Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
BRIEFE AN DIE REDAKTION
der Reihe, dem ein einfacher Druckverband das Leben gerettet hätte!
Zur Kriegsverh inderu ngs-Ideolo- gie: Die aufgeschaukelte Frage erinnert an die frustranen, nächte- langen Diskussionen in den „Re- publikanischen Klubs", aus denen dann auch später die Aktivisten hervorgegangen sind, die mein- ten, notfalls mit Gewalt dem Men- schen zu dienen. Da sind mir die Schweizer lieber, die Kriege und Kriegseinwirkungen um sich selbst ausgewertet haben und zum Schluß gekommen sind, daß der gigantische - Bombenkrieg über deutschen Städten im Welt- krieg 2 (in Dresden starben weit mehr Menschen als in Nagasaki!) weit höhere zivile Verlustzahlen im Gefolge gehabt hätte, wenn nicht wenigstens einige feste Bunker in- stalliert worden wären. Als Konse- quenz schufen sie ein Schutzpro- gramm, das 90 Prozent der Bevöl- kerung erfaßt und auch Hilfe bei chemischen und biologischen An- griffen bietet (wo sind eigentlich die Mediziner, die die Abrüstung der 100 000 Mann Spezialarmee für chemische und biologische Kriegsführung der Sowjets for- dern bzw. deren nachgewiesenen Einsatz in Laos, Kambodscha und Afghanistan?) .. .
Helmut Hoyme, Arzt Barbarossastraße 34 4050 Mönchengladbach 1
Anmerkung der Redaktion
Seit über einem Jahr werden diese Fragen hier diskutiert — hin und her. Den zweifellos auch öffentlich besonders aktiven organisierten Atomkriegsgegnern unter den Ärz- ten wurde dabei in besonderer Weise Rechnung getragen: sie konnten ihre Auffassungen aus- führlich darlegen — gelegentlich zum Leidwesen jener, die deren Meinung nicht teilen und sich zu kurz gekommen fühlten. Insge- samt glauben wir freilich, die ver- schiedenen Auffassungen voll- ständig und — um einen modi- schen Terminus zu nehmen — aus-
gewogen wiedergegeben zu ha- ben. Um es zu betonen: „ausge- wogen", was heißt, daß wir nicht dem Grundsatz huldigen „wer nicht für mich ist, ist gegen mich", sondern glauben, daß auf beiden Seiten nach der Wahrheit zu su- chen ist. Die Diskussion wird hier- mit, was diese Spalten des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES angeht, geschlossen. — Ein PS sei erlaubt:
Friedensfreunde werben für ihre Sache gelegentlich mit einem flap- sig erscheinenden Spruch: „Stell dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin." Der Satz stammt von Bert Brecht und heißt in Wirklich- keit vollständig: „Stell dir vor, es kommt Krieg / und keiner geht hin
— /dann kommt der Krieg zu euch!"
Und schließlich: „Nicht einmal den Kampf vermeidet / wer den Kampf vermeiden will: / denn es wird kämpfen für die Sache des Feinds / wer für seine eigene Sa- che / nicht gekämpft hat." NJ
PSYCHIATRIE
Zu dem Leserbrief von Dr. H. Quenzer
„Selbstkritik" (Heft 14/1983), der sich auf einen Artikel von Anatoly Koryagin „Un- freiwillige Patienten" und auf einen Kom- mentar von Prof. W. Ritter von Baeyer in Heft 48/1982 bezog:
Verquer
Der Veröffentlichung eines Erfah- rungsberichts, für den der sowjeti- sche Psychiater Dr. Koryagin zwölf Jahre seiner Freiheit, seines Le- bens hinzugeben hat, wie auch dem beigefügten Kommentar des emeritierten Heidelberger Ordina- rius Prof. Ritter von Baeyer sprach der Tübinger Psychiater Dr. Quen- zer die Lauterkeit ab. Mehr Selbst- kritik bräuchte es, meinte er. Der Begriff der „Panikperson" wie der des „Psychopathen" enthielten
„Implikationen", und überhaupt neige die Psychiatrie „dazu, ihren Auftrag, dem einzelnen zu helfen, aufzugeben ... Sie läßt sich poli- tisch mißbrauchen." Verquerter ging's nicht mehr: Wo sind denn hierzulande Vorkommnisse, die auch nur entfernt an das heranrei- chen, was Dr. Koryagin aus der
sowjet-psychiatrischen Praxis be- richtete? Was sind gegen sie schon begriffliche „Implikatio- nen" — falls die Begriffe von Psy- chopathie usw. überhaupt etwas Rechtsschmälerndes implizieren?
Und was bedeutet generell denn die Mißbrauchbarkeit der Psychia- trie? Alles ist ja mißbrauchbar!
Mißbräuche aber entstehen nicht autonom aus spezifischen Eigen- heiten von Materien oder auch Fä- chern, sondern entstehen aus schuldhaften Verfehlungen von einzelnen und/oder Systemen. Sie beim Namen zu nennen ist nicht nur lauter, sondern ist auch der erste und unverzichtbare Schritt zu ihrer Korrektur. Von solcher Schuld und den Schuldigen abzu- lenken, das freilich verfolgte oft schon jene heuchlerische „Selbst- kritik", die sich nicht scheut, dazu die unpassendsten Vergleiche herzuholen und Attribute eines
„Freund-Feind-Schemas" und
„kalten Krieges" anderen anzu- hängen. Solche „Selbstkritiker"
erlauben sich, nicht nur einen Mann anzuschwärzen, der wie kein anderer der deutschen Psychiatrie nach dem Naziterror wieder Weltgeltung verschafft hat, sondern dazu auch noch ihr ge- samtes eigenes Fach zu denunzie- ren. Schrecken gegenüber, die in der UdSSR und eben nicht „in vie- len anderen Ländern" vorkom- men, verläßt sie offensichtlich je- der Sinn für Wirklichkeit und Pro- portion.
Für uns Ärzte hat in der Sache der Deutsche Ärztetag 1982 Stellung bezogen. Wir schulden aber den Psychiatern Dank und Anerken- nung, die wie Professor von Baeyer großen persönlichen Ein- satz leisten, daß sich ihr Fach eben nicht (und nirgends) „poli- tisch mißbrauchen läßt" und de- nen dafür eigene Fachkollegen — soweit scheint die Ideologisierung unter ihnen vorangekommen zu sein — auch noch mit Unterstellun- gen kommen.
Dr. med. Kurt Flogaus Friedrich-Fischer-Straße 9-11 8058 Erding
1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A 64 Heft 25 vom 24. Juni