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or einigen Wochen habe ich an dieser Stelle Thyssen zum Kauf emp- fohlen. Nun, nachdem sich die Aktie böswillig verhalten hat und dem guten Ratschlag nicht gefolgt ist, habe ich de- retwegen zig Anrufe erhal- ten, ob es denn noch alles sein Bewenden habe mit der Thyssen AG.Guten Gewissens will ich also die Prognose weiter auf- rechterhalten. Dies um so mehr, als Merrill Lynch – da- hinter steht eine der großen Adressen der US-Finanz- branche – jüngst mit einer umfangreichen Studie zu Thyssen eben zum gleichen Schluß gekommen ist, die Aktie sei ein klarer Kauf.
Die Begründung der Ameri- kaner ist deutlich darauf aus- gerichtet, daß erstens die Fusion reibungslos ablaufen und zweitens im nachhinein beträchtliche Synergieeffekte zeigen wird.
Die Finanzanalysten von Merrill Lynch erwarten für das Jahr 2000 einen Gewinn je Aktie von 56,80 Mark. Der Ertrag speist sich zur Hälfte aus dem Stahlgeschäft und dann noch im wesentlichen aus dem Handel. Mit einer Gewinnmarge von sieben Prozent wird Thyssen unter den europäischen Konzernen in der ersten Liga mitspielen.
Das Kursziel liegt bei wenig- stens 500 Mark und damit deutlich über der aktuellen Börsennotiz. Nehmen heißt hier also die Devise.
Wer sich, angeregt vom Fusionsfieber bei Finanz- häusern, die Bankgesellschaft Berlin AG ins Depot gelegt hat, sollte über einen Verkauf
dieses Wertes nachdenken.
Nach dem jüngsten Einge- ständnis des Vorstands, daß das „Institut ziemlich ausge- blutet“ sei, was ja nichts ande- res heißt, als daß die Führung miserabel gearbeitet hat, dürfte der relativ hohe Ak- tienkurs von etwa 50 Mark ziemlich ins Rutschen kom- men. Der Vorstand hat auch noch andere dunkle Rauch- zeichen an den Börsenhori- zont gesandt. Selbst bei einer Erholung des Geschäfts im laufenden Jahr dürften die Anleger nicht mit einer höhe- ren Dividende rechnen, so die düstere Botschaft in einem Umfeld, wo andere Bankin- stitute ihre Ausschüttungen zum Teil kräftig heraufsetzen.
Die kommenden Gewin- ne bei der Bankgesellschaft Berlin, von der Banque Na- tionale de Paris prognosti- ziert, sind mit 2,45 Mark für das laufende und 2,74 Mark für das kommende Jahr nicht gerade üppig. Auch die Tat- sache, daß sich die öffentliche Hand von ihren Anteilen trennen wird, löst bei den Profis eher Mißmut aus.
Durch den Verkauf wird sich das handelbare Volumen im Jahr 1999 wohl verdreifa- chen, vermuten die Aktien- experten der Commerzbank.
So ist es denn auch kein Wunder, wenn die Aktie der Bankgesellschaft Berlin in der nahen Zukunft von den diversen Empfehlungslisten peu à peu verschwinden wird.
Damit gilt für den gefallenen Börsenliebling vergangener Tage nun aber doch mehr und mehr die Erkenntnis, daß Geben seliger ist denn
Nehmen. Börsebius
[36] Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 16, 17. April 1998
S C H L U S S P U N K T
Post Scriptum
1978 spielten Karpow und Kortschnoi um die Welt- meisterschaft, des letzteren Sekundant Keene bezeich- nete ihn schon damals mit seinen 47 Jahren als „Wun- dergreis“. Inzwischen ist Viktor Kortschnoi 67 Jahre alt und kann sich immer noch mit der Weltspitze mes- sen, wobei er durchaus gerne mit seinem Alter kokettiert:
„Opa fällt noch nicht um.“
Mit Vorliebe schlägt er die, die seine Söhne oder gar En- kel sein könnten, spielt nach wie vor kompromißlos und herrlich unvernünftig.
Beim Ärzteturnier in Ba- den-Baden war er diesmal neben mir der zweite Simul- tanspieler. Bei Viktors Vor- stellung zuvor erzählte ich, wie er vor Jahren im königli- chen Escorial nördlich von Madrid eine Simultanveran- staltung gab und es unter an- deren mit dem großen klassi- schen Gitarristen Narciso Yepes zu tun hatte. Tags zuvor hatte jener an glei- cher Stätte noch ein begei- sterndes Konzert gegeben, nun saß er ängstlich dem großen Kortschnoi am Schachbrett gegenüber. Als
Viktor schließlich ins Remis einwilligte, sprang der sonst so zurückhaltende Yepes auf und fiel dem völlig Verdutz- ten um den Hals. Das hätten aus gleichem Anlaß sicher auch viele Ärzte gern getan, in jedem Fall wollten sich, anders als sonst, fast alle mit dieser noch so lebendigen und spielstarken Legende messen. Gott sei Dank sprang mir in diesem Augen- blick Viktor selbst bei, in- dem er mir ins Ohr flüsterte, er hätte auch zweimal Ché Guevara besiegt, obwohl man ihm aus diplomatischen Gründen zu einem Remis geraten hätte. So konnte ich überzeugend darlegen, daß
„Viktor der Schreckliche“
weder Freund noch Feind kenne, ich hingegen ganz an-
ders sei. Wie erwartet, wü- tete Viktor unter seinen Gegnern, doch einmal muß- te auch er sich geschlagen geben. Und ein andermal standen die lüsternen Kie- bitze schon zu seiner Beerdi- gung bereit, wenn, ja wenn Dr. Balló als Schwarzer den Weg zum Matt in spätestens 6 Zügen gefunden hätte.
Wie? Statt dessen wurde es nur remis; ich weiß nicht, ob sich die beiden danach um den Hals fielen.
Lösung:
„Viktor der Schreckliche“
DR. MED. HELMUT PFLEGER
Börsebius zu Aktien
Geben und nehmen
Nach 1....
Lc1! droht Db2 oder Lb2 matt. Die einzig plausible
V erteidigung ist 2.
De2. Doch nun das herrliche Ablenkungs-
opfer 2....
Ld3! Die weiße Da- me kann nicht die Deckung des Mattfeldes b2 aufrechterhalten, so folgt auf die Annahme des Läuferopfers durch 3. Dxd3
Db2 matt. Also 3. Df3+ Ke6
4.Dg4+ f5. Nun hat die herum- irrende weiße Dame nur noch
ein „Racheschach“ auf f5 oder c4, in jedem Fall beißt der Läu- fer d3 zu mit Matt im folgenden Zug durch die schwarze Dame.