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Archiv "Psychotherapie: Die Weichen werden jetzt gestellt" (05.07.2002)

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it Hoffnung und Sorge sieht der Deutsche Psychotherapeuten- verband (DPTV), Berlin, der Zukunft der Psychotherapie nach der Bundestagswahl im September entge- gen. „Der gesetzlich verankerte Lei- stungsanspruch der Versicherten auf ei- ne psychotherapeutische Behandlung muss genauso gewahrt bleiben wie das Erstzugangsrecht der Versicherten zu einem Psychotherapeuten der eigenen Wahl“, forderte Dipl.-Psych. Detlev Kommer, Vizepräsident des DPTV, auf einer Podiumsdiskussion des Verban- des, der Mitte Juni in Berlin sein zehn- jähriges Jubiläum feierte.

Eine erneute Gesundheitsreform könnte zur Verschlechterung der psy- chotherapeutischen Versorgung der Pa- tienten führen, befürchtet der Verband.

„Wir sind sehr kritisch gegenüber den angedachten bonusverknüpften Haus- arztmodellen“, erläuterte Kommer.

Durch sie bestehe die Gefahr, dass sich

Patienten viel zu spät einer Behandlung unterzögen, nur um den Jahresbonus für nicht in Anspruch genommene Arztleistungen zu erhalten. Dadurch könnten sich psychische Störungen leicht chronifizieren. Ähnliche Konse- quenzen seien bei der Einführung von Wahltarifen und stärkeren Selbstbetei- ligungssystemen zu befürchten.

Diese Bedenken versuchten die Gesundheitsexperten von CDU/CSU, Wolfgang Lohmann, und FDP, Detlef Parr, den Teilnehmern während der Podiumsdiskussion zu nehmen: „Die CDU/CSU will den bisherigen Ver- sicherungsumfang auf jeden Fall bei- behalten“, beteuerte Lohmann. Der Patient solle nur bei Lei- stungen zuzahlen, die auch zusätzlich einge- führt würden. „Die Psychotherapie hat ei- nen festen, beson- deren Platz“, sagte er. „Das Erstzugangs- recht bleibt erhalten.“

Parr verteidigte dage- gen das auf Eigenver- antwortung, Wettbe- werb und Selbstbetei- ligung aufgebaute FDP-Gesundheits- Konzept. Dies schließe zwar eine soli- darische Grundversorgung ein, doch ei- ne „Vollkaskoversicherung“ sei untaug- lich, wenn man ein erhöhtes Kostenbe- wusstsein bei Patienten erreichen wolle.

Mehr Beifall erhielt während der Diskussion der Gesundheitsexperte der SPD, Horst Schmidbauer. „Die Gleich- behandlung von somatisch Kranken und psychisch Kranken war bereits In- halt der Psychiatrie-Enquete und ist

auch jetzt der Kern unserer Aufgaben- stellung“, betonte er. Durch eine Zer- schlagung des Solidarsystems dürfe sie nicht gefährdet werden. „Wir sind un- eingeschränkt für eine ganzheitliche Versorgung“, erklärte Schmidbauer.

Diese müsse jedoch effizienter gestaltet werden. Eine isolierte Zuzahlung nur für psychotherapeutische Leistungen werde es mit der SPD nicht geben, ver- sprach er. Dies würde eine zusätzliche Zugangssperre zur Psychotherapie für Menschen bedeuten, die glauben, nur somatisch krank zu sein.

Der Gesundheitsexperte der Univer- sität Greifswald, Prof. Dr. Jürgen Wa- sem, forderte ebenfalls die Gleichbe- rechtigung der Psychotherapie. Die so- lidarische Wettbewerbsordnung müsse bei der anstehenden Gesundheitsreform in den Mittelpunkt gestellt werden. „Das deutsche Gesundheitssystem kostet viel und leistet dafür nur wenig“, sagte Wa- sem. „Wenn die Politiker jetzt nicht eine umfassende Gesundheitsreform ange- hen, gleichzeitig aber auch keine Bei- tragssteigerungen zulassen wollen, dann müssen sie offen Abschied von der gleichberechtigten Teilhabe aller am me- dizinischen Fortschritt nehmen.“

Der DPTV wolle die anstehende Ge- sundheitsreform aktiv mitgestalten, er- klärte Kommer. Denn der Psychothera- pie käme eine besondere Bedeutung im Gesundheitswesen zu: Mehr als 32 Pro- zent aller Erwachsenen im Alter zwi- schen 18 und 64 Jahren und mehr als 17 Prozent aller Kinder und Jugendli- chen hätten behandlungsbedürftige psy- chische Störungen. Die Untersuchungen in Deutschland deckten sich mit den wissenschaftlichen Ergebnissen in ande- ren westlichen Industrieländern. Nach Hochrechnungen der Weltgesundheits- organisation zählten psychische Störun- gen zu den kostenintensivsten und am meisten beeinträchtigenden Volkskrank- heiten, mit steigender Tendenz. Beson- ders betroffen wären in Deutschland Kinder und Jugendliche. Doch nur 36,4 Prozent der von psychischen Störungen betroffenen Erwachsenen und nur 17 Prozent aller von Störungen betroffenen Kinder würden sich hierzulande in Be- handlung begeben, berichtet Kommer.

Wenn die sich in der Diskussion be- findlichen Hausarztmodelle umgesetzt würden, dürfe das Recht der Patienten P O L I T I K

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A1866 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002

Psychotherapie

Die Weichen werden jetzt gestellt

Der Deutsche Psychotherapeutenverband kämpft gegen Zuzahlungen und für ein weiterhin gesichertes Erstzugangs- recht zur Psychotherapie nach der Bundestagswahl.

Diskutierten auf dem Podium: Von links, Wolf- gang Lohmann (CDU), Detlef Parr (FDP), ver- deckt: Horst Schmidbauer (SPD), Norbert Fischer (VdAK), Dr. Leonhard Hansen (KBV)

Foto:DPTV

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auf den direkten Zugang zu einem Psy- chotherapeuten nach eigener Wahl nicht eingeschränkt werden, fordert der Ver- band. Das Versorgungsangebot sei aus- reichend und flächendeckend zu gestal- ten. „Das psychische Befinden der Pati- enten ist bei nahezu jeder körperlichen Erkrankung mit betroffen“, ergänzte Prof. Dr. Dietmar Schulte, Psychothera- peut an der Ruhr-Universität Bochum.

Dabei beeinflussten psychische Faktoren auch die Kosten bei somatischen Erkran- kungen. So könne beispielsweise durch psychotherapeutische Betreuung nach Unfällen die Liegezeit der Patienten ver- kürzt werden. Doch noch immer würden psychische Krankheitsbilder von nieder- gelassenen Haus- und Fachärzten feh- lerhaft diagnostiziert beziehungsweise unangemessen behandelt. Häufig wür- den die Patienten viel zu spät an einen Psychotherapeuten verwiesen, ergänzte Kommer.

Balance zwischen Optimalem und Finanzierbarem

„Die niedergelassenen Ärzte sind ko- operationsbereit“, sagte Dr. med. Leon- hard Hansen, zweiter Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Dass ein Drittel der erwachsenen Be- völkerung der psychotherapeutischen Behandlung bedürfe, erscheint ihm aber zu hoch gegriffen. „Die Psychothe- rapeuten sollten keine neuen Ausgren- zungseffekte provozieren, indem sie hy- pertrophe Bedarfe anmelden“, sagte er.

Stattdessen müsse die Balance zwi- schen dem Optimalen und dem Finan- zierbaren gefunden werden. Generell befinde sich die Psychotherapie in ei- nem Dilemma, konstatierte Hansen.

Die Forderung nach Gleichberechti- gung zur somatischen Medizin stehe im Widerspruch zum Verständnis der Psy- chotherapie als Alternative. Dies tre- te besonders bei integrierten Versor- gungskonzepten zutage. Bestünde eine völlige Gleichberechtigung zur somati- schen Medizin, wäre der Zugang zur Psychotherapie innerhalb von Haus- arztmodellen eingeengt. Bliebe die Psy- chotherapie dagegen eine Alternative, hätten die Patienten auch weiterhin einen freien Erstzugang zum Psycho- therapeuten. Dr. med. Eva A. Richter

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A1868 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002

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ie jüngsten Rechtsstreite von ärztlichen Direktoren der Uni- versitätskliniken Heidelberg und Bonn – vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und vor dem Landgericht Bonn – verdeutlichen einmal mehr, dass kein Arzt an Universitätskliniken und Krankenhäusern seit dem so ge- nannten Herzklappenkomplex vom Juli 1994 wegen seines Umgangs mit Drittmitteln aus der Industrie sich auf der rechtlich sicheren Seite wiegen kann. Die renommierten Hochschul- lehrer und Direktoren von angesehe- nen Universitäts-In-

situten sind wegen Materialbestellun- gen (Herzschrittma- cher; Herzklappen und Apparaturen) in Höhe von bis zu zehn Millionen DM zwischen 1991 und 1999 ins Fadenkreuz der staatsanwaltli-

chen Ermittler geraten, weil sie sich um die Einwerbung von Drittmitteln bemühten – dies um der Forschung, Wissenschaft und des Renommees der Klinik willen taten, und keinen Pfennig auf ihr privates Konto ab- gezweigt hatten.

Der BGH hat im Heidelberger Streitfall um Prof. Dr. med. Siegfried Hagl nun den Vorwurf der Untreue aufgehoben. Damit wurde ein deutli- ches Signal gesetzt, dass die Einwer- bung von Drittmitteln nicht per se mit dem strafbewehrten Verdacht der Un- treue belastet werden darf. Allerdings wurde im Heidelberger Fall die Verur- teilung wegen angeblicher Vorteils- nahme nicht vollständig aufgehoben, sondern an das Landgericht – und zwar an eine andere Kammer – zu- rückverwiesen. Der Vorsitzende des 1. BGH-Senats verdeutlichte, dass der Tatbestand der Vorteilsnahme „gera- de noch“ erfüllt sei. Zwar müssten Hochschullehrer auch Drittmittel ein- werben, doch ohne Transparenz und Kontrolle durch die zuständigen Gre- mien der Universität (Rektorat; Dritt- mittelverwaltung) drohe „die Gefahr

einer Drittmittelschattenwirtschaft“.

Wie groß die Vorteile des Heidelber- ger Uniklinik-Direktors waren, soll nun das Landgericht näher prüfen.

Im Fall des Bonner Direktors der Uniklinik für Nuklearmedizin, Prof.

Dr. med. Hans-Jürgen Biersack, hatte vor einem Jahr das Landgericht Bonn eine Verfahrenseröffnung noch abge- lehnt. Die Richter meinten damals, dass Bonuszahlungen „staatsnützig“, und damit nicht zu beanstanden, und nicht „privatnützig“, und damit gesetzeswidrig, waren. Die Leitsätze postulierten: „Dass sich die Industrie mit dem Geld den Krankendienst selbst verbessert, kann nicht straf- bar sein.“ Die bei- den Streitfälle leh- ren: Transparenz, Äquivalenz von Leistungen und ge- zahlten Drittmitteln, Offenlegung und strikte kontenneutrale Drittmittelver- waltung sind unbedingt erforderlich.

Allein auch auf die Tatsache zu ver- weisen, eine Einwerbung von Indu- striegeldern sei unabdingbar, um den Forschungsbetrieb aufrechtzuerhal- ten, können nicht jede Drittmittel- einwerbung und Drittmittelgabe sal- vieren. Mengenrabatte, Boni und Rückvergütungen bei der Beschaf- fung von Apparaturen und Implanta- ten müssen vollständig der Univer- sität als der Bestellerin zugute kom- men. Die Klinikverwaltung als Ein- käuferin ist deshalb in der Vorhand, nicht jedoch die jeweilige Klinik und deren Klinikdirektor oder forschen- de Ärzte selbst.

Um Unikliniken und Klinikleiter von dem Stigma des Unrechtmäßigen zu befreien und zu vermeiden, dass na- hezu sämtliche Methoden der Dritt- mitteleinwerbung in die Strafbarkeit münden, müssen die politischen Ent- scheidungsträger eine für jeden Be- teiligten klar erkennbare Grenzzie- hung zwischen Recht und Unrecht herbeiführen. Dr. rer. pol. Harald Clade

KOMMENTAR

Drittmittel

Grenze

notwendig

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