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Archiv "PSYCHIATRIE: „Ausdifferenzierung“ - ein neues Zauberwort in der Psychiatrie?" (12.03.1982)

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Die Information:

Bericht und Meinung

Psychiatrie

< se mit der Straßenbahn be- suchen können, statt weit über Land zu fahren, für viele Ältere, die keineswegs ein Auto besitzen, oft eine Tagesreise. Für bürgerna- he Arbeit im Sinne von Haase die Gemeindeferne sozusagen als Vorausset- zung zu fordern, da Ge- meindenähe die Bürgernä- he eher behindere, kann doch nicht ernsthaft als Ar- gument in die Diskussion eingeführt werden. Haases Bemühungen um den Aus- bau der Laienhilfe sollen hier keineswegs bestritten werden, diese Konzepte lassen sich im Rahmen ei- ner kleinen Abteilung je- doch ebenso gut realisie- ren, wenn auch in entspre- chend bescheidenerem Rahmen, ich darf hier nur auf das Beispiel Freuden- stadt verweisen.

Man kann auch nicht ernst- haft die historisch bedingte exzentrische Lage der Lan- deskrankenhäuser im nachhinein mit den Thera- peutika Feld, Wald und Wiese begründen, die dort zwar sicher reichhaltiger als in der Großstadt zur Verfügung stehen, für den Gesundungsprozeß aber doch allenfalls schöne Bei- gaben sind. Wenn jeder fünfte Patient in der Pfalz- klinik eine gewisse räumli- che Distanz von zu Hause als hilfreich ankreuzte, so heißt das doch auch, daß vier Fünftel der Patienten dies eben nicht ankreuz- ten. Wenn heutzutage ein psychiatrisches Versor- gungswesen von Grund auf neu aufgebaut werden müßte, käme doch nie- mand auf die Idee, ländlich gelegene Großkrankenhäu- ser zu errichten, sondern die Akutversorgung würde doch selbstverständlich in das bestehende Kranken- hausnetz integriert werden.

Das eigentliche Problem in der Psychiatrie ist die rela- tiv große Zahl von selbstän- dig nicht mehr existenzfä- higen chronisch Kranken, die nicht mehr der medizi-

nischen Hilfe des Akutkran- kenhauses bedürfen. Eine wichtige Forderung für die Zukunft wäre sicher, auch für diese Kranken eine ge- meindenahe Unterbrin- gung zu ermöglichen, die keineswegs zwangsläufig in Personalunion mit der Akutabteilung geführt wer- den müßte. In diesem Punkt legt die Forderung nach Abschaffung der Großkrankenhäuser sicher- lich den Finger in eine offe- ne Wunde.

Man muß schließlich auch der Gigantomanie, die aus dem Artikel von Haase spricht, entschieden entge- gentreten. Es ist durch kein stichhaltiges Argument zu begründen, daß das psych- iatrische Großkrankenhaus die psychiatrische Versor- gung für sein ganzes bishe- riges Einzugsgebiet mit Zähnen und Klauen vertei- digt und allenfalls kleine Kriseninterventionsstatio- nen in einzelnen Kranken- häusern seines Einzugsge- bietes als „Zulieferbetrie- be" duldet, möglichst noch der Richtlinienkompetenz des sich als Mutterklinik empfindenden Landes- krankenhauses unterwor- fen. Erfreulicherweise geht der Trend in vielen Bundes- ländern in eine andere Richtung, da man dort die Vorteile einer gegliederten, auf Kooperation beruhen- den psychiatrischen Ver- sorgung längst erkannt hat. Es hat sich längst ge- zeigt, daß die an den psychiatrischen Fachabtei- lungen kleinerer Art gelei- stete Arbeit sich durchaus auch sehen lassen kann und den Vorwurf der Zweit- klassigkeit gelassen ertra- gen könnte, wenn dies nicht einen völlig unnöti- gen Keil in die psychiatri- sche Versorgung der Pa- tienten, die uns doch alle am Herzen liegt, treiben würde. Wir bekommen eine Fülle von Äußerungen so- wohl von Patienten, einwei- senden Ärzten und Behör- den zu hören, wie überaus

positiv die psychiatrische Fachabteilung am Allge- meinkrankenhaus aufge- nommen wurde und aus der Region schon nicht mehr wegzudenken ist.

Dies kann uns hinreichend als Rechtfertigung zur Fortführung unserer Arbeit dienen. Von hier aus wirkt das von Haase entwickelte Konzept als überholt und den Bedürfnissen der zu versorgenden Bevölkerung nicht entsprechend. Uns dann noch vorzuwerfen, daß wir den Begriff Ge- meindenähe nur faden- scheinig und oberflächlich handhabten, stellt die tat- sächlichen Verhältnisse dann doch ziemlich auf den Kopf.

Dr. med. Reinhard Ody Arzt für Neurologie und

Psychiatrie Marien-Hospital 5350 Euskirchen

„Ausdifferenzierung" - ein neues Zauberwort in der Psychiatrie?

Als Mitarbeiter der psychia- trischen Abteilung eines städtischen Krankenhau- ses fühle ich mich von dem Aufsatz Professor Haases angesprochen. Was in der Überschrift noch zurück- haltend als Frage formu- liert ist („Auf dem Weg zur Mini- und Zweiklassen- Psychiatrie?"), das ist ei- gentlich keine Frage mehr, sondern bereits Tatsache.

Mehr noch, Haase stellt fest: Psychiatrische Abtei- lungen an Allgemeinkran- kenhäusern sind „irratio- nal", nicht „ausdifferen- ziert", „abwegig" und „iso- liert", kurz, sie „belasten"

die psychiatrische Versor- gung der Bevölkerung, an- statt zu helfen. Ein schwer- wiegender Vorwurf. Belegt ihn der Autor hinreichend?

Ich meine nein.

Der Forderung der „Psych- iatrie-Enquete" nach Uber- schaubarkeit der psychia- trischen Versorgung, Inte-

gration der Psychiatrie in die Allgemeinmedizin und Abbau der Bettenzahl in den Großkrankenhäusern stellt Haase sein Konzept des „ausdifferenzierten psychiatrischen Fachkran- kenhauses" gegenüber.

Eingangs folgt jedoch erst ein medizinhistorischer Ex- kurs über „Irre" und „das Irresein", „garniert" mit psychoanalytischen Be- trachtungen über Abwehr- mechanismen, was in die- sem Kontext etwas krampf- haft wirkt. Daß ein psychia- trisches Großkrankenhaus wie die Pfalzklinik in ver- schiedene Abteilungen ge- gliedert ist, auch solche mit höher spezialisiertem Behandlungsauftrag, er- scheint sinnvoll. Darin fin- det ja die Existenz einer großen Fachklinik auch ih- re Berechtigung. Was da- gegen beispielsweise Spe- zialabteilungen für „De- pressive" oder „Wahnkran- ke" für einen Sinn haben sollen, bleibt völlig unklar, und der Autor erklärt leider das zugrunde liegende Konzept nicht. Es wäre in- teressant zu erfahren, wie die „spezialisierten Be- handlungs-, Freizeit- und

Beschäftigungsprogram- me für Schizophrene, Wahnkranke, Depressi- ve. . ., Neurotiker..." aus- sehen. Ich fürchte aller- dings angesichts der von Haase geklagten schlech- ten Finanzlage, daß der Kli- nikalltag nicht so fein „aus- differenziert" ist.

Wesentlich ist für mich, daß die Patienten Gelegen- heit haben, eine tragfähige Beziehung zum therapeuti- schen Team aufzubauen.

Kontinuität der Behand- lung ist entscheidend wich- tig und nicht Spezialpro- gramme für jede Symptom- gruppe (Enquete, Seite 203 ff.). Eine Verflechtung mit der Nachsorgekette muß gleichzeitig gegeben sein. Gerade in ländlichen Gegenden sind psychiatri- sche Abteilungen an Allge- >

12 Heft 10 vom 12. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Die Information:

Bericht und Meinung Psychiatrie

meinkrankenhäusern wich- tig. Bekanntlich leben 6() Prozent der niedergelasse- nen Nervenärzte in Städ- ten. In den 11 Monaten seit Beginn unserer Arbeit in Frankenthal haben wir et- wa 600 Patienten behan- delt (bei 60 Betten), davon etwa 45 Prozent Sucht- kranke. Die zweitgrößte Gruppe bilden Patienten mit endogenen Psychosen (20 Prozent), Alterspatien- ten (10 Prozent), wobei wir gemäß unserem Konzept die Patienten vorher nicht auswählen. Dabei sahen wir uns durchaus in der La- ge, die Patienten suffizient zu behandeln. Daß wir nur

„Leichtkranke" und keine Suchtkranken behandeln, wie unterstellt wird, trifft nicht zu. Das bezieht sich sowohl auf „Kriseninter- vention" als auch auf län- gerfristige Behandlungen.

Limitierender Faktor ist al- lein die Bettenkapazität, da noch keine Aufnahme- pflicht besteht. Die Be- hauptung, die psychiatri- schen Fachkrankenhäuser seien zusätzlich belastet durch Abteilungen an All-

gemeinkranken häusern, halte ich daher für falsch.

Schließlich ist unsere Ab- teilung keineswegs „iso- liert", wie vermutet wird, da die Zusammenarbeit mit den anderen Fachdiszipli- nen im Hause, mit den um- liegenden Krankenhäusern und speziell mit den nie- dergelassenen Nervenärz- ten des Einzugsgebietes sehr gut ist. Außerdem wür- de ich begrüßen, wenn sich die Kooperation mit der Pfalzklinik noch weiter ver- bessern ließe. Der Dialog ist ja bereits auf verschie- denen Ebenen in Gang ge- kommen.

Dr. med.

Harald Meyer-Kronemann Arzt für Neurologie und Psychiatrie

— Psychotherapie — Psychiatrische Abteilung Städtisches Krankenhaus 6710 Frankenthal

Schlußwort

Es war zu erwarten, daß sich Kollegen, die in einer psychiatrischen Abteilung am Allgemeinkrankenhaus tätig sind, melden, denn ich habe zwar nicht diesen Kollegen, doch deren Ab- teilung den „Fehdehand- schuh" hingeworfen, wie es in einem der beiden Briefe heißt.

Nachdem ich in den ver- gangenen 30 Jahren, so- wohl im Großstadtbereich als auch auf dem Lande, sowohl in einer psychiatri- schen Fachabteilung als auch in psychiatrischen Fachkrankenhäusern, im In- und Ausland tätig war, ändern die genannten Hin- weise, wie emotionellen Angriffe, keinen Satz an meinem Beitrag: bürger- nah statt gemeindenah.

Es tut mir nun leid, daß ich die sicher nicht leichte Ar- beit der Kollegen und des gesamten therapeutischen Personals in derartigen psychiatrischen Abteilun- gen am Allgemeinkranken- haus mit meinem Artikel nicht erleichtere, sondern eher belaste, da ich ihnen vorwerfe, Minipsychiatrie am Ort und Zweiklassen- psychiatrie im Einzugsge- biet eines bestehenden psychiatrischen Fachkran- kenhauses zu fördern.

Ich wünsche daher dem therapeutischen Personal dieser Abteilungen, daß es ermöglicht wird, diese Ab- teilungen zum psychiatri- schen Kriseninterventions- zentrum mit „Rund-um- die-Uhr-Ambulanz" umzu- funktionieren, indem dieje- nigen Patienten, die im Zu- sammenhang mit einer Persönlichkeitskrise ambu- lant oder ein bis zwei Wo- chen stationär zu behan- deln sind, gegebenenfalls im Vorfeld eines entfernter liegenden psychiatrischen Fachkrankenhauses, dort betreut werden. Im Interes- se einer konsequenten Ar-

beitsteilung und zur Ver- meidung eines „Feindbil- des" zwischen Kriseninter- ventionszentrum und psychiatrischem Fachkran- kenhaus, empfehlen sich hierzu gegenseitige

Personalaustauschmög- lichkeiten und möglichst die Schaffung einer ge- meinsamen Trägerschaft.

Sollte die psychiatrische Abteilung im Allgemein- krankenhaus für die Um- funktionierung in ein Kri- seninterventionszentrum zu groß geraten sein, wün- sche ich ihr den raschen Ausbau zum ausdifferen- zierten, psychiatrischen Fachkrankenhaus, das er- fahrungsgemäß minde- stens 200 Betten sowie zahlreiche Plätze für Wohnheime und andere flankierende Maßnahmen benötigt, wenn ein Ein- zugsgebiet konsequent, unter Vermeidung des Ab- schiebens gewisser Son- dergruppen, wie etwa chro- nisch rezidivierende Lang- zeitpatienten, geistig Be- hinderte, hochgradig akut psychotisch Kranke, psy- chisch kranke Rechtsbre- cher u. a., in ein anderes psychiatrisches Fachkran- kenhaus, versorgt werden soll.

Wir hatten bereits vor eini- gen Jahren die Direktoren einer großen Anzahl psych- iatrischer Fachkranken- häuser aus Schweden zu Besuch, die uns seinerzeit schon von der nachteiligen Entwicklung der Psychia- trie in einigen Gebieten Schwedens, durch die Er- richtung selbständiger psychiatrischer Abteilun- gen im Allgemeinkranken- haus, berichteten.

Italienische Psychiater, die mir berichteten, daß sie, wie in Italien auf politischer Ebene beschlossen, psy- chisch Akutkranke nur noch in Allgemeinkranken- häusern aufnehmen dür- fen, nannten dieses System der Behandlung psychisch Kranker im Allgemeinkran-

kenhaus, anstelle der Be- handlung im psychiatri- schen Fachkrankenhaus, kurz und bündig „lächer- lich".

Auf vielfältigen Wunsch von Kollegen, die in psych- iatrischen Fachkranken- häusern tätig sind, habe ich meinen Artikel „Bürger- nähe statt Gemeindenä- he. ..", an die zuständigen Ministerien der Bundeslän- der gesandt. Ich erhielt mehrere positive Stellung- nahmen, in denen insbe- sondere auf die Notwen- digkeit der Schaffung eines festen Einzugsgebietes hingeWiesen wurde, sofern derartige Abteilungen be- standen. ,Bemerkenswert war die Mitteilung des Bayerischen Staatsministe- riums für Arbeit und Sozial- ordnung, das mir mitteilte:

„Nach der Konzeption des Ersten Bayerischen Lan- desplans zur Versorgung psychisch Kranker und psychisch Behinderter, werden im Freistaat Bayern keine psychiatrischen Ab- teilungen in Allgemein- krankenhäusern geplant.

Die Gründe hierfür entspre- chen weitgehend den Ihren."

Da sich auch einer der bei- den Fachärzte aus der psychiatrischen Abteilung des Allgemeinkrankenhau- ses in Frankenthal, das sich im Einzugsgebiet un- serer Klinik befindet und die erst nach Fertigstellung meines Artikels eröffnet wurde, geäußert hat, haben die zuständigen Leitenden Ärzte und Fachärzte unse- rer Klinik die folgende Ant- wort*) zusammengestellt, die das übliche, zu erwar- tende Ergebnis bestätigt.

Wir empfehlen daher der Abteilung in Frankenthal die Weiterentwicklung zum

Kriseninterventionszen- trum, mit einer Rund-um- die-Uhr-Ambulanz für die

*) Siehe den nachstehenden Brief.

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 10 vom 12. März 1982 15

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