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Priorisierung – das ist längst GKV-Alltag

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Bayerisches Är zteblatt 5/2012

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Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe ist schuld.

Der im Vorjahr verstorbene Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) löste im Frühsom- mer 2009 einen von Politik und Medien befeu- erten Sturm der Entrüstung aus, als er beim Deutschen Ärztetag in Mainz so auf den Punkt kam: Die Mediziner hätten die Nase voll von der schleichenden Rationierung bei Leistungen im Gesundheitswesen. Hoppe forderte einen ebenso offenen wie gesamtgesellschaftlichen Diskurs über diese Problematik, die vor allem die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) be- trifft. Wenn man den vielstimmigen Aufschrei von damals heute Revue passieren lässt, ist man durchaus erstaunt, dass sich die Priorisie- rung nicht gleich zum Unwort des Jahres 2009 mauserte.

Dieser Misserfolg ist sicher verkraftbar. Von Misserfolg muss man auch reden, wenn man der Frage nachgeht, ob der Hoppesche Weckruf irgendetwas gebracht hat. Zugegeben – da und dort wurde eine Kommission eingerichtet, hier gab es ein Symposion, dort ein Ärztetagsvo- tum oder ein hochkarätiges Expertengespräch, selbst einschlägige Bundestagsdrucksachen tauchen auf. Wenn man aber mit der profanen Messlatte von Helmut Kohl („Wichtig ist, was hinten rauskommt“) an die causa Hoppe heran- geht, war es ein Fehschlag.

Wieso? Ganz einfach: Politiker verbrennen sich bei brenzligen Themen ungern die Finger. Sie halten sich lieber diskret zurück. Das können sie bei der Gesundheit auch gefahrenlos ma- chen, weil eine unüberschaubare Vielzahl von Interessengruppen jedweden Diskussionsan- stoß in Eigenregie umfänglichst abarbeitet.

Auch bei der Priorisierung lief das nach Sche- ma F. Ein subjektiver Themenmix:

Für die einen löst sich die Priorisierungs-Pro- blematik, sobald man auf Kostenerstattung umstellt. Andere sehen das Heil in GKV-Rati-

onalisierungs-Reserven, im Finanz-Steinbruch Arzneimittel, dem Verbot von IGeL oder gar der Zusammenlegung von GKV und Privater Kran- kenversicherung (PKV).

Auch die Wissenschaft präsentierte eine nette Modellpalette: Priorisierung in Oregon (US- Bundesstaat), Norwegen oder Schweden. Das Problem für die Versorgungsforscher: In Ore- gon geht es nur um eine Notversorgung für die Unterschicht, Norwegen schwimmt auf Gas- und Petro-Dollars. Schweden kann zur Priorisierung einen gemeinsamen ethischen Grundkonsens heranziehen, den die Patch- work-Republik Deutschland nicht mehr hat.

Am erstaunlichsten ist allerdings, dass die Priorisierungs-Diskutanten den Berliner Ge- setzgeber so ungeschoren davonkommen las- sen. Der hat nämlich im Grundgesetz der GKV, dem Sozialgesetzbuch V (SGB V), längst prio- risiert. Doch keiner kommt auf die Idee, ihn wegen der Folgen (auch: Folgekosten) an den Pranger zu stellen.

Diese Priorisierung ist in § 71 SGB V festgelegt.

Sie heißt Beitragssatzstabilität. Dies muss in Zu- sammenhang mit § 12 SGB V, dem Wirtschaft- lichkeitsgebot, gesehen werden. Dafür hat sich das Kunstwort „WANZ“ etabliert. Will sagen:

GKV-Leistungen haben wirtschaftlich, ausrei- chend, notwendig und zweckmäßig zu sein. Die freie ärztliche Aktionsmöglichkeit innerhalb dieses Kräfteparallelogramms hat die Politik ausgehebelt, indem sie dem „w“ (wirtschaflich) per Beitragssatzstabilität Priorität gab.

Ausreichend, notwendig und zweckmäßig dür- fen nie am makellosen Teint der Wirtschaftlich- keit kratzen, umgekehrt geht das schon. Mit den Folgen dieser Priorisierung, einer schlei- chenden Rationierung, lässt der Gesetzgeber Patienten und Ärzte dann allein. Damit sind wir wieder bei Hoppe’s Appell.

Wird weiter nichts passieren? Möglich! Muss das so sein? Keineswegs! Eine stimmige Strate- gie für den Gesundheitsbereich kann aber nicht heißen, weiterhin kleinteilige Ausformungen von Priorisierung oder Alternativkonzepte zu erarbeiten. Der einzig richtige Weg ist, den Gesetzgeber gesellschaftlich so massiv unter Druck zu setzen, dass er seinen Pflichten aus der bestehenden SGB V-Priorisierung endlich nachkommt. Konkret: Maßstäbe für die all- tagstaugliche Umsetzung von „anz“ (ausrei- chend, notwendig, zweckmäßig) zu definieren.

Die Sache heißt schließlich „G“KV, sprich „Ge- setzliche“ Krankenversicherung.

Es mehren sich die Anzeichen, dass Ärzte bei dieser Strategie nicht in Konflikt mit Patienten und Kassen geraten. Die sahen bis dato beim Wort Priorisierung rot. Dass dies keineswegs sein muss, hat Dr. Helmut Platzer, Chef der größten Kassen im Freistaat, der AOK, unlängst eher en passant durchblicken lassen. Beim „Ge- sundheitsgipfel“ in Bad Füssing machte er Ende Februar in Anwesenheit von Daniel Bahr deut- lich, dass die Priorisierung auf der gesundheits- politischen Agenda stehe. Vielleicht müsse man den einen oder anderen Begriff austauschen, das Grundproblem werde davon aber nicht be- rührt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Autor

Jost Küpper, Journalist, München

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