Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 48⏐⏐28. November 2008 A2555
P O L I T I K
lem der niedergelassenen Ärzte über eine implizite Rationierung. Gleich- zeitig gebe es immer noch zahlreiche Bereiche, in die viel Geld fließe, ohne dass man überhaupt etwas über den daraus resultierenden Nutzen wisse.
Unterstützt wurde Wiesing in sei- ner Argumentation vom Kardiologen Osterspey: „Wenn ich mit einem Budget arbeite, bin ich in meinen Ar- beitsmöglichkeiten begrenzt.“ Die Zugangsmöglichkeiten zu seiner Praxis seien allein schon durch die langen Wartezeiten auf einen Termin beschränkt. Im Bereich seiner Kas- senärztlichen Vereinigung Nordrhein sei das Budget für die gesamte nicht invasive ambulante Kardiologie we- sentlich kleiner als das Budget für Akupunktur. „Was da besser ist, weiß ich nicht“, meinte Osterspey, „aber man muss darüber diskutieren.“
Die Bedeutung der Versorgungs- forschung für die Weiterentwick-
lung der Versorgungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen unterstrich Staatssekretär Schröder. „Ich habe nicht verstanden, dass auf dem Deutschen Ärztetag die in der Tat fehlende Versorgungsforschung als Vorbote der Rationierung darge- stellt wurde und nicht vielmehr als die Chance, die Effizienzreserven im System zu heben“, so Schröder.
Die Versorgungsforschung müsse gestärkt werden, um das gute Ge- sundheitssystem zu erhalten: „Wir müssen immer wachsam sein.“
Auf den Weg gebracht:
Forschung zur Priorisierung
An diesem Punkt stimmte ihm Reb- scher zu. Für eine gute Versorgung benötige man systematische For- schung, sagte der DAK-Vorstand:„Ich muss doch wissen, ob es auf Dauer sinnvoller ist, drei Stents zu zahlen oder einen Bypass.“ In Bezug
auf das Thema Priorisierung hält es Rebscher für falsch, dieses direkt mit Rationierung und Budgetierung zu verknüpfen. So werde von vornher- ein eine breite öffentliche Diskussion verhindert, die jedoch wichtig sei.
„Der Gesetzgeber hat bereits prio- risiert, hat Dinge in der Krankenver- sorgung ausgeschlossen, die nicht immer leicht zu verkraften sind, wie zum Beispiel OTC-Arzneimittel oder Krankentransportfahrten“, bemerkte Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Na- gel, Direktor des Instituts für Medi- zinmanagement und Gesundheits- wissenschaften der Universität Bay- reuth. Gemeinsam müsse die Gesell- schaft Wege finden, mit dem Mangel umzugehen. Vorarbeit soll dafür ge- leistet werden in einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das sich derzeit mit Priorisierung im Gesundheitswesen befasst. n Thomas Gerst
PRIORISIERUNG: DAS BEISPIEL SCHWEDEN
In Schweden ist es Realität: Erkrankun- gen und ihre Behandlungsmöglichkei- ten werden im Rahmen von Priorisie- rungsleitlinien in eine Rangfolge ge- bracht; sie ist Basis für Versorgungs- entscheidungen.
Erfahrung damit hat „Wortwechsel“- Teilnehmer Dr. med. Jörg Carlsson.
Der Kardiologe verließ vor fünf Jahren Deutschland und ist heute Chefarzt ei- ner Klinik in Kalmar. Für sein Fachge- biet existiert eine Priorisierungsleitlinie, die allen medizinischen Maßnahmen von der Vorbeugung bis zur Rehabilita- tion eine Rangfolge von eins (hoch) bis
zehn (niedrig) zuordnet. Zusätzlich wer- den Maßnahmen gelistet, die man un- terlassen beziehungsweise nur im Rah- men eines Forschungsprojekts vorneh- men sollte.
Auftraggeber von Leitlinien ist die Regierung. Ausgearbeitet werden sie unter Leitung der obersten Gesund- heitsbehörde von einem multiprofessio- nellen Team nach wissenschaftlichen, ethischen und ökonomischen Erwägun- gen. Ziel sind Leitlinien für alle medizi- nischen Fachgebiete. Sie sollen zu ei- nem guten Gesundheitszustand der ge- samten Bevölkerung und zu gleichen
Versorgungsbedingungen führen. „Das Hauptgewicht liegt eher auf der geord- neten, landesweiten Einführung neuer Methoden als auf deren Begrenzung“, betont Carlsson.
Als ein Landtag vor Jahren versuch- te, eine echte Rationierungsliste durch- zusetzen und Ärzten bestimmte Maß- nahmen zu verbieten, scheiterte er da- mit. Andererseits würden inoffiziell stel- lenweise Altersgrenzen gezogen, weiß Carlsson. Er verweist aber auch darauf, dass sich durch die Priorisierung Be- handlungsstandards angeglichen und
verbessert hätten. Rie
Michael-Jürgen Polonius, Präsident des Berufs- verbands der Deutschen Chirurgen (vorne);
Hans-Peter Schuster, Generalsekretär der DGIM
Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, (links); Hartmut Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
Klaus-Dirk Henke, Gesundheitsökonom an der Technischen Universität Berlin (links);
Uwe Preusker, Gesundheitsberater