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A2624 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 41½½12. Oktober 2001
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eit Jahren kämpfen die Apotheker gegen den Versand von Arzneimit- teln, immer mit den gleichen Argu- menten. Bisher hatten diese Erfolg.Doch die Zahl der Befürworter des Ver- sandhandels wächst, und mit ihr ver- stärkt sich auch die Kritik des Präsiden- ten der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA), Hans- Günter Friese. Dieser Tage erreichte sie einen neuen Höhepunkt. Der Grund ist eine Studie des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie (Inifes), die erstmals die potenziellen Auswirkun- gen des Pharmaversandes in Deutsch- land untersucht – und positiv bewertet.
Inifes will die vom Verband zur För- derung der Kostenreduktion im Ge- sundheitswesen, Luxemburg, in Auf- trag gegebene Studie im Frühjahr 2002 veröffentlichen; erste Ergebnisse stellte der Wissenschaftliche Direktor des In- stituts und Leiter der Studie, Prof. Dr.
rer. pol. Martin Pfaff, bereits bei einem Workshop am 17. September in Berlin vor. Nach seiner Ansicht könnten durch den Versand von Arzneimitteln an chronisch Kranke sowie für gehbehin- derte Patienten kurz- bis mittelfristig 500 Millionen DM, langfristig eine Mil- liarde DM eingespart werden.
„Öffentliche Präsenzapotheken“
Für den Apotheker Friese steht jetzt das gesamte System der Arzneimittel-Ver- sorgung zur Disposition. „Das Konzept ist unausgegoren und ordnungspolitisch fragwürdig“, sagte er. Sparen ließe sich nur durch Rosinenpickerei. Versand- händler würden vor allem höherpreisige Medikamente anbieten und somit von der Mischfinanzierung profitieren.
Positiv auf die Studie reagierten hingegen als Vertreter der Gesetzli-
chen Krankenversicherung Wolfgang Schmeinck, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Betriebskran- kenkassen, Dr. Theo Schröder, Staats- sekretär im Bundesgesundheitsmini- sterium, Thomas Isenberg vom Ver- braucherzentrale Bundesverband so- wie Dr. med. Leonard Hansen, stell- vertretender Vorsitzender der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung. Sie sehen in den Versandapotheken eine Möglichkeit, Medikamente effizient und kostengünstig an die Patienten zu bringen, allerdings unter der Voraus- setzung, dass diese ergänzend zu den Präsenzapotheken bestehen und der Schutz des Verbrauchers und die Arz- neimittelsicherheit gewährleistet sind.
Das setzt Inifes voraus. „Versand- apotheken sind wie öffentliche Präsenz- apotheken zu definieren, mit allen An- forderungen an die Arzneimittelsicher- heit und Arzneimittelqualität“, bekräf- tigte Pfaff. „Nur die Kommunikations- form und die Medikamentenabgabe un- terscheiden sich bei dem Modell einer Versandapotheke, das der Studie zu- grunde liegt.“ Das Procedere würde dann so aussehen: Entweder bestellt der Patient telefonisch das Medikament, oder der Arzt schickt per Datenfern- übertragung ein (elektronisches) Rezept an die Versandapotheke. Diese liefert dann per Post oder Kurier das benötig- te Medikament direkt an den Patienten.
„Die Studie fokussiert auf Versandapo- theken, nicht auf Internetapotheken mit grenzüberschreitendem Pharma- versand“, betonte Pfaff.
Dass die Versandapotheken die Prä- senzapotheken verdrängen, befürchten zwei Drittel der Apotheker. Dies zeigt die Inifes-Studie, die parallel 150 Apo- theker, 380 Ärzte und 1 000 Bürger be- fragte. Die meisten Apotheker glauben danach nicht, dass Versandapotheken
Kosten verringern. Stattdessen be- fürchten sie eine qualitativ schlechtere Arzneimittelversorgung.
Patienten und Ärzte sind der Studie zufolge hingegen überwiegend aufge- schlossen gegenüber der Versandapo- theke. Vier von zehn Patienten können sich vorstellen, die Versandapotheke zu nutzen, wenn Arzneimittelsicherheit und Beratung gewährleistet sind. Jeder zweite Arzt ist bereit, mit den Versand- apotheken zu kooperieren. Ein Drittel hält hierdurch Kosteneinsparungen für möglich. Ein Viertel der befragten Ärz- te befürchtet eine schlechtere Bera- tung; ein Zehntel eine sinkende Qua- lität der Arzneimittelversorgung.
Patientenfreundlich
„Wir sollten uns dem Versandhandel nicht verschließen“, urteilte Dr. med.
Leonard Hansen, Arzneimittelexperte der KBV. Wenn die rechtlichen Aspek- te bedacht und Seriosität berücksichtigt werden, sei der Ansatz patientenfreund- lich und umsetzbar. Auch Kassen und das Bundesgesundheitsministerium sind sich einig: „Versandapotheken ergänzen sinnvoll die Präsenzapotheken, sollen diese aber nicht ersetzen.“
Friese hält mit aller Macht dagegen und appelliert an Bundesgesundheits- ministerin Schmidt, zum Dialog mit den Apothekern zurückzukehren und „sy- stemkonforme Maßnahmen“ zu be- schließen. Bisher ist noch nichts ent- schieden. Doch die Weichen scheinen inzwischen trotz des Widerstands der Apotheker auf Versandhandel gestellt zu sein. Im November will auch der Sachverständigenrat für die Konzer- tierte Aktion im Gesundheitswesen ein Gutachten zum Versandhandel vorle-
gen. Dr. med. Eva A. Richter