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Abschlussbericht: „Priorisierung in der Medizin“

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Academic year: 2022

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Bayerisches Är zteblatt 5/2012

fen: Der medizinische Fortschritt wird in ein- zelnen Bereichen zu Kostensteigerungen, in anderen Bereichen zu Einsparungen führen.

Fortschritt und Innovationen beziehen sich auf Produkte und auf Versorgungsprozesse. Im Be- reich der Produkte ist mit Kostensteigerungen zu rechnen, im Bereich der Versorgungspro- zesse sind durch bessere Kooperationsformen und Zielorientierung Einsparungen erzielbar.

Die demografische Entwicklung wird nicht zu der befürchteten Kostenmehrung führen. Die meisten Behandlungskosten entstehen im letz- ten Jahr vor dem Tod, weitgehend unabhängig vom Alter (Kompressionstheorie). Der Ansatz dieser „Kompressionstheorie“ ist realistischer als der Ansatz der „Medikalisierungstheorie“

(These: Je älter die Menschen sind, umso mehr brauchen sie Medikamente).

Es fällt auf, dass die Priorisierungsdiskussion in Deutschland im Wesentlichen nur für den Bereich der GKV und nicht für den Bereich der Privaten Krankenversicherung (PKV) ge- führt wird. Priorisierung darf nicht zu einem Ausschluss medizinisch notwendiger und sinn- voller Leistungen aus dem GKV-Leistungskata- log führen. Dies hätte nämlich zur Folge, dass die Patienten dann solche Leistungen selbst tragen müssten.

Bei vorgegebenen medizinischen Notfallsitua- tionen sind Priorisierungsmaßnahmen zwin- gend geboten. Hier gilt die Maxime: Das Wichtigste zuerst! Gleiches gilt bei einem vorgegebenen medizinischen Ressourcenman- gel. Solche Priorisierungsmaßnahmen dürfen jedoch nicht die Vorlage sein für rein ökono- misch begründete Beschränkungen im GKV- Leistungskatalog.

Internationale Vergleiche zur Priorisierung können nicht einfach für unser Gesundheits- wesen übernommen werden, da die Strukturen in den einzelnen Gesundheitssystemen und die Ansätze zur Priorisierung in den einzelnen Län- dern völlig unterschiedlich sind.

katalog ausgeschlossen werden und dieses dann Ungleichbehandlung und soziale Benach- teiligung induziere.

Wichtige ethische Kriterien zur zukünftigen Steuerung und Strukturierung unseres Ge- sundheitswesens und für eine Versorgung der Patienten auf hohem Niveau sind: Orientierung am patientenrelevanten Nutzen, Respektie- rung des Selbstbestimmungsrechts, Bedarfs- gerechtigkeit, Gleichbehandlung und Vertei- lungsgerechtigkeit. Die Versorgung hat sich am gesundheitlichen Bedarf der Patienten zu orientieren und nicht an Nachfrage, vorhan- dener Ausstattung oder der bisherigen Versor- gung. Eigeninteressen einzelner Leistungsan- bieter dürfen nicht zu mehr Leistungen führen.

Die Ergebnisse der Versorgungsforschung mit patientenrelevanten und klinisch evaluierten Studien und die Ergebnisse mit höchstem Evi- denzgrad müssen Berücksichtigung finden. Ziel ist eine Versorgung von Kranken, Älteren, Be- hinderten oder an einer seltenen Krankheit Lei- denden auf hohem evidenzbasiertem Niveau.

Dies alles ist nur erreichbar, wenn die Solidar- gemeinschaft die hierfür notwendigen Kosten bereitstellen kann. Einseitige utilitaristische Ansätze, die den größtmöglichen Nutzen der Gesamtheit auf Kosten des individuellen Lei- dens verfolgen, sind mit dem Prinzip der Men- schenwürde nicht vereinbar.

Entlang dieser ethischen Kriterien kommt die Arbeitsgruppe zu folgendem Ergebnis:

Jede Form der verdeckten Rationierung ist abzulehnen. Bereits bestehende verdeckte Ra- tionierungen müssen für Patienten, Ärzte und weitere Gesundheitsberufe transparent ge- macht werden.

Vor Ergreifen weiterer Maßnahmen müssen be- stehende Rationalisierungspotenziale genutzt werden, dies insbesondere im Bereich von Fehlallokationen und den Bereichen von Über-, Fehl- und Unterversorgung.

Durch den Ausbau der Versorgungsforschung können Steuerung und Strukturierung des zu- künftigen Gesundheitswesens besser gelingen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) müssen ihre Entscheidungsprozesse auf evidenzbasierter Grundlage transparenter und nachvollzieh- barer gestalten.

Die finanziellen Auswirkungen des medizi- nischen Fortschritts sind differenziert zu prü-

Die Diskussion über eine „Priorisierung in

der Medizin“ verläuft äußerst kontrovers, es finden sich entschiedene Befürwor- ter und Gegner. Eine bei der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) eingerichtete Arbeitsgruppe befasste sich von Mai 2011 bis Februar 2012 mit diesem komplexen Thema und organisierte das Symposium

„Priorisierung ärztlicher Leistungen – not- wendig oder überflüssig?“. Ende Novem- ber 2011 diskutierte die Arbeitsgruppe gemeinsam mit geladenen Referenten aus dem Bereich Gesundheit, Ökonomie und Ethik das Thema mit einer breiten Öffent- lichkeit. Das Symposium diente zum Mei- nungsaustausch und zur Meinungsbildung;

die Arbeitsgruppe „Priorisierung in der Medizin“ kommt zu folgendem Ergebnis:

Die Befürworter einer Priorisierung in der Me- dizin argumentieren mit folgenden Punkten:

Die Interaktion von medizinischem Fortschritt, demografischem und epidemiologischem Wan- del werde eine Ausgabenexplosion im Gesund- heitswesen auslösen, die von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht mehr finan- ziert werden könne. Priorisierung solle dazu bei- tragen, die knappen Mittel nach gesellschaftlich konsentierten Kriterien möglichst gerecht zu verteilen. Entscheidungen über den Umfang so- lidarisch finanzierter Leistungen seien ethische Entscheidungen, die im gesellschaftlichen Dis- kurs und auf politischem Wege zu treffen seien.

(Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe 2009: „Mit den Mitteln, die uns heute zur Verfügung ste- hen, werden wir den medizinischen Fortschritt zukünftig nicht mehr in den Praxen und Kliniken abbilden können – erst recht nicht in einer Ge- sellschaft des langen Lebens.“)

Die Gegner einer Priorisierung in der Medizin argumentieren wie folgt: Eine Kostenexplo- sion in unserem Gesundheitswesen habe es bisher nicht gegeben. Zukünftiger medizi- nischer Fortschritt ermögliche auch Einspa- rungen. Eine älter werdende Gesellschaft gehe nicht zwangsläufig mit dramatisch steigenden Gesundheitsausgaben einher. Es seien noch genügend Rationalisierungsreserven im Sys- tem, die durch konsequente Umsetzung von Versorgungsforschung und Abbau von Über-, Fehl- und Unterversorgung genutzt werden können. Eine Priorisierung in der Medizin berge die Gefahr, dass medizinisch notwendige und sinnvolle Leistungen aus dem GKV-Leistungs-

Abschlussbericht: „Priorisierung in der Medizin“

Autor

Dr. Peter Scholze, Leiter der Arbeitsgrup- pe „Priorisierung in der Medizin“ der BLÄK Die Mitglieder der Arbeitsgruppe:

Dr. Emmi Auch, Professor Wulf Dietrich, Dr. Jörg Franke, Dr. Jan Hesse, Dr. Hans- Joachim Lutz, Dr. Gabriel Schmidt, Dr. Pe- ter Scholze, Dr. Veit Wambach

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