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Archiv "Koalitionsvertrag: Zeit der Worthülsen" (18.11.2005)

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ranz Müntefering, der zukünftige Bundesarbeitsminister, ließ sich bei der Präsentation des Koalitionsver- trags nicht beirren: „Ich bin zufrieden mit dem, was wir hinbekommen haben.

Ob wir wirklich gut sind, das müssen wir im Handeln beweisen“, erklärte er am 12. November in Berlin vor Journali- sten. Das gilt ganz besonders für den Bereich Gesundheit: Auf eine Finanzie- rungsreform der Kranken- und der Pflegeversicherung konnten sich die Unterhändler von SPD und CDU/CSU nicht einigen. Diese Arbeit vertagten sie auf das nächste Jahr. „Wir standen vor der Frage, ob wir einen Schnell- schuss machen oder ob wir das Vorha- ben solide diskutieren“, begründete Müntefering dieses Vorgehen.

Wohin die Reise gehen könnte, ver- raten die Parteien in ihrer Koalitions- vereinbarung allerdings nicht. Dort überwiegen im Kapitel Gesundheit die Worthülsen. Von den Forderungen der SPD im Eckpunktepapier, das die gemeinsame „Arbeitsgruppe Gesund- heit“ als Entwurf für den Koalitionsver- trag erstellte, ist nicht viel übrig geblie- ben. Darin schlug die SPD in Anleh- nung an ihre Pläne für eine Bürgerver- sicherung vor, eine Versicherungs- pflicht für alle einzuführen. Dabei soll- ten Beamte und Selbstständige ein Wahlrecht für die private Krankenver- sicherung (PKV) erhalten. Zudem for- derten die Sozialdemokraten, die Mit- versicherung von Kindern in der Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) künftig aus Steuermitteln zu finanzie- ren. Beitragsfrei mitversicherte Ehegat- ten, die weder Kinder erziehen noch An- gehörige pflegen, sollten einen eigenen pauschalen Beitrag zahlen, wenn die Ein- künfte des anderen Ehepartners die Bei- tragsbemessungsgrenze überschritten.

In der endgültigen Fassung des Koali- tionsvertrags strichen Union und SPD

solch konkrete Absichtserklärungen.

„Erforderlich ist ein Konzept, das dau- erhaft die Grundlage für ein leistungs- fähiges, solidarisches und demographie- festes Gesundheitswesen sichert“, heißt es lediglich.

Insgesamt beansprucht der Bereich Gesundheit im Koalitionsvertrag nur elf von 191 Seiten und enthält viel Schwam- miges. Die Prävention soll in einem neu- erlichen Anlauf zur eigenständigen Säu-

le der gesundheitlichen Versorgung aus- gebaut werden, eine „Konzertierte Ak- tion Demenz-Behandlung“ wird als not- wendig erachtet. Um Krebs und Herz- Kreislauf-Erkrankungen zurückzudrän- gen, werden „wir die vorhandenen Er- fassungssysteme optimieren, vernetzen und im Bedarfsfall ergänzen“.

GOÄ im Blickpunkt

An anderer Stelle werden die Koali- tionäre allerdings deutlicher, vorzugs- weise da, wo es um Einsparungen geht.

So heißt es im Abschnitt „ärztliche Ver- sorgung“: „Es wird eine Behandlungs- pflicht zu bestimmten Gebührensätzen für privatversicherte Personengruppen,

wie zum Beispiel Beihilfeberechtigte und Standardtarifversicherte, sowohl bei wahlärztlichen Leistungen in Kran- kenhäusern als auch bei ambulanten Leistungen niedergelassener Ärzte ge- schaffen. Die dafür vorgesehenen abge- senkten Gebührensätze werden in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) verbindlich verankert.“

Als dieser Passus erstmals während der Koalitionsgespräche durchsickerte,

hatte ihn Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe umgehend kritisiert. „Die Ab- senkung des Gebührenrahmens der GOÄ würde den Ärzten noch deut- licher vor Augen halten, welch niedri- gen Stellenwert der in Klinik und Pra- xis geforderte hohe Arbeitseinsatz des Arztes bei der Politik hat“, betonte der Präsident der Bundesärztekammer.

Hoppe warnte zudem, die heckenschnitt- artige Herabsetzung der GOÄ-Ho- norarsätze führe zu einer Bedrohung von Arztpraxen und Krankenhäusern:

„Der Abbau weiterer Arbeitsplätze, In- vestitionsausdünnung, Innovationsstau und letztlich Praxisschließungen wären die Folge.“

Generell treten die Koalitionäre dafür ein, das ärztliche Vergütungssy- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 46⏐⏐18. November 2005 AA3147

Koalitionsvertrag

Zeit der Worthülsen

Was das Gesundheitswesen von der großen Koalition erwarten darf, bleibt noch hinter vagen Formulierungen verborgen. Erst 2006 soll es um eine Finanzierungsreform gehen.

Ernste Mienen trotz termingerechter Arbeit: Matthias Platzeck, Franz Müntefering, Angela Merkel und Edmund Stoiber (von links) berichten Journalisten, was auf 191 Seiten des Koali- tionsvertrags von SPD und Union steht. Trotz seines Umfangs ist vieles offen geblieben.

Foto:dpa

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stem fortzuentwickeln und zu verein- fachen, wobei das Augenmerk dabei auf „Pauschalvergütungen, kombiniert mit Einzelvergütungsmöglichkeiten für spezielle Leistungen“ gelegt werden soll.

Für ambulante Leistungen in Kranken- häusern und Praxen sollen vergleichbare Vergütungen geschaffen werden.

Die Kassenärztliche Bundesvereini- gung (KBV) hatte sich bis zum Redak- tionsschluss noch nicht ausführlich zum Koalitionsvertrag geäußert. Im KBV- Vorstand wird jedoch die Meinung ver- treten, dass eine Reform der ärztlichen Vergütung für Behandlungen in der GKV nicht im Alleingang der Politik über die Bühne gehen wird: „Wenn eine große Koalition solche Pläne realisieren will, wird sie auf die Kompetenz der Sebstverwaltung zurückgreifen“, sagte KBV-Vorstand Ulrich Weigeldt. Positiv

bewertet werden von der KBV die Pas- sagen im Vertrag, in denen es um die Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit geht, beispielsweise um die Verbesserung der Anstellungsmöglich- keiten bei und von Vertragsärzten, die Flexibilisierung der Bedarfsplanung und die Möglichkeit, in Praxis und Kli- nik zu arbeiten. Details fehlen auch hier allerdings.

In dem Abkommen zwischen SPD und Union ist zur Gesundheit unter anderem auch Folgendes festgehalten:

> Die Zielsetzungen des GKV-Mo- dernisierungsgesetzes sollen noch kon- sequenter verfolgt werden, darunter die Intensivierung des Wettbewerbs. So wird die Anschubfinanzierung der Inte- grierten Versorgung bis zum 1. Januar 2008 verlängert.

> Bei Arzneimitteln sind Einschrän- kungen geplant: die Gewährung von Naturalrabatten wird ausgeschlossen, die Preise für Arzneimittel dürfen zwei Jahre lang nicht erhöht werden, Generi- kapreise werden zugunsten der GKV um fünf Prozent gesenkt.

> Bei der Praxisgebühr ist eine Er- leichterung für die Ärztinnen und Ärz- te vorgesehen: Zahlungsverweigerern sollen in Zukunft die Gerichtskosten im Fall einer erfolglosen Mahnung aufer- legt werden.

> Die zweijährige Übergangsrege- lung für das Arbeitszeitgesetz, in der die Tarifpartner ihre Vereinbarungen mit den Krankenhausärzten an das Ur- teil des Europäischen Gerichtshofs zur Bereitschaftszeit anpassen sollten, wird um ein Jahr verlängert. Diesen Pas- sus haben die Koalitionäre im Ab- schnitt „Reformen im Arbeitsrecht“

versteckt. „Ich prophezeie der neuen Kanzlerin einen ungewollt heißen Herbst, wenn die Bundesregierung die vorgesehene Umsetzung des Arbeits- zeitgesetzes erneut aufschiebt“, hatte Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende des Marburger Bun- des, schon während der Koalitionsver- handlungen gedroht.

Einig sind sich Union und SPD, pri- vat Versicherten bei einem Kassen- wechsel innerhalb der PKV die Mitnah- me ihrer Altersrückstellungen zu er- möglichen. Darüber hinaus soll über- prüft werden, „ob und wie eine Über- tragung der Altersrückstellungen auch bei Versicherten erfolgen kann, die von einer privaten zu einer Gesetzlichen Krankenversicherung wechseln“.

Wie für die GKV, wird auch für die gesetzliche Pflegeversicherung erst im nächsten Jahr über eine große Finanzre- form diskutiert. Überraschend einigten sich Union und SPD schon jetzt darauf, zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostruktur einen Finanzausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pfle- geversicherung einzuführen. Dies dürf- te die Prämien der privaten Pflegeversi-

cherung in die Höhe treiben. Zudem konstatieren die künftigen Koalitionä- re, dass eine Ergänzung des bisherigen Umlageverfahrens in der gesetzlichen Pflegeversicherung durch kapitalge- deckte Elemente als Demographie- reserve notwendig sei. Ein entsprechen- des Gesetz soll bis Sommer 2006 vorge- legt werden.

Überraschende Einigung auf Föderalismusreform

Schneller als erwartet hatten sich die künftigen Koalitionäre auf eine Fö- deralismusreform geeinigt. Bereits An- fang nächsten Jahres will die große Koalition ein Gesetz zur Neuordnung des Bundesstaates in den Bundestag einbringen. Der Entwurf der Koaliti- onsarbeitsgruppe zur Föderalismusre- form beinhaltet bereits den Wortlaut der Gesetze, die zur Umsetzung der Reform geändert oder erlassen werden müssten. Deutliche Umstrukturierun- gen sind im Bereich Bildung und For- schung geplant: Hierfür sollen näm- lich fast ausschließlich die Länder zuständig sein. Die Rahmengesetzge- bungskompetenz des Bundes wird ab- geschafft.

Politiker verschiedener Parteien so- wie Verbände zeigten sich überrascht über die schnelle Einigung. Denn gera- de der Streit über die Bildung hatte ei- nen erfolgreichen Abschluss der Fö- deralismusgespräche im Dezember 2004 und Mai 2005 verhindert.

Die noch amtierende Bundesfor- schungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) malt die Zukunft – sollten die Beschlüsse von Union und SPD zur Fö- deralismusreform umgesetzt werden – düster: „Es droht eine Katastrophe für den Forschungsstandort Deutschland.“

Der Einfluss des Bundes werde nicht nur in der Bildungspolitik, sondern auch bei der Forschungsförderung stark beschnitten. Die designierte Bundes- bildungsministerin Annette Schavan (CDU) verteidigt dagegen die geplante Föderalismusreform. Die Stärkung der Länderkompetenzen bedauere sie nicht. Mehr Zentralismus sei kontra- produktiv.

Sabine Rieser, Samir Rabbata, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann P O L I T I K

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A3148 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 46⏐⏐18. November 2005

Kritik an der geplanten Föderalismusre- form weist die designierte Forschungs- ministerin Annette Schavan zurück: Es gebe keinerlei Indiz, dass die bisherige Rahmengesetzgebung das einzig geeig- nete Instrument sei.

Foto:dpa

Referenzen

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