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Archiv "Reform des Gesundheitswesens: Die Meinung der Ärzte" (19.09.1997)

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(1)

Leistungskatalog

Nach Auffassung von 90 Prozent der Antwortenden können Leistun- gen aus dem Leistungskatalog der Ge- setzlichen Krankenversicherung ge- strichen werden. Lediglich acht Pro- zent sehen keine Möglichkeit der Eingrenzung des Leistungskatalogs.

Ärztinnen lehnen Streichungen aus dem Leistungskatalog mit 13 Prozent häufiger ab als Ärzte, die mit sie- ben Prozent diese Möglichkeit ver- neinen.

Bei der Altersverteilung zeigt sich, daß die Antwortenden bis zu 35 Jahren Leistungsstreichungen zu 82 Prozent befürworten, in der Gruppe der 35- bis 40jährigen zu 88 Prozent und in den Altersgruppen über 40 Jahre zwischen 91 und 94 Prozent. Niedergelassene Ärzte sehen zu 93 Prozent die Möglichkeit von Streichungen im Leistungskata- log, während Krankenhausärzte die- se Möglichkeit mit 86 Prozent ange- ben.

Ist die bestehende Selbst- beteiligung zumutbar?

Die Frage, ob die bestehende Selbstbeteiligung zumutbar ist, wur- de zu einem Zeitpunkt gestellt, als weder die gesetzlich vorgeschriebe- nen Erhöhungen der Zuzahlungen zum 1. Januar 1997 noch die als Folge

des zweiten NOG vom 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Erhöhungen der Selbstbeteiligung galten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Änderungen in der Selbstbetei-

ligung zu einer anderen Auffassung geführt hätten. Zum Zeitpunkt der Umfrage jedoch, November 1996, schätzten 90 Prozent der Antworten- den die bestehenden Selbstbeteili- gungsregelungen als zumutbar ein.

Neun Prozent hielten die bestehende Selbstbeteiligung für nicht zumutbar.

Ähnlich wie bei der Frage nach mög- lichen Streichungen aus dem Lei- stungskatalog sehen jüngere Ärzte die Selbstbeteiligungsregelungen et- was weniger häufig als zumutbar an als ältere Ärzte. Die Unterschiede

sind jedoch gering: 87 Prozent bis 91 Prozent.

Auch in dieser Frage gibt es Un- terschiede zwischen niedergelassenen Ärzten und Ärzten im Krankenhaus:

niedergelassene Ärzte sehen mit 92 Prozent, Krankenhausärzte mit 87 Prozent die Selbstbeteiligung als zumutbar an. Die Auswertung nach Fachgebieten bei niedergelassenen Ärzten ergab keine wesentlichen Un- terschiede.

Selbstbeteiligung ausdehnen?

Auf die Frage, ob die Selbstbetei- ligung ausgedehnt werden sollte, ant- worteten 67 Prozent mit „ja“, wäh- rend 31 Prozent diese Möglichkeit ab- lehnen. Auch bei dieser Frage zeigt sich, daß Ärzte bis 35 Jahre die Aus- dehnung der Selbstbeteiligung mit 58 Prozent weniger häufig befürwor- ten als alle anderen Altersgruppen, die mit ihren bejahenden Antworten

zwischen 66 Prozent und 70 Prozent nur eine geringe altersspezifische Streuung aufweisen.

Die Ausdehnung der Selbstbetei- ligung wird von Ärzten aus unter- schiedlichen Tätigkeitsbereichen dif- ferenziert gesehen (Grafik 1).Auf die Frage „Wie soll die Selbstbeteiligung ausgedehnt werden?“ hielten 39 Pro- zent eine weitere Ausdehnung nicht für sinnvoll. 15 Prozent halten eine Erhöhung der Selbstbeteiligung für die bereits jetzt mit Zuzahlungen vor- gesehenen Leistungen für notwendig.

A-2400 (36) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 38, 19. September 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Reform des Gesundheitswesens

Die Meinung der Ärzte

Ergebnisse einer Leserumfrage (II); Themen heute:

„Leistungskatalog, Selbstbeteiligung, Rationierung“

Fritz Beske, Johannes F. Hallauer, Axel Olaf Kern

Auf die Leserumfrage „Wo würden Sie reformieren?“ (Heft 44/1996) hatten mehr als 4 500 Leserinnen und Leser geantwortet. Die Veröffentlichung der Ergebnisse, die vom Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel ausgewertet wurden, hat mit Heft 36/1997 begonnen. Berichtet wurde über die Auffassungen zum Thema Rationalisierung. In der 2. Mitteilung werden nunmehr die Ergebnisse zu den Themen Leistungskatalog, Selbstbeteiligung und Rationierung vorgestellt.

Grafik 1

Ausdehnung der Selbstbeteiligung (nach Tätigkeitsbereichen)

niedergelassene Praxis 72,1%

Krankenhaus 61,7%

Reha-/Kureinrichtung 50,8%

pharmazeutische Industrie 78,1%

Öffentlicher Gesundheitsdienst 51,4%

sonstige Bereiche 58,2%

72,1%

61,7%

50,8%

78,1%

51,4%

58,2%

(2)

Eine Selbstbeteiligung für Leistun- gen, die bisher nicht von Zuzahlungen betroffen sind, befürworten 20 Pro- zent. 26 Prozent treten dafür ein, so- wohl die bestehenden Selbstbeteili- gungen zu erhöhen als auch den Be- reich der Leistungen mit Zuzahlun- gen auszuweiten.

Rationierung findet heute schon statt

In der Leserumfrage wurde Ra- tionierung als die Zuteilung von le- benswichtigen medizinischen Gütern und Dienstleistungen definiert. Bei dieser Definition sind 59 Prozent der Auffassung, daß bereits heute Ratio- nierung im Gesundheitswesen statt- findet. 41 Prozent verneinen dies.

Grafik 2 zeigt die Einschätzung von Rationierung in verschiedenen Altersgruppen. Danach ist die Auf- fassung, daß es bereits heute Ratio- nierung gibt, am ausgeprägtesten in der Altersgruppe bis unter 35 Jahre mit 72 Prozent.

Eine schon heute vorhandene Ra- tionierung wird von Ärzten aus ver- schiedenen Tätigkeitsbereichen unter- schiedlich gesehen. Ärzte im Öffentli- chen Gesundheitsdienst bejahen diese Frage mit 55 Prozent, niedergelassene Ärzte mit 57 Prozent, Ärzte im Kran- kenhaus mit 63 Prozent, Ärzte aus der Pharmaindustrie mit 67 Prozent und Ärzte aus Rehabilitations- und Kur- einrichtungen sogar mit 75 Prozent.

Nach Auffassung von 42 Prozent kann Rationierung vermieden wer- den. 58 Prozent meinen, daß Ratio-

nierung nicht mehr vermieden wer- den kann. Altersunterschiede sind bei dieser Frage nur gering ausgeprägt.

Ist Rationierung trotz Rationalisierung unvermeidbar?

Für 70 Prozent der Antworten- den ist eine Rationierung im Gesund- heitswesen auch bei Ausschöpfung al- ler Rationalisierungsmaßnahmen un- vermeidbar. Lediglich 30 Prozent hal- ten Rationierung durch Ausnutzung von Rationalisierungsreserven für vermeidbar. Die Auswertung nach Altersgruppen zeigt Grafik 3.Nieder- gelassene Ärzte sehen Rationierung mit 72 Prozent als unvermeidbar an.

Krankenhausärzte sind zu 68 Prozent der Auffassung, daß Rationierung trotz Rationalisierung unvermeidbar ist.

Fazit

Die Mehrheit der Ärzte, die sich an der Leserumfrage beteiligt haben, ist mit 90 Prozent der Auffassung, daß es möglich ist, Leistungen aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung zu streichen.

Für die in Gang gekommene Dis- kussion über die Neudefinition des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung ist diese Auf- fassung der Ärzteschaft sicher von Bedeutung.

Die zum Zeitpunkt der Fra- gestellung im November 1996 gelten- de Selbstbeteiligungsregelung wurde von ebenfalls 90 Prozent als zumutbar angesehen. Jüngere Ärzte sehen dies etwas seltener als ältere Ärzte, nie- dergelassene Ärzte stimmen häufiger zu als Ärzte im Krankenhaus. Eine Erhöhung der Selbstbeteiligung, die inzwischen durch den Gesetzgeber zweimal verordnet wurde, sehen zwei Drittel als sinnvoll an. Die Zustim- mung ist jedoch gegenüber dem Vor- schlag, Leistungen aus dem Lei- stungskatalog der Gesetzlichen Kran- kenversicherung zu streichen, oder der Zustimmung zur jetzigen Selbst- beteiligungsregelung geringer ausge- prägt.

Die Diskussion wird weitergehen

Nachdenklich stimmt die von 59 Prozent getroffene Feststellung, daß bereits heute Rationierung im Gesundheitswesen stattfindet. Diese

A-2401 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 38, 19. September 1997 (37)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Grafik 2

Schon heute vorhandene Rationierung (nach Altersgruppen)

bis unter 35 Jahre 72,0%

35 bis unter 40 Jahre 63,9%

40 bis unter 50 Jahre 60,7%

50 bis unter 60 Jahre 52,1%

60 bis unter 65 Jahre 49,6%

65 Jahre und älter 54,0%

72,0%

63,9%

60,7%

52,1%

49,6%

54,0%

Grafik 3

Rationierung ist trotz Rationalisierung unvermeidbar (nach Altersgruppen)

bis unter 35 Jahre 63,7%

35 bis unter 40 Jahre 67,9%

40 bis unter 50 Jahre 68,5%

50 bis unter 60 Jahre 74,1%

60 bis unter 65 Jahre 70,6%

65 Jahre und älter 74,1%

63,7%

67,9%

68,5%

74,1%

70,6%

74,1%

(3)

D

as Saarland und die angren- zende Pfalz wurden in der zweiten Märzhälfte 1945 von amerikanischen Streitkräften besetzt. Die meisten staatlichen und kommunalen Dienststellen waren zu dieser Zeit nicht mehr funktionsfähig.

Die Wiederingangsetzung der Ver- waltung unter Kontrolle der Militär- regierung begann von unten her;

zunächst wurden kommissarische Bürgermeister und Landräte einge- setzt. Am 4. Mai 1945 wurde dann der Saarbrücker Rechtsanwalt Dr. Hans Neureuter mit dem Aufbau einer saarländischen Zivilverwaltung unter der Bezeichnung „Regierungspräsidi- um Saarbrücken“ beauftragt. Schon wenige Tage später bestellte er den in Saarbrücken niedergelassenen Fach- arzt Dr. Albert von Brochowski zum kommissarischen Vorsitzenden der Ärztlichen Bezirksvereinigung Saar in Saarbrücken.

Nachdem Mitte Mai 1945 das Regierungspräsidium Saarbrücken dem neu errichteten Oberpräsidium Mittelrhein-Saar in Neustadt (Wein- straße) unterstellt worden war, wurde

von Brochowski zum Referenten für ärztliche Angelegenheiten in der Ab- teilung Gesundheitswesen des Ober- präsidiums ernannt und gleichzeitig zum kommissarischen Vorsitzenden der noch bestehenden Ärztekammer Westmark bestellt. Als dann von Bro- chowskis Vorgesetzter in Neustadt,

Dr. Mitscherlich, als Leiter der Ge- sundheitsabteilung des Oberpräsidi- ums zurücktrat, wurde von Brochow- ski dessen Nachfolger unter Beibehal- tung seiner Funktionen in Saar- brücken.

Das Saarland wurde Mitte Juli 1945 stufenweise ausgegliedert. Weni-

A-2402 (38) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 38, 19. September 1997

B U N D E S A R Z T E K A M M E R. .

1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel (XI)

Der saarländische Sonderweg

Unter dem „saarländischen Sonderweg“ zur Bundesrepu- blik Deutschland und zur Bundesärztekammer ist die Zeit von 1947 bis 1957 beziehungsweise 1959 zu verstehen, als das Land an der Saar, losgelöst vom ehemaligen Reich und von der Bundesrepublik Deutschland, Staatsgebilde mit eigener Verfassung in französischer Wirtschafts- und

Währungsunion war. Aber schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war dieser Sonderweg vorgezeich- net: mit der Trennung des Saarlandes von der Pfalz und mit der Auslösung der Ärztlichen Bezirksvereinigung Saar beziehungsweise der Ärztekammer Saar aus der bis dahin bestehenden „Ärztekammer Westmark“.

Franz Carl Loch Wolfgang Loris

Bisher sind in dieser Serie erschienen:

Thomas Gerst: Föderal oder zentral? – Der kurze Traum von einer bundeseinheitlichen ärztlichen Selbst- verwaltung (Heft 38/1996)

Gerhard Vogt: Arzt im Krankenhaus (Heft 45/1996)

Hedda Heuser-Schreiber: Ärztinnen in Deutschland – Fakten, Beobachtungen, Perspektiven (Heft 1–2/1997) J. F. Volrad Deneke: Körperschaften und Verbände – streitbare Verwandte (Heft 4/1997)

Klaus-Ditmar Bachmann, Brigitte Heerklotz: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekam- mer (Heft 10/1997)

Marilene Schleicher: Die ärztliche Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland (Heft 14/1997) Jürgen W. Bösche: Die Reichsärztekammer im Lichte von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundesre- publik Deutschland (Heft 21/1997)

Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (I) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 26/1997) Horst Dieter Schirmer: Ärzte und Sozialversicherung (II) – Der Weg zum Kassenarztrecht (Heft 27/1997) Franz Carl Loch, P. Erwin Odenbach: Fortbildung in Freiheit – Gestern und heute: Eine Hauptaufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung (Heft 33/1997)

Einschätzung ist bei jüngeren Ärzten stärker ausgeprägt als bei älteren Ärz- ten. Konsequenterweise halten auch 59 Prozent Rationierungsmaßnah- men für unvermeidbar.

Dieser Eindruck von Ärzten zur Rationierung steht im Widerspruch zur gesundheitspolitischen Diskussi- on, die es bisher vermieden hat, über Rationierung im Gesundheitswesen zu diskutieren. Dies kann mit ein

Grund dafür sein, daß 70 Prozent der Auffassung sind, daß Rationierung auch trotz Rationalisierungsmaßnah- men nicht vermieden werden kann.

Die Ergebnisse machen deut- lich, wie dringend eine ehrliche und öffentliche Diskussion über das The- ma Rationierung im Gesundheitswe- sen ist. Ärzteschaft und Gesundheits- politik werden der Frage, wie mit der Rationierung umgegangen werden soll, nicht länger ausweichen kön- nen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2400–2402 [Heft 38]

Anschrift der Verfasser

Prof. Dr. med. Fritz Beske, MPH Dr. med. Johannes F. Hallauer Axel Olaf Kern, Dipl.-Volkswirt, Dipl.-Betriebswirt (BA)

Institut für Gesundheits-System- Forschung Kiel

Weimarer Straße 8 24106 Kiel

Fortsetzung der Leserumfrage

!

(4)

ge Tage später übergab die US-Ar- mee das von ihr besetzte linksrheini- sche Reichsgebiet an die französische Besatzungsmacht. Der erste französi- sche Militärbefehlshaber für das Saar- land – noch nicht Colonel Gilbert Grandval, der spätere „Hohe Kom- missar“, sondern General Morlière – verfügte wenige Tage danach die Aus- gliederung des Regierungspräsidiums Saarbrücken aus dem Zuständigkeits- bereich des Neustadter Oberpräsidi- ums. Praktisch begann damit die Aus- gliederung aus dem „Reich“.

Von Brochowski behielt auf Wunsch der für die Pfalz zuständigen französischen Militärregierung seine Funktionen als Abteilungsleiter Ge- sundheitswesen beim Oberpräsidium und als kommissarischer Vorsitzender der Ärztekammer Westmark. In die- ser seiner zweiten Funktion hielt er Verbindung mit dem Regierungsprä- sidenten in Saarbrücken. Er selbst berichtete später, daß es damals bei den unzulänglichen Verkehrsverbin- dungen und den eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten sehr schwer gewesen sei, Amtspflichten in diesen zwei Städten gleichzeitig zu er- füllen.

Militärregierung und Zivilbehör- den stimmten überein, daß die Wie- derherstellung der ärztlichen Versor- gung der Bevölkerung eine der vor- dringlichsten Aufgaben sein müsse.

Damit verbunden war die Reorgani- sation sowohl des Versicherungswe- sens als auch der Ausübung des Arzt- berufes. Schon im Juni 1945 hatte von Brochowski mit der Ausarbeitung diesbezüglicher Verordnungstexte begonnen. Diese Aufgabe führte er auch nach der Verselbständigung des Regierungspräsidiums Saar weiter. Er strebte an, die gleichen Texte etwa zur selben Zeit in beiden Verwaltungsbe- zirken – Oberpräsidium Neustadt und Regierungspräsidium Saar – in Kraft setzen zu lassen. In Neustadt konnte er dies erreichen; am 25. Oktober 1945 erschien dort eine Niederlas- sungsverordnung für Ärzte. Seine Verhandlungspartner im Regierungs- präsidium Saar – die Leiter der Abtei- lungen Justiz, Sozialversicherung und Gesundheitswesen – empfahlen auf- grund ihrer Erfahrungen mit den rela- tiv langen Bearbeitungszeiten der hie- sigen Militärregierung, einen kürze-

ren Text vorzulegen und weitere Tex- te dann im Abstand einiger Wochen folgen zu lassen.

Die Bildung der

„Ärztekammer Saar“

Entsprechend den Saarbrücker Wünschen und Empfehlungen legte von Brochowski am 24. September 1945 einen ersten knappen Entwurf vor. Dessen § 1 lautete: „Die bisherige Ärztliche Bezirksvereinigung Saar bleibt als selbständige Vertretung des saarländischen Ärztestandes unter der Bezeichnung ,Ärztekammer Saar‘

bestehen.“ Diese Formulierung zeigt deutlich ein Anknüpfen an die über- kommene Struktur: Die seit 1936 in

Saarbrücken vorhandene Ärztliche Bezirksvereinigung sollte zu einer Ärztekammer aufgewertet werden.

Dies wurde aber in Saarbrücken, ent- weder vom Regierungspräsidium oder von der Militärregierung, deren Section Santé publique von Colonel Dr. René Springer geleitet wurde, nicht gewünscht. (Durch die Hoch- schulkurse am Landeskrankenhaus Homburg, an deren Einrichtung er maßgeblichen Anteil hatte, wurde Dr.

Springer später einer der Väter der 1948 gegründeten Landesuniversität.) Eine Umfirmierung der bisherigen Bezirksvereinigung wollte man also nicht, wohl aber deren Funktions- nachfolge, und man formulierte daher sophistisch: Die Ärztekammer Saar übernimmt die Aufgaben und Befug- nisse der bisherigen Ärztlichen Be- zirksvereinigung Saar.

Am 30. Oktober 1945 unterzeich- nete Regierungspräsident Neureuter als Chef der damaligen saarländi-

schen Zivilverwaltung eine „Verord- nung über die vorläufige Regelung der Ausübung der Heilkunde im Saargebiet“ und ließ sie am 13. No- vember im Amtsblatt seines Regie- rungspräsidiums veröffentlichen.

In § 1 dieser Verordnung heißt es:

„Zur Vertretung der Ärzte und Zahnärzte im Saargebiet wird eine Ärztekammer errichtet. Sie wird die Bezeichnung ,Ärztekammer Saar‘

führen und ihren Sitz in Saarbrücken haben.“ Diese Verordnung war in ih- rer Ausführung sehr kurz und umfaß- te nur 14 Paragraphen, gegliedert in drei Abschnitte:

I. Ärzte und Zahnärzte II. Sonstige Heilberufe

III. Beziehungen zu den Ver- sicherungsträgern.

In der Reichsärzteordnung von 1935 hatte der Abschnitt über die Ärztekammer 32 Paragraphen ge- zählt. Ein inhaltlicher Vergleich bei- der Texte zeigt eine starke Anlehnung der Verordnung von 1945 an das ältere Reichsgesetz, unter anderem die Zusammenfassung der Ärzte, Zahnärzte und Dentisten in einer Kammer – was im Saarland heute noch Bestand hat. Neu waren die Ein- gliederung der Dentisten in den Zahnärztestand – in der Bundesrepu- blik und an der Saar 1952 per Gesetz vollzogen – und die Organisation der Kassenärztlichen Vereinigung inner- halb der Ärztekammer, deren Vorsit- zender zugleich Leiter der Kas- senärztlichen Vereinigung ist.

Eine wichtige Bestimmung fehlte damals, nämlich die Charakterisie- rung der Ärztekammer Saar als Kör- perschaft des öffentlichen Rechts.

Dies war allerdings nur ein Versehen;

sie wurde rechtzeitig zu einem späte- ren Zeitpunkt nachvollzogen.

Die personelle Zusammenset- zung der neuen Kammer nach der Ver- ordnung vom 30. Oktober 1945 regelte

§ 3: „Die Mitglieder der Aerztekam- mer, der Vorstand und der Vorsitzende des Vorstandes werden bis zum Erlaß einer Wahlordnung vom Regierungs- präsidenten berufen.“ In den ersten Januartagen 1949 legte Dr. von Bro- chowski, dem bereits zuvor die Funkti- on des Leiters der Ärztekammer über- tragen wurde, dem Regierungspräsi- denten seine Vorschläge für ein acht- zehnköpfiges Gremium vor, bestehend A-2404 (40) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 38, 19. September 1997

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

Die Präsidenten der Ärztekammer des Saarlandes

Dr. Albert von Brochowski 1945–1950

Geheimer Sanitätsrat Dr. Max Obé 1950–1962

Sanitätsrat Dr. Herbert Micka 1962–1986

Sanitätsrat Prof. Dr. Franz Carl Loch seit 1986

(5)

aus dem Vorsitzenden, einem Vertre- ter der beamteten Ärzte, zwei Vertre- tern der Krankenhausärzte, je einem Vertreter der in den Kreisen niederge- lassenen Ärzte, einem Vertreter der Assistenzärzte, dem Vorsitzenden der Abteilung Zahnärzte innerhalb der Ärztekammer und vier weiteren Ver- tretern der Zahnärzte und Dentisten.

Die Militärregierung bestand dar- auf, vor der Ernennung einzelner Per- sonen den Ausgang der Entnazifizie- rung der saarländischen Ärzte abzu- warten. Nachdem die politische Über- prüfung abgeschlossen war, berief dann der Regierungspräsident am 19.

Februar 1946 die Mitglieder der Ärzte- kammer Saar, darunter eine Frau. Nun etablierte sich auch die Geschäftsstelle der Ärztekammer, vorläufig in einem kleinen Büro in den Räumen der Arzt- praxis Dr. Gadomski in der Saar- brücker Rosenstraße.

Mit dem Fortschreiten des Demo- kratisierungsprozesses wuchs die Un- geduld über die in Aussicht gestellte Wahl der Mitglieder der Ärztekam- mer. Richard Kirn, zwischenzeitlich Leiter der Direktion für Arbeit und Wohlfahrt innerhalb der Verwaltungs- kommission, erließ am 20. Mai 1947 ei- ne diesbezügliche Rechtsanordnung, die sich jedoch von ihrer Konzeption her als undurchführbar erwies.

Das Gesetz zur Änderung der Verordnung über die vorläufige Re- gelung der Ausübung der Heilkunde vom 30. Juni 1949 setzte die Zahl der Mitglieder der Ärztekammer auf 18 fest, hob die Rechtsanordnung vom 20. Mai 1947 förmlich auf und er- mächtigte den nun formell zum Ar- beitsminister berufenen Richard Kirn, eine Wahlordnung zu erlassen.

Schon am 31. August desselben Jah- res unterschrieb er die Wahlordnung.

Am 8. Januar 1950 fanden dann die ersten Wahlen zur Ärztekammer statt, am 26. Januar die Konstituieren- de Sitzung der neuen Kammer, die (den späteren Geheimen Sanitätsrat) Dr. Max Obé zum Vorsitzenden wähl- te. Die Amtszeit betrug vier Jahre, und Dr. Obé wurde ein zweites und drittes Mal wiedergewählt, so daß er bis 1962 den Vorsitz innehatte. Dr. Al- bert von Brochowski gehörte der Kammerversammlung ab 1950 nur noch als stellvertretendes Mitglied an.

Neben der erwähnten Verordnung

vom 30. Oktober 1945 erschienen noch im gleichen Jahr am 24. Dezem- ber eine Niederlassungsordnung und Richtlinien für die Anstellung von Ober- und Assistenzärzten an Kran- kenhäusern und Heilanstalten. Diese beiden Erlasse zusammen stellten ihrem Inhalt nach eine saarländische Ärzteordnung dar, und zwar eine sehr restriktive. Voraussetzung für die Ausübung eines Heilberufes im Saar- land waren die Eintragung in das Ärz-

teverzeichnis und die Erteilung einer Ermächtigungsurkunde. Beides war abhängig von einem etwas unbe- stimmt definierten Heimatrecht im Saarland, der sogenannten saarländi- schen Staatsangehörigkeit. Ein Aus- weis darüber (vgl. Abbildung)wurde denjenigen erteilt, die im Regierungs- bezirk Saar geboren beziehungsweise aufgewachsen waren oder am Tage der Antragstellung mindestens zehn Jahre ihren ständigen Wohnsitz im Saargebiet hatten. Die Ausstellung der Ermächtigungsurkunde konnte von dem Bestehen einer klinischen Prüfung abhängig gemacht werden.

Das Saarland – ein autonomer Staat

Eine Verfassunggebende Ver- sammlung verabschiedete mit großer Mehrheit eine saarländische Verfas- sung, die am 18. Dezember 1947, 17 Monate vor dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in Kraft trat, womit das Saarland ein autono- mer Staat geworden war, in Zoll- und Währungsunion mit Frankreich.

Ebenso war damit die An- gleichung saarländischen Rechts an französisches verbunden, besonders stark in den Sektoren Fi- nanzen und Wirtschaft, weniger dagegen im Ge- sundheitswesen.

Eine allgemeingehalte- ne Konvention über die Niederlassung der beider- seitigen Staatsangehörigen (Franzosen und Saarlän- der) und über die Aus- übung ihrer beruflichen Tätigkeit vom 3. März 1950 wurde für die Heilberufe spezifiziert in einer beson- deren Vereinbarung vom 1. Dezember 1951. Sie eröffnete keine großen Chancen für eine Nieder- lassung im Partnerstaat, sondern begrenzte die Zahl der jeweils im Nach- barland den Beruf als Arzt, Zahnarzt oder Hebamme Ausübenden auf fünf. Die Existenzgrundlage der saarländischen Ärzte wur- de also dadurch nicht tan- giert, andererseits aber auch in Heilberufen tätigen Saarlän- dern kein weiteres Betätigungsfeld in Frankreich erschlossen. Nur wenige saarländische Ärzte arbeiteten in französischen Kliniken, und noch we- niger konnten sich im lothringisch-el- sässischen Grenzbereich niederlassen;

einige mehr waren aber in den damali- gen französischen Kolonien tätig.

Seit 1950 setzte sich die Meinung durch, daß die Reichsärzteordnung weiterhin als geltendes Recht ange- wendet werden könne, mit der Aus- nahme der von nationalsozialisti- schem Gedankengut geprägten Ein- zelbestimmungen. So wurde mit Wir- A-2405 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 38, 19. September 1997 (41)

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

Als Beispiel: Personalpapiere eines der Koautoren

(6)

kung vom 1. Oktober 1950 die ärztli- che Berufsgerichtsbarkeit wieder her- gestellt. Erster Vorsitzender des Ärz- tegerichtshofes im Saarland wurde der damalige Präsident des Oberlan- desgerichts, Dr. Neureuter, der als Regierungspräsident fünf Jahre zuvor die vorläufige Verordnung über die Ausübung der Heilberufe erlassen hatte.

Wege und Umwege nach Europa

Die weitere politische Entwicklung im Sinne einer Europäisierung des Saarlan- des sollte durch eine

„Abstimmung“ der Bevöl- kerung des Saarlandes be- stätigt werden. Gemäß den Bestimmungen des Abkom- mens zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie- rung der Französischen Re- publik über das Statut der Saar vom 23. Oktober 1954, das nach Artikel 1 zum Ziel hatte, der Saar im Rahmen der Westeuropäischen Uni- on ein europäisches Statut zu geben, war die saarländische Bevölkerung zu fragen, ob sie mit dem von Bundes- kanzler Dr. Konrad Adenau- er und dem französischen Ministerpräsidenten Men-

dès-France unterzeichneten und vom Deutschen Bundestag und Bundesrat sowie vom französischen Parlament und vom französischen Senat ange- nommenen europäischen Statut, dem auch die Regierung des Saarlandes zugestimmt hatte, einverstanden sei.

Das Referendum fand am 23. Okto- ber 1955 statt. Die Saarländer, die schon einmal am 13. Januar 1935 dar- über abzustimmen hatten, ob das Land, das seit dem Versailler Frie- densvertrag von 1919 als Saargebiet unter französischer Zoll- und Währungshoheit existiert hatte, an Frankreich an- oder an Deutschland rückgegliedert werden sollte oder ob es bei dem „Status quo“ bleiben soll- te, stimmten auch diesmal mit Nein und lehnten das „Saarstatut“ ab.

Frankreich war damals mit der Rück-

gliederung an Deutschland einver- standen. Diese erfolgte daraufhin in zwei Stufen: die politische Vereini- gung am 1. Januar 1957, wodurch das Saarland 10. Bundesland wurde, aller- dings mit weiterhin französischer Zoll- und Währungsunion bis zum wirtschaftlichen Anschluß am 6. Juli 1959.

Dem Antrag der Ärztekammer Saar zur Aufnahme in die Arbeitsge- meinschaft der westdeutschen Ärzte- kammern (Bundesärztekammer) wurde am 8. August 1956 entspro- chen. Zunächst war sie nur als Gast zugelassen, abstimmungsberechtigt aber erst mit der politischen Einglie- derung des Saarlandes in die Bundes- republik Deutschland (1. Januar 1957).

Beginnend mit der zunächst nur wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1957 kam es dann zu großen Veränderungen.

Die verschiedenen nationalen Geset- ze mußten möglichst bald zusammen- wachsen, andererseits wurden in ver- schiedenen Bereichen Veränderun- gen erst später notwendig.

Errichtung der „Ärzte- kammer des Saarlandes“

Die knappe Gründungsverord- nung vom 30. Oktober 1945 war trotz ihrer Schwächen und Mängel bis 1957 gültig geblieben. Erst am 23. Februar 1957 beseitigte dann das Gesetz über die Errichtung der Ärztekammer des Saarlandes die noch bis dahin gelten- den Teile der Reichsärzteordnung.

Die einheitliche Vertretung der Ärz- te, Zahnärzte und Dentisten in einer einzigen Ärztekammer wurde beibe- halten, jedoch die verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Selbständigkeit der Gruppen innerhalb der Kammer verstärkt. Der inzwischen erfolgten Universitätsgründung wurde Rech- nung getragen, indem die Kammer um einen Vertreter der Medizinischen Fakultät erweitert wurde. Des weite- ren wurde die ärztliche Berufsge- richtsbarkeit neu gefaßt.

Ein wesentlicher Unterschied zur bisherigen Organisation ergab sich dadurch, daß die Kassenärztliche und die Kassenzahnärztliche Vereinigung selbständige Körperschaften des öf- fentlichen Rechts wurden. Die Wie- dereingliederung des Saarlandes in den Geltungsbereich des Grundgeset- zes der Bundesrepublik brachte zahl- reiche Änderungen bisher bestehen- den Rechts, auch mit Auswirkungen auf die Ausübung der Heilberufe; er- innert sei nur an die Niederlassungs- freiheit und die Wiederzulassung der Ersatzkassen.

Erst mit dem wirtschaftlichen Anschluß, der sogenannten „Rück- gliederung“ an Deutschland, wie es damals hieß, endete im Juli 1959 der

„saarländische Sonderweg“.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2402–2406 [Heft 38]

Anschrift der Verfasser Sanitätsrat

Prof. Dr. med. Franz Carl Loch Präsident der

Ärztekammer des Saarlandes Wolfgang Loris

Schriftleiter des

Saarländischen Ärzteblattes Faktoreistraße 4

66111 Saarbrücken A-2406 (42) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 38, 19. September 1997

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

Damals gab es eine saarländische Staatsbürgerschaft.

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