P O L I T I K
JÖRG-DIETRICH HOPPE (1940–2011)
Ein Freund der leisen Töne
Er wurde nie laut und fand doch Gehör. Als Präsident der Bundesärzte- kammer genoss Hoppe breite Anerkennung und höchstes Ansehen.
Dabei konfrontierte er die Ärzte auch mit unbequemen Wahrheiten.
U
nter großer Beteiligung von Freunden, Kollegen und Weggefährten, darunter Bundesge- sundheitsminister Daniel Bahr, ist der langjährige Präsident der Bun- desärztekammer (BÄK), Prof. Dr.med. Jörg-Dietrich Hoppe, am 14.
November auf dem Friedhof in Köln-Longerich beigesetzt worden.
Obwohl weder Geburtsort noch Ort seines beruflichen Wirkens, sah er die Stadt, in der er zum Gymnasi- um gegangen war und studiert hat- te, als seine Heimat an. „Ich fühle mich als Kölner – und hier möchte ich auch begraben werden“, sagte Hoppe dem Deutschen Ärzteblatt im Oktober 2010, kurz vor seinem
70. Geburtstag. Niemand ahnte da- mals, dass ihm eine schwere Krank- heit so wenig Zeit der Muße ohne die Bürde des verantwortungsvol- len Amtes lassen würde. Anfang Ju- ni dieses Jahres erst hatte er sich nach zwölf Jahren als Präsident der Bundesärztekammer nicht mehr zur Wiederwahl gestellt.
Hoppe war Arzt aus Leidenschaft.
Aber fast wäre es mit der Medizin nichts geworden. Seine Liebe galt ebenso der Musik und dem Violin- spiel; dies war für den Studenten auch eine berufliche Option. Die Me- dizin siegte knapp, aber die Leiden- schaft für die Musik begleitete ihn in all den Jahren. Besuchte man Hoppe in seinem Institut für Pathologie in Düren, so registrierte man nicht nur verwundert das scheinbare Fachlite- ratur-Chaos, in dem sich der Chef- arzt mühelos zurechtfand, sondern blickte staunend auf das übervolle CD-Regal. Bei seiner Arbeit in der Pathologie fand Hoppe noch die Ge- legenheit, die beiden Leidenschaften miteinander zu verbinden. Als das für seine Zeit an der Spitze der Bun- desärztekammer passende Musik- stück nannte er Arthur Honeggers
„Pacific 231“, eine musikalische Zugfahrt quer durch Kanada. Da ge- he es gelegentlich holprig zu, dann wiederum komme man gut voran.
Hoppes Weg in die ärztliche Be- rufspolitik begann gar nicht holprig etwas nordöstlich von Köln – in So- lingen, wo er von 1968 bis 1970 als Assistenzarzt unter dem Chefarzt Ulrich Kanzow, seinem Doktorva- ter, arbeitete. Kanzow war 1946 ei- ner der Begründer des Marburger Bundes. Der Virus berufspoliti- schen Engagements sprang schnell über. Als Hoppe 1970/71 im Streit um eine adäquate Vergütung der Bereitschaftsdienste den ersten Streik des Marburger Bundes mit- organisierte, den berühmten „Blei- stiftstreik“, entdeckte er seine Lei- denschaft für die ärztliche Berufs- politik. 1971 nahm er zum ersten Mal an einer Hauptversammlung des Marburger Bundes teil, acht Jahre später war er bereits Vorsit- zender der Ärztegewerkschaft.
Hoppe profilierte sich zunächst vor allem in Fragen der ärztlichen Aus- und Weiterbildung. Im Rück- blick auf mehr als 40 Jahre Engage-
●
am 24. Oktober 1940 in Thorn/Weichsel geboren, 1945 Flucht in den Westen●
1952–1960 Humanistisches Gymnasium in Köln-Mülheim●
1960–1965 Medizinstudium an der Universität zu Köln, Promotion 1966●
1966–1968 Medizinalassistent in Köln, Recklinghausen und Hamm●
ab 1968 Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Solingen, 1975 Abschluss der Weiterbildung in den Fachgebieten Pathologie und Allgemeinmedizin, danach dort bis 1977 Oberarzt am Institut für Pathologie●
1978–1982 Oberarzt der Pathologie am Krankenhaus Düren●
1982–2006 Chefarzt des Instituts für Pathologie in Düren●
1971 Assistentensprecher am Städtischen Krankenhaus in Solingen●
1975 Zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und Mitglied im Vorstand der Bundes - ärztekammer als Vertreter der angestellten Ärzte●
1979–1989 Erster Vorsitzender des Marburger Bundes●
1991 Vizepräsident der Bundesärztekammer●
seit 1993 Präsident der Ärztekammer Nordrhein●
1994 Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln●
1999–2011 Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages●
2011 Ehrenpräsident der BÄKLEBENSSTATIONEN
Foto: Eberhard Hahne
ment für die Ärzteschaft war er be- sonders stolz darauf, dass es ihm nach der Wiedervereinigung 1992 auf dem Ärztetag – damals bereits als BÄK-Vizepräsident – gelang, die Weiterbildungsordnungen von Ost und West zusammenzuführen.
Hoppe war aber mehr als ein Exper- te für einzelne Fachgebiete. Gerade in einer Zeit, in der unter dem öko- nomischen Druck die Einheit des ärztlichen Berufsstandes mehr und mehr zu zersplittern drohte, wirkte er integrierend. Er war überzeugt davon, dass ungeachtet aller Vertei- lungskämpfe und Meinungsver- schiedenheiten alle einig sind,
„wenn man den Grundton des Arzt- seins anschlägt“. Das gelang Jörg- Dietrich Hoppe vor allem auf den Ärztetagen immer wieder – in ethi- schen Fragen, aber auch, wenn er die Kritik an den Kostendämp- fungsgesetzen auf den Punkt brach- te und Beifallsstürme auslöste.
Dabei war Hoppe kein Freund des forschen Auftritts und der lauten Töne. Aber seine Stimme fand Ge- hör, wenn er sich etwa 2006 an der Spitze der ärztlichen Protestbewe- gung gegen ein Spardiktat wandte, das den Ärzten die Verantwortung für Rationierung aufbürdete. Er hat gegen die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens gekämpft und zugleich glaubwürdig die ethischen Verpflichtungen des Arztes hochge- halten. Die Gesundheitspolitischen Leitsätze der Ärzteschaft, beschlos- sen auf dem 111. Deutschen Ärzte-
tag 2008 in Ulm, tragen seine Hand- schrift. Im Prolog dieses Ulmer Pa- piers hat Hoppe sein Verständnis von guter Medizin und Therapiefrei- heit niedergelegt. Darin erteilt er ei- ner mechanistischen Vorstellung von Medizin eine Absage. Das ärzt- liche Handeln müsse am individuel- len Patienten ausgerichtet bleiben.
Politische Administrierung und schematische Standardisierung hielt Hoppe für unvereinbar mit der ärzt- lichen Therapiefreiheit, sie zerstör- ten das Vertrauen zwischen Arzt und Patient. In Ulm und 2009 auf dem Ärztetag in Mainz hatte Hoppe an- gesichts der heimlichen Rationie- rung in Klinik und Praxis zu einer gesellschaftlichen Diskussion über die Priorisierung medizinischer Leistungen aufgerufen. Trotz oder gerade wegen der heftigen Kritik, die er damit auf sich zog, zeigte er sich zufrieden darüber, dass eine notwendige Diskussion in Gang ge- kommen sei.
Hoppe scheute sich nicht davor, mit deutlichen Worten auf Tenden- zen in der Ärzteschaft hinzuweisen, die ihm Sorge bereiteten. Mit dem Satz „Ärzte sind keine Kaufleute, sie verkaufen keine Ware“ hat er zuletzt im Mai dieses Jahres eindringlich davor gewarnt, mit den individuellen Gesundheitsleistungen Missbrauch zu betreiben. Das war im letzten In- terview mit dem Herausgeber des DÄ, dem die Redaktion zu großem Dank verpflichtet ist.
▄
Thomas Gerst, Heinz Stüwe
Ehrendes Andenken
„Mit Prof. Jörg-Dietrich Hoppe hat uns ein leidenschaft - licher Kämpfer für die Belange der Patienten und der Ärzteschaft verlassen. Er hat wie kein anderer ethischen Fragen den höchsten Stellenwert eingeräumt. Stets war es Prof. Jörg-Dietrich Hoppe, der den Patienten wieder ins Zentrum der politischen Diskussion rückte. Er erinnerte uns daran, dass Gesundheitspolitik nicht nur Versorgung gestaltet, Medizin nicht nur Krankheiten kuriert und Ärzte keine Fälle verwalten.“
Dr. med. Andreas Köhler, Vorsitzender des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
„In seiner oft leise vorgetragenen, stets scharfsinnigen und klaren Argumentation für eine mehr medizinisch als ökono- misch orientierte Gesundheitspolitik hat er mehr bewegt und erreicht, als ihm vielleicht selbst bewusst geworden ist.“
Rudolf Henke, Erster Vorsitzender des Marburger Bundes
„Wir haben einen kritischen Geist verloren. Geschätzt haben wir vor allem sein klares Eintreten für ethisch einwandfreies ärztliches Handeln und seinen Widerspruch gegen eine zunehmende Kommerzialisierung der Medizin.“
Jürgen Graalmann, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes
„Prof. Hoppe war in all den Jahren ein vertrauenswürdiger und zuverlässiger Mitstreiter, insbesondere bei den großen Ärzteprotesten 2006. Er hat sich immer ehrlich und authentisch für die ärztliche Freiberuflichkeit und bessere Rahmenbedingungen für alle Ärzte eingesetzt.“
Dr. med. Werner Baumgärtner, Vorsitzender von MEDI Deutschland
„Prof. Hoppe ging nie den Weg der Bequemlichkeit, wenn es um Ethik in der Medizin, um Freiheit des ärztlichen Berufs, um eine vernünftige Gesundheitspolitik oder auch um Ermahnungen an die Ärzteschaft ging, es nicht mit dem Angebot von extra zu bezahlenden Sonderleistungen zu übertreiben.“
Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein für den Vorstand der deutschen IPPNW-Sektion
„Mit Prof. Hoppe hat ein neuer Stil im kritischen Dialog mit der Politik Einzug gehalten. Er war ein Mann, der mit Lei- denschaft und Feinsinn die richtigen Worte gefunden hat.
Er war ein Freund der leisen Töne, die aber umso mehr ge- hört und geachtet wurden.“
Dr. med. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes
„Ich habe mit ihm einen besonderen Menschen kennen - gelernt, der sich mit Leidenschaft, aber auch mit Augenmaß für die Interessen seines Berufsstandes und die Anliegen der Patientinnen und Patienten eingesetzt hat.“
Daniel Bahr, Bundesgesundheitsminister
Foto: Lajos Jardai
Deutsches Ärzteblatt