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Archiv "Jetzt werden Weichen gestellt: Interview mit Dr. Hans Wolf Muschallik" (31.03.1977)

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Wenn das freiheitlich-soziale System unserer ärztlichen Versorgung bestehen bleibt, dann wird die Kassenärzte- schaft zu freiwilligen Maßnahmen der

Kostendisziplin auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1978 auf der Basis des heute bestehenden Rechts bereit sein.

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Jetzt

werden Weichen gestellt

Interview mit Dr. Hans Wolf Muschallik

DÄ: Die Mehrheit des Bundesrates hat das Abkoppeln des Regie- rungsentwurfs zur Krankenversicherung von dem Gesetzentwurf zur Rentenversicherung gefordert und dazu vorgeschlagen, die unbe- stritten notwendige allgemeine Kostendämpfung im Gesundheits- wesen in einer „konzertierten Aktion" auf freiwilliger Basis zu errei- chen, nach dem Beispiel somit, das die Kassenärztliche Bundesver- einigung für den Bereich ambulanter Versorgung für 1976/77 gege- ben hat. Soll Kostendämpfung also wieder nur durch eine „Empfeh- lungsvereinbarung" von seiten der Kassenärzteschaft bewirkt werden?

Muschallik: Das kann keine grundsätzliche Lösung der Probleme der sozialen Krankenversicherung bringen. Unsere „Empfehlungs- vereinbarung" für die Jahre 1976/77 war als Notsignal gedacht; als solches hat sie Außerordentliches bewirkt. Wenn man noch einmal für den vom Bundesrat gesetzten Zeitraum der nächsten zwei Jahre Maßhalten, Zurückhaltung, Einengung, Begrenzung nur auf die am- bulante medizinische Versorgung der Bevölkerung beziehen wollte, wäre dies gewiß nicht der richtige Weg. Aber man will ja alle an der sozialen Krankenversicherung Beteiligten in eine solche Aktion zu konzertierter Kostendämpfung einbeziehen. Das kann für die näch- sten Jahre durchaus Erfolge bringen; aber eine konzertierte Aktion in Freiwilligkeit hat nur Sinn, wenn die Zeit auch dafür genutzt wird, um die Verhältnisse in der sozialen Krankenversicherung so zu ordnen, daß deren Leistungen für eine weitere Zukunft mit der Finanzierbarkeit in Einklang bleiben.

DÄ: Diesen Einklang gerade mit ihrem Gesetzesvorhaben herstellen zu wollen, behaupten aber doch auch der Bundesarbeitsminister

Heft 13 vom 31. März 1977 847

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Die Information:

Bericht und Meinung

und die Sprecher der die Regierung tragenden Koalitionsparteien. Worin soll, worin muß sich eine solche zu- künftige Ordnung von den im Ent- wurf der Bundesregierung vorgese- henen Regelungen unterscheiden?

Muschallik: Im Grundsatz! Im Grundsatz vor allem. Es hat hier und heute wenig Sinn, an den einzelnen Paragraphen des Regierungsent- wurfs "fieseln" und "drehen" zu wollen; wir haben dazu den Politi- kern und der Öffentlichkeit schon genug Einzelargumente vorgetra- gen, und wir werden dies auch über die öffentliche Anhörung am 24./25.

März im Bundestag hinaus tun. Die Einzelbestimmungen lassen sich aber zu einem Trend, zu einer Ten- denz addieren, die nicht nur von uns Ärzten, sondern von weiten Teilen der Bevölkerung unseres Landes abgelehnt werden. Wir wollen eine andere Linie!

DÄ: Wo genau setzt aber Ihre Grundsatzkritik am Regierungsent- wurf an? Welche Tendenz lehnen Sie ab, welche Tendenz halten Sie für besser? Was will also die Kas- senärzteschaft genau, was ist ihre Strategie? Ein Bündel von Fragen, die nach einer grundsätzlichen Ant- wort verlangen.

Muschallik: Wir müssen doch alle, in der ganzen Weit, davon ausge- hen, daß die Kosten für die Gesund- heitssicherung sich an den wirt- schaftlichen Möglichkeiten orientie- ren müssen, was für uns bedeutet, daß die Finanzierbarkeit der geglie- derten sozialen Krankenversiche- rung erhalten bleiben muß, ein Sy- stem, für das auch die Kassenärzte soziale Verantwortung mittragen. Soweit stimme ich auch mit Herrn Ehrenberg überein. Aber welcher Weg zu diesem Ziele einzuschlagen ist, hierin scheiden sich die Geister

"grundsätzlich". Gewiß ist es un- möglich, so weiterzumachen wie bisher und auf einen wirtschaftli- chen Boom zu hoffen, der dann ge- nug Geld in die Kassen brächte, um unser Krankenversicherungssystem, das heute schon einem Versor- gungssystem nahekommt, zu finan- zieren; aber es geht auch nicht, ein- fach zu erklären, alles sei gut und schön und solle auch weiterhin so bleiben, "nur die Preise müssen runter".

..,. ln dieser Situation versucht der Regierungsentwurf nur das Kurieren an Symptomen, statt die Ursachen der Kostenentwicklung anzugehen.

Das gleiche gilt nach meiner Über- zeugung auch für die Rentenversi- cherung; sie wird nicht solide sa- niert, nämlich nicht in sich finanzier- bar und damit auch nicht auf Dauer sicher gemacht. Der Regierungsent- wurf zur Krankenversicherung un- terstellt, daß vor allem die Ärzte an der Kostenentwicklung schuld seien, und will nun in allen ärztli- chen Wirkungsbereichen, ungeach- tet medizinischer Notwendigkeiten und ärztlicher Verantwortung, regle- mentierend eingreifen, ohne den Auswucherungen im Leistungskata- log der Krankenversicherung zu Leibe zu rücken.

DÄ: Zur Zeit sind aber offensichtlich weder die Bundesregierung noch die Sozialexperten der Banner Koa- litionsparteien bereit, die Ursachen der Kostenentwicklung auch nur bloßzulegen, geschweige denn sie anzugehen. Wie wollen Sie der Flickschusterei an den Kosten, die doch nur Folgen sind, noch entge- genwirken?

I Die Kostenursachen ohne Zeitdruck

prüfen und regulieren

Muschallik: Das geht nur durch Ab- koppelung bzw. durch Streichung der Bestimmungen, welche nicht der Kostendämpfung dienen, son- dern Systemveränderungen bewi r-

ken. Abkoppeln aber nicht etwa, um

"Zeit zu schinden", sondern viel- mehr um ohne Zeitdruck gemein- sam die Ursachen der Kostenent- wicklung zu überprüfen und zu re- gulieren.

Ich erinnere in diesem Zusammen- hang erneut daran, daß die rasche Verteuerung in unserem Gesund- heitswesen nicht in erster Linie auf der Zunahme des Arzthonorars be- ruht. Krankenhauskosten, Zahner- satz, Arzneikosten sind die prozen- tualen Rangfolgefaktoren der Ver- teuerung, nach denen erst das Arzt- honorar rangiert. Ich erinnere auch daran, daß die Entwicklung der me- dizinischen Wissenschaft, die Fort- schritte in Diagnose und Therapie, die Zunahme der Zahl der Fachärzte bei Abnahme der Zahl der Allge-

848 Heft 13. vom 31. März 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

meinärzte, aber auch die Erweite- rung des Leistungskataloges mit Einführung der Mutterschaftsvor- sorge, der Früherkennungsuntersu- chungen, der Maßnahmen zu § 218 sowie die Psychotherapie, zusam- men mit der Ausdehnung der Lei- stungspflicht der Krankenversiche- rung durch die Rechtsprechung bis hin zu Alkoholismus, Rauschgift- sucht und kosmetischer Therapie, aber auch die Ausweitung von Mehr- leistungen bei "Kurlaub", zusam- men mit einer mangelnden Kontrolle seitens der Krankenkassen und ei- ner unkontrollierbaren Inanspruch- nahme ärztlicher Leistungen mittels der Krankenscheinhefte, wesent- liche kausale Kriterien der Kosten- expansion darstellen.

DÄ: Wenn "die Politik" also wirklich bereit wäre, die von einer "konzer- tierten Aktion" bis Mitte 1979 zu be- wirkende .,Erfahrungszeit" in die- sem Sinn zu nutzen - wären Sie dann noch einmal bereit, eine

"Empfehlungsvereinbarung" mit

der Selbstverwaltung der Kranken- kassen freiwillig abzuschließen?

Muschallik: Die "Empfehlungsver- einbarung", wie sie derzeit gilt, aus einer Reihe von Gründen nicht!

Wenn aber das freiheitlich-soziale System unserer ärztlichen Versor- gung bestehenbleibt, dann wird die Kassenärzteschaft zu freiwilligen Maßnahmen der Kostendisziplin auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1978 auf der Basis des heute beste- henden Rechts bereit sein.

DÄ: Können Sie die konkrete Frage, ob Sie gegebenenfalls bereit wären, auch bei einer freiwilligen Empfeh- lung für die Entwicklung der kassen- ärztlichen Gesamtvergütung volks- wirtschaftliche Daten zu berücksich- tigen, hier ebenso konkret beant- worten?

Muschallik: Ganz klares Ja; denn wir erkennen ja grundsätzlich an, daß die Finanzierbarkeit der gesam- ten Krankenversicherung und damit die Finanzierbarkeil der kassenärzt- lichen Leistungen unlösbar mit der Volkswirtschaft, mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik in unserem Land zusammenhängen. Wir sind also be- reit, auch gesamtwirtschaftliche Da- ten, die für die Krankenversicherung relevant sind, anzuerkennen, und zu solchen Orientierungsdaten würde sich zum Beispiel die Entwicklung

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Die Information:

Bericht und Meinung der Grundlohnsumme der Kranken-

versicherten durchaus eignen. Die- ses Kriterium wäre gewiß objektiver als manche anderen volkswirt- schaftlichen Daten, die mit der Kran- kenversicherung nichts zu tun ha- ben. Es ist für mich selbstverständ- lich, daß Veränderungen in der Struktur der ärztlichen Versorgung sowie Art und Umfang der ärztlichen Leistungen dabei nicht vernachläs- sigt werden dürfen.

DÄ: Mit solcher Einsicht in wirt- schaftliche Zusammenhänge passen Sie aber gar nicht in das Bonner Propagandakonzept. Vom Bundes- arbeitsminister wird doch immer wieder, aber auch von SPD-Abge- ordneten wurde in der Bundestags- debatte am 17. März mehrfach so argumentiert, als gelte der ganze Widerstand gegen das Gesetzesvor- haben der Verteidigung der angebli- chen „Einkommensprivilegien" der Kassenärzteschaft .. .

Muschallik: Solche Propaganda wird auch in der Wiederholung nicht wahrer. Viele große Gruppen der Gesellschaft sind doch gegen das Ehrenberg-Gesetz! Der Arbeitsmini- ster und die ihn stützenden Koali- tionspolitiker würden sich lächerlich machen, wollten sie allen unterstel- len, aus eigensüchtigen Motiven zu handeln. Daß der Regierungsent- wurf von der gesamten Ärzteschaft, wie im übrigen auch von allen ande- ren Heilberufen, ja sogar von ge- werkschaftlichen Organisationen (zum Beispiel der Deutschen Ange- stellten-Gewerkschaft), von den Er- satzkassen, wie vor wenigen Tagen für mich überzeugend vom Vorsit- zenden des VdAK, Katzbach, darge- stellt, und nicht zuletzt von den gro- ßen christlichen Kirchen abgelehnt wird, ist nicht mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit einer Kosten- dämpfung im Gesundheitswesen, sondern hat seine Ursache ganz ein- fach darin, daß unter dem Vorwand der Kosteneinsparung in der Kran- kenversicherung die aus ideologi- schen und machtpolitischen Moti- ven seit langem geplanten Struktur- veränderungen innerhalb der ge- samten sozialen Krankenversiche- rung — ohne Rücksicht auf die Quali- tät der medizinischen Versorgung — durchgesetzt werden sollen. Daß das Ehrenberg-Gesetz dabei unter falscher Flagge segelt, das hat nicht nur bei der Kassenärzteschaft zur Erbitterung geführt.

DÄ: Wie wollen Sie sich aber gegen die in agitatorischer Dauerwieder- holung vorgebrachte Unterstellung wehren, als ginge es der Ärzteschaft

„nur" ums Geld?

I Die Fakten der Honorarentwicklung widerlegen Propaganda

Muschallik: Ich habe schon bei an- derer Gelegenheit bedauert, daß es die Ortskrankenkassen ihrem Hauptgeschäftsführer, der mir am 8.

Dezember 1976 erst schriftlich be- stätigte, daß der Beitrag der Kassen- ärzteschaft wie ein Signal gewirkt hat, um eine Beitragsstabilität schon 1976 fast zu erreichen, unmittelbar nach Vorlage des alarmierenden Re- ferentenentwurfs erlaubten, gewis- sermaßen als Begleitmusik, publizi- stisch die Auffassung zu vertreten, daß es der Ärzteschaft nur um ihr Geld und nicht um ihre Patienten ginge. Er hat damit den Auftakt zu einer anhaltenden Diffamierung der ärztlichen Beweggründe gegeben, die leider bis in die Bundestagsde- batte hineinreichte. Zudem wird völ- lig negiert, daß das „Signal" der Kassenärzte auch im ganzen Jahr 1977 wirkt.

Um so härter und um so verständli- cher ist unsere Kritik daran, daß die Bundesregierung eben diese unsere freiwillige Bereitschaft zum Zielvor- wand nimmt, eine Einebnung unse- rer Krankenversicherung und eine Reglementierung aller an ihr Betei- ligten gesetzlich festzuschreiben.

Zwar wurde in den letzten Wochen — auch in der Bundestagsdebatte — der Kassenärzteschaft sogar für ih- ren Beitrag zur Kostendämpfung für die Jahre 1976 und 1977 „gedankt", aber gleichzeitig wurde das ihm zu- grundeliegende Verantwortungsbe- wußtsein der Kassenärzteschaft ge- leugnet, geradezu „vom Tisch ge- wischt". Regierungssprecher Grü- newald verstieg sich zu der deku- vrierenden Behauptung, der Ärzte- schaft könne „Freiwilligkeit nicht länger zugemutet" werden; der Ber- liner Gesundheitssenator Pätzold äußerte in der Bundesratssitzung am 11. März die Ansicht, es bestehe die Gefahr, daß die im letzten Jahr erzielte Kostendämpfung lediglich

„ein Knick in der Entwicklung" sei und danach die „Kurve wieder steil"

aufwärts gehe. Und in derselben Bundesratssitzung minimierte be- sonders Prof. Farthmann, Gesund- heitsminister des Landes Nordrhein- Westfalen, die Kostendisziplin der Kassenärzteschaft: Die Partner der Selbstverwaltung hätten sich zwar zu einer Kostendämpfung bereit ge- funden, im Ergebnis sei dies jedoch ohne nutzbringenden Erfolg geblie- ben; die Einschränkung bei den Ho- norarsteigerungen sei durch eine Steigerung der Zahl der Fälle mehr- fach oder jedenfalls überproportio- nal kompensiert worden.

DÄ: Dies sagte der für Ihren engeren Bereich zuständige Fachminister.

Kann man nicht endlich einmal Be- weise auf den Tisch legen, die solche unfundiert hingesagten „po- litischen Meinungen" eindeutig wi- derlegen?

Muschallik: Die Fakten sprechen gegen Farthmann und gegen alle, die ins gleiche Horn stoßen. Die Zahl der Fälle hat sich nicht „mehrfach"

oder „überproportional" gesteigert;

wahr ist vielmehr, daß sich deren Zunahme seit Jahren stetig verrin- gert, so betrug bei den RVO-Kassen im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein die Fallzahl- steigerung von 1974 zu 1973: 3,36%, 1975 zu 1974: 2,29%, 1976 zu 1975:

1,53%; die Steigerungsrate hat sich also innerhalb von zwei Jahren mehr als halbiert! Bei den Ersatzkassen, mit denen eine andere Form der Ko- stendämpfung vereinbart ist, lauten die entsprechenden Daten 7,69%, 5,98%, 2,63%. Die Steigerungsraten der Gesamtvergütung je Arzt sind bei den RVO-Krankenkassen in den genannten Zeiträumen von 13,11%

über 6,9% auf 3,31% gesunken.

Bei den Ersatzkrankenkassen ist der Steigerungssatz der Gesamtvergü- tung je Arzt noch stärker zurückge- gangen, nämlich von 17,2% über 11,16% auf 1,8%. Die Steigerungs- sätze des fälschlicherweise als Ein- kommen soviel zitierten durch- schnittlichen Umsatzes des Arztes für RVO- und Ersatzkassen sind von 11,94% im Jahr 1974 über 8,17% im Jahr 1975 auf 2,79% im Jahr 1976 zurückgegangen. Und da sagen ver- antwortliche Politiker und selbst Mi- nister noch, den Ärzten ginge es nur ums Geld!

DÄ: Wenn die Fallzahlsteigerung derart zurückging, dann bedeutet dies doch aber auch, daß die Bevöl-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 31. März 1977 849

(4)

Die Information:

Bericht und Meinung

kerung mehr Kostenbewußtsein ent- wickelt hat und die Versicherten die Ärzte offensichtlich zurückhaltender in Anspruch nehmen?

Muschallik: Ja, nicht nur der Arzt, auch der Versicherte, jeder mündige Bürger, hat heute erkannt, daß spar- samer mit dem Geld umgegangen werden muß. Dazu hat die öffent-

liche Diskussion der letzten Jahre und dazu haben die alarmierenden Berichte und Kommentare der Presse über unsere Wirtschaftslage, über das Wachsen der Arbeitslosen- zahlen, der Kurzarbeit und über die Sorgen der Jugend, auch der akade- mischen, um künftige Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten gewiß bei- getragen. Und dies ohne detaillierte Kostenkenntnis!

DÄ: Versprechen Sie sich einen zu- sätzlichen Kostendämpfungseffekt von den im Gesetzentwurf vorgese- henen Kostenüberprüfungen im Zu- sammenhang mit den dabei geplan- ten Maßnahmen der Datenerfas- sung?

Muschallik: Aus ärztlicher Sicht spricht nichts dagegen, daß der Ver- sicherte Kostenkenntnis über seine individuelle Behandlung erhält.

Solche „Kostentransparenz" im ein- zelnen, das haben Modellversuche bewiesen, führt aber keineswegs zu globaler Kostensenkung, und schon gar nicht rechtfertigt sie eine derart weitgehende Datenerfassung, wie ihr vom Gesetzentwurf der Weg ge- ebnet wird. Aber das ist bereits ein anderes Kapitel, das eng mit der ge- planten Einführung des durchnume- rierten Versichertenausweises zu- sammenhängt. Die Verwirklichung der Pläne zum Aufbau einer Zentral- datei der Sozialversicherung ein- schließlich der entsprechenden Zu- bringerdateien werden, so wurde bereits 1974 geschätzt, schon in den nächsten Jahren Kosten von 10 Mil- liarden DM erforderlich machen. Ich wiederhole es: 10 Milliarden DM, und da spricht man andererseits so laut von der Notwendigkeit der Ko- stendämpfung! Die geplante „Da- tenerfassung" ist ein gefräßiger Mo- loch, dem der Versicherte als „glä- serner Mensch" wehrlos ausgelie- fert werden soll. Ginge es wirklich nur um Kostentransparenz, dann wären andere Wege zweifellos bil- liger.

DÄ: Nun geht es ja tatsächlich nicht

„nur" um die Arztkosten in dem Eh-

renberg-Entwurf. Ein weiterer gro- ßer „Spar"-Komplex des Gesetzent- wurfs ist der Arzneimittelsektor. Wie beurteilen Sie die hier vorgesehenen Eingriffe?

I Mit List und Tücke auf dem Weg

zur Einheitsversorgung

Muschallik: Um noch einen Moment bei der Kostentransparenz zu blei- ben: Die Kassen könnten den Pa- tienten ja auch mal eine Zusammen- stellung der Kosten der für sie ver- ordneten Arzneimittel geben. Das würde manchen nachdenklich stim- men im Hinblick darauf, was die ge- schluckte — oder auch nicht ge- schluckte! — Arznei an Geld ver- schlungen hat. Aber dies nur am Rande. Im Grunde halten die für den Regierungsentwurf Verantwortli- chen auch auf diesem Sektor ihre Strategie strikt durch, alles und vor allem das Unpopuläre, was der Ge- setzgeber im Arzneimittelgesetz lei- der nicht geregelt hat, nun den Ärz- ten aufzuladen. Ihnen soll in Solidar- haftung die Einhaltung eines Arznei- mittel-Höchstbetrages auferlegt werden; ihnen soll während des ganzen Jahres die Drohung einer Honorarkürzung vor Augen stehen, damit dieser Höchstbetrag ja nicht überschritten wird! Und zudem sol- len sie noch selbst in der täglichen Praxis entscheiden, ob der einzelne Versicherte bestimmte Arzneimittel selbst bezahlen muß oder ob sie zu Lasten der Krankenversicherung verschrieben werden können. Wenn Minister Farthmann solche „Re- formmaßnahmen" zwar kritisch als

„nicht unproblematisch" beurteilt und dennoch „listig" nennt, so möchte ich sagen: solche Regelun- gen sind „tückisch"; sie werden von uns abgelehnt, denn sie program- mieren den Patient-Arzt-Konflikt vor.

DÄ: Auch der SPD-Abgeordnete Glombig hat aber in der Bundes- tagssitzung am 17. März gesagt, es läge „in der Logik des Systems, ei- nen finanziellen Anreiz zur Befol- gung des Wirtschaftlichkeitsgebotes einzuführen".. .

Muschallik: Das ist politischer Zy- nismus, wie er sich eben auf Dauer gegenüber der Bevölkerung nicht vertreten läßt! So wie man auf die- sem Gebiet zu listenreichen Tricks

greift, so will man auf anderen Ge- bieten unverhohlen mit Zwang, mit Reglementierung vorgehen. Wir meinen damit nicht zuletzt die Nie- derwalzung der Ersatzkassen, und wir meinen insbesondere auch die verfassungswidrige Einbeziehung der „freien Heilfürsorge" (Bundes- wehr, Bundesgrenzschutz, Polizei- vollzugsbeamte usw.) in den Sicher- stellungsauftrag der Kassenärztli- chen Vereinigungen.

Auch die „Öffnung der Krankenhäu- ser" für die ambulante vorstationäre Diagnostik und nachstationäre Be- handlung hat ja mit der Kosten- dämpfung gar nichts zu tun. Zusam- men mit der vorgesehenen restrikti- ven Honorarbindung für das Beleg- arztwesen, wodurch die Existenz wenn nicht aller 4652 Belegärzte, so doch mindestens der 3295 operativ tätigen gefährdet würde, beweisen gerade diese Bestimmungen, wie sehr der Gesetzentwurf gegen die freiheitlichen Strukturen des Ge- sundheitswesens und gegen die freiberufliche ärztliche Berufsaus- übung tendiert.

In dem allem zeigt der Gesetzent- wurf besonders deutlich seine Ten- denz; er will gewachsene und be- währte Strukturen der freiheitlichen sozialen Krankenversicherung zer- stören und die Krankenversicherung z. B. durch Einbeziehung der freien Heilfürsorge langfristig zu einem Versorgungssystem für die Gesamt- bevölkerung auszubauen. Kurzum:

das hat mit Krankenversicherung nichts mehr zu tun, das ist ein ge- waltiger Schritt in Richtung Ein- heitsversorgung.

Selbstverständlich steht in den poli- tischen Aussagen (der Bundeskanz- ler vor der Wahl: „Wenn wir im Herbst an die Arbeit gehen, dann sind weder die Freiheit des Arztes noch die Prinzipien unseres Ge- sundheitssystems in Gefahr"), in den aktuellen Erklärungen Ehren- bergs, ja selbst in der regierungs- amtlichen Begründung des Gesetz- entwurfes ganz was anderes, und selbstverständlich stehen in dem Gesetzestext nicht Worte wie Nivel- lierung, Vereinheitlichung, Eineb- nung, Vergesellschaftung, Verstaat- lichung; aber die Paragraphen, auf deren Wortlaut es ankommt, bewir- ken zumindest langfristig genau dies! Heute werden Weichen ge-

stellt. ■

850 Heft 13. vom 31. März 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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