A318 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 8⏐⏐20. Februar 2009
A K T U E L L
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) steht erstmals in der Ge- schichte vor unbefristeten Streiks ih- rer knapp 2 000 Ärztinnen und Ärz- te. Die bundesweite Arbeitskampf- maßnahme in den rund 100 Rehakli-
niken und Verwaltungen der Deut- schen Rentenversicherung soll am 26. Februar beginnen. Dies gab der Marburger Bund (MB) bekannt.
„Seit über einem Jahr reichen wir der DRV vergeblich unsere Hand für Tarifverhandlungen, um die ärztli- chen Arbeitsbedingungen zu verbes- sern. Die Betonkopfpolitik der Ren- tenversicherung lässt uns jetzt keine andere Wahl, als Arbeitskampfmaß- nahmen durchzuführen“, erklärte der Zweite Vorsitzende des MB, Dr.
med. Andreas Botzlar.
Die Ärztegewerkschaft fordert ei- ne „deutliche Erhöhung“ der Ärzte- einkommen bei der DRV. Leit- währung sollen die arztspezifischen Tarifverträge des MB sein. Zudem müsse der „Tarifwirrwarr“ bei der Rentenversicherung beendet wer- den, indem einheitliche Arbeits- und Einkommensbedingungen für alle Ärzte geschaffen werden. Weitere Forderungen sind eine bessere Be- wertung der Bereitschaftsdienste, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und flexiblere Arbeitszeiten.
Nach MB-Angaben verdient ein Facharzt in einer DRV-Klinik ak- tuell bis zu 13,5 Prozent weniger als sein Kollege in einem kommu- nalen Krankenhaus. Arbeitet der Facharzt in der DRV-Verwaltung, steigt der Unterschied auf bis zu 19 Prozent.
„Die Rentenversicherung schnei- det sich ins eigene Fleisch, wenn sie ihre Mediziner zu Ärzten zwei- ter Klasse degradiert. Wer die Zei- chen der Zeit nicht erkennt, wird den Wettbewerb im hart umkämpf- ten Klinikmarkt nicht bestehen“, sagte Botzlar und kündigte „not- falls auch langwierige Streikmaß-
nahmen“ an. JF
HAUTTUMORZENTREN
Erste Zertifizierung für Uniklinik Heidelberg
Die Universitätshautklinik Heidel- berg hat im Januar 2009 als erste Hautklinik in Deutschland das offi- zielle Gütesiegel als zertifiziertes Hauttumorzentrum erhalten. Die Zertifizierung wurde nach den Qua- litätsanforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft vorgenommen und stellt unter anderem sicher, dass ei- ne Mindestzahl von 450 Tumorpati- enten im Jahr nach internationalem Standard behandelt wird.
Eine wichtige Voraussetzung für dieses Prädikat ist, dass die Patien- ten Zugang zu einer interdiszipli- nären Versorgung haben. „Im Rah- men des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Heidelberg fin- den wöchentlich gemeinsame Kon- ferenzen mit anderen Fachdiszipli- nen statt“, erklärt Prof. Dr. med.
Helmut Näher, der Koordinator des Hauttumorzentrums. „Dort klären wir mit Chirurgen, Strahlenthera- peuten, internistischen Onkologen, Radiologen und anderen Fachleuten ab, welche Therapie die beste im Einzelfall ist.“ Zudem kümmern sich eine als Psychoonkologin ge- schulte Ärztin sowie eine Sozialar- beiterin um die Patienten. zyl DEUTSCHE RENTENVERSICHERUNG
Marburger Bund kündigt Streiks an
Bereit für den Arbeitskampf:
Bei der Ur- abstimmung im Januar hatten 93,5 Prozent der Mitglieder für den Streik gestimmt.
Foto:ddp
STAMMZELLEN: TÖDLICHES ERWACHEN DURCH INTERFERON
Der Immunbotenstoff Interferon alpha erweckt
„schlafende“ Blutstammzellen im Knochen- mark und macht sie dadurch für die Wirkung vieler Medikamente angreifbar. Auch Tumor- stammzellen lassen sich so zur Teilung anre- gen und für die Behandlung mit Zytostatika sensibilisieren, vermuten Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums um Prof.
Andreas Trumpp, Marieke Essers und Kollegen aus Lausanne (Nature doi:10.1038/nature 07815). Der Dauerschlaf ist ein Schutzme- chanismus der Stammzellen: Erstens bewah- ren sie so ihr Erbgut vor Genveränderungen, die sich vor allem während einer Zellteilung er- eignen. Darüber hinaus entgehen sie im Schlaf auch der Attacke vieler Zellgifte, die nur bei Mitose wirken. Bislang war unbekannt, welche Signalmoleküle die Stammzellen aktivieren. In- terferon alpha wird von Immunzellen ausge-
schüttet, wenn der Organismus von Bakterien oder Viren bedroht wird. Die Wissenschaftler induzierten die Interferonproduktion bei Mäu- sen, denen sie eine Substanz verabreichten, die den Tieren eine Virusinfektion vortäuschte.
Daraufhin kam es zu einem starken Anstieg der Teilungsrate der Blutstammzellen.
Das Prinzip wurde bei Leukämiepatienten bestätigt Einen weiteren Beweis für die Wirkung des In- terfon alpha erzielten die Forscher mit dem Wirkstoff 5-Fluorouracil (5-FU), der häufig bei Brust- und Darmkrebs eingesetzt wird: Schla- fende Stammzellen sind resistent gegen das Medikament, das seine Wirkung nur während der Mitose entfaltet. Erhalten die Tiere jedoch vor der 5-Fluorouracil-Behandlung Interferon alpha, so sterben sie nach kurzer Zeit an Blut-
armut. Der Grund dafür: Durch die Interferon- Vorbehandlung wurden die ruhenden Stamm- zellen in die Zellteilung gezwungen und damit für die 5-FU-Wirkung sensibilisiert und abge- tötet. Daher stehen nach kurzer Zeit keine Stammzellen mehr zur Verfügung, die Nach- schub an kurzlebigen reifen Blutzellen wie Erythrozyten und Thrombozyten liefern.
Eine klinische Beobachtung weist bereits dar- auf hin, dass sich dieser Wirkmechanismus mög- licherweise für die Onkologie nutzen lässt: Patien- ten, die an dem Blutkrebs chronische myeloische Leukämie leiden und mit Imatinib (Glivec®) be- handelt werden, erleiden nach Absetzen des Medikaments fast immer Rückfälle. Einigen Er- krankten wurde jedoch vor der Therapie Inter- feron alpha verabreicht. Diese Patienten erlebten überraschenderweise lange rezidivfreie Phasen
ohne jegliche Medikation. EB