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undesweit leiden nach Schätzun- gen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) rund vier Millionen Menschen an einer Depressi- on. 15 Prozent der Betroffenen mit ei- ner schweren Depression begehen Sui- zid; 25 Prozent versuchen, sich umzu- bringen. Soweit müsste es vielleicht gar nicht erst kommen, würde die Versor- gung verbessert. Von den 60 bis 70 Pro- zent der Betroffenen, die sich in ambu- lanter Behandlung befinden, werden nur 30 bis 35 Prozent korrekt diagnosti- ziert; ausreichend behandelt werden ge- rade sechs bis neun Prozent. Diese Zah- len und Einschätzungen legte Dr. med.Frank Bergmann, Vorsitzender des Be- rufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN), bei der Pressekonferenz zum Integrierten Versorgungsmodell De- pression in Aachen vor.
In der Region Aachen will man künf- tig andere Wege gehen: Die Probleme beim Übergang vom ambulanten in den stationären Bereich und umgekehrt sol- len entfallen. Die Versorgung soll struk- turiert und intensiviert, die Qualität der Behandlung verbessert und Wartezeiten sollen verringert werden. Weiter sollen die Erkennungsraten verbessert, Ar- beitsunfähigkeitstage gesenkt sowie die Verweildauer im Krankenhaus redu- ziert werden. Dazu haben sich das Uni- versitätsklinikum Aachen, der BVDN, die DGPPN, die Hausärzte in Aachen sowie eine Reihe gesetzlicher Kranken- kassen (AOK Rheinland, DAK, IKK Nordrhein, Kaufmännische Kranken- kasse, Landwirtschaftliche Krankenkas- se) zu dem Modellprojekt Integrierte Versorgung (IV) Depression Aachen zusammengeschlossen. Der Vertrag zu dem bundesweit bislang einmaligen Projekt wurde am 3. Februar in Anwe- senheit von Bundesgesundheitsministe- rin Ulla Schmidt unterschrieben. Die
Ministerin betonte, sie sei „stolz, dass der erste Versorgungsvertrag in meiner Heimatstadt gestartet wird“. Wenn sich das Aachener Modell bewährt, soll es Vorbildcharakter für Integrationsver- träge auch in anderen Regionen und für andere psychische Erkrankungen haben.
Nicht eingebunden in das Projekt sind allerdings ärztliche und Psychologi- sche Psychotherapeuten der Region.
Das erstaunt, denn nach Angaben der niedergelassenen Psychotherapeutin Ellen Kreft-Mäuz hat es Anfragen sei- tens der Aachener Psychotherapeuten gegeben, die auch im
„Bündnis gegen Depres- sion Aachen“ engagiert sind. Zu den genauen Gründen wollte sich sei- tens der derzeitigen Ver- tragspartner niemand konkret äußern. Die Psy- chotherapeuten könnten jedoch „in einem näch- sten Schritt als Koope- rationspartner mitma- chen“, stellte Wilfried Jacobs, Vorstandsvorsit- zender der AOK Rhein- land, in Aussicht.
Um die Qualität der Versorgung der derzeit eingeschriebenen 350 Pa-
tienten zu sichern, solle die Behandlung nach den Leitlinien der DGPPN und der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft- lich Medizinischer Fachgesellschaften erfolgen, erklärte Prof. Dr. med. Frank Schneider, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen. Als wei- tere Elemente sind Qualitätszirkel für Haus- und Fachärzte, zertifizierte Fort- bildung sowie klinische Fallkonferen- zen vorgesehen. Das Universitätsklini- kum bietet durch die 24-Stunden-Er-
reichbarkeit eine flexible Versorgung an. Die Patienten werden dadurch auch im Krisenfall versorgt. Weitere Vortei- le: eine Schwerpunktstation Depressi- on mit einem multidisziplinären Team sowie spezialisierte Diagnostik. In dem IV-Modell sollen auch psychoedukati- ve Gruppen angeboten werden, und es soll gezielter an Psychotherapeuten überwiesen werden. Für die Patienten erhofft sich Schneider mehr Zufrie- denheit durch die koordinierte Be- handlung und einen höheren Therapie- erfolg.
Der erhoffte Nutzen für die Patien- ten war auch für die beteiligten Kassen Hauptgrund, diesen IV-Vertrag zu fi- nanzieren. „Lange Krankheitswege im Medizinbetrieb sind für uns der Anlass für solche Verträge“, erklärte Jacobs stellvertretend für die beteiligten Kran- kenkassen. 600 000 Euro werden für das Aachener Projekt zunächst zur Verfü- gung gestellt. Jacobs erhofft sich von der aufeinander abgestimmten Behandlung eine Senkung der Krankenhauseinwei-
sungen und dadurch geringere Kosten.
Allerdings: „Sollte der ökonomische Benefit nicht erreicht werden, reicht uns auch die verbesserte Behandlung.“ Der Abkoppelung vom wirtschaftlichen Nutzen stimmte auch Ulla Schmidt zu.
Sie will grundsätzlich das im Koalitions- vertrag zwischen CDU/CSU und SPD festgelegte Konzept der Integrierten Versorgung als zukunftsweisend fortset- zen und kündigte eine Verlängerung der Anschubfinanzierung für derartige Ver- träge bis 2008 an. Petra Bühring P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 7⏐⏐17. Februar 2006 AA381
Integrierte Versorgung
Qualitätsgesichertes Netz
In der Region Aachen startet das bundesweit bislang einmalige Integrierte Versorgungsmodell Depression.
Vertreter von Fachgesellschaften und Krankenkassen unterschrei- ben in Anwesenheit von Ulla Schmidt den Kooperationsvertrag.
Foto:Universitätsklinikum Aachen