Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 26|
1. Juli 2011 A 1453A
ls „keck“ bezeichnete der neue Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr (FDP) den Präsidenten des Medizinischen Fakultätentages (MFT), Prof. Dr.med. Dieter Bitter-Suermann. Dieser hatte nämlich gleich zur Eröffnung des 72. Ordentlichen Medizini- schen Fakultätentages am 23. Juni in Rostock betont, dass die Fakultäten nicht schuld seien am Ärztemangel in Deutschland. Dabei verwies Bitter-Suermann auf Angaben des Statistischen Bundesamtes, wonach 95 Pro - zent aller Studierenden der Humanmedizin ihr Studium erfolgreich abschließen.
Dies wollte Bahr aber wohl nicht so recht hören – schließlich war er mit einer anderen Intention nach Rostock gekommen: „Dem Ärztemangel entgegenzu- steuern, ist meine große Aufgabe“, erklärte er und ver- teidigte vor den Dekanen der medizinischen Fakultäten das geplante Versorgungsgesetz. Nach dessen Entwurf wird erwogen, zusätzliche medizinische Studienplätze zu schaffen, um das drohende Arztdefizit auszuglei- chen. Es treibe ihn um, dass es mehr Bewerber als Stu- dienplätze gebe und dass nur 60 Prozent der Studienan- fänger im Fach Humanmedizin tatsächlich ärztlich tätig würden, sagte Bahr und appellierte an die Dekane, sich der Debatte um eine höhere Zahl von Studienplätzen nicht zu verschließen.
In der Tat scheint es auf den ersten Blick logisch und verführerisch leicht, bei mangelndem ärztlichem Nach- wuchs in der medizinischen Versorgung und einer Viel- fachzahl von Studienplatzbewerbern einfach die Kapa- zitäten zu erhöhen. Doch für zusätzliche Studienplätze brauchen die Wissenschafts- und Kultusministerien der Länder zusätzliche Mittel. Denn eine klinische Univer- sitätsausbildung mit bestmöglicher Patientenversorgung sei nicht zum Nulltarif zu bekommen, mahnt die Deut- sche Hochschulmedizin. „Es ist leicht, gesundheitspoli- tische Wünsche zu formulieren, wenn man die daraus resultierende Leistung nicht selbst erbringen oder be- zahlen muss“, erklärte Bitter-Suermann und prophezeite eine eskalierende Unterfinanzierung der Universitäten.
Mit Blick auf den ärztlichen und studentischen All- tag ist es sowieso schwer vorstellbar, dass zusätzliche Studienplätze das Problem tatsächlich lösen können.
Denn der Ärztemangel in Deutschland ist nicht nur eine Frage der Kapazität und Finanzierung. Erst recht ist er nicht eine Frage der Schuld einer einzelnen Gruppe.
Entscheidend ist vielmehr die Motivationskultur in Deutschland. Solange Studierenden und jungen Ärztin- nen und Ärzten wenig Freude am Beruf vorgelebt wird und sie auf wenig begeisterte und über widrige Rah- menbedingungen klagende Kollegen und Kolleginnen in den Krankenhäusern und Praxen treffen, werden auch sie nur schwerlich in großer Zahl für die kurative Tätigkeit zu motivieren sein.
Deshalb wird auch künftig eine hohe Qualität der Medizinerausbildung verbunden mit einer ernsthaften Wertschätzung des ärztlichen Nachwuchses effektiver sein als eine erhöhte Quantität. Doch diese lässt sich nicht durch ein Gesetz anordnen. Auch einzelne Schuldzuweisungen bringen nichts. Um Versorgungs- engpässen entgegenzutreten, bedarf es stattdessen der Anstrengung vieler: des Bundes, der Länder, der Kran- kenhausträger und der medizinischen Fakultäten.
NACHWUCHSSORGEN
Schuldzuweisungen bringen nichts
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin