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Archiv "Aktuelle Probleme der ambulanten kassenärztlichen Versorgung: Quantität, Qualität und Finanzierbarkeit - Interview mit Dr. Hans Wolf Muschallik" (06.09.1979)

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Fernschreiber: 8 89 168 daev d Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Aktuelle Probleme

der ambulanten kassenärztlichen Versorgung

Quantität, Qualität und

Finanzierbarkeit

Interview mit Dr. Hans Wolf Muschallik

Von der Politik wird ein neuer Standpunkt gefordert: Dies gilt nicht nur für das Problem der Arztzahl-Entwicklung, welche die Qualität der ärztlichen Ver- sorgung der Bevölkerung in Frage stellt. Zu den Problemen der dauerhaft sicherzustellen- den Finanzierbarkeit der medi- zinischen Versorgung gehören auch die Fragen der Arzneiver- ordnung und der sogenannten Selbstbeteiligung — im Arznei- mittelbereich wie bei der am- bulanten Behandlung. Dr. Mu- schalliks Diagnose der aktuel- len Situation mündet in die Prognose: Eine politische Ent- scheidung über diese Fragen wird spätestens in den achtzi- ger Jahren unumgänglich sein!

DÄ-Redaktion: Die jüngsten Maßnahmen der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung und der Verbände der Angestellten-Krankenkassen zur gezielten Kostendämpfung in ihrem Bereich sind von der weit überwiegenden Mehrheit der Kassenärzteschaft offenbar als Signal verstanden und akzeptiert worden. Einzelne Interessenverbände haben aber — wie man hier und da hört oder liest — dagegen protestiert. Ist die Einsicht in die Notwendigkeit der Kostendämp- fung und in die Zwangsläufigkeit der Maßnahmen der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung also in der Ärzteschaft noch immer nicht allgemein?

Dr. Muschallik: So pauschal würde ich das nicht sagen. Auch die Berufsverbände, die ihre Bedenken angemeldet haben, sehen die Notwendigkeit kostendämpfender Maßnahmen durchaus ein. Sie wollen lediglich — und auch dafür habe ich angesichts ihrer jeweils speziellen Interessenlagen durchaus einiges Verständnis — anders gespart sehen. Es geht also weniger um Meinungsverschiedenheiten im Grundsätzlichen als im methodischen Detail. Die Gesamtsituation wird von allen für die Kassenärzteschaft und die kassenärztliche Versorgung insgesamt oder sektoral Verantwortlichen in der Grund- einschätzung im wesentlichen gleich beurteilt.

Keiner von uns, kein „Funktionär" und kein praktizierender Kassen- arzt, kann und wird ernsthaft in Abrede stellen, daß wir weltweit in einer ungeheuren Krise stecken. Ich nenne nur einige Stichworte:

Das materielle und wirtschaftliche Desaster der Öl-, also der Ener- giekrise reicht national und international in fast jeden Lebensbe- reich hinein. Erschwerend wirkt sich in diesem Zusammenhang das Menetekel geradezu eines „Religionskrieges" aus, das sichtbar an der Wand geschrieben steht. Die Balanträ der Kräfte, so entschei- dend für den Weltfrieden, scheint ernsthaft in Gefahr. Die wirtschaft- liche Situation in den Vereinigten Staaten bereitet auch uns Europä-

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Aktuelle Probleme der kassenärztlichen Versorgung

ern Sorge: Als Inflationsrate sagt man für die USA 1980 eine Steige- rung von derzeit 13 auf 18 bis 20 Prozent voraus! Ich sage dies, um zu verdeutlichen, daß wir unsere originären Probleme und Aufga- ben keineswegs isoliert sehen.

Was meine ich damit? Nun, zum einen dürfen wir uns — was heute leider häufig noch der Fall ist, auch unter der Ärzteschaft — nicht der Illusion hingeben, wir befän- den uns in der Bundesrepublik Deutschland auf einer abge- schirmten Insel. Diese Illusion wä- re in der Tat fatal und verhängnis- voll. Auch bei uns wird bereits von einer Zunahme der Inflationsrate auf 5 bis 6 Prozent im nächsten Jahr gesprochen. Rationierende oder zumindest restriktive Maß- nahmen auf dem weiten Energie- sektor sind — trotz derzeit politisch noch anders lautender Aussagen — auch in unserem Land zu erwar- ten. Trotz einer Konjunkturbele- bung — man spricht aber auch hier bereits wieder von einer „Dämp- fung der Belebung" — und trotz eines vorübergehenden Rückgan- ges der Arbeitslosenzahl sind die Zukunftsprognosen bezüglich der wirtschaftlichen Prosperität abso- lut nicht rosig.

Auch wenn dies bei uns im Augen- blick noch nicht so deutlich spür- bar ist wie etwa in unseren Nach- barländern — Frankreich, Italien, England, Irland, Belgien, Holland, um nur diese zu nennen —: die Bundesrepublik Deutschland ist und bleibt genauso wie diese und andere Länder politisch und öko- nomisch mit dem Geschehen in der ganzen Welt eng verknüpft.

Und dies — und damit bin ich beim zweiten Teil meiner Erläuterung — betrifft auch uns Ärzte in entschei- dender Weise: Denn unser politi- sches und ökonomisches Handeln in unserem Gesundheitssiche- ru ngssystem unterliegt als i nte- graler Bestandteil einer Gesamt- politik natürlich nicht nur nationa- len, sondern — genauso wie diese — auch internationalen und suprana- tionalen Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungen. Daran habe ich

mich in der Vergangenheit stets zu orientieren versucht, und daran werden wir uns heute und morgen noch intensiver zu orientieren ha- ben, wenn wir unser System so- wohl in seiner Qualität als auch in seinem Umfang wie aber auch in seiner Finanzierbarkeit erhalten wollen. Hierüber — und damit kom- me ich wieder auf den Kern Ihrer Frage zurück — besteht bei allen, die sich für das System der ambu- lanten kassenärztlichen Versor- gung verantwortlich fühlen, und die für die Erhaltung dieses Sy- stems sind, Einigkeit.

Es war notwendig, einer unvertretbaren Entwicklung sofort entgegenzuwirken

DÄ-Redaktion: Nun ist es zwar wichtig, die Fakten und Tenden- zen der internationalen wie der na- tionalen wirtschaftlichen und poli- tischen Entwicklung zu kennen, als „Umweltbedingungen" sozu- sagen, aber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist ein Han- deln nicht aus allgemeinpoliti- schen Überlegungen, sondern aus konkreten Anlässen und Vorgän- gen innerhalb der kassenärztli- chen Versorgung der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutsch- land aufgegeben. Da wird die Fra- ge aufgeworfen, ob Maßnahmen der Kostendämpfung, wie sie die Kassenärztliche Bundesvereini- gung im Juni zuerst mit ihrer Früh- warnung vor einer drohenden Überschreitung des Arzneimittel- höchstbetrages und dann mit ih- ren Ersatzkassenvereinbarungen ab 1. Juli 1979 insbesondere auf dem Laborsektor getroffen hat, derzeit und so kurzfristig wirklich unumgänglich waren?

Dr. Muschallik: Erlauben Sie mir, bevor ich auf Ihre Frage eingehe, einen kleinen Hinweis zur Korrek- tur Ihrer Feststellung: Der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung als öffentlich-rechtlicher Selbstver- waltungskörperschaft ist aus kon- kreten Anlässen und Vorgängen innerhalb der kassenärztlichen Versorgung der Bevölkerung in

der Bundesrepublik Deutschland ein Handeln aufgegeben, aber un- ter Einbeziehung und Berücksich- tigung der allgemeinen politi- schen, sozialen und ökonomi- schen Verhältnisse und Entwick- lungen. Anders könnten wir unse- ren originären Auftrag, der uns dem Gemeinwesen verpflichtet, gar nicht verantwortlich erfüllen.

Aber nun zu Ihrer Frage selbst:

Nicht nur die Ausgaben für verord- nete Arzneimittel, sondern auch die Ausgabenentwicklung für am- bulante ärztliche Leistungen der Ersatzkassen für das 1. Quartal 1979 wiesen — bezogen sowohl auf die vertraglichen Vereinbarungen als auch auf die Empfehlungen der Konzertierten Aktion — besorgnis- erregende Zuwachsraten auf. Die Entscheidung darüber, ob und in- wieweit die Ausgaben je Mitglied insgesamt in nicht vertretbarem Maße gestiegen sein sollten, wur- de einvernehmlich bis zum Vorlie- gen der Abrechnungsergebnisse mindestens eines weiteren Quar- tals zurückgestellt. Aber: Entspre- chend der in der sogenannten Dernbacher Erklärung zwischen der Kassenärztlichen Bundesver- einigung und den Ersatzkassen- verbänden getroffenen Überein- kunft ergab sich zwingend die Notwendigkeit, einer unvertretba- ren Ausgabenentwicklung sofort insofern entgegenzuwirken, als kostendämpfende Maßnahmen im Laborsektor vereinbart wurden.

Diese Maßnahmen sind aber nicht einzig und allein unter dem Aspekt der überproportionalen Ausga- benentwicklung im Labor zu se- hen. Sie können vielmehr ange- messen und sachgerecht letztlich nur vor dem Hintergrund auch der politischen Notwendigkeit beur- teilt werden, besonders mit dem Vertragspartner Ersatzkassen die Handlungsfähigkeit und Funk- tionstüchtigkeit der gemeinsamen Selbstverwaltung erneut unter Be- weis zu stellen. In einer Situation, wie sie hier gegeben war, ist die Selbstverwaltung im Interesse der Systemerhaltung und im Interesse derjenigen, die darauf mit Recht

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vertrauen, in besonderer Weise gefordert: Wenn wir Ärzte nicht bereit wären, die mit den Ersatz- kassen vereinbarte Honorierungs- form der Einzelleistungsvergütung auch dann zu verteidigen, wenn es um den Absatz 4 der Dernbacher Erklärung und damit um Maßnah- men gegen eine unvertretbare Steigerung der „Ausgabenent- wicklung je Mitglied" geht, dann würde dies einer politischen Bank- rotterklärung der Selbstverwal- tung nahekommen. Das Bekennt- nis zur gemeinsamen Selbstver- waltung und der Glaube an ihre Funktions- und Handlungsfähig- keit wären dann nichts weiter als leere Phrasen.

E> Daß dies aber gerade nicht der Fall ist und nicht sein soll, drückt sich nicht zuletzt auch in dem Vo- tum des Gremiums der Ersten Vor- sitzenden der Kassenärztlichen Vereinigungen, also des Länder- ausschusses, aus, in dem dieser dem Verhandlungsergebnis des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereinigung voll zuge- stimmt hat.

Und ein Weiteres möchte ich in diesem Zusammenhang anführen:

Wenn wir solche unvertretbaren Steigerungen, wie sie sich im La- bor abzeichneten, nicht in kluger Abwägung und aus eigener Initia- tive als Selbstverwaltung rechtzei- tig abdämpften, dann würden un- weigerlich — und zwar vor der Wahl wie nach der Wahl und ziem- lich unabhängig von der Couleur der jeweiligen Bundesregierung — weitere dirigistische Kostendämp- fungsmaßnahmen von Staats we- gen folgen.

Man kann doch nicht so tun, als existiere das Kostenproblem nicht aktuell, so aufgeblasen es manch- mal infolge der ständigen Wieder- holungen in der öffentlichen Dis- kussion erscheinen mag. Das The- ma „Gesundheitskosten", besser:

„Krankheitskosten", ist ja in allen industrialisierten Ländern hoch aktuell. Ich erinnere nur an die alarmierenden Meldungen aus un- serem Nachbarland über die Ent-

wicklung in der französischen Krankenversicherung, die sich kri- senhaft zugespitzt hat: Gerade erst um die Monatswende Juli/Au- gust erreichten uns von hier neue Nachrichten von staatlicher Ko- stenbremsung, von Blockierung der Arzthonorare und von Bei- tragserhöhungen.

Oder denken Sie an die USA, wo das Kostenproblem eskaliert und zusammen mit den alarmierenden Energieproblemen sogar beson- dere politische Brisanz hat. So be- richtete das TIME-Magazin kürz- lich in einem eindrucksvollen Arti- kel unter der bezeichnenden Über- schrift „Health Costs: What Li- mit?" über die „raketenhaft an- steigenden Gesundheitskosten" in

Eine Aufgabe für die Politik

Muschallik:... Ich betone immer wieder den Zusammenhang zwi- schen Qualität, Quantität und Fi- nanzierbarkeit. Die Qualität muß Vorrang haben. In die freie Praxis darf nur der hineingelassen wer- den, der unsere Qualitätsvorstel- lungen erfüllt...

NRZ: Wann trifft Ihrer Meinung nach die Ärzteschwemme ein?

Muschallik: Das wird sehr schnell gehen. Wir werden bereits Anfang der 80er Jahre, also 1982, 1983, voll mit dem Problem zu tun haben.

NRZ: Was ist zu tun, um die gröb- sten Auswirkungen dieser Ärzte- schwemme zu verhindern?

Muschallik: Wir können nur hof- fen, daß infolge der neuen Infor- mationen über die Ärzteschwem- me und die damit verbundenen stark rückläufigen Berufsaussich- ten der Ansturm der jungen Men- schen auf das Medizinstudium zu- rückgeht und das Pendel wieder zurückschwingt. Wir müssen in der Konzertierten Aktion überle- gen, ob nicht für die Lösung des Arztzahlproblems ein neuer politi- scher Standpunkt erforderlich ist.

Aus einem Interview mit Arnold Geh- len, „Neue Ruhr-Zeitung", vom 23. Au- gust 1979

den Vereinigten Staaten: Mit 206 Milliarden Dollar werden sich da- nach die gesamten Krankenkosten in diesem Jahr gegenüber 38,9 Milliarden im Jahre 1965 um 429 Prozent erhöht haben und 9,1 Pro- zent des Bruttosozialprodukts ge- genüber 1965 mit 5,9 Prozent aus- machen. Nach Schätzung des Weißen Hauses sollen sich bei der gegenwärtigen Zuwachsrate die Krankenkosten alle fünf Jahre ver- doppeln.

Mit welcher Vehemenz dieses Pro- blem in den USA angegangen wird, wenn auch bis jetzt noch — im Gegensatz zu uns — ohne Er- folg, geht schon daraus hervor, daß allein in diesem Jahr 21 Ge- setzentwürfe zur Krankenversi- cherung ins Weiße Haus und 10 in den Senat eingebracht wurden, nachdem Carters schon 1977 ein- gebrachter eigener Gesetzentwurf an einer einzigen Ausschußstim- me gescheitert war.

Angesichts dieser Entwicklung wirft das TIME-Magazin als ent- scheidende Frage auf, „ob Ärzte, Krankenhausverwaltungen, Versi- cherungen und Arbeitgeber Wege finden, der Öffentlichkeit den Nut- zen der Technik zu einem er- schwinglichen Preis zur Verfü- gung zu stellen, ohne daß von oben ständig das Schwert über sie gehalten wird."

Selbst in Japan mit seiner zur Weltspitze vorstoßenden wirt- schaftlichen Prosperität werden, wie jüngste Konsultationen japani- scher Sachkenner ergaben, die Befürchtungen um eine Nichtbe- zahlbarkeit heute möglicher An- wendung medizinischer Erkennt- nisse diskutiert.

DÄ-Redaktion: Unbeschadet der gleichartigen Problematik in der westlichen Welt frappiert Ihre An- deutung auf Anhieb sehr, daß Sie nämlich auch von der heutigen Opposition in der Bundesrepublik bei einem Mißerfolg der Selbstver- waltung dirigistische Dämpfungs- maßnahmen erwarten würden, al- so wohl, falls sie 1980 „an die Re-

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Aktuelle Probleme der kassenärztlichen Versorgung

gierung" käme. Worauf stützen Sie Ihre Auffassung?

Dr. Muschallik: Wenn das Prinzip der sozial verpflichteten und sozial gebundenen Selbstgestaltung der eigenen Verhältnisse und Belange nicht mehr funktionieren würde, wenn die Selbstverwaltung nicht in der Lage wäre, auch mit dem Problem der Finanzierbarkeit selbst fertig zu werden, dann wür- de dies all jenen als willkommener Vorwand dienen, die ein kollektivi- stisches System anstreben und die behaupten, daß es nur mit weite- ren staatlichen Eingriffen möglich sei, die Kostenentwicklung im Ge- sundheitswesen wirksam zu be- einflussen. Zwar weiß heute jeder Sachkenner, daß dies falsch ist, ob aber jede Bundesregierung diese Überzeugung teilt, weiß man nicht.

In jedem Fall wird man gut daran tun, die besorgte Warnung, die der rheinland-pfälzische Minister für Soziales, Gesundheit und Sport, Dr. Gerhard Gölter (CDU), kürzlich im „Deutschland-Union-Dienst"

unter der Überschrift „Noch ist Zeit zur Stabilisierung" ausge- sprochen hat und der ich im Tenor voll zustimme, ernst zu nehmen:

„Noch ist Zeit. Die verbleibenden Monate des Jahres sollten ausrei- chen, die Kostenentwicklung wie- der in den Griff zu bekommen, um dem gemeinsamen Bemühen im Vorfeld der Konzertierten Aktion um Kostendämpfung im Gesund- heitswesen zum Erfolg zu ver- helfen."

DÄ-Redaktion: Aber auch Kritiker, die vielleicht mit diesem Spar-Ap- pell prinzipiell einig sind, erheben einen Vorwurf im Detail: Warum gab es jetzt gerade gegenüber den Ersatzkassen diese Einsparungen am ärztlichen Honorar? Und war- um diese Einbußen gerade auf dem Laborsektor? Sie wissen doch, daß manche Ihnen vorwer- fen, die Kassenärztliche Bundes- vereinigung betrachte den Labor- bereich geradezu als eine Art

„Spielwiese"?

Dr. Muschallik: Ich darf nochmals klarstellen: Es handelt sich hier

um den Versuch, einer in einem Bereich sich abzeichnenden, aber auf das Ganze unter Umständen durchschlagenden überproportio- nalen und daher unvertretbaren Ausgabenentwicklung vorbeu- gend gegenzusteuern, und zwar im Rahmen unserer Selbstverwal- tungsmöglichkeiten, bevor von anderer Seite der Gesetzgeber auf den Plan gerufen wird. Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang einmal daran erinnern, daß die mit dieser Maßnahme erfolgte Hono- rarstaffelung für klinisch-chemi- sche Laborleistungen, die mittels vollmechanisierter Analysegeräte erbracht werden, seit geraumer Zeit schon im RVO-Sektor ange- wandt wird. Und hier zeigt die Er- fahrung: In der Einzelpraxis — mit Ausnahme bei Laborärzten — wirkt sie sich kaum aus und ist wirt- schaftlich gesehen sicher gerecht- fertigt.

Rechtzeitiges eigenes Eingreifen hat die Kosten kalkulierbar gehalten

Von „Einsparungen" oder gar

„Einbußen" am ärztlichen Hono- rar kann nicht die Rede sein, erst recht nicht davon, daß die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung den Laborbereich als eine „Spielwie- se" betrachten würde. Wer das ernsthaft behaupten will, der ver- kennt in meinen Augen bewußt die Realitäten: In die Ersatzkassen- Gebührenordnung ist auf diesem

Sektor seit 1975 bekanntlich nicht mehr eingegriffen worden!

Außerdem werden die jetzt be- schlossenen Eingriffe ins Labor al- lein den Trend des 1. Quartals 1979 nicht brechen können. Um dies zu erreichen, bedarf es des unverminderten Willens und der unveränderten Bemühungen aller Beteiligten, aus eigenem Antrieb auch weiterhin zur Kostendämp- fung beizutragen, Ärzte, Kassen und Versicherte gemeinsam. Nur wenn alle Seiten Einsicht in die nach wie vor notwendige Kosten- balance zeigen und sich entspre- chend verantwortungsbewußt ver-

halten, wird sich unser Gesund- heitswesen in seinen bewährten Strukturen stabil, funktionsfähig und auch finanzierbar erhalten lassen.

DÄ-Redaktion: Auch um die Ge- bühren-Bewertung der Computer- Tomographie durch die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung soll es einigen Ärger gegeben haben.

Auch wenn dies nur relativ wenige Ärzte betrifft —, hemmt hier die Ko- stendämpfungspolitik nicht be- reits den medizinischen Fort- schritt?

Dr. Muschallik: So kann man das nicht sagen. Das, was Sie hier als

„Ärger" apostrophieren, ist tat- sächlich eine sachlich geführte Auseinandersetzung um unter- schiedliche Expertenauffassun- gen. So wird in der Bundesrepu- blik Deutschland in Fachkreisen vereinzelt die Ansicht vertreten, die festgesetzten Gebühren für die Computer-Tomographie seien zu niedrig. Demgegenüber haben diejenigen Experten, auf deren Ur- teil sich die Kassenärztliche Bun- desvereinigung stützte, diese Ge- bühren in ihrer Höhe als angemes- sen bezeichnet.

ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht noch einmal auf die schon erwähnte aktuelle Situa- tionsschilderung im TIME-Maga- zin zurückkommen, die ebenfalls auf dieses Thema Bezug nimmt.

Da heißt es: „So wurde z. B. in der gegenwärtigen Diskussion über die Kosteneindämmung die Com- puter-Tomographie zum Prügel- knaben als Symbol der sinnlos steigenden Ausgaben im Gesund- heitswesen der Vereinigten Staa- ten (der Preis für ein Röntgengerät betrug im Jahre 1896 noch 50 Dol- lar; ein Computertomographie- Schichtaufnahmegerät kostet da- gegen heute 700 000 Dollar oder mehr). Die Fragen bezüglich der Anwendung der Computer-Tomo- graphie lassen sich auf nahezu al- le neueren Verfahren und Ausrü- stungen anwenden ...". Und dann wird in dem TIME-Artikel mit die-

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gerechtfertigt?

Beispiele für Fragestellungen in der öffentlichen Diskussion um die Kostensteigerung im Gesundheitswesen der USA:

„Die Fragen bezüglich der An- wendung der Computer-Tomo- graphie lassen sich auf nahezu alle neueren Verfahren und Ausrüstungen anwenden:

Elektronische Überwachung des Fetus wird in vielen Entbin- dungsstationen während des Geburtsvorganges angewen- det. Die USA geben dafür jähr- lich ca. 80 Millionen Dollar aus.

Es werden jedoch Kritiken laut, die den Vorteil für ungewiß hal- ten und ein Risiko für Mutter und Kind in dieser Maßnahme sehen.

Die Bypass-Chirurgie wurde 1967 eingeführt, um die Todes- ursache Nr. 1 in den Vereinig- ten Staaten, die Koronararte- rien-Erkrankung, zu bekämp- fen. Mehr als 80 000 derartige Operationen wurden letztes Jahr mit einem durchschnittli- chen Kostenaufwand von 10 000 bis 15 000 Dollar durch- geführt. Das Verfahren ist sehr umstritten, und obwohl es die Patienten von starken Schmer- zen befreit, wird heftig darüber debattiert, ob eine medikamen- töse Behandlung zur Verlänge-

Heilung. Das Programm umfaßt jetzt 44 000 Patienten mit einem jährlichen Kostenaufwand von mehr als 1 Milliarde Dollar. Bis 1980 werden es 60 000 Patien- ten sein und die geschätzen Ko- sten werden 2 Milliarden Dollar im Jahr überschreiten. Manche Beobachter bezweifeln die Wirksamkeit dieser Maßnahme;

noch wichtiger ist die Frage, ob sich die Gesellschaft diese Maß- nahme überhaupt leisten kann.

Intensivpflegestationen sind sehr teure Einrichtungen und umfassen 15 Prozent aller Kran- kenhauskosten. Dabei ist nicht sicher, ob die Überlebensrate in der Intensivstation höher ist als bei einer Pflege in einem nor- malen Krankenhausbett. Auf den Neugeborenen-Stationen werden Kinder, die gewöhnlich Frühgeburten sind, Monate und oft Jahre behandelt, bis sie ent- lassen werden können. Im Hou- ston's Hermann Hospital zum Beispiel lagen 8 Neugeborene insgesamt 95 Monate auf der Intensivstation. Kosten:

1 773 000 Dollar.

Ist dieses Geld, das für diese Kinder ausgegeben wird, oder die 1 Milliarde Dollar, um 44 000 Patienten mit Nierenversagen am Leben zu erhalten, gerecht- fertigt?"

Auszug aus dem TIME-Magazin vom 28. Mai 1979

sen neueren Verfahren und Ausrü- stungen „abgerechnet", wie es in der Bundesrepulik Deutschland noch niemand zu tun gewagt hat*). Im Vergleich zu dieser in den Vereinigten Staaten geführten Auseinandersetzung ist unsere Spardiskussion, auch jene um die Gebühren für die Computer-To- mographie, insgesamt als sehr sachlich zu bezeichnen.

DÄ-Redaktion: Noch einmal zu- rück zu der ganz konkreten Frage der Kosteneinsparung bei den bundesdeutschen Ersatzkassen.

Hätte man, wenn schon eine Dämpfung in diesem Bereich un- umgänglich war, nicht besser an- dere Wege beschritten, beispiels- weise unter gleichmäßiger Bela- stung aller Arztgruppen?

Dr. Muschallik: Natürlich kann man über andere Regelungen — auch unter Beachtung der Ein- kommenssituation der einzelnen Arztgruppen — immer nachdenken.

Was „die Gleichheit" anbelangt, so rate ich allerdings zu Objektivi- tät und Zurückhaltung, damit der sich mehr und mehr abzeichnende

„Honorarverteilungskampf" zwi- schen den Gruppen sich nicht wei- ter verschärft. Dieser Kampf zeich- net sich schon heute insofern ab, als Vertreter der Laborärzte, Ra- diologen und Internisten sich zur Zeit schon mehr oder weniger laut zu Wort melden, aber dies, obwohl bei dem Vergleich 1977/1978 und einem 1978 festgestellten bundes- durchschnittlichen Kassenarztum- satz über alles von rund 234 000 DM die Laborärzte, Radiologen, Orthopäden, Urologen, Internisten und Augenärzte (in dieser Reihen- folge) über diesem Durchschnitts- ergebnis lagen. Ich deute all dies nur an, weil ich darum bemüht bin und sein muß, die Interessen und dabei auch die ökonomischen Er- gebnisse aller Arztgruppen — so gut dies möglich ist — unter dem Maßstab der Ausgewogenheit zu sehen und in diesem Sinne gleich zu behandeln.

*) Siehe den Auszug aus TIME auf dieser Seite

— die Redaktion.

Und was das Abwägen aller Wege anbelangt: Derzeit gab es unter den vielen auch von uns diskutier- ten Möglichkeiten keinen anderen so schnell wirksamen Weg als den von uns gegangenen, um durch rechtzeitiges eigenes Eingreifen die Kosten im Gesundheitsbereich kalkulierbar zu halten. Zeitweilig mag mich zwar die Kritik an dieser meiner Überzeugung beeindruk- ken, aber — die Gegenfrage sei mir erlaubt — erweisen sich Richtigkeit und Zumutbarkeit unserer Hono- rarpolitik nicht auch am derzeiti- gen Verhalten der Gewerkschaf-

ten, deren Spitze keinen soge- nannten Nachschlag fordert, also auch ihrerseits Verantwortungs- bewußtsein mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Gesamtsituation an den Tag legt?

DÄ-Redaktion: Gerade wegen die- ses Hinweises auf den Deutschen Gewerkschaftsbund: Wäre es also nicht an der Zeit, daß auch die Spitzen der Krankenkassenver- bände gegenüber ihren Versicher- ten Flagge zeigen, indem sie auf den neuerlichen Ausgabentrend aufmerksam machen und die Ver-

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Aktuelle Probleme der kassenärztlichen Versorgung

sicherten erst einmal allgemein, aber gründlich, und dann auch, wenn nötig, im Einzelfall über die Grundsätze von Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Arz- neiverordnung und bei der Inan- spruchnahme ärztlicher Leistun- gen aufklären?

Plakate und Handzettel:

Die Kassen appellieren an ihre Versicherten!

Dr. Muschallik: Es ist mit Sicher- heit zu erwarten, daß die Kassen — und keineswegs nur die Ersatzkas- sen, sondern auch die Orts-, Be- triebs-, Innungs- und landwirt- schaftlichen Krankenkassen — nach Vorliegen der Halbjahreser- gebnisse gegebenenfalls massiv an ihre Versicherten appellieren werden, sich auch ihrerseits ko- stenbewußter bei der Inanspruch- nahme der Leistungen ihrer Kran- kenversicherung zu verhalten.

Ich darf in diesem Zusammenhang an die entsprechenden Aussagen in der gemeinsamen Erklärung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung und des Verbandes der An- gestellten-Krankenkassen sowie im zweiten Teil der mit den Bun- desverbänden der Krankenkassen im März dieses Jahres erzielten Honorarvereinbarung erinnern:

In der gemeinsamen Erklärung vom 21. Juni 1979 mit dem VdAK heißt es unter Ziffer 1: „Insbeson- dere im Hinblick auf die im 1.

Quartal 1979 deutlich steigenden Ausgaben für verordnete Arznei- mittel und für ambulante ärztliche Versorgung appellieren die Ver- tragspartner nachdrücklich so- wohl an die Vertragsärzte als auch an die Versicherten, weiterhin zur Kostendämpfung beizutragen.

Dies betrifft die verantwortungs- volle Inanspruchnahme medizini- scher Leistungen, insbesondere die Einschränkung von Verschrei- bungswünschen seitens der Versi- cherten, ebenso wie die sparsa- me Veranlassung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen durch die Vertragsärzte."

Und in Teil II der mit den RVO- Kassen getroffenen Honorarver- einbarung heißt es unter Ziffer 2:

„Für eine weiterhin erfolgreiche Kostendämpfung ist neben der Stärkung des Gesundheitsbewußt- seins eine Förderung des Kosten- bewußtseins der Versicherten von großer Bedeutung. Die Vertrags- partner werden daher an die Versi- cherten appellieren, durch ge- sundheitsbewußtes Verhalten und verantwortungsvolle Inanspruch- nahme der Leistungen ihrer Kran- kenkassen ihrerseits zur Kosten- dämpfung beizutragen."

> Schließlich darf ich auf eine Plakat-Aktion verweisen, die von uns gemeinsam mit den Spitzen- verbänden aller Krankenkassen, nachdem der Vorstand der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung in seiner letzten Sitzung dem voll zugestimmt hat, vorbereitet wird.

Danach sollen sowohl in den Schalterhallen der Kassen als auch in den einzelnen Arztpraxen die Versicherten auf die Kosten- entwicklung im Gesundheitswe- sen, speziell auf dem Arzneimittel- sektor, hingewiesen sowie über die Konsequenzen unzweckmäßi- ger und überflüssiger Inanspruch- nahme von Leistungen, insbeson- dere von Wunschverordnungen, aufgeklärt und unter Hinweis auf die große Bedeutung einer ge- sundheitsgerechten Lebensweise zur Mitwirkung aufgerufen wer- den.

> Als weiterer Weg ist eine sol- che Information in Form von Handzetteln zur Mitgabe an die Versicherten im Gespräch. Ich bin sicher, daß mit dieser Aktion nicht nur die mühevolle Arbeit des Kas- senarztes unterstützt, sondern zu- mindest grundsätzlich auch beim Versicherten eine angemessene Resonanz bewirkt wird.

Zusammengefaßt betone ich im- mer wieder: Keinesfalls dürfen Sparbemühungen allein auf die Kassenärzte beschränkt bleiben.

Die Konzertierte Aktion im Ge- sundheitswesen wird ihre ja be- reits begonnenen Bemühungen

und Maßnahmen zur Kostendämp- fung in allen Ausgabenbereichen unseres Gesundheitswesens, auch dessen bin ich sicher, verstärkt weiterführen müssen. Dies gilt vor allem auch für die im Interesse der Erhaltung der fachlichen Qualität des Kassenarztes, aber auch der längerfristigen Finanzierbarkeit unserer Krankenversicherung so notwendige Einführung einer zweijährigen Vorbereitungszeit vor der Kassenzulassung.

DÄ-Redaktion: Sie haben das Stichwort der gesundheitsbewuß- teren Lebensweise gegeben, allen Bürgern also das Ziel gestellt, in eigener Verantwortung gesund- heitliche Schädigungen und damit manche Behandlungsnotwendig- keit zu vermeiden. Wäre es in die- sem Zusammenhang nicht auch an der Zeit, eine der allgemeinen Kostendämpfung und einer Stei- gerung des persönlichen Wohlbe- findens gleichermaßen dienende Gesundheitsberatung in die Kas- senpraxis einzuführen?

Dr. Muschallik: Soweit es mich an- belangt — die Vorbereitungen zu der von mir vorgeschlagenen in- tensivierten Gesundheitsberatung durch niedergelassene Ärzte sind längst getroffen. Meine wiederholt gemachten Detailvorschläge hier- zu, entwickelt und ausgebaut in vielen Gesprächen mit Sachver- ständigen, auch aus dem Bereich der Kassen, werden in einem Mo- dellversuch im Raume Düsseldorf erprobt werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an meine Ausführungen anläßlich der Eröff- nung des 82. Deutschen Ärzteta- ges [DÄ 23 vom 7. Juni 1979, Seite 1565 ff. — die Red.].

Ich bin davon überzeugt, daß wir — langfristig gesehen — damit auf dem rechten Weg sind, um die Selbstverantwortung jedes Einzel- nen für seine Gesundheit zu stär- ken und insgesamt ein gesund- heitsgerechteres Verhalten der Bevölkerung zu erzielen. Daß eine so bewirkte tendenzielle „Entme- dikalisierung", wie ich es einmal nennen möchte, letztlich auch

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dem Ziel einer vernünftigen Ko- stendämpfung dienen kann, halte ich für durchaus wahrscheinlich.

DÄ-Redaktion: Sie haben im Ver- lauf dieses Interviews mehrfach Ih- re Besorgnis um die weitere Ent- wicklung unseres Gesundheitswe- sens geäußert. Ganz konkret: Wie beurteilen Sie die Zukunft der am- bulanten kassenärztlichen Versor- gung für die achtziger Jahre? Wie geht es also weiter in der Kassen- praxis? Welche Probleme sind Ih- rer Ansicht nach mit welcher Prio- rität zu lösen?

Dr. Muschallik: Das ist nicht eine Frage, darin steckt ein ganzes Bündel schwerwiegender Proble- me. Aber ich will versuchen, dar- auf, so knapp es möglich ist, zu antworten:

Beginnen wir mit einer Bilanz, die ich, um es gleich vorwegzuneh- men, mit den Prädikaten „insge- samt positiv" und „zufriedenstel- lend" beurteilen möchte. Lassen Sie mich zwei Schwerpunkte her- vorheben: 1. den Abschluß der Ho- norarvereinbarung mit den Ersatz- kassenverbänden, 2. die Einigung mit den Bundesverbänden der RVO-Kassen und der Bundes- knappschaft im März dieses Jah- res und die Annahme des darin gefundenen Kompromisses durch die Konzertierte Aktion.

Sie erinnern sich gewiß mit allen Lesern: Im Dezember letzten Jah- res waren wir mit unserem Ver- tragspartner Ersatzkassen dahin- gehend übereingekommen, daß die bislang erfolgreich praktizierte Honorierungsform der uneinge- schränkten Einzelleistungsvergü- tung fortgesetzt werden sollte. Da- bei wurden die Gebühren- und Ko- stensätze der Ersatzkassen-Ge- bührenordnung ab 1. Januar 1979 linear um 4 Prozent erhöht. Wir waren uns damals bewußt, daß diese Vertragsregelung und die ihr zugrundeliegenden Rechtsauffas- sungen und Rechtsauslegungen zum „Krankenversicherungs-Ko- stendämpfungsgesetz" (KVKG) durchaus nicht überall auf Zustim-

mung und Gegenliebe stoßen wür- den. In dem Bewußtsein einer durch stichhaltige und eindeutige Argumente abgesicherten Rechts- position, aber auch im Wissen um die Funktionsfähigkeit der jahr- zehntelangen vertrauensvollen und freiheitlichen Vertragsbezie- hungen sowie mit dem erklärten gemeinsamen Willen zur Erhal- tung der eigenständigen Vertrags- gestaltung sind Kassenärztliche Bundesvereinigung und Ersatz- kassen unbeirrt diesen Weg ge- gangen. Er war, wie sich rückblik- kend zeigt, richtig.

In dem Streit, ob in der heute gülti- gen RVO, nach KVKG-Regelung, die Vereinbarung einer Einzellei- stungsvergütung ohne die gleich- zeitige Festlegung einer Ober- grenze zulässig ist, haben wir un- sere Rechtsauffassung durchset- zen können. Die Einbeziehung des Vertrages mit den Ersatzkassen in die Empfehlungen der Konzertier- ten Aktion hat diese Möglichkeit als im Sinne der gesetzlichen Re- gelung interpretierbar und zuläs- sig bestätigt. Dies war von ent- scheidender und weittragender Bedeutung: Es gelang mit diesem Vertrag, ein Signal auch für die im März dieses Jahres erfolgte Hono- rarempfehlung mit den RVO-Kas-

Vorrangig

Besonderes Interesse finden auf diesen Seiten gewiß die Ausführungen des Ersten Vorsitzenden der Kassen- ärztlichen Bundesvereini- gung, Dr. Muschallik. — Hin- ter diesem insbesondere für alle Kassenärzte außeror- dentlich wichtigen Beitrag mußte die Veröffentlichung einiger vorgesehener Be- richte zurückstehen. So auch die angekündigte ab- schließende Folge der Re- portage „20 Tage China"; sie wird in der nächsten Ausga- be des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES erscheinen.

sen zu setzen. Wir waren davon überzeugt, daß die Konzertierte Aktion, soweit es die Abgabe von Empfehlungen zur angemessenen Veränderung der kassenärztlichen Gesamtvergütung und des Arznei- mittelhöchstbetrages betrifft, nur dann würde zum Erfolg führen können, wenn die Vorarbeiten der dafür zuständigen Gremien erfolg- reich verlaufen würden. Nicht zu- letzt deshalb haben wir uns be- müht, auch mit unseren Partnern im RVO-Sektor ähnlich zu verfah- ren wie mit den Ersatzkassen und vorher zu einer Einigung zu kom- men. Dies war nicht einfach, es be- durfte langwieriger Vorarbeiten und schwieriger Verhandlungen.

Schließlich aber kam der Kompro- miß zustande. Unsere primären Ziele, Rückkehr zur Berechnung der kassenärztlichen Gesamtver- gütungen nach Einzelleistungen auch im RVO-Bereich und vor al- lem die volle Übernahme des fi- nanziellen Risikos des Zuwachses der Zahl der Behandlungsfälle (auch als „Morbidität" bezeichnet) durch die Krankenkassen, waren erreicht.

DÄ-Redaktion: Sie sprechen von einer Rückkehr zur Einzellei- stungsberechnung. Dies ist aber ...

Dr. Muschallik:... ja, ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen.

Die Rückkehr zu einer lupenreinen Einzelleistungsvergütung, wie wir sie uns gewünscht hätten, konn- ten wir nicht erreichen: Die Labor- leistungen mußten von dieser Berechnungsform ausgenommen werden; sie werden nach der Ver- einbarung künftig von den RVO- Kassen im Rahmen eines Fallpau- schales an die Kassenärztlichen Vereinigungen gezahlt. Ferner wurde für den Fallwert eine Ober- grenze im Zuwachs vorgesehen.

Genau diese Zugeständnisse muß- ten wir machen. Allerdings, davon sind wir seinerzeit in den Verhand- lungen ausgegangen und daran würde ich auch heute nach wie vor festhalten, ist dieser Kompromiß durchaus im Rahmen des Zumut-

baren, wenn nicht im großen und

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Aktuelle Probleme der kassenärztlichen Versorgung

ganzen sogar auch für diesen Be- reich voll zufriedenstellend. Ich darf an die detaillierte Struktur- analyse und Interpretation erin- nern, die Eckart Fiedler dazu in seinem Beitrag „Einigung mit al- len Partnern" in Ihrem Heft 13 [vom 29. März 1979, Seite 845 ff. — Die Red.] gegeben hat.

Im übrigen freue ich mich, darauf hinweisen zu können, daß inzwi- schen 17 Kassenärztliche Vereini- gungen die Empfehlung in dieser Form mit ihren Partnern auf Landesebene umgesetzt haben bzw. kurz vor dem Abschluß ste- hen. Ich sehe darin eine Bestäti- gung für die Richtigkeit unseres eingeschlagenen Kurses und wür- de dies als einen von manchem nicht mehr erhofften und erwarte- ten Erfolg unserer Bemühungen in den letzten anderthalb Jahren werten wollen.

DÄ-Redaktion: Die Frage drängt sich auf: Wie stehen Sie als Vorsit- zender der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung zu der von Ihrer Empfehlung abweichenden Hono- rargestaltung zwischen der Kas- senärztlichen Vereinigung Bay- erns und den bayerischen RVO- Kassen, die in Teilen der Presse so dargestellt wurde, als solle der bayerische Kassenarzt geradezu

„prämiiert" werden, wenn er „zu Lasten der Patienten" Arznei-, Krankenhaus- und Arbeitsunfähig- keitskosten einspare?

Dr. Muschallik: Numero eins Ge- gen den verschiedentlich publi- zierten Verdacht, daß sich die bayerische Kassenärzteschaft „zu Lasten der RVO-Patienten" kor- rumpieren ließe, indem sie etwa dem Versicherten nicht verordnen würden, was die Krankheit erfor- dert, möchte ich meine bayeri- schen Kollegen ganz ernergisch in Schutz nehmen! Der deutsche Kassenarzt, gleich ob in Bayern oder Nordrhein oder Schleswig- Holstein oder sonstwo in der Bun- desrepublik, wird nach wie vor dem hilfesuchenden Menschen und Patienten unabhängig von Rasse und Religion und selbstver-

ständlich auch unabhängig von Kassenzugehörigkeit — wie auch natürlich unter der heute so zwin- gend notwendigen Beachtung der Sparsamkeit — alle Leistungen zu- kommen lassen, die medizinisch sowie im Rahmen der sozialen Krankenversicherung gerechtfer- tigt sind.

Numero zwei — Als begrüßenswert im Bayern-Vertrag möchte ich her- vorheben: Der Appell an die ge- meinsame Sparsamkeit — also nicht nur an die Ärzte, sondern auch an die Versicherten — ist dar- in enthalten, und er beendet die Konfrontation in Bayern zugun- sten einer Kooperation. Die Er- kenntnis, daß nicht durch Kon- frontation, sondern nur mit einer partnerschaftlichen Kooperation die schwierigen Probleme in der heute so unsicheren Zeit zu lösen sind, ist damit bundesweit.

Und Numero drei — Die Vereinba- rung von Honorarverträgen mit den RVO-Kassen ist in unserem System Angelegenheit der Länder- KVen. Wir haben dieses Prinzip der freiheitlichen Vertragsgestal- tung immer positiv gewertet. Die Kassenärztliche Bundesvereini- gung hat mit den Spitzenverbän- den der RVO-Kassen eine Bundes- empfehlung erarbeitet, die Kon- zertierte Aktion hat sie übernom- men, und in 17 Landesbereichen sind ihr, wie schon gesagt, Kas- senärztliche Vereinigungen und RVO-Kassen gefolgt. Die Bayern haben von Anfang an signalisiert, daß sie einen eigenen Weg gehen wollten, wohl gehen mußten, weil die Verhältnisse dort eben anders waren.

DÄ-Redaktion: Die aktuelle Hono- rarfrage hat Ihre Darstellung des Erreichten und des noch zu Be- wältigenden unterbrochen. Kom- men wir wieder darauf zurück:

Welche Probleme der kassenärzt- lichen Versorgung stehen jetzt und in der nahen Zukunft zur Lö- sung an?

Dr. Muschallik: Nach allem bisher Gesagten muß ich herausstellen,

daß die Situation nicht nur der Kassenärzte, sondern der ganzen Krankenversicherung bei uns ganz wesentlich vom Problem der Arzt- zahl-Entwicklung verschärft wird.

Hier ist eine politische Entschei- dung gefordert! Sie haben zu die- sem Thema ja eben in Ihrem Heft 32 [vom 9. August, Seite 2029 — die Red.] mein jüngstes Schreiben an den Bundesarbeitsminister doku- mentiert, so daß ich mir und allen Lesern hier und heute Wiederho- lungen ersparen darf.

Quantität und Qualität der ärztli- chen Versorgung und deren Fi- nanzierbarkeit — das sind die Stichworte, mit denen ich diesen ganzen Problemkomplex kenn- zeichnen möchte. Dazu gehören auch die Probleme der Arzneiver- ordnung und — lassen Sie mich dies in aller Offenheit sagen — auch die Frage der sogenannten Selbstbeteiligung nicht nur im Arzneimittelbereich.

Politische Entscheidung wird in den achtziger Jahren unumgänglich sein

I> Auf dem Arzneimittelsektor kommen „Positivliste" oder „Ne- gativliste" immer stärker ins Ge- spräch. Von einer „Negativliste" — über deren Einzelheiten sich re- den läßt — muß man allerdings ver- langen, daß sie Ausschließlich- keitscharakter hat, daß also nicht der geringste Streit darüber ins Sprechzimmer des Arztes getra- gen werden kann. Da aber der Ge- setzgeber in der Frage der „Nega- tivliste" bisher so unpräzise for- muliert hat, geht der Trend wohl eher zu einer „Positivliste", wie sie in unseren Nachbarländern mit Er- folg gehandhabt wird, das heißt zu einer Liste, die festlegt, welche Arzneimittel im Bereich der ge-

setzlichen Krankenversicherung verordnet werden können.

Hier will ich auch noch einmal an mein Nürnberger Referat erinnern:

Das in der deutschen sozialen Krankenversicherung erreichte Si- cherungsmaß kann teilweise die

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"Risiken" selbst provozieren, die abzufangen es eingerichtet wurde. Hierin liegt eine mögliche Ursache für permanente Kostenexpansio- nen im Gesundheitswesen.

Ich bin nach wie vor davon über- zeugt, daß technisch am einfach- sten und von der Wirkung her am besten eine Kostentransparenz mit deutlicher Selbstbeteiligung zum Beispiel auf dem Arznei- und Heil- mittelsektorohne Schaden für die Gesundheit möglich wäre. Eine Benachteiligung sozial schwacher Gruppen und langfristig Kranker wäre durch Einbau entsprechen- der Komponenten ausschließbar.

Der alten Erfahrung, daß das, was nichts zu kosten scheint, auch als weniger wertvoll angesehen und entsprechend großzügig behan- delt zu werden pflegt, könnte so Rechnung getragen werden, und der Bildung von kostspieligen

"Müllhalden" verordneter, aber

nicht verbrauchter Medikamente wäre auf quasi marktwirtschaftli- ehe Weise entgegenzuwirken. Ein solches in Modellversuchen prüf- bares Verfahren könnte nach mei- ner Überzeugung die Mündig- keit des Versicherten stärken und es würde Wunschvorstellungen ebenso wie manche Konflikte im Sprechzimmer des Arztes besei- tigen!

..". Ich wollte und will mit diesem Vorschlag nicht im geringsten nach dem "St.-Fiorian-Prinzip"

das "Sparen" auf andere abwäl- zen; vielmehr bin ich sehr wohl bereit, auch über eine "Selbstbe- teiligung" in der ambulanten Ver- sorung zu sprechen, wobei selbst- verständlich der Schutz sozial schwacher Schichten gewährlei- stet sein müßte und in der Frage des "Inkassos" früher gemach- te schlechte Lösungsvorschläge nicht wieder aufgewärmt werden dürften.

..". Meiner Meinung nach ist auch hier die Politik zu einer klaren Ent- scheidung aufgerufen; eine solche politische Entscheidung wird spätestens in den achtziger Jahren

unumgänglich sein!

0

Arbeitsmarktstatistik:

Arbeitslose Ärzte

Der amtlichen Arbeitsmarktstati- stik zufolge waren Ende Septem- ber 1978 insgesamt 1175 Ärzte ar- beitslos gemeldet. Die Statistiken der Landesarbeitsämter wiesen im einzelnen 900 arbeitslose Allge- meinärzte und 275 Fachärzte aus.

Außerdem waren 160 arbeitslose Zahnärzte registriert. Zum Erhe- bungsstichtag konnten die Ar- beitsämter 808 offene Stellen, dar- unter 432 für Allgemeinärzte und 376 für Fachärzte, nachweisen. Für Zahnärzte waren Ende September 1978 40 offene Stellen gemeldet.

Wie der Parlamentarische Staats- sekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Her- mann Buschfort, auf Anfrage des CSU-Abgeordneten Dr. Fritz Witt-

mann, München, mitteilte, wurden

die meisten arbeitslosen Ärzte in Bayern registriert. In Südbayern wurden 203 und in Nordbayern 78 gezählt. ln Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg waren jeweils 208, in Berlin 158 arbeitslo- se Ärzte gemeldet.

Die regionale Arbeitsmarktstatistik läßt erkennen, daß die Zahl der arbeitslosen Ärzte dort besonders hoch ist, wo sich Hochschulen mit medizinischen Fakultäten befin- den (Tabellen 1 und 2, unten). EB

Tabelle 1: Arbeitslose Ärzte und Zahnärzte (Ende September 1978)

Bundesland Ärzte Allge- Fach- Zahn-

(Landesarbeitsamt) ins- mein- ärzte ärzte ges. ärzte

Schleswig-Holstein 50 34 16 5

Harnburg 33 31 2 3

Niedersachsen 72 48 24 18

Bremen 14 9 5 11

Nordrhein-Westfalen 208 125 83 35

Hessen 100 78 22 16

Rheinland-Pfalz 37 30 7 4

Saarland 14 11 3 1

Baden-Wü rttemberg 208 156 52 22

Nordbayern 78 58 20 13

Südbayern 203 170 33 25

Berlin 158 150 8 7

Tabelle 2: Zahl der arbeitslosen Ärzte in ausgewählten Arbeitsamts- bezirken

Arbeitsamts- Ärzte Allge- Fach- Zahn-

bezirk ins- mein- ärzte ärzte

ges. ärzte

Hannover 27 21 6 7

Düsseldorf 18 11 7 2

Köln 29 18 11 3

Frankfurt 53 47 6 8

Stuttgart 17 11 8 9

Reutlingen 17 8 9 2

Heidelberg 69 63 6 1

Nürnberg 38 18 20 4

München 163 126 37 13

Referenzen

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