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er Medizinische Dienst der Kran- kenkassen beabsichtigt, sich an der gesundheitspolitischen Dis- kussion zur Integrierten Versorgung zu beteiligen. Im Rahmen der Jahresta- gung der MDK-Gemeinschaft stellte sich Ende Januar ihre sozialmedizini- sche Expertengruppe „Versorgungs- strukturen“ (SEG-3) mit dem Thema„Perspektiven integrierter Ver- sorgung“ vor. Der eher positiv gefärbte Tenor der Diskussion war, dass durch das In-Kraft- Treten des GKV-Modernisie- rungsgesetzes (GMG) mit dem
§ 140 ff. ein größerer Gestal- tungsspielraum für die Vertrags- partner entsteht. Die Anschubfinan- zierung, die der Gesetzgeber durch Ab- zug von Gesamtvergütungs- und Kran- kenhausbudgetanteilen von maximal einem Prozent eingeführt hat, soll dazu beitragen, entsprechende Modelle zu entwickeln und zu etablieren. Medizi- nische Versorgungszentren (MVZ) wer- den die Versorgungslandschaft im am- bulanten Sektor nachhaltig ändern, zum Beispiel durch die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Ver- sorgung. Das MVZ wird als ein „Modell der Zukunft“ bezeichnet.
Klinische Behandlungspfade
Die Erstellung von Behandlungs- pfaden für die Integrierte Versorgung, die wesentliche Elemente des Qua- litätsmanagements und der evidenzba- sierten Medizin beinhalten, wird als un- erlässlich angesehen. Klinische Pfade stellen Potenziale zur Ergebnisverbes- serung dar, um Doppelleistungen zu vermeiden. Ein standardisiertes Vorge- hen sollte für jeden Vertragspartner bindend sein. Dieses Vorgehen kann nur dann dem Patienten gerecht wer-
den, wenn die individuellen Gegeben- heiten berücksichtigt werden.
Die Techniker Krankenkasse (TK) ist mit dem Aufbau eines integrierenden Modells für ihre Versicherten pragma- tisch vorgegangen. Die Motivation des Patienten zur Teilnahme an der Inte- grierten Versorgung wird als ein zentra- ler Erfolgsfaktor für die Weiterentwick-
lung neuer Versorgungsformen angese- hen. Der Patient muss überzeugt werden, sich von den ihm bekannten, konventio- nellen Versorgungsstrukturen zu lösen, um sich in innovative Versorgungspro- zesse zu begeben. Auch der Mehrwert und Nutzen der Integrierten Versorgung, insbesondere die Qualitätsverbesserung, muss für den Patienten eindeutig erkenn- bar sein. Eventuelle Ängste vor einer ra- tionierten Medizin müssen genommen werden. Das Vorgehen der TK bestand darin,die Angebote von Leistungserbrin- gern zu sichten. Allerdings gab es weni- ger konkrete und umsetzbare Angebote als erwartet. Viele Konzepte enthielten wenig neue Ansätze, waren lokal ausge- richtet, primär ökonomisch orientiert, und die Erfolgsmessung war unzurei- chend dargestellt. Nur diejenigen Kon- zepte der Leistungserbringer erhielten eine Chance, die nachweislich „viele“ Pa- tienten der TK „erfolgreich“ behandelt hatten. Die Umsetzung der Integrations- versorgung erfordert neue interne Lö- sungen für organisatorische Fragestel- lungen. So sind die Sachbearbeiter seit Monaten bis zu 80 Prozent ihrer Arbeits- zeit mit Aufgaben des logistischen Auf- baus beschäftigt, wie mit internen Pro-
zessen, Abrechnungen, Datenannahme, Qualitätssicherung.
Der Münchner Gesundheitsökonom Prof. Dr. rer. pol. Günter Neubauer setzt auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Gesundheitswesen, das durch Definitions- und Qualitäts- transparenz von Leistungseinheiten und Leistungswettbewerb um Versicherte und Patienten verbessert werde. Dies seien die Instrumente, um die Wirt- schaftlichkeit zu verbessern. Das Ziel müsse der Qualitätswettbewerb der Kassen sein. Zur Lösung der Konflikte von „Qualität und Ausgaben“ werden sich immer häufiger Krankenversiche- rungen und Leistungserbringer zu In- teressensgemeinschaften zusammen- schließen, die mit anderen Interessens- gemeinschaften in Leistungswettbe- werb treten. Der alte Konflikt zwischen den Leistungserbrin- gern als Vertreter der Qualität und den Krankenkassen als Ver- treter der Ökonomie müsse in ei- nem produktiven Leistungswett- bewerb von Interessensgemein- schaften um Versicherte und Pa- tienten umgeleitet werden. Ob dies wirklich ein Weg sein kann, der sich durchsetzen wird, wird sich zeigen.
Resümee der Tagung: Der Aufbau der Integrierten Versorgung braucht Zeit. Im Jahr 2004 wurden erste Erfah- rungen der Integrierten Versorgung ge- sammelt. Im Laufe des Jahres 2005 ist mit einer dynamischen Entwicklung zu rechnen. Die Integrierte Versorgung wird nicht die Regelversorgung erset- zen, aber ergänzen können. Ihr späterer Anteil an der Regelbetreuung wird je- doch auf zehn Prozent eingeschätzt. Er wird möglicherweise steigen, unter- stützt durch die technische Vernetzung mittels der Patientenakte. Kooperation und Arbeitsteilung werden einen höhe- ren Stellenwert bekommen.
Die bis Ende 2006 befristete An- schubfinanzierung und Wettbewerbs- vorteile für die neuen Versorgungsfor- men sollen diese so attraktiv machen, dass sie nach einiger Zeit den Anspruch erheben können, neben der bisherigen Regelversorgung zu stehen. Erfolgrei- che Konzepte werden Vorbildcharakter haben und werden sich auch durch Etablierung von Nachahmer-Modellen durchsetzen. Dr. med. Annegret Schoeller P O L I T I K
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A1564 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 22⏐⏐3. Juni 2005