer der Antragstellerin führte am 12.02.2019 ein Telefonat. Mit E-Mail vom selben Tage nahm die Antragstellerin auf dieses Telefonat Bezug. Sie wolle nochmals, wie angekündigt, schriftlich über ihr Problem informieren. Sie bemängelte, dass die Kalkulationstabellen bereits mit Zahlen hinterlegt seien. Entsprechend des Ausschreibungstextes seien diese willkürlich gewählt. Bei dem mit der Antragsgegnerin geführten Telefonat habe diese ihr mitgeteilt, dass die in den Kalkula- tionstabellen enthaltenen Beträge nur zu überschreiben seien. Sie könne dieser Verfahrensweise jedoch nicht zustimmen, da dies gegen die Vorgaben in den Vergabeunterlagen verstoßen würde.

Danach seien Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig.

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Weiterhin halte sie die Abforderung eines Bonitätsindex für nicht gerechtfertigt. Es handele sich bei der Vergabe um eine Dienstleistung. Bonitäten seien für die Erfüllung der ausgeschriebenen Leis- tung nicht erforderlich.

In dem Bekanntmachungstext sei weiterhin angegeben, dass monatlich eine Gesamtfläche von ca.

210 m² zu reinigen sei. Diese Angabe stimme mit den Kalkulationsblättern nicht überein.

In der E-Mail hatte die Antragstellerin nicht darauf hingewiesen, dass an einigen Stellen in der Aus- schreibung auf das Jahr 2017 Bezug genommen worden sei.

Die Antragsgegnerin überarbeitete daraufhin die Vergabeunterlagen und stellte diese auf der Verga- beplattform den Bewerbern am 12.02.2019 zur Verfügung. Sie führte weiterhin aus, dass die auszu- füllenden Zellen in den Kalkulationstabellen in der Voreinstellung mit dem Wert „1“ versehen seien.

Dieser Wert sei von ihr willkürlich gewählt. Die Bieter hätten diese durch ihre eigenen kalkulatorisch ermittelten Preise zu ersetzen. Die Antragsgegnerin hatte die Tabellen „Std.-Spezifikation zur Glas- reinigung“, „Std.-Spezifikation zur Grundreinigung“ und „Std.-Spezifikation zur Unterhaltsreinigung“

mit der Zeile „Tariflohn Stand 01.01.2016“ bzw. „Tariflohn Stand 01.01.2017“ vorgegeben. Hierauf bezogen hatten die Bieter die Höhe der entsprechenden Tariflöhne anzugeben.

Die Bonitätsprüfung sei nicht mehr zwingend erforderlich und habe keinen Einfluss auf die Ange- botsprüfung.

Im Übrigen handele es sich um eine monatliche Gesamtreinigungsfläche von 210.000 m².

Die Antragstellerin rügte per E-Mail am 24.03.2019, dass die Vorgabe „Tariflohn Stand 01.01.2017“

in den überarbeiteten Vergabeunterlagen nicht aktuell sei. Die Bieter müssten ihre zu kalkulierenden Stundensätze auf der Grundlage eines gesetzlich abgelaufenen Tariflohnes anbieten. Ebenso wür- den die prozentualen Angaben zu den Sozialversicherungsleistungen nicht dem Stand von 2019 entsprechen. Die von der Antragsgegnerin verlangte Kalkulation führe dazu, dass die Mitarbeiter nicht auskömmlich entlohnt werden könnten.

Weiterhin werde der ermittelte Stundenverrechnungssatz nicht in die einzelnen Dateien für die Ob- jektkalkulation übernommen. Der Wert bliebe konstant in der Höhe, wie er von der Antragsgegnerin in den Tabellen vorgegeben worden sei.

Eine fristgerechte Abgabe des Angebots bis zum 25.03.2019, 13:00 Uhr sei ihr deshalb nicht mög- lich. Schließlich habe sie bereits am 12.02.2019 auf die fehlerhaften Vergabeunterlagen hingewie- sen.

Bei der Antragsgegnerin gingen fristgerecht vier Angebote ein. Die Antragstellerin gab kein Angebot ab.

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Die Antragstellerin reichte mit Datum vom 28.03.2019 einen Nachprüfungsantrag bei der zuständi- gen Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt ein. Sie hat darin ihr bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft.

Sie habe mit Beginn der Erarbeitung ihres Angebots am 22.03.2019 feststellen müssen, dass die Angaben zu den Tariflöhnen nicht aktuell seien. Die Antragstellerin sei davon ausgegangen, dass die am 12.02.2019 versandten Unterlagen von der Antragsgegnerin überarbeitet worden seien. Sie habe bereits zu diesem Zeitpunkt telefonisch beanstandet, dass an einigen Stellen in der Ausschrei- bung immer auf das Jahr 2017 Bezug genommen worden sei.

Trotz mehrfacher Versuche sei es ihr insoweit nicht möglich gewesen, die Antragsgegnerin am 22.03.2019 zu kontaktieren. Am 24.03.2019 habe die Antragstellerin die Antragsgegnerin gebeten, die bestehenden Unzulänglichkeiten in den Vergabeunterlagen zu überarbeiten und den Einrei- chungstermin für die Angebote entsprechend zu verlängern.

Die Antragsgegnerin habe ihr sodann am 25.03.2019 mitgeteilt, dass sie in den Kalkulationstabellen die aktuellen gesetzlichen Tariflöhne eintragen solle. Es sei der Antragstellerin jedoch aufgrund der Kürze der Zeit nunmehr nicht möglich gewesen, den Einreichungstermin für ihr Angebot einzuhalten.

Sie habe versucht, in Form einer Notvariante ihr Angebot rechtzeitig elektronisch zu übermitteln.

Dies sei jedoch wegen der Datenmenge und eines schwachen Internets misslungen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Nichtigkeit der Ausschreibung festzustellen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren zu wiederholen.

Die Antragsgegnerin stellte keinen eigenen Antrag.

Sie ist dem Vorbringen der Antragstellerin entgegengetreten.

Mit Schriftsatz vom 05.07.2019 hat die Vergabekammer die Antragstellerin angehört.

Die Vergabekammer hat darin ausgeführt, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei. Die Antrag- stellerin habe der Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht ordnungsgemäß entsprochen.

Mit Schriftsatz vom 17.07.2019 hat die Antragstellerin hierzu Stellung genommen. Sie vertritt die Auffassung, dass die Vergabekammer verpflichtet sei, aufgrund der gravierenden Vergabeverstöße

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das Vergabeverfahren von Amts wegen aufzuheben. Angesichts der unzutreffenden Angaben in den Vergabeunterlagen seien die Bieter gehindert gewesen, ein rechtskonformes Angebot abzugeben.

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass das Vergabeverfahren ein erhebliches Wertvolumen zum Gegenstand habe.

Sie ist weiter der Ansicht, dass sie vor dem Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe und damit recht- zeitig gerügt habe. Sie meint außerdem, dass ihr Akteneinsicht zu gewähren sei.

Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie die vorgelegte Vergabeakte Bezug genommen.

Der Vorsitzende hat die Frist zur Entscheidung der Vergabekammer letztmalig bis zum 16.08.2019 verlängert.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist nicht zulässig.

1. Zuständigkeit

Gemäß § 156 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) veröffentlicht im BGBl. I, 1998, Nr. 59, S. 2568 ff., neugefasst durch Bekanntmachung vom 15.07.2005, BGBl. I, 2005, Nr. 44, S. 2114 ff., zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.08.2017, BGBl. I, 2017, S. 3295, i.V.m. der Richtlinie über die Einrichtung von Vergabekammern in Sachsen-Anhalt (RdErl. des MW LSA vom 04.03.1999 – 63 - 32570/03, veröffentlicht im MBl. LSA Nr. 13/1999 S. 441 ff., zuletzt geändert durch RdErl. des MW vom 08.12.2003 – 42-32570/03, veröffentlicht im MBl. LSA Nr.

57/2003, S. 942) i.V.m. d. gem. Geschäftsordnung d. VgK (Bek. des MW vom 17.04.2013 – 41- 32570-17, veröffentlicht im MBl. LSA Nr. 14/2013) ist die 2. Vergabekammer des Landes Sachsen- Anhalt für die Nachprüfung des vorliegenden Vergabeverfahrens örtlich zuständig.

Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber gem. § 99 Nr. 1 GWB.

Der maßgebliche Schwellenwert von 221.000 Euro i.S. des § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist für dieses Vorhaben überschritten.

2. Antragsbefugnis

Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Nach § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB

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durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Un- ternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Die Antragstellerin hat an dem streitgegenständlichen Auftrag ihr Interesse bekundet. Allein die Tat- sache, dass sie dieses Nachprüfungsverfahren betreibt, erfüllt unter den gegebenen Umständen die Voraussetzungen der vorgenannten Norm.

Weiterhin hat sie eine Verletzung in ihren Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht (§ 160 Abs. 2, Satz 1 GWB). Sie hat weiter vorgebracht, dass ihr durch die Miss- achtung der vergaberechtlichen Bestimmungen die Möglichkeit genommen worden sei, ein ord- nungsgemäßes Angebot abzugeben. Sie habe somit keine Chance, den Auftrag zu erhalten. Damit hat sie hinreichend dargelegt, dass ihr durch Verletzung von Vergabevorschriften möglicherweise ein Schaden drohe (§ 160 Abs. 2, Satz 2 GWB).

3. Rüge

Die Antragstellerin ist ihrer Rügeobliegenheit nicht ordnungsgemäß nachgekommen.

Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Antrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrages erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat.

Die Antragstellerin beanstandet u.a., dass die Antragsgegnerin in den überarbeiteten Vergabeunter- lagen den Bietern vorgegeben habe, die Stundensätze auf der Grundlage eines gesetzlich abgelau- fenen Tariflohnes zu kalkulieren. Dieses Vorbringen ist i.S. der vorgenannten Vorschrift präkludiert.

Die Antragstellerin hat diesen Vergabeverstoß erst in ihrem zweiten Rügeschreiben vom 24.03.2019 vorgebracht. Ihr Geschäftsführer hatte dies nicht in dem Telefonat mit der Antragsgegnerin vom 12.02.2019 thematisiert. Nach ihrem eigenen Vorbringen im Nachprüfungsantrag hat sie dort ledig- lich in allgemeiner Form darauf hingewiesen, dass an einigen Stellen in der Ausschreibung immer auf das Jahr 2017 verwiesen werde. Diese Aussage bezog sich auf die ursprünglichen, noch nicht überarbeiteten Unterlagen. Unabhängig hiervon hat sie sich in ihrer E-Mail von diesem Tage aus- drücklich auf dieses Telefonat berufen und ausgeführt, dass sie die Antragsgegnerin nochmals schriftlich über ihr Problem informieren wolle. Diese Formulierungen lassen den Schluss zu, dass sie in ihrer E-Mail den Inhalt des Telefonats noch einmal zusammenfassen wollte. Die E-Mail enthält aber keine Ausführungen über die Kalkulation der Stundensätze. In ihrer Rüge vom 24.03.2019 be- zieht sie sich auf die neue Kalkulationsdatenbank. Sie hat darin nicht zum Ausdruck gebracht, dass

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sie bereits in dem Telefonat vom 12.02.2019 mit der Antragsgegnerin über die fehlerhaften Angaben zu den Tariflöhnen gesprochen habe.

Die Antragstellerin erlangte die nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB grundsätzlich erforderliche positive Kenntnis von den von ihr geltend gemachten Vergabeverstößen eventuell erst, nachdem sie am 22.03.2019 abschließend ihr Angebot erstellen wollte. Eine positive Kenntnis ist jedoch ausnahms- weise entbehrlich, wenn die Unkenntnis des Bieters nur als ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Erkenntnis des Vergabeverstoßes gewertet werden kann. Dies wird auch dann angenommen, wenn es der Bieter vorwerfbar versäumt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er Kenntnis von den Vergabeverstößen erlangen kann (vgl. BGH vom 26.09.2006; Az X ZB 14/06; OLG Naum- burg vom 14.12.2004; Az. 1 Verg 17/04; VK Bund vom 26.01.2006; Az.: VK 2 – 165/05; VK Lüneburg vom 08.01.2010; VgK-74/2009). So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin hat sich erst rund fünf Wochen nach Erhalt mit den überarbeiteten Vergabeunterlagen auseinandergesetzt. Sie war davon ausgegangen, dass die modifizierten Kalkulationstabellen komplikationslos zu bearbeiten seien (vgl.

Rügeschreiben vom 24.03.2019). Dies ist unter den gegebenen Umständen nicht vertretbar (VK Lüneburg a.a.O.). Aufgrund des im Vergabeverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes kann von einem Bieter erwartet werden, dass er die Unterlagen spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Eingang auf Verständlichkeit und Vollständigkeit prüft (Weyand, Vergaberecht, 4. Auf- lage, 2013, § 107 GWB Rn.785; OLG Rostock vom 06.03.2009; Az. 17 Verg 1/09; VK Sachsen vom 30.04.2008; Az. 1/SVK/020). Dies gilt in gleicher Weise, wenn der Auftraggeber die Unterlagen mo- difiziert und den Bietern erneut zur Verfügung stellt. Die Antragstellerin hatte es verabsäumt, eine entsprechende Kontrolle innerhalb des oben genannten Zeitraums vorzunehmen. Die Unterlagen enthielten in den Kalkulationstabellen die Vorgabe, die Stundensätze aufgrund eines Tariflohns mit Stand vom 01.01.2016 (Glasreinigung) bzw. mit Stand vom 01.01.2017 (Unterhaltsreinigung) zu kal- kulieren. Bei früherer Durchsicht der Unterlagen hätte sich der Antragstellerin unmittelbar auf den ersten Blick aufdrängen müssen, dass diese Vorgaben nicht aktuell sind. Ebenso hätte sie bemerken müssen, dass die Angaben der Sozialversicherungsleistungen fehlerhaft waren. Gleiches gilt für die vermeintlichen Übertragungsfehler innerhalb der Excel-Tabellen. Die Antragstellerin war auch auf- grund der Korrektur der Vergabeunterlagen gehalten, sich vom Funktionieren der Excel-Routine zu überzeugen. Die vorliegenden Vergabeunterlagen lassen erkennen, dass eine entsprechende Kon- trolle mit keinem großen Aufwand verbunden ist.

Die erst am 24.03.2019 erhobene Rüge war deshalb verspätet. Gemäß § 160 Abs. 3 S.1 Nr. 1 GWB beträgt die Rügefrist zehn Kalendertage nach Kenntnis der behaupteten Vergabeverstöße. In die- sem Zusammenhang ist für den Beginn der laufenden Frist auf den 26.02.2019 abzustellen. Wie erwähnt, wäre die Antragstellerin gehalten gewesen, bis zu diesem Zeitpunkt die überarbeiteten Vergabeunterlagen zu sichten (zwei Wochen nach Erhalt). Danach hat sie sich der Erkenntnis der Vergabeverstöße verschlossen. Dies ist mit einer entsprechenden Kenntnis i.S. des § 160 Abs. 3

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S.1 Nr. 1 GWB gleichzusetzen. Bei dieser Sachlage hat sie die o.g. Rügefrist nicht eingehalten. Sie hätte die behaupteten Vergabeverstöße bis zum 08.03.2019 (zehn Kalendertage nach dem 26.02.2019) gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen müssen.

Die Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB wird im Übrigen nicht etwa durch § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB verdrängt. Bei der erstgenannten Vorschrift handelt es sich vielmehr um einen Grundtatbestand, der allumfassend in jeder Phase des Vergabeverfahrens gilt. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB stellt daher keine lex specialis zu Satz 1 Nr. 1 dar. Die Vorschriften gelten somit kumulativ (vgl. Beck’scher Vergaberechtskommentar, GWB, 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 160 Rn. 57). Vor die- sem Hintergrund war es der Antragstellerin verwehrt, bis zum Ende der Angebotsfrist abzuwarten, um ihre Rügeobliegenheit zu erfüllen.

Am 25.03.2019 (morgens) hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin auf die Rüge vom 24.03.2019 mitgeteilt, in welcher Weise diese die entsprechenden Tabellen ausfüllen könne. Die Antragstellerin hatte im Nachprüfungsantrag geltend gemacht, dass es ihr aufgrund des kurz bevorstehenden Ab- laufs der Angebotsfrist (25.03.2019, 13:00 Uhr) nicht mehr möglich gewesen sei, ein Angebot zu erstellen. Dieser vermeintliche Vergabeverstoß hat in Bezug auf das übrige Vorbringen der Antrag- stellerin, das sich auf die Vergabeunterlagen bezog, eigenständigen Charakter. Die Antragstellerin versäumte, diesen Verstoß gegenüber der Antragsgegnerin zu rügen. Sie hat lediglich mit ihrer E- Mail vom 25.03.2019, 13:08 Uhr mitgeteilt, dass sie wegen des unzureichenden Internets außer Stande gewesen sei, das Angebot fristgemäß zu versenden. Soweit sie in der Rüge vom 24.03.2019 ausgeführt hatte, dass die Abgabefrist bis zum 25.03.2019 nicht einzuhalten sei, betrifft dies einen anderen Sachverhalt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Antragsgegnerin der Antragstellerin noch nicht mitgeteilt, dass fehlerhafte Werte lediglich überschrieben werden könnten.

Im Übrigen handelte die Antragstellerin treuwidrig. Sie hatte durch die verspätete Rüge selbst zu vertreten, dass die Antragsgegnerin erst kurz vor Ablauf der Angebotsfrist einen entsprechenden Hinweis geben konnte. Hierbei kann offenbleiben, ob dieser Hinweis vergaberechtskonform war.

Sofern die Antragstellerin der Auffassung ist, die Vergabekammer sei von Amts wegen gehalten, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschreibung aufgrund unzureichender Kalkulationsgrundla- gen aufzuheben, ist dies unzutreffend. Die Vergabekammer ist gehindert, die präkludierten Verga- berechtsverstöße gem. § 168 Abs. 1 S. 2 GWB aufzugreifen. Eine derartige Möglichkeit ist nach dem Wortlaut des § 160 Abs. 3 S.1 GWB nicht vorgesehen. Die vorgenannte Vorschrift würde ihren Sinn verlieren, wenn der Mangel trotz Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit in inhaltlicher Hinsicht von Amts wegen in das Verfahren eingeführt werden könnte. Eine entsprechende Vorgehensweise wäre im Übrigen mit dem Charakter des Primärrechtsschutzes als Individualrechtschutz nicht ver- einbar. Die Verletzung der Rügeobliegenheit führt zugleich zur materiellen Präklusion. Aufgrund des- sen ist der entsprechende Bieter mangels aktiver Wahrnehmung seiner subjektiven Rechte durch

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den vermeintlichen Vergabeverstoß nicht mehr in diesen beeinträchtigt. Dies gilt selbst dann, wenn ein besonders schwerwiegender Vergaberechtsverstoß vorliegen würde. Bei anderer Betrachtungs- weise wäre im Übrigen die entsprechende Einstufung eines Vergaberechtsverstoßes mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden (vgl. OLG Naumburg vom 18.08.2011; Az: 2 Verg 3/11, VK Sachsen vom 04.04.2018, Az: 1/SVK/004-18).

Die Antragstellerin hatte schließlich in ihrer ersten Rüge vorgebracht, dass die versandten Kalkulationstabellen bereits ausgefüllt und mit Zahlen hinterlegt seien. Dies hat die Antragstellerin nicht mehr zum Gegenstand ihres Nachprüfungsantrages gemacht. Unabhängig hiervon stellt es keine Abänderung der Vergabeunterlagen dar, wenn die Bieter diese Werte überschreiben. Die Antragsgegnerin hat vielmehr dies ausdrücklich in ihrer E-Mail vom 12.02.2019 zugelassen. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin dieser Rüge abgeholfen (Reinigungsfäche, Bonitätsindex).

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin keine Akteneinsicht gewährt, da der Nachprüfungsantrag unzulässig ist. Sie verfügt über alle Unterlagen, die notwendig sind, um die fallentscheidenden Rechtsfragen (Zulässigkeit des Antrags) zu beurteilen.

Auf eine mündliche Verhandlung wurde nach § 166 Abs. 1 S. 3 Alt. 3 GWB verzichtet, weil allein aufgrund der Aktenlage die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages erfolgen musste. Eine an- dere Bewertung hätte sich auch nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erge- ben können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GWB. Nach dieser Vorschrift hat ein Beteiligter die Kosten (Gebühren und Auslagen) zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt, mithin die Antragstellerin. Sie ist mit ihrem Begehren nicht durchgedrungen.

Rechtsgrundlage für die Bemessung der Höhe der Gebühren ist § 182 Abs. 2 S. 1 GWB. Die Höhe der Gebühren bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfah- rens.

Als Grundlage für die Bemessung des wirtschaftlichen Wertes dient der Vergabekammer der Ange- botspreis des Bestbieters. Nach der Gebührenformel der Vergabekammer ergibt sich ein Richtwert von XXX Euro inklusive der Mindestgebühr gem. § 182 Abs. 2 S. 1 GWB in Höhe von 2.500,00 Euro zuzüglich XXX Euro für die entstandenen Auslagen. Es besteht keine Veranlassung, von diesem Richtwert abzuweichen.

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Nach § 182 Abs. 4 S. 1 GWB hat die Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidi- gung oder Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu tragen.

IV.

Die ehrenamtliche Beisitzerin, Frau XXX, hat den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin der Vergabekammer ermächtigt, den Beschluss allein zu unterzeichnen. Ihr lag dieser Beschluss hierzu vor.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Entscheidung kann das Oberlandesgericht Naumburg, Domplatz 10, 06618 Naumburg, innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung dieser Entscheidung beginnt, schriftlich angerufen werden.

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen.

Die Beschwerde muss die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, sowie die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt, enthalten.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

XXX XXX

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