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Archiv "Das Klinikum Nord Heidberg-Ochsenzoll/ Abteilung VI für Psychiatrie und Psychotherapie/Forensische Psychiatrie in Hamburg" (15.08.2003)

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Zeit, fügt er beinahe entschuldigend hinzu. „Wenn sich jemand umbringen will, dann tut er es sowieso, sei es mit ei- nem Bettlaken, einem Gürtel oder mit seiner Unterhose“, sagt Nieszery. Nein, dies ist sicherlich kein „normales“ Ar- beitsumfeld, ebenso wenig wie Dr. Bar- bara Nieszery eine „normale“ Ärztin ist.

Es sei ein Häftling aus der Untersu- chungshaft gewesen, einer, der gerade einmal ein Vierteljahr in der JVA unter- gebracht gewesen sei. Ein Sexual- straftäter, so Nieszery. „Da kommt noch eine ganze Menge Arbeit auf uns zu.“

Sie verzieht das Gesicht. Zündet sich ei- ne Zigarette an. Die Justiz müsse aus- führlich über den Vorgang informiert werden, es würden Nachforschungen angestellt, Fragen kämen und und und.

Lieber wäre es der kleinen, resoluten Frau Ende vierzig wohl gewesen, dieser Teil der Arbeit als Anstaltsärztin wäre nicht zum Vorschein gekommen.

Der Alltag an diesem Donnerstag endet damit, dass sich ein Krankenwa- gen in Anfahrt auf die JVA befindet, in

dem ein Häftling mit Platz- und Schürf- wunden sitzt. „Der hatte gerade seinen ersten Urlaubstag, hat sich betrunken und randaliert“, erklärt ein Wächter der Ärztin. „Wir brauchen jemanden für die Notversorgung.“ Nieszery verdreht die Augen. „Das wird eine lange Nacht.“

Müde sieht sie aus, geschafft. Einen er- heblichen Vorteil habe ihre Arbeit, er- gänzt sie noch: Sie sei auf jeden Fall ge- duldiger geworden. Denn schließlich werde man täglich mit Situationen kon- frontiert, denen man nicht ausweichen könne. Wie auf einer Bohrinsel . . .

Als Ärztin im Maßregelvollzug

Einer Insel gleicht auch Abteilung VI des Hamburger Klinikums Nord Heid- berg-Ochsenzoll. Knapp 200 psychisch kranke Straftäter wurden als Maßregel der „Besserung und Sicherung“ in diese forensische Psychiatrie eingewiesen.

Das Gericht stufte sie im Sinne des Strafgesetzbuches (StGB) aufgrund ih- rer Erkrankungen gemäß §§ 20, 21 StGB als schuldfähig oder minder- schuldfähig ein. Keinem von ihnen soll- te es gelingen, diese „Insel“ so schnell wieder zu verlassen. Denn auch hier sind die Gebäude umgeben von hohen Mauern mit angebrachten Sicherheits- zäunen, sind die Fenster und Trakte ver- gittert. Der Weg in die Abteilung VI führt durch eine Sicherheitsschleuse.

„Herr K., hören Sie noch Stimmen“?

Catrin Mautner schaut den Mittdreißi- ger freundlich, aber bestimmt an. Die 31-jährige Ärztin arbeitet im Rahmen ihrer Facharztausbildung für Psychia- trie und Psychotherapie seit knapp zwei Jahren als Assistenzärztin in Abteilung VI. In Jogginghose sitzt K. ihr gegen- über, freut sich sichtlich über das Ge- spräch, das von Sicherheitspersonal be- obachtet wird. Er rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Nein, höre ich nicht.“ Stefan K. hat, seinen eigenen Angaben nach im Affekt, einen Men- schen getötet, ist als psychotisch einge- stuft worden und bekommt Medika- mente, über deren Dosierung nachge- dacht werden soll. Vor kurzem machte er einer Frau, die er nur dem Bild nach kannte, einen Heiratsantrag. „Was ist denn dabei?“ fragt er Mautner tod- ernst, er möge nun einmal gerne Frau-

en, Zigaretten und Kaffee. „Sehen Sie, Herr K., und das finden wir besonders.“

Besonders sind die Menschen, die in den Hamburger Maßregelvollzug (MRV) eingewiesen wurden. Besonders ist auch die Abteilung VI für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Nord.

Freundliche Bilder hängen an den Wän- den, eine der Stationen gleicht einem Blumenmeer. Auf dem Weg zu Maut- ners Arbeitszimmer bleibt der Blick an einem der Außengärten hängen – Enten hocken um den Teich herum. Fast idyl- lisch wirkt das Ganze, besonders bei Sonnenschein. „Manchmal lassen be- sonders psychisch Erkrankte ihre Ag- gressionen auch an den Enten aus – sie haben dann keine Beine mehr.“ Stille.

Die Bilder an den Wänden, erklärt Mautner weiter, stammten von den Pa- tienten selber, manche gingen in die Kunsttherapie. Und die Blumen auf

Station 7 sollen für eine freundliche At- mosphäre sorgen, denn auf Station 7 seien Personen mit besonders schweren Persönlichkeitsstörungen untergebracht.

Personen wie Thomas H., aus den Medien als „Heidemörder“ bekannt.

Während die junge Ärztin erzählt, wirkt sie konzentriert und angespannt.

Nicht nur Stefan K. steht für heute auf dem Programm, sondern noch einige T H E M E N D E R Z E I T

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A2130 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3315. August 2003

Das Klinikum Nord Heidberg-Ochsenzoll/

Abteilung VI für Psychiatrie und Psychothe- rapie/Forensische Psychiatrie in Hamburg Die Versorgung psychisch kranker Straftäter über- nimmt in Hamburg die Abteilung VI für Psychiatrie und Psychoterapie/Forensische Psychiatrie am Kli- nikum Nord Heidberg-Ochsenzoll, eine von 27 wei- teren Fachabteilungen. Die Zahl der Inhaftierten be- trägt zurzeit circa 180, davon 34 Personen nach

§ 64 StGB/137 StVollzG (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) und 136 nach § 63 StGB/136 StVollzG (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus). Sie ist allein in den Jahren 1999 bis 2002 um 82 Prozent angestiegen. Als Gründe für die wachsenden Patientenzahlen nennt Dr. Gun- tram Knecht, Chefarzt der Abteilung VI für Psychia- trie und Psychotherapie/Forensische Psychiatrie, vor allem erschwerte Entlassungsbedingungen durch eine Gesetzesänderung im Jahr 1998, die geänder- te Spruchpraxis der Gerichte sowie schwerere Störungen bei psychisch kranken Straftätern. Abtei- lung VI ist in zehn Stationen unterteilt, wovon Stati- on 5 (Prärehabilitationsstation, Akutaufnahmesta- tion für Frauen) die einzige geschmischt geschlecht- liche Station ist. In der gesamten Abteilung VI sind neun Ärzte, zwei Oberärzte und ein Chefarzt be- schäftigt. Darüber hinaus arbeiten sechs Psycholo- gen, fünf Sozialarbeiter, zwei Lehrerinnen, eine Kunsttherapeutin sowie eine Ergotherapeutin dort.

Etwa 200 Personen arbeiten in der Pflege. Über die Anzahl derjenigen Ärzte, die insgesamt in Deutsch- land im Maßregelvollzug beschäftigt sind, gibt es bisher keine genauen Angaben. Knecht geht von et- wa 400 Ärzten aus. Zurzeit sind an die 6 000 Patien- ten im MRV in Deutschland inhaftiert. MM

„Man muss geduldig sein.“ Catrin Mautner, Ärztin in der Forensischen Psychiatrie Hamburg Fotos (2): Martina Merten

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andere Patienten von den Stationen 5 und 7, für die sie von Anfang an zu- ständig war. „Die Hoffnungslosigkeit vieler Patienten stellt sich irgendwann auch für einen selber dar, man misst sich schließlich an den eigenen Thera- pieerfolgen, und die sind gering.“ Lan- ge, so Mautner, könne man diese Ar- beit nicht machen, auch wenn die bis auf wenige Ausnahmen geregelten Ar- beitszeiten sehr familienfreundlich sei- en. Nach einigem Nachdenken ergänzt sie noch: „Spannend ist natürlich auch, die Menschen in ihrer Gänze betrach- ten zu können, also medizinisch, sozio- logisch, rechtlich und psychologisch.“

Und man habe als Ärztin in einem Maßregelvollzug ausreichend Zeit, Entwicklungen der Patienten mitzuer- leben. Auch wenn die Nachteile der Arbeit genau mit diesem Zeitfaktor einhergingen . . .

Beim Erzählen schließt die Ärztin mit einem großen Generalschlüssel, den sie ebenso wie Nieszery immer bei sich trägt, die Tür zu Station 5 auf, um sie sofort wieder zuzuschließen. Auf die Frage, ob sie das Abschließen der Türen denn niemals vergesse, schüttelt Maut- ner nur amüsiert den Kopf: „Abzu- schließen vergisst man hier nicht.“ Ein kleines, viereckiges Gerät klemmt am Hosenbund der Ärztin, darf niemals fehlen: der Pieper. Kommt es zu Hand- greiflichkeiten oder sonstigen Beson- derheiten, ruft ein Knopfdruck auf das Gerät das Sicherheitspersonal zu Hilfe.

Auf Station 5 befinden sich Frauen und Männer, deren Vollzug entweder verstärkt gelockert werden soll oder die akut aufgenommen werden. Es ist die einzige gemischtgeschlechtliche Station von insgesamt zehn. Hier unterhält sich Mautner mit dem Pflegepersonal über tägliche Vorfälle, spricht Besonderhei- ten ab und dokumentiert Gespräche mit Patienten. Die Zeit ist knapp, da ne- benbei noch Besprechungen und The- rapiegespräche stattfinden. Bei Maut- ners nächstem Gespräch soll sie prüfen, ob der Vollzug bei einer Patientin gelockert werden kann. Weil die Dauer des Maßregelvollzugs im Gegensatz zum Justizvollzug nicht von vornherein zeitlich befristet ist, sind solche Ge- spräche notwendig, um anhand der The- rapiefortschritte über mögliche Locke- rungen zu entscheiden. Sabine L. leidet,

erzählt Mautner, unter Verfolgungs- wahn. Vor kurzem habe sie behauptet, sie sei auf der Station vergewaltigt wor- den. Obwohl längere Zeit für das Ge- spräch angesetzt war, dauert es keine fünf Minuten. Nein, Frau L. wollte nicht reden, so Mautner gegenüber der Psy- chologin, die mit im Aufenthaltsraum sitzt. Es sehe nicht danach aus, als kön- ne man an der Dosierung der Medika- mente etwas ändern. Es herrscht für ei- nen langen Augenblick Stille im Stati-

onsraum, die Psychologin kaut lustlos auf ihrem Brötchen.

„Die meisten von ihnen sind auf- grund ihres Krankheitsbilds nicht in der Lage, mehr als zwei Stunden täglich zu arbeiten.“ Mautner scheint sich zu sam- meln. Es seien eben keine Belastungen möglich, weil die Krankheiten so bela- steten. Krankheiten wie Psychosen, af- fektive Störungen oder Süchte, die oft- mals eng miteinander zusammenhingen oder sich gegenseitig bedingten. Wenn die Patienten es schaffen, gehen sie täg- lich dreieinhalb Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags in die Arbeitstherapie; je nach Motivation

können sie zwischen Kunsttherapie, Er- gotherapie und Arbeitstherapie (unter anderem Beschäftigung in Druckerei, Buchbinderei, Tischlerei und Wäsche- rei) wählen. Jeweils auf dem Hin- sowie auf dem Rückweg werden sie vom Si- cherheitspersonal abgescannt – Vor- sicht ist oberstes Gebot. Je nach Art der Erkrankung fällt die Sicherung stärker oder schwächer aus, aber auch die The- rapiemaßnahmen versteht man als in- nere Sicherheitsmaßnahme. Bei jeman- dem wie Thomas H. kann der Sicherheitsstandard nicht hoch genug sein. H., für den Mautner unter an- derem zuständig ist, hat mehrere Frauen brutal vergewaltigt und ermor- det. Nachdem ihm vor ei- nigen Jahren mithilfe ei- ner damals auf seiner Sta- tion tätigen Psychologin die Flucht gelang, wird er heute besonders gesichert untergebracht. Jeder Schritt des 37-Jährigen, den er außerhalb seiner Station tut, wird von ein bis zwei Sicherheitskräften be- wacht.

Sicherheit ist eines der Hauptthemen im Ham- burger Maßregelvollzug, eines der Themen, um die es auch auf der anschlie- ßenden Stationsbespre- chung am frühen Nach- mittag geht. So wird zum Beispiel über die Frage diskutiert, ob Patient A das Kontaktzimmer zum gemeinsamen Abendessen mit dem Freund nutzen darf oder ob Patient B eine neue CD haben kann. Vorsichts- maßnahmen müssen getroffen, Eventu- alitäten durchgesprochen werden. Am späten Nachmittag steht ein letztes The- rapiegespräch auf dem Programm.

Anschließend geht es nach Hause, Mautners Sohn wartet. Und mit ihm die Rückkehr in die Normalität. Alles an- dere, das betonen sowohl Nieszery als auch Mautner, muss man mit dem Ab- schließen der letzten Tür hinter sich las- sen können. Ansonsten könne man die- sen Beruf nicht ausüben. Die Insel wür- de sonst zu klein. Martina Merten T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3315. August 2003 AA2131

Kunsttherapie im Hamburger Maßregelvollzug: ein Bild eines psychisch kranken Häftlings Repro: Martina Merten

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