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Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

12|2018

19.3.2018 | 73. Jg.

Seiten 641–704

DIE ERSTE SEITE Prof. Bernd Neufang, StB

Reformansatz fr die Grundsteuer

WIRTSCHAFTSRECHT

Dr. Benjamin E. Leyendecker, LL.M., RA, und Dr. Achim Herfs, RA

Mindestpreis- und Preisanpassungsregelungen bei Delistingangeboten | 643 Dr. Philipp Giessen, RA, und Dr. Matthias Luettges, RA

Die Bring Down Disclosure in Unternehmenskaufvertrgen | 647

STEUERRECHT

Dipl.-Kfm. Prof. Dr. Jrg Rodewald, RA

Verdeckte Gewinnausschttung und freigebige Zuwendung – endlich Klarheit in der steuerrechtlichen Einordnung | 663

Prof. Dr. Angelika Dlker, MBA International Taxation

Konvergenz in der Unternehmensbesteuerung – ein deutsch-franzsisches Dj-vu? | 666

BILANZRECHT UND BETRIEBSWIRTSCHAFT Dr. Annekatrin Veit, RAin/StBin

BB-Rechtsprechungs- und Verwaltungsreport zur Bilanzierung betrieblicher Altersversorgung 2017/2018 | 683

ARBEITSRECHT

Sren Seidel, RA, und Dr. David Wagner, RA

Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige | 692

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20 17 /2 01 8

(2)

Sören Seidel, RA, und Dr. David Wagner, RA

Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

Die ordnungsgemäße Erstellung der Massenentlassungsanzeige ist von wesentlicher Bedeutung, weil ein Fehler u.U. auch auf die individualrecht- liche Ebene, d.h. die Wirksamkeit der vorgenommenen Kündigungen, durchschlagen kann. Überdies hat die Rechtsprechung die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige in den letzten Jah- rendeutlichverschärft.Der BeitragfasstdenrechtlichenStatusquo zusam- men und gibtPraxistipps für dieLösung aktueller Probleme.

I. Einführung

Fehler bei der Durchführung des Massenentlassungsverfahrens können zur Unwirksamkeit von anzeigepflichtigen Entlassungen führen. Wäh- rend das vollständige Fehlen einer Massenentlassungsanzeige in jedem Fall zur Unwirksamkeit anzeigepflichtiger Entlassungen führt, differen- ziert die Rechtsprechung bei fehlenden oder fehlerhaften Angaben.

Führt z. B. das Fehlen einer Pflichtangabe gemäß § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG zur Unwirksamkeit der Anzeige, kommt es bei lediglich fehlerhaften Pflichtangaben auf Auswirkungen und Erkennbarkeit an, insbesondere darauf, ob die Agentur für Arbeit (AfA) Anlass zur Nachfrage gehabt hat, ob sie von einer sachlichen Prüfung abgehalten worden ist und ob ihre Entscheidung beeinflusst worden ist.1

Bei der Auslegung der nationalen Regelungen über das Massenentlas- sungsverfahren (§§ 17 ff. KSchG) ist die Richtlinie 98/59/EG (soge- nannte „Massenentlassungsrichtlinie“ – MERL) und die hierzu er- gangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu berücksichtigen. Gegenüber dem ursprünglichen nationalen Rege- lungszweck der Massenentlassungsanzeige, die Auswirkungen von Massenentlassungen auf den Arbeitsmarkt dadurch abzufedern, die AfA in die Position zu versetzen, frühzeitig Vermittlungs- und Qualifi- zierungsmaßnahmen zu initiieren,2ist durch die MERL der individuel- le Schutz der betroffenen Arbeitnehmer in den Vordergrund gerückt.3 Diese Zwecksetzung ist entsprechend des Geltungsvorrangs des europä- ischen Rechts bei der Auslegung der nationalen Regelung zu berück- sichtigen und hat, insbesondere seit der „Junk“-Entscheidung des EuGH,4zu einem teilweise völlig neuen Verständnis einzelner Regelun- gen im Rahmen des Massenentlassungsverfahrens geführt.

Betriebliche Restrukturierungen, die mit einem Stellenabbau verbun- den sind und zu Massenentlassungen führen, werden nicht selten un- ter Einsatz einer sogenannten Transfergesellschaft (TG) umgesetzt, was zu weiteren – teilweise bislang noch nicht abschließend geklär- ten – Fragen führt.

II. Notwendigkeit der

Massenentlassungsanzeige

Die Notwendigkeit der Anzeige von Entlassungen richtet sich danach, ob innerhalb von 30 Kalendertagen die folgenden in § 17 Abs. 1 KSchG genannten Schwellenwerte erreicht werden:

1. Betroffener Personenkreis

Die vorgenannten Schwellenwerte in Bezug auf Betriebsgröße und Entlassungen beziehen sich auf „Arbeitnehmer“. Auf Grundlage der MERL gilt in diesem Zusammenhang der gemeinschaftsrechtliche Ar- beitnehmerbegriff, der wesentlich weiter als der nationale Arbeitneh- merbegriff reicht. Vor diesem Hintergrund ist der von § 17 KSchG betroffene Personenkreis in den vergangenen Jahren durch mehrere Entscheidungen des EuGH erweitert worden.

a) Geschäftsführer

Gemäß § 17 Abs. 5 Nr. 1, 3 KSchG gelten nach nationalem Verständ- nis nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 17 KSchG „Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person beru- fen ist“ bzw. „Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind“. Nach dem Wortlaut der natio- nalen Regelung gehören Geschäftsführer folglich nicht zum geschütz- ten Personenkreis.

Entgegen dem Wortlaut der nationalen Regelung hat der EuGH im Jahr 2015 auf Grundlage des weitergehenden unionsrechtlichen Ar- beitnehmerbegriffs jedoch entschieden, dass Geschäftsführer dann als „Arbeitnehmer“ i. S. d. MERL gelten, wenn sie der Kontrolle der Gesellschaft unterliegen und durch diese abberufen werden kön- nen.5 Dies trifft gemeinhin auf sogenannte „Fremdgeschäftsführer“

zu, die keine oder nur untergeordnete Anteile am Unternehmen, zu dessen Geschäftsführung sie bestellt sind, halten. Unter Berück- sichtigung der Rechtsprechung des EuGH ist die Vorschrift des

§ 17 Abs. 5 KSchG folglich europarechtswidrig und bedarf der Kor- rektur.6

Arbeitsrecht | Aufsatz

Betriebsgröße Anzahl von Entlassungen innerhalb

von 30 Kalendertagen i. d. R. mehr als 20 und weniger

als 60 Arbeitnehmer

Mehr als fünf Entlassungen

i. d. R. mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmer

10 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitneh- mer oder mehr als 25 Entlassungen Mindestens 500 Arbeitnehmer Mindestens 30 Entlassungen

1 Weigand, in: Etzel u. a., KR, 11. Aufl. 2016, § 17 KSchG, Rn. 131 m. w. N.

2 BAG, 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, NJW 2012, 2376, 2381.

3 Vgl. Erwägungsgrund 2 der MERL, der davon spricht, den „Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken“.

4 EuGH, 27.1.2005 – C-188/03, BB 2005, 331, NZA 2005, 213, 214.

5 EuGH, 9.7.2015 – C-229/14, BB 2015, 2554, NZA 2015, 861, 862 f.

6 Lunk, NZA 2015, 917, 918; kritisch dagegenHohenstatt/Naber, NZA 2014, 637, 640.

(3)

b) Praktikanten

Als Arbeitnehmer gelten nach der vorgenannten Entscheidung des EuGH auch Praktikanten, wobei Produktivität, Umfang der Be- schäftigung sowie Höhe der Vergütung für eine Einordnung uner- heblich sind.7

c) Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb

Unklar ist dagegen nach wie vor, ob auch Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte im Entleihbetrieb zu berücksichtigen sind. Das BAG hat diese Frage jüngst im Rahmen eines Vorabent- scheidungsverfahrens dem EuGH vorgelegt,8nachdem in der Vorin- stanz das LAG Düsseldorf entschieden hatte, dass Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb nicht zu berücksichtigen seien, da das für sie maß- gebliche Arbeitsverhältnis zum Verleiher bestehe und eine Einbezie- hung in den Schutzbereich der Massenentlassungsvorschriften des- halb nicht geboten sei.9

Praxistipp:

Bis zu einer klärenden Entscheidung des EuGH empfiehlt es sich, vorsichtshal- ber im Entleihbetrieb tätige Leiharbeitnehmer ebenfalls in die Gesamtzahl der Beschäftigten für die Berechnung der Schwellenwerte einzubeziehen. Nicht zu berücksichtigen sind Leiharbeitnehmer dagegen im Rahmen der anzeigepflich- tigen „Entlassungen“, da Leiharbeitnehmer nach Beendigung ihres Auftrags beim Entleiher zum Verleiher zurückkehren und insofern nicht „entlassen“ wer- den.

2. Entlassungen

Anzeigepflichtig nach § 17 Abs. 1 KSchG sind alle „Entlassungen“ in- nerhalb von 30 Kalendertagen.

a) Vom Arbeitgeber veranlasste Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Hierzu gehören arbeitgeberseitige ordentliche betriebsbedingte Be- endigungs- und Änderungskündigungen, letztere unabhängig da- von, ob der betroffene Arbeitnehmer das Änderungsangebot abge- lehnt oder – gegebenenfalls unter Vorbehalt – angenommen hat.10 Demgegenüber werden fristlose Kündigungen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 4 S. 2 KSchG nicht mitgezählt; dies gilt auch für au- ßerordentliche Kündigungen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeit- nehmer eine soziale Auslauffrist einräumt, nicht aber für außeror- dentliche Kündigungen mit einer notwendigen Auslauffrist infolge des (tarif-)vertraglichen oder gesetzlichen Ausschlusses der ordent- lichen Kündbarkeit.11

Entlassungen in diesem Sinne stehen gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG anderen Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden. Dies entspricht unionsrechtli- chen Vorgaben, wonach jede Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die vom Arbeitnehmer nicht gewollt ist, als „Entlassung“ gilt.12 Dies umfasst insbesondere vom Arbeitgeber veranlasste Aufhe- bungsverträge und Eigenkündigungen des Arbeitnehmers. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer deut- lich zu verstehen gibt, dass er das Arbeitsverhältnis in jedem Fall beenden werde, also eine konkrete Kündigungsabsicht vorliegt.13 Praxisrelevant wird dies z. B. in dem Fall, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebs- änderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsver- trag zu schließen, um so eine sonst notwendig werdende arbeitge-

berseitige Kündigung zu vermeiden. Ein bloßer Hinweis des Arbeit- gebers auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendig werdende Betriebsänderungen oder der Rat, sich eine neue Stelle zu suchen, genügen dagegen nicht.14

Keine Entlassung liegt indes vor, wenn ein Arbeitsverhältnis infolge des Eintritts einer Bedingung oder durch Ablauf einer vereinbarten Befristung endet.15 Ebenso wenig handelt es sich um eine Entlas- sung, wenn der Einsatz eines Leiharbeitnehmers im Entleihbetrieb endet.16

b) Abschluss eines dreiseitigen Vertrags als „Entlassung“

Problematisch kann der Umgang mit Fällen sein, in denen ein Ar- beitsverhältnis von einem Arbeitgeber auf einen neuen Arbeitgeber übergeleitet wird. Das Arbeitsverhältnis mit dem Altarbeitgeber wird einvernehmlich beendet und gleichzeitig ein neues Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber begründet. Besonders praxisrelevant ist der Abschluss eines derartigen dreiseitigen Vertrages bei Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf eine Transfergesellschaft (TG), wodurch das bisher mit dem Arbeitgeber bestehende Arbeitsverhältnis aufge- löst und ein neues befristetes Arbeitsverhältnis mit der TG begründet wird.

Das BAG hatte bereits im Jahr 2012 angedeutet, dass der Abschluss dreiseitiger Verträge und der damit verbundene Wechsel in eine TG als Entlassung i. S. d. § 17 KSchG gilt, dies aber letztlich offen- gelassen. Jedenfalls seien diejenigen Arbeitnehmer, bei denen im Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige noch nicht feststeht, dass sie in eine TG wechseln werden (und deshalb alternativ auch eine betriebsbedingte Kündigung droht), bei der Berechnung des Schwellenwerts mitzuzählen. Für die Arbeitsverwaltung sei im Zeit- punkt der Erstattung der Massenentlassungsanzeige noch nicht ab- sehbar, ob und wann die zu diesem Personenkreis gehörenden Ar- beitnehmer den Arbeitsmarkt belasten werden.17 Nach einer Ent- scheidung des LAG Baden-Württemberg, die ein Jahr später erging, sind jedoch ausdrücklich auch Arbeitnehmer, die einen dreiseitigen Vertrag unterzeichnet haben und in ein neues Arbeitsverhältnis mit der TG übergeleitet werden, bei der Berechnung der Schwellenwer- te nach § 17 Abs. 1 KSchG mitzuzählen.18 Für diese Sichtweise spricht, dass nach einer neueren Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2015 Entlassungen auch dann mitzuzählen sind, wenn die be- troffenen Arbeitnehmer eine Anschlussbeschäftigung gefunden ha- ben.19 Im Ergebnis handelt es sich auch in diesen Fällen um ar-

Aufsatz | Arbeitsrecht

Seidel/Wagner · Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

7 EuGH, 9.7.2015 – C-229/14, BB 2015, 2554, NZA 2015, 861, 862 f.

8 BAG, 16.11.2017 – 2 AZR 90/17(A), BB 2018, 307 (Ls), FD-ArbR 2017, 396276.

9 LAG Düsseldorf, 8.9.2016 – 11 Sa 705/15, AuR 2017, 127; a. A.Fuhlrott/Fabritius, NZA 2014, 122, 126, die zu einer Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Berech- nung der Schwellenwerte tendieren.

10 BAG, 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, BB 2014, 2683 m. BB-Komm.Bröckner, NZA 2014, 1069, 1071 f.

11 Weigand, in: Etzel u. a., KR, 11. Aufl. 2016, § 17 KSchG, Rn. 56 f.;Kiel, in: ErfK, 18. Aufl.

2018, § 17 KSchG, Rn. 16.

12 EuGH, 12.10.2004 – C-55/02, NZA 2004, 1265, 1267.

13 Moll, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 17 KSchG, Rn. 33.

14 BAG, 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, BB 1995, 2534, NZA 1996, 271, 272 f.

15 Boemke, in: NomosKommentar ArbR, § 17 KSchG, Rn. 50.

16 Mückl/Vielmeier, NJW 2017, 2956, 2956. Diese Feststellung ist allerdings von der bislang ungeklärten Frage zu trennen, ob Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb bei der Berech- nung der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen sind, s. hierzu oben II. 1. c).

17 BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, NZA 2012, 1029, 1033.

18 LAG Baden-Württemberg, 23.10.2013 – 10 Sa 32/13, NZA-RR 2014, 192, 194; so auch Dimsic, NJW 2016, 901, 902;Kortmann/Brungs, ArbRAktuell 2017, 355, 356; a. A.v. Hoy- ningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Aufl. 2007, § 17, Rn. 24.

19 BAG, 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, AP Nr, 464 zu § 613a BGB;Moll, in: Ascheid/Preis/

Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 17 KSchG, Rn. 29, 54.

(4)

beitgeberseitig veranlasste Beendigungen, die den durch die MERL bezweckten individuellen Schutz der betroffenen Arbeitnehmer rechtfertigen, obgleich in diesen Fällen negative Auswirkungen für den Arbeitsmarkt, welche, dem ursprünglichen Regelungszweck der Vorschrift entsprechend, zu verhindern wären, zumindest kurzfris- tig nicht eintreten.

3. Maßgeblicher Zeitpunkt für Entlassungen

Die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt einer Entlassung ist ins- besondere für den 30-Tages-Zeitraum des § 17 Abs. 1 KSchG relevant, nach dem nur die innerhalb dieser Zeitspanne erfolgten Entlassungen für die Berechnung der Schwellenwerte heranzuziehen sind.

a) Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Seit der „Junk“-Entscheidung des EuGH ist unter „Entlassung“ i. S. d.

MERL nicht der Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeits- verhältnisses zu verstehen, sondern der Zeitpunkt des Wirksamwer- dens der Kündigungserklärung.20Infolgedessen hat das BAG21abwei- chend von seiner bis dahin bestehenden ständigen Rechtsprechung entschieden, dass nunmehr der Begriff der Entlassung i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG aufgrund richtlinienkonformer Auslegung als Kündi- gungserklärung des Arbeitgebers zu verstehen ist. Maßgeblicher Zeit- punkt einer Entlassung im Falle einer Kündigung ist dementspre- chend auch nicht bereits das Datum der Entäußerung, sondern des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer.22

b) Beendigung durch Aufhebungsvertrag

Entscheidend für eine „Entlassung“ im Falle von Aufhebungsverträ- gen ist der Zeitpunkt des Rechtsakts, der die Beendigung des Arbeits- verhältnisses zur Wirkung hat, nicht dagegen der Zeitpunkt des Ein- tritts dieser Wirkung.23 Dessen Wirksamkeit ist nach allgemeinen Maßstäben zu bestimmen; maßgeblich ist folglich der Zugang der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung.24Die teilweise ver- tretene Auffassung, dass der Zeitpunkt des Angebots auf Abschluss des Vertrages durch den Arbeitgeber maßgeblich sei, da der Arbeitge- ber keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Annahme durch den Ar- beitnehmer habe,25überzeugt hingegen nicht.

c) Beendigung durch dreiseitigen Vertrag

Nicht abschließend geklärt ist, wann bei Abschluss eines dreiseiti- gen Vertrags der Zeitpunkt der Entlassung eintritt.26 Anknüpfend an die zu Aufhebungsverträgen vertretene Auffassung, wonach al- lein der Abschluss des Aufhebungsvertrages relevant ist, kann für den dreiseitigen Vertrag, dessen typischer Bestandteil das Aufhe- bungselement ist, nichts anderes gelten. Konkret bedeutet dies: Ent- scheidend ist auch hier der Zeitpunkt des Rechtsakts, der die Been- digung des Arbeitsverhältnisses zur Wirkung hat, nicht der Zeit- punkt des Eintritts dieser Wirkung. Eine „Entlassung“ liegt damit nicht erst beim tatsächlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses in die TG vor, sondern bereits zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des dreiseitigen Vertrages.27

Praxistipp:

In der Praxis werden Aufhebungsverträge bzw. dreiseitige Verträge häufig vom Arbeitgeber (und der TG) vorunterzeichnet und zur Gegenzeichnung an den Ar- beitnehmer übermittelt. Allerdings weiß der Arbeitgeber bei Abgabe des Ange- bots regelmäßig nicht, ob bzw. wann der Arbeitnehmer das Angebot annimmt.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die Massenentlassungsanzeige vorsorg- lich bereits vor Entäußerung der Aufhebungs- bzw. dreiseitigen Verträge zu er- statten und auf alle betroffenen Arbeitnehmer zu erstrecken, unabhängig davon, ob bzw. wie viele Arbeitnehmer das Angebot letztlich annehmen.28Weniger Auf- merksamkeit sollte demgegenüber den vereinzelt anderslautenden Hinweisen der Arbeitsagenturen geschenkt werden, die in einem späteren Kündigungsschutzver- fahren ohnehin nicht bindend sind.29Der Abschluss eines dreiseitigen Vertrags ohne vorherige Massenentlassungsanzeige führt sonst regelmäßig zur Unwirk- samkeit des dreiseitigen Vertrags.

In der Praxis ist zudem häufig zu beobachten, dass der dreiseitige Vertrag un- ter die aufschiebende Bedingung gestellt wird, dass dem Arbeitnehmer von der AfA Transferkurzarbeitergeld gewährt wird, also eine Förderung durch die AfA stattfindet.30Da aufschiebend bedingte Willenserklärungen erst mit dem Eintritt der Bedingung rechtswirksam werden (§ 158 Abs. 1 BGB), wird dadurch der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des dreiseitigen Vertrages und damit auch der anzeigepflichtige Zeitpunkt der Entlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG nach hinten verlagert. Will man die hiermit verbundenen Schwierigkeiten vermeiden, so empfiehlt es sich, die Wirksamkeit des dreiseitigen Vertrags unter eine auf- lösende anstelle einer aufschiebenden Bedingung der Förderfähigkeit zu stel- len. Da auflösend bedingte Willenserklärungen bis zum Eintritt der Bedingung uneingeschränkt rechtswirksam sind (§ 158 Abs. 2 BGB), ist auch der dreiseitige Vertrag in diesem Fall zunächst wirksam, ohne dass die mit einer Verzögerung des Bedingungseintritts verbundenen zeitlichen Unschärfen eintreten.

d) Zeitpunkt der Entlassung bei behördlichen Zustimmungsvorbehalten

Bei der Entlassung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung durch behördliche Zustim- mungsvorbehalte besonders geschützt ist, ist eine Besonderheit zu be- achten. So hat das BAG im Fall einer Arbeitnehmerin in Elternzeit, deren Kündigung nach § 18 Abs. 1 S. 1 BEEG der vorherigen behörd- lichen Zustimmung bedurfte, entschieden, dass bereits der Zeitpunkt des Antrags auf Zustimmung als „Entlassung“ im Sinne des § 17 KSchG gilt.31

Das BAG folgte dabei einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2016, wonach die Vorverlegung des für die Massenentlassung relevan- ten Zeitpunkts bei der Kündigung von Arbeitnehmern mit besonde- rem Kündigungsschutz geboten ist, um eine Benachteiligung dieser Personen zu vermeiden. Aufgrund der Dauer des behördlichen Zu- stimmungsverfahrens könnten Kündigungen oftmals erst außerhalb

Arbeitsrecht | Aufsatz

Seidel/Wagner · Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

20 EuGH, 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 213, 214.

21 BAG, 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BB 2006, 1971.

22 BAG, 26.1.2017 – 6 AZR 442/16, NZA 2017, 577, 579;Salamon, NZA 2015, 789, 791; a. A.

Bauer/Krieger/Powietzka, BB 2006, 2023, 2025;Kiel, in: ErfK, 18. Aufl. 2018, § 17 KSchG, Rn. 22.

23 Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721, 723.

24 Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721, 723;Dzida/Hohenstatt, DB 2006, 1897, 1900.

25 Wolff/Köhler, BB 2017, 1078, 1079. S. auch das Formular der Bundesagentur für Arbeit.

Dort ist vom „Angebot von Aufhebungsverträgen“ die Rede.

26 Sowohl in BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, NZA 2012, 1029 als auch in BAG, 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, AP Nr, 464 zu § 613a BGB sowie in LAG Baden-Württem- berg, 23.10.2013 – 10 Sa 32/13, NZA-RR 2014, 192 ist stets nur allgemein von „Arbeit- nehmern, die zu einer Transfergesellschaft wechseln“ die Rede.

27 Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721, 723.

28 Die Situation ist vergleichbar mit Änderungskündigungen. Auch in diesem Fall darf der Arbeitgeber in der Massenentlassungsanzeige vorsorglich alle betroffenen Arbeitnehmer angeben, vgl.Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1848.

29 BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, 2568.

30 Z. B. Mustervertrag beiOberthür/Seitz/Trebeck, Betriebsvereinbarungen, 2. Aufl. 2016, XIII.

Betriebsvereinbarungen zur wirtschaftlichen Mitbestimmung, Rn. 80 (dort unter III. 4.).

Ohne eine solche Regelung trägt der Altarbeitgeber bei Ablehnung der individuellen Förderfähigkeit durch die AfA typischerweise das volle Kostenrisiko für die Durchführung der Transfermaßnahme, einschließlich der Zahlung der im dreiseitigen Vertrag bzw. So- zialplan vereinbarten Vergütung.

31 BAG, 26.1.2017 – 6 AZR 442/16, NZA 2017, 577, 580.

(5)

des 30-Tages-Zeitraums nach § 17 Abs. 1 KSchG ausgesprochen wer- den. Würde auch für diese Arbeitnehmer der Ausspruch der Kündi- gung als relevanter Zeitpunkt gelten, würden durch das behördliche Zustimmungsverfahren verursachte Verzögerungen beim Ausspruch der Kündigung und damit der zugunsten der Arbeitnehmer bestehen- de Sonderkündigungsschutz im Rahmen der Massenentlassung zu ei- ner Verkürzung der Rechte der betroffenen Arbeitnehmer führen.32

Praxistipp:

Es ist naheliegend, dass diese explizit zu § 18 BEEG ergangene Rechtsprechung auch auf andere behördliche Zustimmungsvorbehalte, z. B. nach § 168 SGB IX, übertragen werden kann. Vor diesem Hintergrund sollte bis zu einer höchstrich- terlichen Klärung vorsorglich für alle betroffenen Arbeitnehmer, deren Kündigung einer behördlichen Zustimmung bedarf, in der Massenentlassungsanzeige der Zeitpunkt der geplanten Stellung des Zustimmungsantrags angegeben werden.

4. Zeitraum der Entlassungen

Weitere Voraussetzung der Anzeigepflicht ist, dass sämtliche Entlas- sungen innerhalb von 30 Kalendertagen vorgenommen werden. Uner- heblich ist dabei, ob die Entlassungen einem einheitlichen Entschluss des Arbeitgebers, z. B. zeitlich gestaffelt innerhalb mehrerer Wochen, zugrunde liegen oder sie auf einem neuen, eigenständigen Entschluss – sowohl bei anderen Kündigungen gegenüber weiteren Arbeitneh- mern als auch bei wiederholten Kündigungen gegenüber bereits ge- kündigten Arbeitnehmern – beruhen. Vor dem Hintergrund, dass je- de Entlassung eine neue 30-Tages-Frist auslöst, sind sowohl frühere als auch spätere Entlassungen innerhalb von jeweils insgesamt 30 Ta- gen zusammenzurechnen. Die 30-Tages-Frist beginnt mit dem Tag der ersten Entlassung und berechnet sich nach §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 1 BGB.33

Praxistipp:

Rechtlich zulässig ist es, Entlassungen in zeitlichen Abständen so vorzunehmen, dass die Schwellenwerte innerhalb von 30 Kalendertagen nicht erreicht werden.

Lässt sich dies mit dem konkreten Stellenabbaukonzept vereinbaren, sollte diese Möglichkeit zur Vermeidung eines Anzeigeverfahrens zumindest in Betracht gezo- gen werden.

Die Anzeigepflicht kann jedoch auch nachträglich entstehen, z. B.

wenn konkret von der Kündigung bedrohte Arbeitnehmer unerwartet vorzeitig eine Eigenkündigung erklären und erst hierdurch zusammen mit bereits zuvor vom Arbeitgeber ausgesprochenen, zunächst nicht anzeigepflichtigen, Kündigungen die Schwellenwerte innerhalb des 30-Tages-Zeitraums erreicht werden. Die bereits ausgesprochenen, nicht angezeigten Kündigungen sind in diesem Fall nichtig, sie müs- sen nach Erstattung einer Massenentlassungszeige erneut vorgenom- men werden.

Praxistipp:

Aus diesem Grund sollte bereits vor Vornahme der geplanten Entlassungen be- dacht werden, ob die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG innerhalb von 30 Tagen voraussichtlich durch weitere Entlassungstatbestände überschritten werden können. Erscheint dies zumindest naheliegend, sollte vorsorglich eine Anzeige er- stattet werden. Sind erste Kündigungen bereits angezeigt worden und erfolgen innerhalb der 30-Tages-Frist weitere Kündigungen, ist vor jeder „Nachkündigung“

eine eigenständige Entlassungsanzeige erforderlich, wobei nach dem BAG eine

„Nachmeldung“ des einzelnen Arbeitnehmers ausreichen soll.34

Beispiel:

Der Arbeitgeber kündigt in einem Betrieb mit 58 Arbeitnehmern am 26.2. vier Ar- beitnehmern und löst damit den Lauf der Frist von 30 Tagen aus. Die Frist endet, sofern es sich nicht um ein Schaltjahr handelt, am 27.3. Allein die vier Kündigun- gen begründen noch nicht die Anzeigepflicht. Erfolgen jedoch z. B. am 27.3. min- destens zwei weitere Kündigungen, so liegen nunmehr innerhalb eines 30-Tages- Zeitraums sechs Entlassungen vor, was zur Anzeigepflicht für alle Entlassungen und damit rückwirkend auch für die bislang nicht anzeigepflichtigen vier Entlas- sungen führt.

Da die beiden Kündigungen vom 27.3. wiederum ein neues Zeitfenster für die Be- rücksichtigung des 30-Tages-Zeitraums öffnen, sind auch vier weitere am 28.3.

ausgesprochene Kündigungen anzeigepflichtig, da sie mit eben diesen beiden Kündigungen ebenfalls den Schwellenwert innerhalb eines 30-Tages-Zeitraums überschreiten. Dass diese vier neuen Kündigungen nicht innerhalb des durch die Kündigungen vom 26.2. ausgelösten 30-Tages-Zeitraums liegen, ist hierfür unbe- achtlich.

III. Inhalt der Massenentlassungsanzeige

Bei der Erstellung der Anzeige sind zahlreiche formale Anforderungen zu beachten, deren Inhalt sich aus § 17 Abs. 3 KSchG ergibt. Das Ge- setz unterscheidet zwischen Pflichtangaben und zusätzlichen, nicht zwingend erforderlichen, Informationen, die im Einvernehmen mit dem Betriebsrat gemacht werden sollen, sog. „Soll“-Angaben.35

1. Pflichtangaben

Notwendiger Inhalt der Anzeige sind gemäß § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG:

– Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes,

– die Gründe für die geplanten Entlassungen,

– die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

– der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sol- len, und

– die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Ar- beitnehmer.

Folgende der vorgenannten Angaben bedürfen einer näheren Erläute- rung:

a) Berufsgruppen oder Berufsklassen?

Hinsichtlich der im Gesetz genannten Angabe der „Berufsgruppen“

kam es in jüngerer Vergangenheit zu Missverständnissen, nachdem die Bundesagentur für Arbeit Ende 2016 in ihrem offiziellen Formu- lar für die Anzeige von Massenentlassungen dazu übergegangen war, die Angabe von „Berufsklassen“ statt „Berufsgruppen“ zu verlangen.

Im Gegensatz zu den – ebenfalls nicht wenigen – 144 möglichen Be- rufsgruppen sollten die in der Regel Beschäftigten und die von Ent- lassungen Betroffenen – und damit letztlich sämtliche Arbeitnehmer des Betriebs – anhand von mehr als 2000 möglichen Berufsklassen kategorisiert werden, was zu einem vollkommen unverhältnismäßi- gen und nicht begründeten Aufwand bei Erstellung der Anzeige führte.

Aufsatz | Arbeitsrecht

Seidel/Wagner · Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

32 BVerfG, 8.6.2016 – 1 BvR 3634/13, NZA 2016, 939, 940 f.

33 BAG, 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, AP InsO § 343 Nr. 1.

34 BAG, 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, NZA 2016, 490, 493.

35 Kiel, in: ErfK, 18. Aufl. 2018, § 17 KSchG, Rn. 102 ff.

(6)

Die geforderte Angabe von Berufsklassen findet im Gesetz keinerlei Grundlage; nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG genügt die Angabe von Be- rufsgruppen. Konsequenterweise und wohl auch bedingt durch das aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit negative Echo betroffener Un- ternehmen, hat die Bundesagentur für Arbeit bereits im Laufe des Jahres 2017 von der zwingenden Angabe von „Berufsklassen“ wieder Abstand genommen. Gleichwohl findet sich in dem aktuellen Formu- lar der Bundesagentur für Arbeit für die Anzeige von Massenentlas- sungen (Stand: Juni 2017) weiterhin und nicht ganz einfach verständ- lich das Feld über die Angabe von „Berufsgruppe oder Berufsklasse“, verbunden mit folgendem Hinweis:

„Schlüsseln Sie Zeilen mit Entlassungen bitte möglichst nach Berufsklasse(n) (= erste 5 Ziffern der DEÜV-Nr. ) auf. Sie unterstützen damit die Vermittlungs- aktivitäten der Agentur für Arbeit. Ihre Angabe zur Anzahl der vorgesehenen Entlassungen ist insoweit bindend, als eine spätere Abweichung nur nach un- ten zulässig ist. Bei der Verteilung sind Ihre Angaben in der Tabelle zu den Berufsgruppe(n) bzw. den ersten 3 Ziffern der Berufsklasse(n) bindend.“

Nach dem aktuellen Merkblatt 5 „Anzeigepflichtige Entlassungen“

(Stand: Oktober 2017) werden allerdings nunmehr ausdrücklich nur noch die Berufsgruppen als zwingend erforderlicher Inhalt der Anzei- ge gefordert. Dort heißt es unter Ziff. 3.2:

„Im Vordruck KSchG 1 werden aus organisatorischen Gründen jetzt die Berufs- klassen (5-Steller) abgefragt, dies ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entlassungsanzeige. Sollten Sie unsicher sein, geben Sie nur die Berufsgruppe(n) an und/ oder kontaktieren Sie Ihre Agentur für Arbeit.“

Die Angabe von Berufsgruppen reicht hiernach jedenfalls aus; die Aufschlüsselung nach Berufsklassen ist für eine wirksame Massenent- lassungsanzeige unverändert nicht erforderlich.

b) Zeitraum der Entlassungen

Unsicherheit besteht gelegentlich auch, welche Angaben im Formular der Bundesagentur für Arbeit in Bezug auf „den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen“, zu machen sind.

Diesbezüglich heißt es in dem aktuellen Formular (Stand: Juni 2017) unter Ziff. 31:

„Innerhalb von 30 Tagen sollen ___ Arbeitnehmer/innen entlassen werden.

Und zwar voraussichtlich im Zeitraum vom ___ bis zum ___“

Diese Vorgaben verleiten zu der Annahme, dass nur Entlassungen an- gezeigt werden können, die innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen liegen. In diese Richtung geht auch der entsprechende Hinweis zu dieser Ziffer:

„Angaben zu AN, denen innerhalb von 30 Kalendertagen die Kündigung er- klärt/ein Aufhebungs- oder Änderungsvertrag angeboten werden soll bzw.

die selbst kündigen werden, um der AG-Kündigung zuvorzukommen. [.] Ent- lassungen, die weiter in der Zukunft liegen oder einen anderen Betrieb be- treffen, müssen Sie gesondert anzeigen!“

Nach dem BAG ist eine erneute Anzeige indes entbehrlich, wenn Kündigungen vor Ablauf der Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG, also in- nerhalb von 90 Tagen nach Erstattung der Anzeige, ausgesprochen werden.36Etwas anderes gilt nur im Fall von Wiederholungskündi- gungen, die z. B. wegen eines Formfehlers noch einmal ausgesprochen werden; diese sind von der ursprünglichen Anzeige nicht erfasst.37Je- denfalls in dem Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit heißt es un- ter Ziff. 5.2 zutreffend:

„Nach Eingang der wirksamen Entlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit haben Sie 90 Tage Zeit, die angezeigten Entlassungen durchzuführen, d. h.

die Kündigungen zu erklären oder Aufhebungs- bzw. Änderungsverträge an- zubieten. Sie sind also nicht gezwungen, sich an den angegebenen Kündi- gungszeitraum zu halten; genauso wenig müssen Sie die Entlassungen in vol- lem Umfang umsetzen.“

Vor diesem Hintergrund wird es ausreichend sein, in dem Formular der Bundesagentur für Arbeit für die vorzunehmenden Entlassungen einen Zeitraum innerhalb der Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG anzuge- ben.38Der Zeitraum muss nicht zwingend 30 Tage betragen.

Bei komplexen Personalabbaumaßnahmen werden Kündigungen häufig ein „Freiwilligenprogramm“ (d. h. die Möglichkeit für Ar- beitnehmer, unter Zahlung einer regelmäßig erhöhten Abfindung einvernehmlich durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden) bzw. die Möglichkeit des Wechsels in eine TG vorgeschaltet. Kündigungen sollen allein dann ausge- sprochen werden, wenn eine einvernehmliche Beendigung des Ar- beitsverhältnisses scheitert. Derartig komplexe Konstellationen wer- den nicht ohne weiteres in dem knappen und allenfalls für „Stan- dardfälle“ geeigneten Formular der Bundesagentur für Arbeit ver- ständlich dargestellt werden können. Hier erscheint es sinnvoll, der AfA die zeitliche Planung des Personalabbaus im Detail darzulegen und einen Zeitkorridor, innerhalb dessen die unterschiedlichen Entlassungstatbestände vorliegen können, zu benennen. Die bei der Anzeige der bevorstehenden Entlassungen bestehende Unsicherheit über den tatsächlichen Zeitpunkt der Entlassungen hindert den Ar- beitgeber nicht daran, sowohl die in Betracht kommenden Entlas- sungen durch Abschluss eines Aufhebungs- bzw. dreiseitigen Ver- trags über den Wechsel in die TG als auch die nur gegebenenfalls auszusprechenden Kündigungen in einer Anzeige zusammenzufas- sen, selbst wenn sämtliche Entlassungstatbestände nicht insgesamt in einer Zeitspanne von 30 Kalendertagen erfolgen sollten. Werden in einem Betrieb nacheinander mehrere Massenentlassungen im Sinne von § 17 Abs. 1 KSchG durchgeführt, kann das Verfahren nach einer neueren Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2016 einheitlich für alle beabsichtigten Entlassungen durchgeführt und somit zusammengefasst werden. Die einzelnen Massenentlassungen bedürfen nicht zwingend gesonderter Verfahren. Im Gegenteil soll es nach dem BAG gerade der vollständigen Information des Betriebsrats und der AfA dienen, im Rahmen eines einheitlichen Konsultations- und Anzeigeverfahrens einen vollständigen Über- blick über die beabsichtigten Entlassungswellen zu gegeben.39 Nichts anderes kann deshalb gelten, wenn vor Ausspruch der Kün- digung der Abschluss eines Aufhebungs- oder dreiseitigen Vertrags angeboten wird, zumal in solchen Fällen in rechtlicher Hinsicht je- weils nur eine „Entlassung“ vorliegt, wenn das Angebot auf einver- nehmliche Aufhebung nicht angenommen worden ist und darauf- hin der Ausspruch einer Kündigung erfolgt.

Im Hinblick auf die Frist des § 18 Abs. 4 KSchG besteht jedoch eine zeitliche Grenze der Zusammenfassung von Entlassungen, sodass die in einer einheitlichen Massenentlassungsanzeige aufgeführten Entlas- sungen innerhalb von 90 Kalendertagen zu erfolgen haben. Zweck dieser Frist ist es, „Vorratsanzeigen“ zu verhindern, die dem Zweck des Gesetzes, die AfA über das tatsächliche Ausmaß der Beendigun- gen von Arbeitsverhältnissen ins Bild zu setzen, zuwiderliefen.40In-

Arbeitsrecht | Aufsatz

Seidel/Wagner · Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

36 BAG, 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, NJW 2010, 3051, 3053.

37 BAG, 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, NZA 2016, 490, 493 f.

38 EbensoWolff/Köhler, BB 2017, 1078 f.

39 BAG, 9.6.2016 – 6 AZR 638/15, NZA 2016, 1202, 1204.

40 BAG, 9.6.2016 – 6 AZR 638/15, NZA 2016, 1202, 1205.

(7)

nerhalb dieser Frist müssen die angezeigten Entlassungen lediglich vorgenommen werden, sodass über die Frist hinausgehende Kündi- gungsfristen keine erneute Anzeige erfordern.41Weiterhin unklar ist allerdings, ob für den Beginn der Frist der Tag des Eingangs der An- zeige bei der AfA oder der Ablauf der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG (ein Monat nach Eingang der Anzeige) maßgeblich ist. Nach einer neueren Entscheidung des BAG beginnt die Freifrist erst nach Ablauf der Sperrfrist.42Somit hätte der Arbeitgeber nach Erstattung der Anzeige im Ergebnis 120 Kalendertage zur Verfügung, um Entlas- sungen vorzunehmen. In einem Urteil aus dem Jahr 2010 hat das BAG für die Berechnung der Frist jedoch darauf abgestellt, dass die Kündigung „innerhalb von 90 Tagen nach Anzeige der Massenentlas- sung“ erklärt sein muss.43Die besseren Argumente sprechen für letz- teres Verständnis. Aus § 18 Abs. 1 KSchG ergibt sich, dass die Vornah- me der Entlassung – d. h. Ausspruch der Kündigung oder Abschluss des Aufhebungs- oder dreiseitigen Vertrags – ab dem Zeitpunkt mög- lich ist, in dem die Anzeige bei der AfA eingegangen ist. Die Sperrfrist soll nicht verhindern, dass Kündigungen bzw. andere Beendigungstat- bestände wirksam werden, sondern lediglich, dass deren Beendi- gungswirkung vor dem Ablauf eines Monats beginnt.44Diesem Ver- ständnis entsprechen auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit in deren Merkblatt, in dem es unter Ziff. 5.2 heißt:

„Nach Eingang der wirksamen Entlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit haben Sie 90 Tage Zeit, die angezeigten Entlassungen durchzuführen, d. h.

die Kündigungen zu erklären oder Aufhebungsverträge anzubieten.“

Praxistipp:

Sicherheitshalber sollte eine erneute Anzeige erstattet werden, wenn seit dem Eingang der letzten Massenentlassungsanzeige mehr als 90 Tage verstrichen sind.45

Anders als auf Grundlage des Formulars der Bundesagentur für Ar- beit anzunehmen, können voraussichtliche Entlassungen auch in mehreren Phasen in einer einheitlichen Massenentlassungsanzeige zu- sammengefasst werden, sofern die Entlassungen insgesamt innerhalb von 90 Tagen liegen. Der Hinweis der Bundesagentur für Arbeit, dass Entlassungen außerhalb eines Zeitraums von dreißig Tagen einer er- neuten Massenentlassungsanzeige bedürfen, ist insoweit nicht zutref- fend.

Praxistipp:

Das Formular der Bundesagentur für Arbeit bildet – wie gezeigt – die geltende Rechtslage nicht vollständig ab, sondern geht in den geforderten Angaben teils darüber hinaus und enthält darüber hinaus zum Teil missverständliche Formulie- rungen. Bei der Verwendung des Formulars ist somit Augenmaß gefordert. Im Rahmen komplexer Restrukturierungen mit mehreren denkbaren Entlassungstat- beständen und Entlassungszeiträumen empfiehlt es sich ohnehin, das Formular allenfalls als Grundlage für die Anzeige zu verwenden und die erforderlichen In- formationen in einem ausführlicheren Begleitschreiben niederzulegen, das ledig- lich punktuell auf das Formular verweist.

c) Kündigungsfristen/Kündigungsendtermine

Nicht gesetzlich vorgeschrieben ist die Angabe der einzuhaltenden Kündigungsfristen bzw. der Kündigungsendtermine der zu entlassen- den Arbeitnehmer. Dies ist vor dem Hintergrund, dass nach neuerem Verständnis „Entlassung“ i. S. d. § 17 ff. KSchG den Beendigungstatbe- stand, nicht aber das Datum der Beendigung meint, nachvollziehbar,

auch wenn hierdurch der ursprüngliche Zweck der Massenentlas- sungsanzeige, die AfA auf die drohende Arbeitslosigkeit der betroffe- nen Arbeitnehmer vorzubereiten, weniger gut erreicht wird.

Die Notwendigkeit der Mitteilung von Kündigungsfristen und Kün- digungsendterminen wird in der Literatur zum Teil abgelehnt,46teil- weise jedoch unter Verweis darauf, dass diese Angaben zu den „Grün- den“ für die Entlassung gehören, befürwortet.47 Das BAG hat sich hierzu nicht abschließend geäußert, es aber in einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 jedenfalls als ausreichend erachtet, wenn der Arbeitge- ber neben dem Monat des Ausspruchs der Kündigungen die Kündi- gungsfristen mitteilt.48

Praxistipp:

Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung sollten die voraussichtlichen Beendi- gungstermine, zumindest aber die einschlägigen Kündigungsfristen mitgeteilt werden. Erfahrungsgemäß werden derartige Angaben von vielen Agenturen für Arbeit verlangt, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass das Formular der Bundesagentur für Arbeit die Angabe der Kündigungsfristen zwischenzeitlich ausdrücklich vorsah.

2. Soll-Angaben

Nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG sollen im Einvernehmen mit dem Be- triebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer ge- macht werden. Entsprechende Angaben sind für die Wirksamkeit der Anzeige indes nicht zwingend erforderlich.

3. Stellungnahme des Betriebsrats

Die Anzeige ist nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG schriftlich unter Beifü- gung der Stellungnahme des Betriebsrates zu den Entlassungen zu er- statten. Die Beifügung der Stellungnahme ist Wirksamkeitsvorausset- zung für die Anzeige.49

Praxistipp:

Sofern der Betriebsrat eine Stellungnahme abgibt, ist darauf zu achten, dass er sie dem Arbeitgeber zuleitet, der diese dann zusammen mit den weiteren Angaben und Dokumenten an die AfA weiterleitet. Nach der Rechtsprechung des BAG ist bislang offen, ob überhaupt eine wirksame Anzeige vorliegt, wenn der Betriebsrat seine Stellungnahme direkt an die AfA sendet.50Um eine direkte Abgabe der Stel- lungnahme gegenüber der AfA zu vermeiden, bietet es sich an, die Stellungnah- me des Betriebsrats in einer gesonderten Ziffer in den Interessenausgleich zu in- tegrieren.51

Auch wenn der Arbeitgeber keinen Einfluss auf den Inhalt der Stel- lungnahme des Betriebsrats hat, so ist zu beachten, dass diesbezüglich gewisse Mindestanforderungen gelten. Die Stellungnahme genügt den Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG nur, wenn sie sich auf die

Aufsatz | Arbeitsrecht

Seidel/Wagner · Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

41 BAG, 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, NZA 2010, 944, 946 f.

42 S. BAG, 9.6.2016 – 6 AZR 638/15, NZA 2016, 1202; ebensoNiklas/Koehler, NZA 2010, 913, 918.

43 S. BAG, 22.4.2010 – 6 AZR 948/08, NZA 2010, 1057, 1059.

44 So auchBoemke, jurisPR-ArbR 51/2016, Anm. 3.

45 DahingehendLingemann/Steinhauser, NJW 2017, 2245, 2247.

46 Moll, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 18 KSchG, Rn. 67 m. w. N.

47 Kiel, in: ErfK, 18. Aufl. 2018, § 17 KSchG, Rn. 22.

48 BAG, 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, 1271.

49 BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, NZA 2012, 1029, 1034.

50 BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, NZA 2012, 1029, 1034.

51 Zur rechtlichen Zulässigkeit BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, NZA 2012, 1029, 1035.

(8)

angezeigten Entlassungen bezieht und diesbezüglich eine abschließen- de Meinungsäußerung des Betriebsrats enthält, wobei auch eine ein- deutige Äußerung, keine Stellung nehmen zu wollen, ausreichend ist.52

IV. Das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat

Sofern ein Betriebsrat besteht, muss der Arbeitgeber diesem nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte erteilen und ihn schriftlich über die in § 17 Abs. 2 KSchG näher bezeichneten Gegenstände unterrichten (Auskunfts- und Unterrichtungspflicht).

Gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG haben Arbeitgeber und Betriebsrat des Weiteren insbesondere über Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mindern (Beratungspflicht). Auskunfts-, Unterrichtungs- und Beratungspflicht bilden zusammen das sogenannte „Konsultationsverfahren“, welches auf Art. 2 der MERL beruht. Dieses steht selbstständig neben dem Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG und stellt ein eigenständi- ges Wirksamkeitserfordernis im Rahmen des Massenentlassungsver- fahrens dar.53

1. Zeitlicher Ablauf

Die Konsultationspflicht entsteht, wenn der Arbeitgeber erwägt, Mas- senentlassungen vorzunehmen, oder einen Plan für Massenentlassun- gen aufstellt, und erfordert zumindest, dass für den Betriebsrat die Absicht des Arbeitgebers erkennbar ist, Massenentlassungen vorzu- nehmen.54Allerdings muss die Unterrichtung des Betriebsrats nicht bereits bei der Eröffnung der Konsultation erfolgen; sie muss aber ge- gebenenfalls „im Verlauf des Verfahrens“ vervollständigt und alle ein- schlägigen Informationen bis zu dessen Abschluss erteilt werden. Die Unterrichtungspflicht kann daher flexibel gehandhabt werden.55Im Übrigen genügt für die Wahrung des Formerfordernisses der schrift- lichen Unterrichtung nach neuerer Rechtsprechung die Textform nach § 126b BGB.56

Über die bloße Unterrichtung hinaus muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat Möglichkeiten beraten, um Entlassungen zu ver- meiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Diese Beratungspflicht geht über eine bloße Anhörung, wie z. B. im Ver- fahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG, deutlich hinaus.57Der Betriebsrat muss die Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten, der Arbeitgeber muss sich hiermit im Gespräch bzw. in Verhandlungen mit dem Betriebsrat ernstlich auseinandersetzen oder Verhandlungen zumin- dest anbieten.58 Ein Einigungszwang besteht allerdings nicht.59 Es ist ausreichend, aber auch notwendig, dass der Arbeitgeber mit dem ernstlichen Willen der Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und bereit ist, sich mit ggf. abweichenden Vorschlägen des Betriebsrats auseinanderzusetzen und diese ins Kalkül zu ziehen.60Beratungen sind daher jedenfalls dann zu spät, wenn der Arbeitgeber schon vor deren Abschluss das Verfahren nach § 102 BetrVG einleitet oder Arbeitnehmer auf ihre Pflichten aus § 38 SGB III hinweist.61

In der Praxis fällt das Konsultationsverfahren häufig mit den bereits laufenden Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zusam- men. Die Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG und § 17 Abs. 2 KSchG können – und sollten zweckmäßigerweise – verbunden werden; aller- dings muss der Arbeitgeber zumindest klarstellen, dass er neben dem

Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG auch das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchführt.62Zwar kann es hierfür genügen, wenn der Arbeit- geber dem Betriebsrat den Entwurf eines Interessenausgleichs zuleitet, der einen Hinweis auf die Verbindung der beiden Verfahren enthält.63 Allerdings sollte der Betriebsrat vorsichtshalber noch einmal geson- dert – spätestens im Rahmen der schriftlichen Unterrichtung nach

§ 17 Abs. 2 S. 1 KSchG – darüber informiert werden, dass der Arbeit- geber neben dem Verfahren nach § 111 BetrVG auch das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchführt.

Praxistipp:

In zeitlicher Hinsicht ist darauf zu achten, den Betriebsrat mehr als zwei Wochen vor der geplanten Anzeige gegenüber der AfA zu unterrichten. Dies folgt aus § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG, wonach eine Anzeige gegenüber der AfA auch ohne Stellung- nahme des Betriebsrats wirksam ist, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrich- tet hat. Um für die Glaubhaftmachung nicht auf eine eidesstattliche Versicherung zurückgreifen zu müssen, sollte sich der Arbeitgeber den Empfang des Unterrich- tungsschreibens schriftlich oder per E-Mail vom Betriebsrat bestätigen lassen.64 Die Erstattung der Anzeige vor Ablauf dieser Zwei-Wochen-Frist ist nur möglich, wenn der Betriebsrat vorab durch Abgabe seiner Stellungnahme das Konsultati- onsverfahren für abgeschlossen erklärt.65

Zusammen mit der Unterrichtung sollten dem Betriebsrat mehrere Terminvorschlä- ge für Beratungen unterbreitet werden.66Tritt der Betriebsrat nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Unterrichtung in Beratungen ein, dürften weitergehende Be- ratungen vor Erstattung der Anzeige grundsätzlich nicht erforderlich sein.67

2. Inhaltliche Angaben

Inhaltlich ist die Unterrichtungspflicht überwiegend deckungsgleich mit den Informationen, die der AfA im Rahmen der Massenentlas- sungsanzeige mitzuteilen sind. Die entsprechenden Ausführungen, insbesondere zu den mitzuteilenden Berufsgruppen, dem Zeitraum der Entlassungen und den Kündigungsfristen/Kündigungsendtermi- nen gelten insoweit auch im Hinblick auf die Unterrichtung des Be- triebsrats. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 KSchG sind jedoch zusätzlich die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien mitzuteilen. Diese Angaben sind unabhängig davon mitzuteilen, ob die Massenentlassung sozialplanpflichtig ist oder nicht.68 Vor dem Hintergrund, dass das Konsultationsverfahren in der Praxis häufig mit den Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan ver- bunden wird, dürfte es schwierig sein, derartige Informationen bereits mit der Unterrichtung zur Verfügung zu stellen, da zu diesem Zeit- punkt die Entscheidung bzw. Verhandlung über Berechnungsgrundla-

Arbeitsrecht | Aufsatz

Seidel/Wagner · Aktuelle Probleme bei der Massenentlassungsanzeige

52 BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567, NZA 2012, 1029, 1034; Formulierungs- beispiele beiMoll/Katerndahl, RdA 2013, 159, 164.

53 BAG, 9.6.2016 – 6 AZR 405/15, NZA 2016, 1198.

54 BAG, 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881.

55 BAG, 9.6.2016 – 6 AZR 405/15, NZA 2016, 1198.

56 BAG, 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, BB 2017, 440, 444; offengelassen zuvor von BAG, 9.6.2016 – 6 AZR 405/15, NZA 2016, 1198.

57 BAG, 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881.

58 Moll, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 17 KSchG, Rn. 74.

59 Molkenbur, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2016, § 17 KSchG, Rn. 24.

60 BAG, 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175.

61 S.v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2016, 690.

62 BAG, 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881.

63 LAG Niedersachsen, 26.2.2015 – 5 Sa 1318/14, ZIP 2015, 1604.

64 Lingemann/Steinhauser, NJW 2017, 3694.

65 BAG, 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NZA 2013, 1040, 3. Ls.

66 Vgl. BAG, 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267.

67 So auchSalamon, NZA 2015, 789, 792.

68 Moll, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 17 KSchG, Rn. 69.

(9)

gen etwaiger Abfindungen (z. B. auf Grundlage eines Sozialplans) noch nicht abgeschlossen sein werden. Das BAG lässt es vor diesem Hintergrund genügen, wenn der Arbeitgeber in der Unterrichtung da- rauf verweist, dass sich die Kriterien für die Berechnung der Abfin- dungen aus einem noch abzuschließenden Sozialplan ergeben.69

V. Fazit

Vor dem Hintergrund der sich im Fluss befindlichen Judikatur von BAG und EuGH sowie der Verwaltungspraxis der Arbeitsagenturen sind Massenentlassungen von erheblicher Rechtsunsicherheit geprägt.

Soweit Personalabbaumaßnahmen über einen längeren Zeitraum um- gesetzt werden und Arbeitgeber vor dem Ausspruch von Kündigungen einvernehmliche Beendigungen, z. B. den Wechsel in eine TG, anbieten, sind weitere Besonderheiten zu beachten, die durch die Rechtspre- chung bislang nur unzureichend geklärt worden sind. Bei Erstellung der Massenentlassungsanzeige und dem vorgeschalteten Konsultati- onsverfahren ist deshalb zu größtmöglicher Sorgfalt zu raten.

Sören Seidelist Senior Associate des Hamburger Arbeits- rechtsteams von Allen & Overy. Die Schwerpunkte seiner Be- ratung liegen in der Vorbereitung und Durchführung von betrieblichen Restrukturierungen, Outsourcings und Mas- senentlassungen, einschließlich der Verhandlungen mit Be- triebsräten und Gewerkschaften. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit istSören SeidelDozent im Rahmen des von der Hochschule Wismar angebotenen Studiums zur Fortbildung zum Human Resources Manager.

Dr. David Wagnerist seit 2014 als Associate im Hamburger Arbeitsrechtsteam von Allen & Overy tätig. Seine Tätigkeits- schwerpunkte sind die laufende Beratung von Unternehmen in sämtlichen individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Fra- gestellungen einschließlich der Vertretung in Arbeitsge- richtsprozessen sowie die arbeitsrechtliche Begleitung von Restrukturierungen, Transaktionen und Betriebsübergängen.

Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist er Dozent im Rah- men des von der Hochschule Wismar angebotenen Studi- ums zur Fortbildung zum Human Resources Manager.

BAG: Außerordentliche Kündigung gegenüber Betriebsratsmitglied

BAG,Urteil vom 16.11.2017 – 2 AZR 14/17 ECLI:DE:BAG:2017:161117.U.2AZR14.17.0 Volltext des Urteils:BB-ONLINE BBL2018-243-2 unter www.betriebs-berater.de

AMTLICHER LEITSATZ

Die gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt – unabhängig von dem im Kündigungszeitpunkt ausgeübten betriebsverfassungsrechtlichen Amt – die Zustimmung des Betriebs- rats im Hinblick auf die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündi- gungsgründe.

SACHVERHALT

Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit zweier außerordent- licher Kündigungen.

Die Beklagte betreibt ein Tagungszentrum mit angeschlossenem Hotel.

Die Klägerin war bei ihr als Abteilungsleiterin Housekeeping beschäftigt.

Sie war Vorsitzende des im Betrieb der Beklagten gebildeten fünfköpfigen Betriebsrats.

Mit Beschluss vom 16. Juli 2015 (– 18 TaBV 6/14 –) ersetzte das Landesar- beitsgericht Baden-Württemberg die vom Betriebsrat verweigerte Zustim- mung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin. Die Beschlussgründe wurden den Beteiligten am 4. August 2015 zugestellt.

Der Beschluss wurde mit Ablauf des 4. September 2015 (Freitag) formell rechtskräftig.

Am 3. August 2015 legte die Klägerin ihr Betriebsratsamt nieder. Da keine Ersatzmitglieder zur Verfügung standen, beschloss der Betriebsrat die

Durchführung von Neuwahlen. Die Klägerin wurde zur Vorsitzenden des Wahlvorstands bestellt. Die Beklagte erhielt hiervon am 4. August 2015 Kenntnis.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien vorsorglich am 10. August 2015 und nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses vom 16. Juli 2015 erneut am 7. September 2015 außerordentlich fristlos. Beide Kündigungsschreiben gingen der Klägerin jeweils am Folgetag zu.

Die Klägerin hat die Kündigungen für unwirksam gehalten. Die Beklagte habe unverzüglich nach Ende ihres Sonderkündigungsschutzes als Be- triebsratsmitglied kündigen müssen. Im Übrigen fehle es an der für beide Kündigungen erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats. Das Landesar- beitsgericht habe lediglich die Zustimmung zu ihrer außerordentlichen Kündigung als Betriebsrats-, nicht aber als Wahlvorstandsmitglied ersetzt.

Daneben habe sich das Zustimmungsersetzungsverfahren durch die Nie- derlegung ihres Betriebsratsamts am 3. August 2015 erledigt. Der Be- schluss des Landesarbeitsgerichts sei deshalb gegenstandslos geworden.

Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – bean- tragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die arbeit- geberseitige außerordentliche Kündigung vom 10. August 2015, zugegan- gen am 11. August 2015, nicht aufgelöst wurde;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die arbeit- geberseitige außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015, zuge- gangen am 8. September 2015, nicht aufgelöst wurde;

sowie hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 2.:

die Beklagte zu verurteilen, an sie näher bestimmte Beträge als Differenz- lohn für September und Oktober 2015 zu zahlen.

Entscheidung | Arbeitsrecht

BAG · 16.11.2017 – 2 AZR 14/17

69 BAG, 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, m. w. N.

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