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Archiv "Krankheit und Gesellschaft: Vom Stigma der Psychiatrie" (07.11.2014)

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A 1952 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 45

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7. November 2014

KOMMENTAR

Dr. med. habil. Arnim Quante, Psychiater*

A

ls Konsiliararzt der Psychiatrie stößt man teilweise auf ableh- nende Reaktionen seitens der Patien- ten. Gefühlte 50 Prozent aller Patien- ten, die ich aufsuche, erschrecken erst einmal, wenn ich mich als „Psychia- ter“ vorstelle, besser gesagt „oute“.

Ausrufe wie „Oh Gott, ein Irrenarzt?“

oder „Ich bin doch nicht verrückt“ sind häufig die ersten Reaktionen. Einige lehnen es dann strikt ab, mit mir zu sprechen; andere sind äußerst miss- trauisch. Es gibt einige mögliche Grün- de für dieses Verhalten. Zum einen

könnte es an der Historie der Psychia- trie liegen – also daran, dass früher

„Irrenanstalten“ abseits der anderen Krankenhäuser gebaut wurden, Men- schen häufig gegen ihren Willen mit- unter jahrelang dort untergebracht waren und mangels Alternativen mit abstrusen „Therapien“ behandelt wor- den sind. Demgegenüber müsste man allerdings auch andere Fachdisziplinen stellen, die in der Vergangenheit auf- grund des damaligen Kenntnisstandes nicht wirklich besser dastanden . . .

Dass psychisch erkrankte Patienten häufig stigmatisiert werden, ist leider eine Tatsache. Jeden Tag haben psy- chisch Kranke damit zu kämpfen – ob im Job, in der Familie und überhaupt in der Meinung der Allgemeinbevölke- rung. Aber die Stigmatisierung geht weiter: auch Psychiater, Psychothera- peuten, Nervenärzte und psychiatrisch tätige Pflegekräfte werden belächelt, wenn sie ihre Berufe preisgeben, oder aber sind mit Fragestellungen konfron- tiert, die nichts mit dem eigentlichen Beruf zu tun haben. Häufig werden auch Berufsgruppen durcheinander ge- bracht und Tätigkeiten vermutet, die rein gar nichts mit der Realität zu tun haben. Beispiele hierfür sind schon die Berufsgruppen „Psychologe“ und „Psy- chiater“: Unterschiede dieser beiden

Berufsgruppen sind vielen Menschen unbekannt.

Gravierender wird die Unkenntnis in der Unterscheidung zwischen einem Psychiater und einem forensischen Psychiater. Dazu tragen unter ande- rem die Medien bei, die reißerische Aussagen wie „Vergewaltiger flieht aus Psychiatrie“ oder „Mutmaßlicher Täter für fünf Jahre zu Unrecht in Psy- chiatrie“ formulieren. Es folgt automa- tisch die Assoziation, dass „Psychia- trie“ etwas Schlechtes ist, ein Sam- melbecken für Gewalttäter mit psy-

chischen Störungen. Und dass man dort „eingesperrt“ ist und „nicht mehr rauskommt“. Die Differenzierung zwi- schen klinischer Psychiatrie und dem Maßregelvollzug scheint teilweise auch unseren Politikern schwerzufal- len. Es wäre sehr hilfreich, wenn diese fehlerhafte Berichterstattung aufhören könnte, um einer weiteren Stigmatisie- rung entgegenzuwirken. Letztlich kann das sogar Suizid vermeiden helfen, denn Patienten mit Suizidgedanken entscheiden sich aufgrund der Stig- matisierung manchmal bewusst gegen Konsultation eines Psychiaters oder Psychotherapeuten.

Der Gang zu einem Psychiater soll- te in der Allgemeinbevölkerung genau- so akzeptiert werden wie der Gang zum Hausarzt oder Chirurgen. Davon scheinen wir aber noch weit entfernt zu sein. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie unterschiedlich Patienten auf Stationen anderer Fachrichtungen reagieren, wenn man sich auf ver- schiedene Arten vorstellt. „Guten Tag, ich bin der Psychiater“ ist zum Bei- spiel ein Satz, der großen Argwohn herbeiführen kann. Sätze wie „Jetzt ist es also soweit, ich muss in die Klap- se“ sind häufige Reaktionen. Ebenso lehnen es viele Patienten dann gleich ab, mit mir zu sprechen. Wenn ich

mich aber als „Arzt der psychologi- schen Medizin“ vorstelle, sind die Re- aktionen schon sehr viel milder, ein Gespräch wird eher akzeptiert. Ähnlich

„akzeptiert“ scheint die Disziplin be- ziehungsweise der Begriff „Psycho- somatik“ zu sein. Es gibt durchaus Krankheitsbilder, die von beiden Dis- ziplinen behandelt werden, wie zum Beispiel depressive Störungen. Hierbei habe ich schon häufiger bemerken können, dass es Patienten lieber ist, in einer psychosomatischen Abteilung behandelt zu werden. Bei genauerem

Nachfragen gehen nämlich viele Pa- tienten davon aus, dass man, anders als in der Psychosomatik, in der Psy- chiatrie hauptsächlich mit Medika- menten behandelt wird. Dies spiegelt jedoch nicht die Realität wider.

Wenn Patienten jedoch erstmal den Schritt gegangen sind und sich psychiatrisch behandeln lassen, dann sind viele doch recht positiv über- rascht, dass eine Psychiatrie nichts mit all den Vorurteilen zu tun hat. Wo- bei einzuräumen ist, dass es auch in der Allgemeinpsychiatrie Patienten gibt, die dort gesetzlich untergebracht sind und somit gegen ihren Willen dort sind. Dies ist allerdings immer nur dann der Fall, wenn Patienten auf- grund einer akuten Gefährdung für sich selbst (zum Beispiel der Patient mit Schizophrenie, der sich aufgrund von befehlsgebenden Stimmen das Leben nehmen will) oder aber für an- dere darstellen.

Der Großteil aller Patienten, die sich in psychiatrischer Behandlung befin- den, ist jedoch aus freien Stücken da.

Und die meisten Patienten können nach der Behandlung sagen, dass ihnen der Aufenthalt geholfen hat.

*Oberarzt und Leiter des psychiatrischen Konsi- liardienstes an der Charité – Campus Benjamin Franklin, Berlin

KRANKHEIT UND GESELLSCHAFT

Vom Stigma der Psychiatrie

T H E M E N D E R Z E I T

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