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Archiv "„Schluß mit einseitigen Schuldzuweisungen“!" (17.04.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

us der Sicht der „verfaßten"

Ärzteschaft hat die Bonner Gesundheitspolitik auch un- ter der Amtsführung von Bundesge- sundheitsministerin Gerda Hassel- feldt (CSU) keine Kehrtwendung be- wirkt. Ganz im Gegenteil! Außer

„hektischem Stillstand" hat die seit einem Jahr amtierende Bundesmini- sterin die konzeptionslose, stur auf Kostendämpfung ausgerichtete Ge- sundheitspolitik ihres Amtsvorgän- gers Dr. Norbert Blüm fortgeführt.

Gefordert sei hingegen eine offensi- ve, vorwärts weisende, gestalterische Gesundheitspolitik, die von dem ein- seitigen, verabsolutierten politischen Postulat der Beitragssatzstabilität abrücke. „Wer mehr Leistung will und dies politisch propagiert, muß auch bereit sein, dafür mehr Opfer zu bringen. Anderenfalls müssen bei gleichbleibenden oder sinkenden ge- samtwirtschaftlichen Ressourcen Abstriche vom Leistungsvolumen vorgenommen werden, für die allein die Politiker die Verantwortung tra- gen."

Dies ist die einhellige Quintes- senz der Statements von Dr. med.

Karsten Vilmar, Präsident der Bun- desärztekammer, und Dr. med. Ul- rich Oesingmann, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), anläßlich eines „Berufspolitischen Kollo- quiums" während des 40. Internatio- nalen Fortbildungskongresses der Bundesärztekammer in Davos.

Vilmar konstatierte vor dem Au- ditorium: Nicht nur der Anpassungs- und Erneuerungsprozeß im Gesund- heitswesen der fünf neuen Bundes- länder habe die ärztlichen Körper- schaften und Organisationen „auf Trab" gehalten, sondern auch man- che oftmals nur im verborgenen ent- wickelten Schein-Reformprojekte in der vereinten Republik. Auch die ärztlichen Organisationen seien mit den „Aufräumarbeiten" im desola- ten Gesundheitswesen der Ex-DDR über die Maßen beschäftigt worden.

Heute könne man keinen Hehl mehr daraus machen, daß in den vergange- nen 40 Jahren die Ressourcen in der Ex-DDR wie in den damals noch ,,befreundeten" Nachbarstaaten systematisch ausgeplündert wurden von der Umwelt bis hin zu den Ein-

richtungen des Gesundheitswesens.

Gerade das Gesundheitswesen und die darin Beschäftigten hätten unter einer inhumanen „geistigen Verwü- stung" während der sozialistischen Diktatur gelitten (Karsten Vilmar).

Vorbild für Osteuropa Heute seien alle Verantwortli- chen in Politik und in der Selbstver- waltung gefordert, einen langfristi- gen Know-how-Transfer und eine moralische wie konzeptionelle Er- neuerung auch im Gesundheitswe- sen einzuleiten. Nicht nur in den fünf neuen Bundesländern, sondern auch jenseits der ostdeutschen Gren- ze gehe es um Grundsatzfragen:

„Wie finanziert man ein leistungsfä- higes, selbstverwaltetes und staats- unabhängiges Gesundheitswesen?"

Hier könne das gegliederte, gewach- sene System der gesundheitlichen Versorgung in ganz Deutschland ei- ne Vorbildfunktion für den Aufbau von liberalisierten, selbstverwalteten Systemen der Gesundheitssicherung auch in Osteuropa übernehmen. Es könne freilich nicht erwartet werden, daß das bundesdeutsche System der Gesundheitssicherung im Maßstab 1:1 spiegelbildlich auch auf die osteu- ropäischen Länder übertragen wer- den könne, doch müsse alles daran gesetzt werden, daß zumindest be- währte Grundelemente und -struktu- ren „exportfähig" werden.

Vilmar beklagte, daß man bei öf- fentlichen Auseinandersetzungen stets über die „Kostenexpansion" im Gesundheitswesen klage, steigende Ausgaben und Beitragssätze der Krankenkassen mit dirigistischen Mitteln bekämpfen wolle, aber kaum jemand auch die erweiterten Mög- lichkeiten der modernen Medizin mit einem qualitativ und quantitativ veränderten Leistungsspektrum so-

wie die stark zunehmende Zahl älte- rer Menschen zur Kenntnis nehmen wolle.Andererseits würden die Poli- tiker landauf, landab nicht müde, der Selbstverwaltung und den Ärzten einseitig die Schuld für die steigen- den Ausgaben zuzuweisen — immer mit dem Hinweis, daß es noch viele vermutete oder bloß behauptete Wirtschaftlichkeitsreserven gebe, die noch ausgeschöpft werden könnten.

Mit einem ganzen Arsenal von dirigi- stischen, bürokratischen und regle- mentierenden Mitteln wolle man versuchen, die Ausgaben- und Ko- stenentwicklung im Gesundheitswe- sen in den Griff zu bekommen, ohne die eigentlichen Ursachen der Lei- stungs- und Kostenexpansion an der Wurzel anzupacken.

Auch die gebetsmühlenartig wiederholte Wunschvorstellung, ein wachsendes Leistungsvolumen und den medizinischen Fortschritt mit stabilen Beiträgen finanzieren zu wollen, kann nicht aufgehen, sagte Vilmar in Davos. Auch der Sachver- ständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen habe in seinem Sondergutachten von En- de November 1991 festgestellt, daß der Grundsatz der Beitragsstabilität unter den gegebenen Rahmenbedin- gungen und der im System angeleg- ten Leistungsexpansion nicht auf- recht erhalten werden könne. Ande- rerseits sei es abträglich, den Schwarzen Peter für die Kostenver- antwortung im Gesundheitswesen weiter hin und her zu schieben. Auch eine Staffette von weiteren Kosten- dämpfungsgesetzen würde nur palli- ativ wirken, aber keine langfristige Kostenstabilisierung herbeiführen.

Jedenfalls gebe es bis heute keine wissenschaftlich stichhaltige Unter- suchung darüber, was die richtige, zumutbare Beitragshöhe in der Krankenversicherung sei. Auch das

„Schluß mit einseitigen Schuldzuweisungen"!

Berufspolitisches Kolloquium beim 40. Internationalen Fortbildungskongreß in Davos

Dt. Ärztebl. 89, Heft 16, 17. April 1992 (23) A1-1411

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Argument der zu hohen Lohnneben- kosten und der beeinträchtigten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft überzeuge nicht. Heute lägen — nach Berechnungen der Ar- beitgeber — die Lohnnebenkosten im Durchschnitt zwischen 68 und 99 Prozent, gemessen an den Direktent- gelten der abhängig Beschäftigten.

Der Beitrag zur gesetzlichen Kran- kenversicherung betrage daran nur sieben Prozent, ein Indiz dafür, daß mit einer einseitig politisch motivier- ten Kostendämpfungspolitik kein Staat zu machen sei.

Dringliche Reform-Projekte

Mit dirigistischen Methoden — etwa Zulassungssperren für Fachärz- te und einer „Zwangspensionierung"

niedergelassener, freiberuflich täti- ger Kassenärzte ab dem 65. Lebens- jahr — seien die Probleme nicht zu lö- sen; sie würden vielmehr die Forde- rung nach weiteren dirigistischen Eingriffen in der freien Praxis nach sich ziehen, so Vilmar Notwendig wäre dagegen eine Senkung der als Folge der verfehlten Bildungspolitik der siebziger Jahre viel zu hohen Medizinstudentenzahl.

Aus dem aktuellen Bonner sozi- al- und gesundheitspolitischen Pro- blemhaushalt sind aus der Sicht der Ärzteschaft besonders dringlich:

— Rasche Verabschiedung eines Gesetzes zur Absicherung des allge- meinen Pflegerisikos, das auch die Probleme der richtigen Infrastruktur der Pflegeleistungsgewährung und der sozialen Absicherung der Pfle- genden mit einbezieht. Die Ärzte- schaft drängt, wie Dr. Vilmar und Dr. Oesingmann erläuterten, auf ei- ne völlig eigenständige Finanzierung eines neuen Sozialleistungszweiges

„Pflegeabsicherung". Falls die Pfle- gesicherung unter dem „Dach der Krankenversicherung" erfolgen soll- te, so dürfe diese nicht durch die Krankenversicherung subventioniert werden. Vielmehr müßten die Etats von Kranken- und Pflegeversiche- rung getrennt geführt und durch ei- gene Beiträge gespeist werden.

Namentlich Dr. Vilmar warnte die Politik davor, im Zuge der politi- schen Kompromißfindung die Nach-

teile einer sozialversicherungsrecht- lichen Lösung mit den Nachteilen ei- ner privaten Pflichtversicherung nach dem Kapitaldeckungsverfahren zu verbinden. In die Diskussion soll- te auch der von der Deutschen An- gestellten-Gewerkschaft (DAG), der Bundesärztekammer und dem Mar- burger Bund bereits Ende 1990 emp- fohlene „dritte Weg" einbezogen werden, dessen Kernstück ein steu- erfinanziertes Leistungsgesetz ist.

Danach sollten die Investitionsko- sten der Einrichtungen der Pflege aus Steuermitteln durch die Länder finanziert werden. Die Kosten der medizinischen Behandlungspflege sollten aus den Krankenkassenetats bestritten werden. Die Kosten des Unterhalts und der Verpflegung soll- ten hingegen von den Pflegebedürfti- gen direkt bezahlt werden (Interes- senquote). Der Mehraufwand sollte durch ein Leistungsgesetz durch den Bund übernommen werden.

Stets solle der Grundsatz „Re- habilitation geht vor Pflege" auch im Pflegebereich beachtet werden. Sta- tionäre Pflege müsse so lange ver- mieden werden, wie ambulante Pfle- ge möglich ist. Allerdings müßten die Akutkrankenhäuser von Pflegefällen entlastet und krankenhausentlasten- de Pflegeeinrichtungen neu geschaf- fen werden.

Allgemeinmedizin

—Vilmar und Oesingmann spra- chen sich in Davos erneut für eine mindestens dreijährige obligatori- sche Weiterbildung in der Allge- meinmedizin als Voraussetzung für die Betätigung als Allgemeinarzt im niedergelassenen Bereich aus. Hier stehe die Bundesregierung bei der Ärzteschaft im Wort. Auch wenn wieder verfassungsrechtliche Beden- ken geäußert oder nur als Alibi vor- geschoben werden sollten, müsse dieses Projekt schleunigst in Angriff genommen werden, so unisono Dr.

Vilmar und Dr. Oesingmann.

—Entschieden wies Dr. Oesing- mann die Initiative der Landesregie- rungen Berlin, Sachsen und Sachsen- Anhalt zurück, über den Bundesrat ein Gesetz einzubringen, wonach Krankenhausfachambulanzen gene- rell zur ambulanten Versorgung zu-

gelassen werden sollten. Hier werde der Sicherstellungsauftrag der nie- dergelassenen Ärzte fundamental berührt. Es käme einem System- bruch gleich, Krankenhausambulan- zen ohne Bedarfsprüfung in die am- bulante Versorgung einzuschalten, obwohl deren Investitionskosten aus Steuermitteln subventioniert wür- den, wohingegen die Ärzte die ge- samten Investitions- und Betriebsko- sten aus dem Honorarumsatz be- streiten müßten. Es dürfe nicht an- gehen, Ärzte in den neuen Ländern in die Niederlassung zu locken, dann ihnen die ERP-Mittel von heute auf morgen zu streichen und jetzt noch die Konkurrenz aus dem stationären Sektor (zumindest für eine Über- gangsfrist) auf den Hals zu hetzen.

—Dringend erforderlich sei, das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) von noch klemmenden und praxisfer- nen Vorschriften zu entfrachten.

„Fehleinschätzungen und falsch ge- setzte Vorgaben" im Sozialgesetz- buch V hätten den Kostenanstieg be- günstigt. Im Stich gelassen fühle sich die Kassenärzteschaft, so Oesing- mann, zum Beispiel bei den Großge- räte-Richtlinien. Als Aufsichtsbe- hörde sei das Bundesgesundheitsmi- nisterium verpflichtet, sich mit dem Beschluß des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu befas- sen.

—Ebenfalls unbefriedigend seien die im GRG eingeführten Instru- mente der Wirtschaftlichkeitsprü- fung. Wirtschaftlichkeitsprüfungs- maßnahmen dürften nicht kumulativ nebeneinander angewandt werden, sondern müßten miteinander ver- zahnt werden, um eine Übermaßprü- fung der kassenärztlichen Tätigkeit zu vermeiden, postulierte Oesing- mann. Die noch zu entwickelnden Richtgrößen für die Arzneimittelver- ordnung (auf Landesebene) dürften nicht als neues Reglementierungsin- strument mißbraucht werden. Viel- mehr dürften Richtgrößen nur prä- ventiv wirken. Richtgrößen seien zwar eine Orientierungsmarke, sie müßten aber die Kooperationsbe- reitschaft mit den Kassenärztlichen Vereinigungen erhöhen, um gegebe- nenfalls das Verordnungs- und Überweisungsverhalten zu korrigie- ren. Dr. Harald Clade A1-1412 (24) Dt. Ärztebl. 89, Heft 16, 17. April 1992

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