Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 43|
28. Oktober 2011 A 2249W
elch hohe Bedeutung die Verbesserung der Or- ganspende weltweit für die Medizin hat, macht die renommierte Fachzeitschrift „Lancet“ in einem aktuellen Schwerpunkt „Transplantation“ deutlich.Darin hat es Deutschland ins Editorial geschafft: Der Vorschlag, den Willen des Bürgers zur Frage der Or- ganspende in der elektronischen Gesundheitskarte zu dokumentieren, wird aufgegriffen als eine von inter - national zahlreichen Bemühungen, Menschen zur Willensäußerung zu motivieren.
Zugleich wird auf eine wesentliche Ursache für den Organmangel hingewiesen, die in der Debatte über rechtliche Regelungen leicht aus dem Blick gerät: Or- ganknappheit resultiert auch aus höherer Verkehrssi- cherheit und besser werdender ärztlicher Versorgung.
Deutschland gehört zum Beispiel innerhalb Europas zu den Ländern mit der geringsten Inzidenz tödlicher Ver- kehrsunfälle. Und die bessere medizinische Akut- und Intensivversorgung verhindert bei Schädelhirntraumata zunehmend einen tödlichen Verlauf. So geht die Zahl potenzieller Spender mit traumatischen Hirnschäden und geringer Komorbidität zurück, die jener mit atrau- matischen Hirnschäden und erhöhter Komorbidität bis hin zu Kontraindikationen nimmt zu. Zugleich erwei- tern die Möglichkeiten, kränkere Menschen zu trans- plantieren, den Kreis möglicher Organempfänger.
In den Debatten um die Novellierung des Transplan- tationsgesetzes werden vor allem zwei Ursachen für den Organmangel genannt: Ablehnung der Organspen- de und unzureichende Bereitschaft der Kliniken, hirn- tote Patienten oder solche mit infauster Prognose als mögliche Spender zu melden. Beides trifft zu. Aber wie viele potenzielle postmortale Spender Deutschland pro Million Einwohner derzeit überhaupt hat, wie stark die- se Gründe also jeweils ins Gewicht fallen, dazu gibt es wenig aktuelle und valide Daten. Wenn der Bedarf für Neuregelungen damit begründet wird, das Transplanta- tionsgesetz von 1997 habe zwar Rechtssicherheit ge- schaffen, die Organspenden aber nicht steigern können, wird zu wenig bedacht: Der potenzielle Spenderpool ist nicht mehr der von 1997.
Hier künftig auch über die Datenlage mehr Klarheit zu bringen, wäre eine Aufgabe für die Deutsche Stif-
tung Organtransplantation (DSO), der Koordinierungs- stelle für die postmortale Organspende. In den ersten drei Quartalen 2011 ist die Spenderrate im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich gesunken. Das hat der DSO Kritik von Ärzten eingebracht, sie erfülle ihre Aufgabe nicht optimal. Zeitgleich zum angelaufenen Gesetzgebungsverfahren wurde öffentlich, dass ein Teil der DSO-Mitarbeiter sich in neue Konzepte zur Förde- rung der Organspende nicht gut eingebunden fühlt.
Aber Organspende ist abhängig von einer guten Ko- operation aller in das System integrierten Personen und Institutionen – ein komplexes, störanfälliges Bezie- hungsgefüge. Der Gesetzgeber sollte die DSO in ihrer Zuständigkeit für die Koordinierung der Organspende stärken und dies noch klarer als bisher zu ihrer Kern- aufgabe machen, mit den dazugehörigen Pflichten zu Qualitätssicherung und Transparenz. Es werden jetzt noch einmal Weichen gestellt, die Vertrauensverlusten vorbeugen. Das Prinzip, Interessenkonflikte durch Aufgabentrennung zu vermeiden, muss bleiben. Für die Organspende bedeutet das konkret: Die Bevölkerung aufzuklären – ein Bereich, in dem sich die DSO stark engagiert – sollte auf nationaler Ebene in erster Linie Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- klärung und der Krankenkassen sein, wie es das gelten- de Gesetz schon vorsieht. Die finanziellen Mittel gilt es entsprechend anzupassen. Denn nur wenn jeder sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, kann Glaubwürdig- keit hergestellt werden – nach innen und nach außen.
ORGANSPENDE
Jetzt werden die Weichen gestellt
Nicola Siegmund-Schultze
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Medizin- und Wissenschaftsjournalistin