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Archiv "Alten- und Pflegeheime: Gigantische Pflegebürokratie" (14.12.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A3350 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 50½½½½14. Dezember 2001

KOMMENTAR

M

it der Einführung der Pflege- versicherung 1994 findet mit- tels 112 Paragraphen eine ge- waltige Prioritätenverschiebung von den psycho-somato-sozialen Bedürf- nissen der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen hin zu bürokratischen Einstufungs- und Kontrollzwängen ei- ner Medizinalbürokratie statt. Allein für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) werden in der Pflegeversicherung 500 Millionen DM aufgewendet; darin sind die Kosten des Pflegepersonals für den riesigen Dokumentationsaufwand

nicht beinhaltet – eine Zweckentfremdung von Versicherungsbeiträgen?

Die mit der steigenden Bürokratie einhergehen- de Qualitätseinbuße bis hin zum „aufgezwunge- nen Pflegeverzicht“ ent- zieht den Bewohnern ihre Grundrechte. Die For- schungsgemeinschaft

„Menschen in Heimen“

an der Universität Biele- feld fordert deshalb eine

„Enquete der Heime“ mit dem Ziel der Auflösung

der Heime zugunsten eines ambu- lanten „Pflegemix“ (DÄ 31–32/2001).

Ein hoher Anteil der Arbeitskraft des Pflegepersonals wird dazu einge- setzt, mit einer Buchführung über die Bewohner auf den alles entscheidenden Tag im Jahr hinzuarbeiten, an dem die Kontrolleure des MDK oder der Heim- aufsicht über das Wohlergehen des Heimes – nicht der Bewohner – ent- scheiden. Geprüft wird nicht die psy- cho-somato-soziale Befindlichkeit der Bewohner, sondern die pflegeverwalte- rische Buchführung, die in 13 verschie- denfarbigen, täglich zu führenden Blät- tern mit 114 Einzelangaben eine minu- tiöse Aufstellung aller einzelnen Hand- griffe am Bewohner in Verbindung mit dessen Einfuhr- und Ausscheidungser- eignissen nachzuweisen hat. Neben den Blättern für tägliche Berichte, Dekubi- tusverlauf, Vitalzeichen, Vitalzeichen- kontrolle, Fragen an den Arzt/ärztliche

Anordnungen, Medikamente und Pfle- geplanung (drei gelbe Blätter) ist die Grundpflege anhand von 63 Merkma- len und die Behandlungspflege an- hand von 44 Merkmalen jeweils in ei- ner Tabelle zu dokumentieren, und dies dreimal pro Tag: in zwei blauen Tabellen vom Frühdienst, in zwei grünen Tabellen vom Spätdienst und in zwei rosa Tabellen vom Nacht- dienst. Die Handgriffe des Pflegeper- sonals, wie zum Beispiel „Haare käm- men“, „Rasur“, „Slipwechsel“, „Be- kleidungswechsel teilweise“, „Toilet-

tengang“, müssen in Minutenvorgaben erfüllt und dann innerhalb der mit 13 Blättern bestückten Kladde pro Bewoh- ner dokumentiert werden.

Anhand dieser Dokumentationen – gleich ob beim Bewohner tatsächlich durchgeführt oder nicht – errechnet sich der Personalschlüssel des Alten- heimes und das Einkommenspotenzial.

Je besser das Pflegepersonal ausgebil- det ist, umso mehr Zeit verbringt beispielsweise der hoch qualifizierte Psychiatriepfleger hinter Glas im

„Stützpunkt“ beim Dokumentieren in Kladden, und je weniger qualifiziert das Personal ist, umso häufiger wird es mit dem Bewohner und dessen Bedürf- nissen allein gelassen. Kein Zweifel, so wie die Qualität der pflegeverwalteri- schen Buchführung steigt, so sinkt – schon aus zeitlichen Gründen – umge- kehrt proportional die Qualität der zwischenmenschlichen Betreuung.

Das am 13. Juli 2001 verabschiede- te „Pflegequalitätssicherungsgesetz“ ist zur Qualitätsverbesserung der psycho- somato-sozialen Befindlichkeit von Al- tenheimbewohnern nicht in der Lage und sichert stattdessen nur die Büro- kratie ab. Es konterkariert die ur- sprünglich positiven Absichten, weil der Gesetzgeber nicht begreifen will, dass er mit jedem zusätzlich geschaffe- nen Paragraphen einen neuen Büro- kratieschub erzeugt.

Erschwerend hinzu kommt die Ver- knüpfung der Höhe des Pflegegeldes mit dem Schweregrad der Pflegebedürftigkeit. Der Profit des Pflegeheims hängt von der Anzahl der höhergradig Pflegebe- dürftigen ab, sodass ein Sog auf die höhergradige und somit besser ho- norierte Pflegebedürftig- keit entsteht. Das Stre- ben der Heimeigner ist darauf gerichtet, durch die minutiöse Kladden- führung den Kontroll- behörden den höhergra- digen Schweregrad do- kumentierend zu vermit- teln. Im Rahmen der häuslichen Pflege durch Angehörige ist dieser Verwal- tungsaufwand zur Feststellung der Pfle- gestufen dagegen nicht erforderlich.

Entrechtete und bürokratiegeschä- digte Alten- und Pflegeheimbewoh- nern sowie demotivierte Pflegekräfte würden es dem Gesetzgeber danken, die „Diktatur der Bürokratie“ ab- zuschaffen. Für zwischenmenschliche Kontakte und eine psychosoziale Be- treuung wäre wieder mehr Zeit. Das würde helfen, den kostenträchtigen Arzneimittelbedarf im psychiatrischen Bereich zu senken. Auch die in Alten- heimen allgegenwärtigen demenziellen Prozesse könnten gebremst werden.

Die Kosten für den MDK könnten ein- gespart werden, wenn der behandelnde Haus- oder Nervenarzt – der die reale Pflegebedürftigkeit besser einschätzen kann – die Pflegeklasseneinstufung vornähme. Dr. med. Argeo Bämayr

Alten- und Pflegeheime

Gigantische Pflegebürokratie

Die psycho-somato-sozialen Bedürfnisse der pflegebedürftigen Heimbewohner werden

zugunsten eines ausufernden

Dokumentationswesens vernachlässigt.

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