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Archiv "Gesundheitsversorgung: Medizin muss Kontrolle über sich selbst zurückgewinnen" (22.11.2013)

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A 2258 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 47

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22. November 2013

GESUNDHEITSVERSORGUNG

Medizin muss Kontrolle über sich selbst zurückgewinnen

Zu lange haben Nichtmediziner in der Gesundheitsökonomie Entscheidungen getroffen.

Es wird Zeit, dass sich dort auch die ärztliche Profession stärker engagiert.

V

erstärkt wird in den letzten Jah- ren über die zunehmende Öko- nomisierung im Gesundheitswesen diskutiert. Weitgehende Überein- stimmung herrscht darin, dass eine Verdrängung medizinischer Ziele durch Profitabilitätsziele der Medizin schadet. Der Patient und sein Arzt müssen bestimmen, wie zu behan- deln ist, und nicht derjenige, der den Arzt „managt“. Daraus den Schluss zu ziehen, dass man ökonomisches Wissen von den Ärzten fernhalten muss, wäre aber grundfalsch.

Im Gegensatz zur Medizin, die als Theorie in sich weitgehend ge- schlossen ist, sind die Wirtschafts- wissenschaften eher ein Konglome- rat verschiedener gedanklicher An- sätze. So hat etwa die neoklassische Preistheorie wenig mit der Steuer- lehre zu tun, diese wiederum wenig mit der Managementtheorie und so weiter. Wenn man also untersuchen möchte, ob die Wirtschaftswissen- schaften für die Medizin nützlich sind oder nicht, wird man ein- zelne dieser Wissenschaften für sich betrachten müssen.

Daher bieten sie aber auch ein reiches Instrumentari- um, das je nach Situation mehr oder weniger hilf- reich ist.

Volkswirtschaftliche Zusammenhänge erkennen

Die Mittel im Gesundheitswesen sind knapp und werden künftig noch knapper – jedenfalls nehmen die meisten Autoren das an. Daher ist eine Diskussion über die Verwen- dung dieser Mittel kaum zu vermei- den. Ärzte, die das entsprechende Vo- kabular und Instrumentarium nicht beherrschen, haben kaum Möglich- keiten, in diese Diskussion einzugrei-

fen oder überhaupt nur gehört zu wer- den. Derzeit etablieren sich gesund- heitsökonomische Arbeitskreise, die die Gesundheitspolitik maßgeblich beeinflussen, in denen Ärzte gar nicht vertreten sind.

Preismechanismus außer Kraft gesetzt

Weil die Versorgung mit le- benswichtigen Gütern hier- zulande nicht – wie in ande- ren Märkten – über den Preis rationiert werden soll, wird die medizinische Versorgung immer in erheblichem Umfang reguliert wer- den. Wenn sich jemand keinen Por- sche leisten kann, ist das in Ord- nung; aber er soll nicht aus Geldnot an einer Niereninsuffizienz sterben.

Deshalb ist der Preismechanismus, der andere Märkte reguliert und ra- tioniert, in der medizinischen Ver- sorgung bewusst außer Kraft gesetzt und muss durch andere Verteilungs- verfahren ersetzt werden. Daraus

folgt auch, nebenbei bemerkt, dass es niemals eine „endgülti- ge Gesundheitsreform“ geben wird, die alle Probleme löst.

Ökonomisch vorgebildete Ärz- te sind außerdem eher in der La- ge, zu erkennen und zu bewerten, an welchen Stellen im Gesund- heitswesen Ressourcen vergeudet werden. Für beides ist die aktuelle Diskussion um Qualitätssicherung ein gutes Beispiel. Einerseits scheint es ein gefährlicher Trend zu sein, wenn zunehmend Nichtärzte darüber entscheiden, was gute Qualität in der Medizin ist, etwa in Form von Kran- kenhausrankings. Zwar funktioniert die Messung noch nicht richtig, per- spektivisch könnte es aber durchaus darauf hinauslaufen, dass Nichtärzte mittels EDV-gestützter Auswertung Foto: mauritius images

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22. November 2013 A 2259 großer Datenmengen die Deutungs-

hoheit darüber gewinnen, was „rich- tige“ Medizin ist.

Andererseits könnte man durch- aus auch eine Kosten-Nutzen-Be- trachtung solcher Vorhaben einfor- dern, denn von außen betrachtet wirkt es, als suchten manche Quali- tätssicherer mit immer größerem Aufwand, aber mit einem zum Scheitern verurteilten Ansatz nach umfassenden Messinstrumenten –

„Allmachtsfantasien des Qualitäts- managements“ nannte dies kürzlich ein Mitglied des Gemeinsamen Bun- desausschusses. Zweifellos gibt es einzelne Diagnosen und Therapien, bei denen man sich geeignete Kenn- zahlen ausdenken kann, aber man kann sie nicht flächendeckend er- zwingen. Dabei werden Ressourcen eingesetzt, die in der eigentlichen medizinischen Versorgung fehlen.

Bisher hat noch niemand den ent- sprechenden Aufwand ermittelt.

Aber schon eine ganz einfache Überschlagsrechnung zeigt die Ver- schwendungsgefahr. Wenn etwa das Aufrufen, Ausfüllen und Weiterlei- ten eines Fragebogens zur Kontrolle der Versorgungsqualität bei 250 000 Hernien je zehn Minuten ärztlicher Zeit beansprucht, sind jedes Jahr mehr als 20 Ärzte ausschließlich da- mit beschäftigt, Fragebögen auszu- füllen – und zwar nur für Hernien.

Nebenbei bemerkt, ist es auch nicht wahr, dass es in der Medizin traditionell kein Qualitätsmanage- ment gibt. Richtig ist: Es gibt keine Qualitätssicherung wie in der Indus- trie. Die Interaktion von Persönlich- keit, Biologie und sozialem Umfeld des Patienten, seiner Krankheit und dem behandelnden Arzt hat dazu ge- führt, dass die Medizin einen dazu passenden Weg der Qualitätssiche- rung gegangen ist, nämlich den Weg über die Qualifikation der Ärzte.

Ökonomische Grundkenntnisse sind auch in den einzelnen medizi- nischen Organisationseinheiten, et- wa im Krankenhaus, für Ärzte sehr nützlich. Wer weder eine Bilanz noch eine Gewinn-und-Verlust- Rechnung oder den Investitions- plan seiner Klinik lesen und inter- pretieren kann, hat es naturgemäß schwer, auf die entsprechenden Entscheidungsprozesse einzuwir-

ken. Schließlich helfen solche Kenntnisse auch, Bestrebungen zu beurteilen, die in Form verschiede- ner „-managements“ eine Art Ober- hoheit über die Medizin beanspru- chen: vom bereits erwähnten Quali- tätsmanagement über das Informa- tions- und Changemanagement bis zum Gesundheitsmanagement.

Oft heißt es, die knappen Res- sourcen im Gesundheitswesen er- forderten ein besseres Manage- ment. Richtig ist, dass Ärzte mehr Möglichkeiten erhalten sollten, über den Einsatz begrenzter Res- sourcen zu entscheiden. Falsch ist, dass knappe Kassen eine Steuerung durch medizinische Laien erzwin-

gen. Warum sollte auch ein Nicht- mediziner besser geeignet sein, schwierige medizinökonomische Abwägungen anzustellen als ein entsprechend geschulter Arzt? Ins- gesamt hat die Medizin gute Grün- de, sich mehr um medizinökonomi- sche Themen zu kümmern und sich gleichzeitig Übergriffe von außen zu verbitten. Ökonomisches Den- ken in der Medizin ist hilfreich und erforderlich, eine rein ökonomische Zielvorgabe von außen meist nicht.

Medizinökonomie zu lange den anderen überlassen

Einige der Ursachen der aktuellen Situation können Ärzte beeinflus- sen, andere nicht. Zu letzteren zäh- len die Globalisierung mit der Auf- wertung marktwirtschaftlicher Sys- teme und der aus Demografie und technischem Fortschritt resultieren- de Kostendruck. Eine Reihe von Ursachen für die ökonomische Be- einflussung der Medizin lässt sich aber durchaus abstellen.

Die Medizin hat Fragen der Medi- zinökonomie zu lange anderen über- lassen. Jeder kennt aus seinem Alltag schlechte Prozesse, Wettbewerb um Patienten und Zahlungsströme (wenn die Medizin bei solchen Konflikten nicht selbst den Schiedsrichter stellt, tun es andere!), unnötige Wartezeiten et cetera. Fragen der Organisation, der Personalführung, der Kommuni-

kation, der Effizienz, der Qualitäts- messung und andere mehr wurden zu wenig in Angriff genommen. All das lockt selbstverständlich Nichtmedizi- ner an, diese Themenbereiche und auch die Kontrolle darüber zu über- nehmen. Deshalb sollten Ärzte in die Lage versetzt werden, selbst über medizinökonomische Fragen ent- scheiden und so letztendlich mehr Einfluss auf die Gesundheitspolitik nehmen zu können.

Es bedarf der Ärzte, die sich in Kenntnis der jeweiligen wirtschaftli- chen Zusammenhänge in die Organi- sation der medizinischen Versorgung einmischen. Deshalb sollte das Medi- zinstudium um medizinökonomische

Inhalte ergänzt werden. Zweifellos ist es bereits heute überfrachtet, aber es sollte zwei Semesterwochenstunden wert sein, die medizinische Kontrolle über die Versorgung zu erhalten. Für die ganz überwiegende Zahl der Ärz- te reichen nämlich Grundkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften völlig aus. Daneben sollte es einige Ärzte geben, die sich ebenfalls in ökonomi- schen Details zurechtfinden und auf Augenhöhe mit Ökonomen sprechen können. Auch die medizinischen Fachgesellschaften sollten sich mit medizinökonomischen Themen be- fassen, wie es zum Beispiel die Deut- sche Gesellschaft für Chirurgie be- reits in ihrer Arbeitsgruppe „Medizin- ökonomie“ tut.

Es waren die professionellen Kräf- te, die Ärzte, Krankenschwestern und die anderen Gesundheitsberufe, die in den vergangenen Jahren durch eine enorme Arbeitsverdich- tung die medizinische, gesundheit- liche Versorgung vor dem Kollaps bewahrt haben. Sie sollten nicht länger schlechte Entscheidungen dulden; die Medizin kann und muss die medizinische Versorgung inklu- sive medizinökonomischer Über - legungen selbst steuern.

Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Christian Thielscher FOM Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, Essen

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Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4713

Ärzte sollten mehr Möglichkeiten erhalten, über den Einsatz begrenzter Ressourcen zu entscheiden.

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 47/2013, ZU:

GESUNDHEITSVERSORGUNG

Medizin muss Kontrolle über sich selbst zurückgewinnen

Zu lange haben Nichtmediziner in der Gesundheitsökonomie Entscheidungen getroffen.

Es wird Zeit, dass sich dort auch die ärztliche Profession stärker engagiert.

LITERATUR

1. Zum Beispiel Maio G: Gesundheitswesen:

Ärztliche Hilfe als Geschäftsmodell? Dtsch Arztebl 2012; 109(16): A 804.

2. Thielscher C: Grundlagen der Wirtschafts- wissenschaften. In: Thielscher C (Hrsg.):

Medizinökonomie. Band 1: Das System der medizinischen Versorgung.Springer Gabler, Wiesbaden 2012.

3. Reiners H: Steuerung der medizinischen Versorgung und Ideologien: Zur politischen Ökonomie des Gesundheitswesens. In:

Thielscher C (Hrsg.): Medizinökonomie.

Band 1: Das System der medizinischen Ver- sorgung. Springer Gabler, Wiesbaden 2012, S. 396.

4. Thielscher C, et al.: Geringe Korrelation von Krankenhausführern kann zu verwirrenden Ergebnissen führen. Gesundh ökon Qual manag (elektronisch publiziert, Druck folgt) DOI: 10.1055/s-0033–1335362 5. http://www.ispor.org/congresses/

Berlin1112/Program11072012.aspx

Referenzen

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