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Archiv "12 Forderungen zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung Bericht zu Tagesordnungspunkt 3 „Psychiatrie-Enquete“" (26.05.1977)

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heitswesen aufgenommen wird mit der Zielsetzung, man solle in diesem Gremium Orientierungsdaten erar- beiten, und auf der anderen Seite die Bestimmungen der §§ 368 f Ab- sätze 2 und 3 im Gesetz verblieben.

Denn diese beiden Sätze des § 368 f schreiben ja bereits bis ins kleinste Detail vor, woran sich die Honorar- entwicklung zu orientieren hat. Man fragt sich dann, was soll dann über- haupt noch eine „Konzertierte Ak- tion", wenn wir fest und unlösbar an den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung gebunden sind?

Hier ist also ein Widerspruch, und wir können nur hoffen, daß er im Bundesrat vernünftig aufgeklärt wird.

Ich möchte zusammenfassend und abschließend zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, der morgen in zwei- ter und dritter Lesung vom Deut- schen Bundestag verabschiedetet werden soll, folgendes feststellen:

Der Gesetzentwurf enthält keine Be- stimmung, welche geeignet ist, eine Verbesserung der ärztlichen Versor- gung unserer Versicherten zu be- wirken.

Dieser Gesetzentwurf schafft im Ge- genteil Rechtsunsicherheit, pro- grammiert Konfliktsituationen und gefährdet das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.

Er verletzt die Grundrechte des Bür- gers durch Zerstörung seiner Intim- sphäre und die Auflösung der ärztli- chen Schweigepflicht.

Der Gesetzentwurf leitet eine Sy- stemveränderung ein, welche in ei- ner Einheitskrankenversicherung und Einheitskrankenversorgung en- den wird, und er gefährdet die frei- berufliche Tätigkeit des Arztes.

Er öffnet Wege zu einer anonymen Ambulatioriumsversorgung und da- mit zu einer Verschlechterung der ärztlichen Versorgung.

Deshalb stellen wir fest: Dieser Ge- setzentwurf kann niemals die Zu- stimmung der deutschen Ärzte-

schaft finden.

Prof. Dr. med. Kurt Heinrich, Leiten- der Direktor des Rheinischen Lan- deskrankenhauses und der Psychia- trischen Klinik an der Universität Düsseldorf, leitete die Diskussion des 80. Deutschen Ärztetages über die Lage der Psychiatrie im Jahr nach der Psychiatrie-Enquete ein. Er wies in seinem auf Seite 1422 dieses Heftes im Wortlaut wiedergegebe- nen Referat darauf hin, daß schon erhebliche Zeit vor der Übergabe des Berichts der Sachverständigen- kommission, nämlich auf dem 73.

Deutschen Ärztetag 1970 in Stutt- gart, ferner in dem von der Deut- schen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde 1971 vorge- legten Rahmenplan zur Versorgung psychisch Kranker und schließlich auf dem 77. Deutschen Ärztetag 1974 in Berlin, die Notwendigkeit der Verbesserung der psychiatri- schen Versorgung der Bevölkerung anhand eingehender Schilderungen der bestehenden Mängel gefordert wurde. Der Bericht der Sachverstän- digenkommission stelle eine re- spekterheischende Leistung dar.

Der Bericht enthält vor allem statisti- sche Daten über die stationäre, teil- stationäre und ambulante psychia- trische und psychotherapeutisch/

psychosomatische Versorgung, die für weitere Planungen herangezo- gen werden können. Viele der Analy- sen, Bedarfsschilderungen und Zu- kunftsprojektionen des Sachver- ständigenberichts seien unstrittig.

Dies gelte zum Beispiel für die Ein- richtung von Standardversorgungs- gebieten, von komplementären In- stitutionen im Sinne von Tages- und Nachtkliniken, Behindertenheimen und -werkstätten, beschützenden Wohnungen und Übergangsheimen.

Die geforderte weitere Herabset- zung der Bettenzahl der psychiatri-

schen Landeskrankenhäuser, die Ausgliederung der geistig Behinder- ten aus den psychiatrischen Kran- kenhäusern und die bessere Versor- gung der psychisch kranken Rechts- brecher seien als dringende Reform- ziele allgemein anerkannt. Die Wich- tigkeit des Arztes für Allgemeinme- dizin auch im Rahmen der psychia- trischen Versorgung sei mit Recht betont worden, die Zahl der nieder- gelassenen Nervenärzte wurde als noch immer nicht ausreichend be- zeichnet. Die für die in ländlichen Regionen gelegenen psychiatri- schen Landeskrankenhäuser als nützlich angesehenen Ambulanzen dürften nicht als Schritt in Richtung einer Sozialisierung der ambulanten medizinischen Versorgung gesehen werden. Die von der Kommission ge- forderte Errichtung von psychiatri- schen Abteilungen an allgemeinen Krankenhäusern sei zu bejahen.

Prioritäten der Mängelbeseitigung liegen, so sagte Prof. Heinrich wei- ter, auch auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Versorgung psychisch kranker alter Menschen. Die klinische Versor- gung der Alkoholkranken und auch der Rauschmittelabhängigen sei ebenso wie die ambulante Vor- und Nachsorge ungenügend.

Die von den psychotherapeutisch/

psychosomatischen Arbeitsgruppen der Sachverständigenkommission aufgestellten Forderungen nach ei- nem sehr komplexen Versorgungs- system eigener Struktur betrachtet Prof. Heinrich mit Bedenken. Abge- sehen von den offensichtlich nicht zu deckenden Kosten der geforder- ten Kliniken und Polikliniken bzw.

Beratungsstellen sei auch die völlige Trennung von Psychiatrie und Psy- chotherapie/Psychosomatik ungün- stig. Psychotherapeutische Theo-

12 Forderungen zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung

Bericht zu Tagesordnungspunkt 3 „Psychiatrie-Enquete"

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 21 vom 26. Mai 1977 1415

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rien und Praktiken müssen auch in die Psychiatrie integriert werden.

Die künftige Zusammenarbeit der Psychiater und Psychotherapeuten mit den Psychologen muß, so for- derte Prof. Heinrich, so geregelt werden, daß die Verkennung eines auf einer körperlichen Erkrankung beruhenden abnormen psychischen Zustandes als nur seelisch bedingt vermieden wird. Der Personalbedarf für die psychiatrische Versorgung werde in allen Einrichtungen stei- gen, es werde nach der bisherigen Berechnung in vielen Bereichen noch mehr als 20 Jahre dauern, bis ausreichende Personalzahlen zur Verfügung stehen werden.

Kritische Einwände gegen — auch von manchen Kommissionsmitglie- dern — vermutete allzu perfektioni- stische Tendenzen im Bericht der Sachverständigenkommission wer- den am gültigsten in dem Sondervo- tum der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde geäußert. In diesem Sondervotum wird warnend auf die im Enquete- Bericht als Reformziel angegebene maximale psychiatrische Versor- gung hingewiesen, die als nicht rea- lisierbar angesehen wird. Auch die zunehmende Institutionalisierung wird als bedenklich bezeichnet. Die Versorgung psychisch kranker alter Menschen, die bessere Fundierung der Forschung und die Integration der Psychotherapie in ein einheitli- ches Versorgungssystem für psy- chisch Kranke und Behinderte er- scheint der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde als besonders wichtig.

Die in einer Planungsstudie zum Be- richt der Sachverständigenkommis- sion angegebenen Fristen, die zum Teil über das Jahr 2000 hinausrei- chen, nannte Prof. Heinrich nicht annehmbar. Vor allem die schwer- sten Mängel müssen früher beseitigt werden; dies gelte nicht zuletzt für die personelle und materielle Aus- stattung der psychiatrischen Lan- deskrankenhäuser.

Für Psychiater und Psychotherapeu- ten gelte, daß sie sich von der Versu-

chung freihalten müssen, sich in die Rolle der omnipotenten Heilsbringer hineindrängen zu lassen. Anderer- seits müssen sie aber von ihren Mit- bürgern und von den verfaßten Or- ganen der Gesellschaft Hilfsmittel fordern, die zur Beseitigung der dringendsten Not von psychisch Kranken und Behinderten unab- dingbar sind. Soweit das Referat.

Verdienste der

Sachverständigen werden nicht verkannt

In der mehrstündigen Diskussion zeigte sich, daß die Repräsentanten der deutschen Ärzteschaft offen- sichtlich weitgehend einig sind dar- über, daß und wie die psychiatrische Versorgung verbessert werden muß.

Kontrovers wurden vornehmlich zwei Punkte behandelt: Zum einen gab es unterschiedliche Auffassun- gen darüber, wie die Qualität des Berichtes der Sachverständigen- kommission zu bewerten sei. In ei- nem Entschließungsantrag dazu wurde scharfe Kritik an der Zusam- mensetzung und der Arbeitsweise der Enquete-Kommission geübt und beanstandet, daß wichtige Aussagen des Berichtes teils mangelhaft abge- stützt, teils auf Anhieb als unrichtig erkennbar seien, daß Leistungsmög-

lichkeiten vorgetäuscht würden, die von keiner Wissenschaft gedeckt seien, daß verschwommene, un- brauchbare und mißbrauchbare Be- griffe verwendet werden und daß viele der Empfehlungen auf eine in- stitutionalisierte, sozialisierte psych- iatrische Totalversorgung zielen, die abgelehnt werden müsse. Die Enquete sei, so hieß es in dem An- trag, ein Musterbeispiel politischer Auftragsarbeit.

Die Mehrheit der Delegierten folgten dieser Argumentation nicht, zumin- dest nicht in derartiger Ausschließ- lichkeit. Immerhin enthalte, so sag- ten mehrere Delegierte, der Sach- verständigenbericht eine Menge Material, und die viele in den Bericht investierte Arbeit habe immerhin das Gespräch über die psychiatrische Versorgung erneut in Gang ge- bractit, was an sich schon ein Ver-

dienst sei. Der Antrag auf totale Ver- urteilung des Berichts wurde mit Mehrheit abgelehnt.

Nicht entschieden wurde hingegen die umstrittene Frage, ob in der Wei- terbildungsordnung ein neues Ge- biet „Psychotherapie" oder „Psy- choanalytische Medizin" eingeführt werden soll. Die Entscheidung war im Augenblick auch nicht notwen- dig, da in diesem Jahr ohnehin Än- derungen der Weiterbildungsord- nung nicht möglich sind. Ein ent- sprechender Antrag wurde deshalb lediglich dem Vorstand der Bundes- ärztekammer überwiesen. In der Dis- kussion wies Prof. Schimmelpen- ning, Festredner in der vorausge- gangenen Öffentlichen Kundgebung (der Wortlaut seines Festvortrages:

Seite 1429 dieses Heftes) darauf hin, daß der Begriff Psychiatrie eine me- dizinische Disziplin umfasse, Psy- chotherapie hingegen sei eine Me- thode, die zwar in der Psychiatrie angewandt werden kann, aber auch in vielen anderen Disziplinen • eine Rolle spiele. Prof. Lippross ergänz- te: In der allgemeinmedizinischen Praxis sei eigentlich jeder Patient ein psychosomatischer Fall, und die Fachdisziplin komme erst dann ins Spiel, wenn ein solcher Fall die psy- chosomatische Kompetenz des All- gemeinarztes oder Internisten über- schreite. Die Psychotherapie, so Lippross, sei aber dann häufig auch enttäuschend: „Was wir nicht kön- nen, schafft die auch nicht." Das Ge- genargument bestand in einem Ver- gleich zwischen Psychotherapie und Röntgenheilkunde: Der Umgang mit Röntgenstrahlen komme - in allen Disziplinen vor und sei ebenfalls nichts anderes als eine Methode, eine Technik. Trotzdem ist die Rönt- genheilkunde unumstritten als Fach etabliert.

Prioritäten für die Verbesserung der

psychiatrischen Versorgung

Aus der Diskussion ergab sich eine gewisse „Prioritätenliste" für die dringendst erforderlichen Maßnah- men — eine Liste, die Prof. Heinrich während der Diskussion in seinem

1416 Heft 21 vom 26. Mai 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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y ryy )

Schlußwort zusammenfaßte. An er- ster Stelle steht die Sanierung der psychiatrischen Großkrankenhäuser (Prof. Heinrich: „Die stinkende Lei- che der Anstaltspsychiatrie muß endlich aus dem Schauhaus her- aus").

Dies bedeute nicht Abschaffung der Großanstalten, jedoch ihre Verklei- nerung, die übrigens schon im Gange sei. Für die stationäre Versor- gung müsse an möglichst jedem all- gemeinen Krankenhaus eine psych- iatrische Abteilung entstehen - die- se Abteilungen müssen jedoch zur Ausübung einer Vollversorgung verpflichtet sein, damit nicht durch Patientenselektion eine Zweiklas- senpsychiatrie entstehe. Aufgabe der niedergelassenen Nervenärzte, aber auch der niedergelassenen Ärzte anderer Fachrichtungen sei die intensive Mitwirkung, ja sogar die Initiative beim Aufbau der erfor- derlichen komplementären Dienste, so zum Beispiel Tageskliniken, Heime, Werkstätten; die niederge- lassenen Ärzte müßten auch konsi- liarisch oder gleichsam belegärzt- lich die Betreuung beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen überneh-

men.

Prof. Heinrich betonte diesen Ap- pell an die niedergelassenen Ärz- te ganz besonders mit dem Hin- weis darauf, nur so könne verhindert werden, daß Staat und Kommunen die Komplementärversorgung an sich reißen. Die immer wieder gefor- derte Gleichstellung der psychisch Kranken mit den körperlich Kranken müsse sich, so verlangte Prof. Hein- rich, auch finanziell ausdrücken: Es sei unverantwortlich, daß die Psych- iatrie nicht im Krankenhausfinanzie- rungsgesetz enthalten sei und daß deshalb die psychiatrischen Kran- kenhäuser sich heute noch mit nichtkostendeckenden Pflegesätzen von 60 bis 70 DM zufriedengeben müßten.

Bei einer Pressekonferenz nach der Diskussion dieses Tagesordnungs- punktes wurde Prof. Heinrich noch deutlicher. Die Politiker, sagte er, hätten es bisher nicht fertigge- bracht, auf ein paar Kilometer Auto- bahnen und einige Schwimmbäder

„Stilleben mit Psychiatrie-Enquete" — Akten auf dem Präsidiumstisch wäh- rend der Beratungen zum Tagesord- nungspunkt 3.

zu verzichten und statt dessen Mittel in die psychiatrische Versorgung zu stecken. So aber sei es Heuchelei, wenn man dann die Verantwortung für vorhandene Mißstände auf das in der Psychiatrie tätige Personal schiebt. Die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung sei keine moralische, sondern eine In- vestitionsfrage. Um den Stand der psychiatrischen Versorgung in der Bundesrepublik auf das Niveau der übrigen Medizin zu heben, seien In- vestitionen von zwei bis zweieinhalb Milliarden Mark erforderlich.

Den Delegierten des 80. Deutschen Ärztetages lagen zahlreiche Ent- schließungsentwürfe vor. So gut wie einstimmig wurde ein Entschlie- ßungsantrag des Vorstands der Bundesärztekammer folgenden Wortlauts angenommen:

Psychiatrie-Enquete

„I. Über die Mängel und den Nach- holbedarf in der Versorgung psy- chisch Kranker und psychisch Ge-

fährdeter beunruhigt, beschloß der Vorstand der Bundesärztekammer 1969, auf dem 73. Deutschen Ärzte- tag in Stuttgart dieses damals von der Öffentlichkeit nicht beachtete schwerwiegende Problem zu behan- deln. Im Anschluß an einen Bericht von Professor Dr. Schulte (Tübin- gen) über die Situation der psy- chisch Kranken und Gefährdeten beschloß der Deutsche Ärztetag sehr nachdrückliche Empfehlungen zur Verbesserung der Hilfe für diese Menschen. Dieser Beschluß wandte sich an Öffentlichkeit und zuständi- ge Stellen: Die Behebung akuter Notstände durch kurzfristig reali- sierbare Maßnahmen wurde gefor- dert und eingehend begründet.

Mit der Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik befaßte sich erneut der 77. Deutsche Ärztetag 1974 in Berlin. In einem Beschluß wurde festgestellt, daß seit dem Stuttgarter Ärztetag 1970 keine entscheidende Verbesserung eingetreten sei. Die Bereitstellung größerer Finanzie- rungsmittel für leistungsfähigere psychiatrische Krankenhäuser stand an erster Stelle der Forderungen.

Der Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland - die Psychiatrie-En- quete - wurde am 25. November 1975 dem Bundesminister für Ju- gend, Familie und Gesundheit, Frau Dr. Focke, übergeben und am glei- chen Tag von dieser dem Deutschen Bundestag zugeleitet, mit einem Be- gleitschreiben, das schon damals darauf hinwies, daß die Realisie- rung nur sehr langsam und abge- stuft möglich ist und zusätzliche Mittel angesichts der angespannten Finanzlage der Kostenträger gegen- wärtig nicht aufgebracht werden können'. Für den umfangreichen und umfassenden Bericht ist den Mitgliedern der Kommission zu dan- ken. Einzelne Bereiche in diesem Bericht sind allerdings sehr unter- schiedlich gewichtet. Dabei dürfte die Zusammensetzung der Enquete- Kommission sicher eine bedeutende Rolle gespielt haben. Nur ein nieder- gelassener Nervenarzt war in die Kommission berufen worden, ob- wohl weitaus die meisten psychisch

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 21 vom 26. Mai 1977 1417

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Gestörten und Kranken von nieder- gelassenen Nervenärzten ambulant behandelt werden. Allerdings waren es die in psychiatrischen Großkran- kenhäuser beklagten Mängel, die das öffentliche Interesse wachriefen

und letztlich auch zur Beantragung

einer umfassenden Untersuchung im Deutschen Bundestag (CDU-Ab- geordneter Picard) führten.

Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat eine Ko- sten- und Planungsstudie in Auftrag gegeben. Die Veröffentlichung des Ergebnisses, die Stellungnahme der Bundesregierung zur Psychiatrie- Enquete und die Beratung des Be- richtes über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland im Deutschen Bundestag stehen noch aus.

II. Der 80. Deutsche Ärztetag 1977 in Saarbrücken hat sich erneut mit der Versorgung psychisch Gestörter, Kranker und geistig Behinderter be- faßt in der Sorge, daß die bereitzu- stellenden Mittel trotz des umfas- senden Berichtes in keiner Weise den Anforderungen entsprechen, die Voraussetzung für dringend not- wendige Verbesserungen sind. Nach den umfassenden Referaten der Professoren Schimmelpenning (Kiel) und Heinrich (Düsseldorf) und nach eingehender Diskussion faßte der 80. Deutsche Ärztetag folgenden Beschluß:

Verbesserungen der Versorgung psychisch kranker und gestörter Pa- tienten sowie geistig Behinderter sind überfällig. Der Deutsche Ärzte- tag begrüßt daher, daß in der Öffent- lichkeit das Interesse und Verständ- nis für die Versorgung dieser Patien- ten gewachsen ist. Der Grundforde- rung unter den von der Psychiatrie- Enquete aufgestellten Prioritäten nach Beseitigung grober, unhuma- ner Mißstände, die jeder Neuord- nung der Versorgung vorauszuge- hen habe, stimmt der Deutsche Ärz- tetag voll zu, ebenso den in der Prio- riätenliste folgenden Rahmenbedin- gungen,

...,. dem Prinzip der gemeindenahen Versorgung,

...,. dem Prinzip der bedarfsgerech- ten und umfassenden Versorgung aller psychisch Kranken und Behin- derten,

...,. dem Prinzip einer bedarfsge- rechten Koordination,

...,. dem Prinzip der Gleichstellung psychisch Kranker mit körperlich Kranken.

Besondere Bedeutung muß folgen- den Schwerpunkten zuerkannt werden:

(j) Ausgliederung der geistig Behin- derten aus den psychiatrischen Krankenhäusern und zeitgemäße Versorgung dieser Behinderten- gruppe.

CD

Eine bessere Versorgung psy- chisch kranker alter Menschen unter Berücksichtigung der Multimorbidi- tät durch Ausbau von Alten- und Al- tenpflegeheimen mit entsprechen- der ärztlicher Versorgung.

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Eine den therapeutischen An- sprüchen des Kranken und den Si- cherheitsbedürfnissen der Öffent- lichkeit entspechende Unterbrin- gung psychisch kranker Rechtsbre- cher außerhalb der psychiatrischen Landeskrankenhäuser.

G) Eine weitere Herabsetzung der Bettenzahl psychiatrischer Groß- krankenhäuser. Dabei dürfen aber Patienten nicht in solche Heime ab- geschoben werden, in denen keine ausreichenden Möglichkeiten zur Aktivierung, Rehabilitation und Be- handlung gegeben sind.

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Die Einrichtung ausreichend großer psychiatrischer Fachabtei- lungen an Allgemein-Krankenhäu- sern mit der Verpflichtung zur Über- nahme entsprechender Aufgaben ihres Versorgungsgebietes.

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Die Verbesserung der Versor- gung von psychisch auffälligen und gestörten Kindern und Jugendli- chen.

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Die Verbesserung der Versor- gung von Suchtkranken, insbeson- dere Alkoholikern.

1418 Heft 21 vom 26. Mai 1977

DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Die Schaffung komplementärer Einrichtungen (Tages- und Nachtkli- niken, Behindertenheime, Behinder- tenwerkstätten, beschützende Woh- nungen, Übergangsheime).

CD

Die Förderung der Forschung zur Verhütung und Behandlung psy- chischer Störungen und Krank- heiten.

@ Die Förderung der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten in Psychiatrie, Psychotherapie und medizinischer Psychologie sowie in Kinder- und Jugendpsychiatrie. Be- sonders vordringlich sind diese Maßnahmen für den Arzt für Allge- meinmedizin, da der praktische Arzt die Hauptlast der psychiatrischen Versorgung trägt.

@ Die Ermutigung und die Verbes- serung der Aus-, Weiter- und Fort- bildung aller im Bereiche der Psych- iatrie und Psychotherapie tätigen Berufe.

@ Die Förderung der Zusammenar- beit von Ärzten, Schwestern, Pfle-

gern· und Beschäftigungstherapeu-

ten mit Pädagogen, Psychologen, Seelsorgern, Sozialarbeitern und Juristen.

Der Deutsche Ärztetag weist beson- ders auf die Bedeutung der Vorbeu- gung von psychischer Belastung und Konflikten hin: Kindheit, Eitern- haus, weitere Familie, Freunde, Schule, Arbeitsplatz sind von gro- ßem Einfluß. Überschaubare Ge- meinschaften können den Verlust an zwischen- und mitmenschlichen Bindungen mildern, der durch mo- dernen Hochhaus-Wohnungsbau, durch propagierte, oft notwendige Mobilität und durch mehrfachen Be"

rufswachsei gefördert wird. Gemein- denahe, am besten noch im Rahmen der Familie mögliche Versorgung erleichtert Resozialisierung und Re- habilitierung. Dazu trägt die Versor- gung durch den niedergelassenen Nervenarzt, Internisten, Kinderarzt, Kinder- und Jugendpsychiater oder durch den Allgemeinarzt bei, die ein vertrauensvolles persönliches Ver- hältnis über lange Zeit erhalten kann. Wahrung von Diskretion und

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Rund ein Dutzend Entschließungsanträge gab es allein zum Tagesordnungspunkt

„Psychiatrle-Enquete" — mehrere hundert Drucksachenblätter hatte jeder einzelne Delegierte während der Ärztetagswoche insgesamt zu verkraften

Intimsphäre haben gerade bei psy- chisch Gestörten und Kranken eine ebenso große Bedeutung wie die Kenntnis der persönlichen Verhält- nisse und der Umgebung des Hilfe Suchenden.

Das notwendige Differenzieren der körperlichen, psychologischen und sozialen Diagnostik ist aber mit ei- ner Verantwortung verbunden, die wegen der Risiken für den Patienten nur der Arzt tragen kann, weil er auch in der Diagnostik des Organi- schen erfahren ist.

Die endlich notwendige Verbesse- rung der Versorgung der gerade am meisten betroffenen psychisch Schwerkranken und geistig Behin- derten darf nicht unter einer Auswei- tung des Krankheitsbegriffes leiden, der jede Störung des Wohlbefindens zu Lasten der Solidargemeinschaft behandlungsbedürftig macht. Vor einer Psychiatrisierung der Gesell- schaft, die jede soziale Abweichung als psychische Erkrankung empfin- det, die der Behandlung bedarf, muß im Interesse der Freiheit des Men- schen gewarnt werden. Not, Sorgen, Enttäuschungen und selbst schwer- ste Konflikte sind als solche keine Krankheit, auch wenn sie krankma- chende Faktoren darstellen können.

Trost und Beratung müssen hier nicht nur vom Arzt kommen. Demge- genüber ist rechtzeitige Psychothe- rapie zu fordern bei Patienten, die ihrer auf Grund psychischer Störun- gen wirklich bedürfen.

Der Deutsche Ärztetag appelliert an die Regierungen von Bund und Län- der, an die verantwortlichen Man- datsträger in Kreisen, Städten und Gemeinden, sofortige Verbesserun- gen der Versorgung psychisch ge- störter und kranker Menschen sowie geistig Behinderter als vordringliche öffentliche Aufgabe anzuerkennen und die für jede Reform notwendi- gen materiellen und personellen Voraussetzungen zu schaffen. Die Psychiatrie-Enquete hat hierzu wichtige Impulse gegeben. Der Deutsche Ärztetag appelliert daher an die Öffentlichkeit mit den Worten der Psychiatrie-Enquete:

,Auch in Zeiten knapp bemessener Mittel aber muß sich eine Gesell- schaft der Frage stellen, wieviel sie einsetzen will, das Schicksal derer zu erleichtern, die als psychisch Kranke oder Behinderte auf Hilfe an- gewiesen sind.' "

In einigen Akzenten und Tendenzen unterscheidet sich ein von den Dele- gierten der Ärztekammer Berlin vor- gelegter Antrag, der mit Mehrheit angenommen wurde:

Psychiatrie-Enquete II

„Der 80. Deutsche Ärztetag be- grüßt die seit Verabschiedung seiner Entschließungen auf dem 77. Deut- schen Ärztetag 1974 sowohl inner- halb der Ärzteschaft wie in der Öf- fentlichkeit in erfreulicher Breite in Gang gekommenen Bestrebungen zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker und Behinderter.

Die Entwicklung medikamentöser Behandlung, psychotherapeutischer und rehabilitativer Methoden, neuer Versorgungsmodelle und therapeu- tisch wirksamerer Formen sozialer Betreuung haben es ermöglicht, viele psychische Krankheiten erfolg-

reich zu behandeln und bislang für unheilbar gehaltene Leiden zu be- einflussen.

Der Deutsche Ärztetag hat dieser Feststellung der Psychiatrie-Enque- te bereits 1974 Rechnung getragen und im Hinblick auf die bestehenden Verhältnisse in der Bundesrepublik festgestellt, daß die Hilfe für diese Kranken nicht dem entspricht, was nach dem heutigen Stand der Psychiatrie notwendig und auch möglich wäre. Der Deutsche Ärzte- tag unterstützt daher die Konkreti- sierung und Realisierung aller Maß- nahmen, die diese Möglichkeiten ausschöpfen.

Unter Rückgriff auf seine früheren Entschließungen und unter Berück- sichtigung der seither vorgelegten Vorschläge, insbesondere des Be- richtes über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, erhebt der Ärztetag folgende Forde- rungen:

(I) Alle Planungen und Realisie- rungsschritte müssen sich an grundsätzlichen Zielen orientieren.

Hierzu gehören die rechtliche Gleichstellung der seelisch Kranken oder Behinderten mit körperlich Kranken und Behinderten, die Aner-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 21 vom 26. Mai 1977 1419

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kennung der Psychiatrie und Psy- chotherapie als medizinische und soziale Disziplin von großer Bedeu- tung innerhalb des Gesundheitswe- sens, die Erfüllung des Anspruchs aller psychisch Kranken und Behin- derten auf ein menschenwürdiges Dasein im Rahmen einer Gesell- schaft, die sie akzeptiert, und damit die Aufklärung und Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Hilfen für alle Betroffenen.

® Zur Erreichung dieser Ziele sind strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, die von den vorhandenen Einrichtungen ausgehen, diese ein- beziehen und sinnvoller nutzen so- wie ergänzen. Wesentliches Erfor- dernis ist hierbei eine dezentralisier- te, gemeindenahe Versorgung, die überschaubar bleibt, dabei aber al- len Bürgern der Region ein ausrei- chend differenziertes Angebot an stationären, teilstationären, ambu- lanten und beratenden Diensten an- bietet, ohne ihnen diese Dienste auf- zwingen zu wollen. Hierbei kommt einer verpflichtenden Koordination aller an der Versorgung beteiligten Institutionen und ihrer Träger eine besondere Bedeutung zu, um das vielseitige vorhandene Potential op- timal zu nutzen und eine bessere Zusammenarbeit zu gewährleisten.

C) Im stationären Bereich muß die inzwischen begrüßenswerterweise an vielen Stellen eingeleitete Sanie- rung der psychiatrischen Kranken- häuser weitergeführt und die Bet- tenzahl von Großkrankenhäusern weiter reduziert werden. Der Deutsche Ärztetag wiederholt mit Nachdruck diese Forderungen aus seinen früheren Entschließungen und betont die Notwendigkeit, aus- reichend dimensionierte gemeinde- nahe stationäre Einrichtungen auch an geeigneten Allgemeinkranken- häusern zu schaffen.

C) Als eine entscheidende Voraus- setzung zur Entlastung der psychia- trischen Großkrankenhäuser, zur Vermeidung unnötiger oder zu lan- ger und damit auch kostenungünsti- ger stationärer Behandlungen ist der Ausbau aller ambulanten, bera- tenden, teilstationären und Über-

gangseinrichtungen anzusehen. Die heutigen Möglichkeiten auf dem Ge- biet der Vorbeugung und der Wie- dereingliederung können nur bei ei- ner Intensivierung solcher Dienste ausgeschöpft werden. Die Förde- rung, Koordination und fachliche Durchdringung kommunaler und gemeinnütziger Beratungsstellen sowie die kooperative Verflechtung der Psychiatrie mit sozialen, psycho- logischen und sonderpädagogi- schen Diensten aller Art ist hier ebenso von Bedeutung wie die ge- meindenahe Versorgung in der ner- venärztlichen und psychotherapeu- tischen Praxis und im Rahmen der ambulanten Dienste von psychiatri- schen Krankenhäusern, die vor al- lem in unterversorgten Regionen zu einer Verbesserung des Angebotes beitragen können. Besonders wich- tig sind ferner die vom Deutschen Ärztetag bereits mehrfach hervorge- hobenen halbstationären Einrich- tungen der Tages- und Nachtklini- ken, der Übergangs- und Wohnhei- me und der beschützenden Werk- stätten, deren Entwicklung durch die überfälligen verbindlichen Rege- lungen mit den Kostenträgern be- schleunigt werden muß.

C) Die Weiterentwicklung der Ver- sorgung muß berücksichtigen, daß den Bedürfnissen bestimmter Pa- tientengruppen ausreichend Rech- nung getragen wird. Die Versorgung dieser Gruppen, vor allem der psy- chisch gestörten und kranken Kin- der und Jugendlichen, der psy- chisch kranken alten Menschen, der Drogen- und insbesondere der Alko- holabhängigen, der Epilepsiekran- ken sowie der geistig Behinderten sollte zwar in die allgemeine Versor- gung integriert werden, soweit dies möglich ist. Es sind jedoch für diese Gruppen auch Sondereinrichtun- gen, in bestimmten Fällen auch auf überregionaler Ebene, erforderlich, um ihren jeweiligen speziellen Be- dürfnissen gerecht zu werden und eine ausreichend differenzierte Be- handlung, Betreuung und Versor- gung zu gewährleisten. Der Deutsche Ärztetag hat diese Not- wendigkeit bereits in früheren Ent- schließungen unterstrichen und be- tont mit Nachdruck die besondere

Dringlichkeit einer verbesserten Versorgung für Kinder und Jugend- liche, für Alkoholkranke und für die psychisch kranken alten Menschen.

Die Lösung der Frage der Unterbrin- gung psychisch kranker Strafträger bedarf besonderer Anstrengungen.

C) Angesichts der wachsenden An- zahl psychosomatisch Kranker spricht der Deutsche Ärztetag sich nachdrücklich für die Einrichtung allgemeinmedizinisch-psychosoma- tischer Abteilungen für akute Krank- heiten an allen Universitäten und an großen allgemeinen Krankenhäu- sern aus, damit der psychosomati- schen Forschung neue Möglichkei- ten eröffnet und die Erkenntnisse der psychosomatischen Medizin in größerem Umfang als bisher in die klinische Praxis umgesetzt werden.

C) Es ist für eine menschenwürdige und den heutigen Möglichkeiten entsprechende Psychiatrie nicht ausreichend, solche bürokratischen und hierarchischen Organisations- strukturen abzubauen, die der Ver- wirklichung der Menschenrechte auch für die psychisch Kranken ohne zwingende Notwendigkeit ent- gegenstehen, und den Patienten ak- tiver in die Behandlung einbeziehen.

Eine verantwortliche Mitbeteiligung aller in der Versorgung tätigen Be- rufsgruppen setzt darüber hinaus die Entwicklung besserer Aus-, Wei- ter- und Fortbildungsgänge voraus.

Diese müssen an den Bedürfnissen der Praxis und im Hinblick auf spä- tere koordinierte und integrierte Tä- tigkeiten der verschiedenen Berufe ausgerichtet sein, müssen gewähr- leisten, daß alle in der Versorgung Tätigen, trotz unterschiedlichen Ak- zentuierungen ihrer praktischen Ar- beit grundsätzlich in der Lage sind, die Bedeutung biologischer, psy- chologischer und sozialer Faktoren für die Entstehung und Behandlung psychischer Krankheiten, Störungen und Behinderungen zu würdigen.

Die Schulung des eigenen Verhal- tens und der eigenen Einstellung gegenüber den zu Betreuenden durch die hierzu bereitstehenden Techniken und Selbsterfahrung muß in den Bildungsgängen vermehrt be- rücksichtigt werden. r›.

1420 Heft 21 vom 26. Mai 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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®

Der Deutsche Ärztetag muß ins- besondere auf die Bedeutung der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzte hinweisen. Auf dem Gebiet der Psychiatrie sollten die ärztlichen

Ausbildungsmöglichkeiten durch

eine stärkere Berücksichtigung der ambulanten Versorgung verbessert werden sowie durch die Einbezie- hung der psychiatrischen Kranken- häuser. Eine solche Einbeziehung wird in der Ausbildung dem künfti- gen Arzt anderer Disziplinen einen praxisgerechteren Einblick vermit- teln. ln der Weiterbildung zum Fach- arzt ist die Einbeziehung der psych- iatrischen Krankenhäuser zvi"ar weitgehend bereits obligatorisch, sie ist jedoch in der Praxis strikter durchzuführen. Der Deutsche Ärzte- tag empfiehlt ferner auch die Ein- führung einer Tätigkeit auf dem halbstationären oder auf dem ambu- lanten, nachsorgenden oder bera- tenden Sektor (Nervenarzt, ambu- lanter Krankenhausdienst, psychia- trische Dienste der Gesundheitsäm- ter, sozialpsychiatrischer Dienst).

Besonders nachdrücklich muß auch die Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie ge- fordert werden.

®

Besondere Bedeutung kommt nach Ansicht des Deutschen Ärzte- tages der psychotherapeutischen Versorgung zu, die einer entschei- denden Verbesserung bedarf. Der Deutsche Ärztetag weist darauf hin, daß eine solche Verbesserung be- sonders eng an Voraussetzungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung geknüpft ist. Bezüglich der Ausbil- dung ist eine bessere Berücksichti- gung dieser Belange durch die jetzi- ge Approbationsordnung eingelei-

tet.

Für die Weiterbildung scheint es vordringlich notwendig, die psycho- therapeutischen Kenntnisse und Fä- higkeiten aller Ärzte durch Intensi- vierung der Bildungsgänge auf die- sem Gebiet zu verbreitern und zu verbessern. Vordringlich ist ferner eine einheitlichere Regelung des Weiterbildungsganges für die Zu- satzbezeichnung , Psychotherapie',

zu deren Erwerb auch praktische Ärzte- Ärzte für Allgemeinmedizin- sowie Ärzte aus anderen Fachgebie- ten motiviert werden sollten."

Angenommen wurde ferner ein An- trag, der unter anderen vom Vize- präsidenten der Bayerischen Lan- desärztekammer, Dr. Hermann Braun, eingebracht worden war und der konkrete Empfehlungen für die Ausgestaltung der ärztlichen Zu- sammenarbeit auf dem Gebiet der psychiatrischen Versorgung enthält:

Psychiatrie -

Ärztliche Kooperation

0

1. "Die vorhandenen Probleme

der psychiatrischen Versorgung der Bevölkerung sind in erster Linie be- gründet in der zu geringen Anzahl von psychiatrisch und insbesondere psychotherapeutisch tätigen Ärzten sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Daher muß die Tätigkeit des Psychiaters so gestal- tet werden, daß mehr Ärzte diese Tätigkeit anstreben.

2. Den am Krankenhaus tätigen Psychiatern muß bei Bedarf mehr als bisher die Möglichkeit der persönli- chen Ermächtigung oder Beteili-. gung eingeräumt werden, um das psychiatrische Fachgebiet auch für den angestellten Arzt interessanter zu machen.

3. Es muß die Möglichkeit beleg- ärztlicher Tätigkeit für niedergelas- sene Psychiater an Akutkranken- häusern geschaffen werden. Dies würde eine Entlastung der Landes- krankenhäuser mit sich bringen. Die stationäre Versorgung der Patienten in Landeskrankenhäusern würde verbessert. Eine ortsnahe Behand- lung psychisch Kranker könnte bes- ser als heute gewährleistet werden.

4. ln den Alten- und Pflegeheimen müssen belegärztlich versorgte Krankenabteilungen für Patienten mit psychiatrisch-neurologischen Krankheitsbildern eingerichtet wer- den. Dadurch würde eine Einwei- sung von psychiatrisch-geriatri- schen Fällen in psychiatrische Lan-

deskrankenhäuser oder Akutkran- kenhäuser mit psychiatrischer Ab- teilung unnötig. Diese Abteilungen würden zu einer Entlastung von All- gemeinkrankenhäusern und psych- iatrischen Kliniken von psychia- trisch-geriatrischen Fällen führen.

Die sozialen Vorteile und die mögli- chen Kostenersparnisse liegen auf der Hand.

5. Die Bildung von Gemeinschafts- praxen und Praxisgemeinschaften zwischen

..,.. niedergelassenen und

Psychiatern

..,.. belegärztlich tätigen Psychiatern und

..,.. beteiligten, am Krankenhaus täti- gen Psychiatern

sollte gefördert werden. Damit würde eine orts- und patientennahe sowie kostengünstige Versorgung gefördert.

6. Die Gebührenordnungen für Ärzte müssen differenziertere psychiatrische Leistungen aufwei- sen. Die Neuordnung der E-Adgo in diesem Bereich kann als erster Schritt begrüßt werden. Die im Be- wertungsmaßstab-Ärzte aufgeführ- ten psychiatrisch-psychotherapeuti- schen Leistungen sind hingegen zu wenig differenziert."

Eine Anzahl von weiteren Anträgen wurde dem Vorstand der Bundes- ärztekammer zur weiteren Beratung überwiesen. Unter anderem handel- te es sich dabei um Fragen der De- zentralisierung der psychiatrischen Versorgung, um das Schicksal psychiatrischer Privatkrankenhäu- ser, um die Bereitstellung geeigne- ter Betten für Mehrfachkranke, um die Aufrechterhaltung der freien Arztwahl im Bereich der Psychiatrie, um die Förderung der Behinderten- versorgung und um ein von bayeri- schen Delegierten entwickeltes

"Drei-Säulen-Modell", das nach

Meinung dieser Delegierten an die Stelle .des Modells der "Versor- gungskette" treten soll. bt

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

21

vom

26. Mai 1977 1421

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