• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "In Sorge um Gegenwart und Zukunft: Interview mit dem Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Hans Wolf Muschallik" (12.06.1980)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "In Sorge um Gegenwart und Zukunft: Interview mit dem Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Hans Wolf Muschallik" (12.06.1980)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Telefon: (0 22 34) 70 11-1 Fernschreiber: 8 89 168 daev d

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

In Sorge

um Gegenwart und Zukunft

Interview mit dem Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Hans Wolf Muschallik

Die Frage „Wie geht es weiter in der Kassenarztpraxis?" bewegt nicht nur die Repräsentanten der Kassenärzteschaft, die ihren Stand- punkt und ihre Sicht speziell bei der Vertreterversammlung der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung am 12. Mai in Berlin jüngst dargestellt haben, worüber in Heft 21 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES ein- gehend berichtet worden ist. Die Sorge um Gegenwart und Zukunft erlebt jeder einzelne Kassenarzt an seinem Platz. Ein Kenner der Pra- xis, insbesondere der Allgemein- praxis, Walther Schwerdtfeger, ehemaliger Chefredakteur der Zeit- schrift „Der Praktische Arzt" und heute freiberuflich tätig, hat daher eine Reihe sich aus der aktuellen Situation ergebender Fragen an den Ersten Vorsitzenden der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung ge- richtet. Die Redaktion des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES gibt ne- benstehend die Fragen Walther Schwerdtfegers und die Antworten Dr. Hans Wolf Muschalliks wieder.

Frage: Herr Dr. Muschallik, die Kritik aus ärztlichen Verbänden an der zu Anfang 1979 von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit den Bundesverbänden der RVO-Kassen ausgehandelten Emp- fehlungsvereinbarung war vor dem Ärztetag immer härter geworden.

Sie haben auf der Vertreterversammlung der KBV im Mai in Berlin kein Hehl daraus gemacht, daß die Enttäuschung über die Ergeb- nisse der Honorarvereinbarungen verständlich und durchaus berechtigt ist. Hat die KBV, wie ihr vorgeworfen wurde, eine Hono- rarpolitik betrieben, die in eine Sackgasse führte, oder hat der Dr.

Muschallik, wie in einem Blatt zu lesen war, in der letzten Zeit „keine rechte Fortüne" mehr gehabt?

Muschallik: Wir konnten aufgrund der Abrechnungsergebnisse bis zum 1. Halbjahr 1979 die Entwicklung noch mit gedämpftem Opti- mismus betrachten, oder, falls dieses Wort angesichts der wirt- schaftlichen Gesamtlage zu euphorisch wirken sollte: mit berechtig- ter Zuversicht. Dann aber ist uns allen, auch den Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, die Entwicklung davongelaufen. Die Teue- rungsrate stieg stärker an und belastete die Praxiskosten, die Zins- sätze wurden erhöht. Von den sogenannten Orientierungsdaten stimmte so gut wie keines mehr. Damit aber war auch die ganze rechnerische Basis für unsere Empfehlungsvereinbarung brüchig geworden.

Was die „Fortüne" angeht, so sollte man kassenärztliche Honorar- politik von 1980 nicht im Marginalienstil des Alten Fritz von 1780 beurteilen. Sie ist kein Glücksspiel, bei dem man „Fortüne" haben muß. Es geht um Verhandlungen, bei denen Prozentpunkte Milliar- denbeträge bedeuten können , und die Wahrung der Honorar- interessen der Kassenärzte, die ihre Grenzen an der Belastbarkeit der Versicherten finden muß, wenn nicht das ganze System einer medizinischen Versorgung durch freiberuflich tätige niedergelas- sene Kassenärzte in Gefahr geraten soll.

(2)

Frage: Die weltpolitische und die damit untrennbar verbundene wirtschaftliche Krisenentwicklung hat jeden betroffen, der nicht eine Berufs-Kassandra ist. Wäre es aber ganz allgemein gesehen nicht sicherer gewesen, eine kür- zere Laufzeit zu vereinbaren, etwa bis zum 30. Juni 1980, wie das die KV Bayerns getan hat?

Muschallik: Diesen Wunsch ha- ben wir damals gehabt. Die Ge- genseite hat aber die Honorarer- höhung um 3,5 Prozent nur unter der Bedingung einer verlängerten Laufzeit der Vereinbarung zuge- standen. Wir wären bei einer kür- zeren Geltungsdauer der Verein- barung jedenfalls nicht auf eine Steigerung von 3,5 Prozent ge- kommen.

Frage: Ihre Kritiker, Herr Dr. Mu- schallik, meinen, Sie hätten das Handtuch zu früh geworfen. Man hat von Ihnen verlangt, sie sollten

„mehr Schneid" zeigen, mal ganz unakademisch „auf den Putz hau- en", statt „Appeasement" zu be- treiben, ruhig die „Konfrontation"

wagen. Was wäre geschehen, wenn Sie die Verhandlungen von Ihrer Seite für gescheitert erklärt hätten und damit die Konzertierte Aktion am Zuge gewesen wäre?

Muschallik: Eine Honorarempfeh- lung der Konzertierten Aktion kann nur mit Zustimmung beider Vertragspartner zustande kom- men. So sieht es das Krankenver- sicheru ngskostendämpfu ngsge- setz vor. Nun bedarf es schon ei- nes absolut realitätsfernen Kinder- glaubens, der mir abgeht, wollte man annehmen, der Bundesar- beitsminister würde einen Vor- schlag machen, der von den Kran- kenkassen größere Zugeständnis- se an die Ärzte fordert. Im besten Falle hätten wir am Ende der Kon- zertierten Aktion da gestanden, wo wir am Anfang waren.

Frage: Und dann? Sie hätten dann die Rückkehr zu dezentralisierten Honorarverhandlungen der einzel- nen Landes-KVen gehabt, ein Zu- stand, wie er vor 1975 bestand.

Muschallik: Mag sein. Aber nach einem Scheitern der Konzertierten Aktion und dem Scheitern einer bundesweiten Empfehlungsver- einbarung war damit zu rechnen, daß auch die Verhandlungen auf Landesebene nicht zum Erfolg ge- führt hätten. Im Ergebnis wären diese Verhandlungen in einer An- rufung der Schiedsämter geendet.

Frage: Hätte man es nicht ruhig einmal auf ein Schiedsverfahren ankommen lassen sollen?

Muschallik: Das wäre möglicher- weise eine Demonstration gewe- sen, gewiß, aber — wie viele Erfah- rungen der Vergangenheit zeigen

— eine Demonstration, die unter Umständen teuer geworden wäre und in die Unsicherheit geführt hätte. Die letzten Erfahrungen, die wir mit Schiedsverfahren gemacht haben — und dies unter politisch und volkswirtschaftlich bedeutend günstigeren Umständen — sind keine rauschenden Erfolge für die KVen gewesen. Nehmen wir aber einmal den unwahrscheinlichen Fall an, das Schiedsamt würde — über das Angebot der Kassen hin- ausgehend — unsere Forderungen erfüllen, so würde dies die Kran- kenkassen wahrscheinlich veran- lassen, den Spruch nicht anzuer- kennen und den Weg zu den So- zialgerichten zu beschreiten. Un- ter Umständen könnte es dann Jahre dauern, bis wir eine rechts-

kräftige Entscheidung haben.

Solche Jahre eines schwebenden Zustandes würden für den Kassen- arzt die Ungewißheit über die Hö- he seines Honorars bedeuten. Ich habe daher ernsthafte Zweifel, ob eine „Signalwirkung", welche der Anrufung von Schiedsämtern heu- te beigemessen wird — und zwar vielfach von Kommentatoren, die selber keine Kassenärzte sind —, diese Opfer wert wäre.

Frage: Herr Dr. Muschallik, Sie ha- ben in Berlin, wenn auch in ande- rem Zusammenhang, eine andere Möglichkeit angedeutet, nämlich den Rückzug der Ärzte aus der Konzertierten Aktion. Welche Fol-

gen hätte ein solcher Schritt in der Öffentlichkeit?

Muschallik: Ich habe in meinem Bericht zur Lage vor der Vertreter- versammlung der KBV in Berlin die Pläne angesprochen, ein Netz von Universitäts- und Lehrkran- kenhausambulatorien auszuspan- nen, die allen Versicherten geöff- net wären und deren Leistungen wie die des niedergelassenen Kas-' senarztes nach Einzelleistungsho- norarsätzen, jedoch ohne Wirt- schaftlichkeitsprüfung, vergütet werden sollten. Damit würden die bisher erfolgreichen Bemühungen der Selbstverwaltung zu einer Ko- stendämpfung illusorisch, und ein weiteres Mitwirken der Kassenärz- te in der Konzertierten Aktion, so habe ich in Berlin erklärt, müßte sich erübrigen.

Nach den Beratungen im gemein- samen Vermittlungsausschuß Bundestag/Bundesrat spricht alles dafür, daß die Novelle zum Kran- kenhausfinanzierungsgesetz im Bundesrat endgültig scheitern wird und damit solche Überlegun- gen (zunächst) vom Tisch sind. Im übrigen betrachte ich einen sol- chen Schritt wirklich als Ultima ratio.

Bedenken Sie auch die politische Reaktion! In Berlin hat uns ein So- zialminister mit schöner Offenheit gesagt, es gebe für uns nur die Konzertierte Aktion der Vernunft, so schwierig — ich zitiere wörtlich

— dies im einzelnen für die Betrof- fenen auch sein mag, oder — wie- derum wörtlich — „und ich sage das auch für die Partei, die ich vertrete. Die andere Alternative ist eine Neuauflage des KVKG mit al- len Problemen und allen Konse- quenzen..." Die Partei, für die der Minister sprach, war übrigens die CDU.

Täuschen wir uns auch nicht über die psychologische Wirkung eines solchen Schrittes in der Öffent- lichkeit. Mögen unsere Forderun- gen noch so berechtigt sein, mö- gen wir steigende Praxiskosten, Kaufkraftschwund usw. auf Heller

(3)

und Pfennig und bis auf hundert- stel Prozente nachweisen — wir würden alle Massenmedien und auch die Politiker aller Parteien gegen uns haben.

Frage: Herr Kluncker hat keine derartigen Bedenken. Er preßt die Forderungen seiner ÖTV durch gegen die murrende Bevölkerung und gegen die schärfsten Leitar- tikler und Kommentatoren.

Muschallik: Herr Kluncker, der mir ja des öfteren als Vorbild für hono- rarkämpferisches Bodybuilding gezeigt wird, ist nun einmal in der

„glücklichen" Lage zu bewirken, daß alle Räder stillstehen, wenn sein starker Arm es will. Er kann mit ein paar Telefongesprächen den Berufsverkehr in einem hal- ben Dutzend Großstädten für Stunden, Tage oder Wochen lahmlegen. Er kann die Müllton- nen überfließen lassen, so daß die Ratten alle Tage Weihnachten fei- ern. Hinter ihm steht eine Millio- nengewerkschaft. Demgegenüber haben wir 55 000 Kassenärzte ein geringeres Gewicht.

Frage: Das mag zahlenmäßig stimmen, aber das Ansehen der Ärzte bei der Bevölkerung und ihre Bedeutung für den einzel- nen und die Gesamtheit dürfte wohl kaum hinter der von Herrn Klunckers Müllmännern zurück- stehen.

Muschallik: Nein. Gerade in dieser Stärke liegt auch unsere Schwä- che. Wir haben als Kassenärzte nicht nur auf ein Streikrecht ver- zichtet, wir dürften es meiner Mei- nung nach nicht einmal ausüben, wenn wir es hätten. Wer sein ärztli- ches Gelöbnis, die Verpflichtung seines frei gewählten Berufes ernst nimmt — und wir tun es —, kann nicht, und mag er noch so gute Gründe haben, sein Warte- zimmer zuschließen und ein Schild an die Tür hängen: Diese Praxis ist im Streik.

Wer könnte es moralisch und rechtlich verantworten, daß ein Mensch infolge eines Ärztestreiks

gesundheitliche Schäden davon- trägt, vielleicht sogar stirbt?

Von daher ist unsere Handlungs- freiheit eingeschränkt, und wir sind zur Durchsetzung unserer be- rechtigten Forderungen an den Verhandlungstisch verwiesen.

Frage: Aber haben Sie nicht sel- ber schon vor Jahren die Möglich- keit ins Gespräch gebracht, die Kassenärzteschaft aus den Bin- dungen einer Körperschaft öffent- lichen Rechtes zu lösen und ihr eine neue Organisationsform ge- werkschaftlichen Charakters zu geben?

Muschallik: Sie meinen das Schreiben, das ich Anfang 1977 an den Bundeskanzler gerichtet und in dem ich diese Möglichkeit auf- gezeigt habe. Damals bestand die Gefahr, daß u. a. jedem Kranken- hausarzt die Möglichkeit zur un- eingeschränkten Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung eröffnet würde, was unweigerlich zur Existenzbedrohung der freibe-

ruflich niedergelassenen Kassen- ärzte geführt hätte. Auch in Zu- kunft kann es aber dennoch Situa- tionen geben, in denen Wort für Wort Gültigkeit haben wird, was ich an den Bundeskanzler ge- schrieben habe.

I> Ich zweifle nicht daran, daß es gelingen würde, in einer verzwei- felten Situation eine starke Ärzte- gewerkschaft aufzubauen. Das Einheitsstreben der großen Mehr- heit unserer Ärzte würde wohl über möglichen Verbandspartiku- larismus hinweggehen. Eines al- lerdings sollte man nicht verges- sen: diese Gewerkschaft der Kas- senärzte — nennen wir sie einmal so — müßte zunächst einmal alle Stellungen zurückerobern, die sie mit ihrem Verzicht auf das derzei- tige System aufgegeben hat.

Ich sehe darum in einem solchen Schritt wirklich das letzte Mittel.

Das Opfern des Systems kann nur einen Sinn haben, wenn dieses Sy- stem derart ausgehöhlt wäre, daß es nur noch die Fassade für ein

weitestgehend sozialisiertes Ge- sundheitswesen darstellen würde.

Frage: Nun sind ihre Kritiker aus Verbänden ja in ihren Forderun- gen weit weniger revolutionär. Ich denke da an den Antrag von Dr.

Bourmer, dem Vorsitzenden des Hartmannbundes, auf der Vertre- terversammlung der KBV in Berlin.

Darin hieß es: Zur Verbesserung der Durchsetzbarkeit der vertragli- chen Regelungen im kassenärztli- chen Bereich sei es notwendig, ei- ne „große Honorarkommission"

zu gründen. „Die Mitwirkung freier ärztlicher Verbände in einer solchen Honorarkommission ist erforderlich und findet ihre Be- gründung in der Zusammenset- zung und Aufgabenstellung der Konzertierten Aktion im Gesund- heitswesen." Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

Muschallik: Der Antrag hat, wie Sie wissen, in der Vertreterver- sammlung nur ganz geringe Un- terstützung gefunden, zumal sei- ner Verwirklichung alle rechtli- chen Voraussetzungen fehlen würden. Nach dem Kassenarzt- recht sind Verhandlungspartner der Krankenkassen einzig und al- lein die Kassenärztlichen Vereini- gungen beziehungsweise auf Bun- desebene, etwa für die Ersatzkas- sen, die Kassenärztliche Bundes- vereinigung. Für eine direkte Mit- wirkung der Verbände im Rahmen einer Großen Tarifkommission nach dem Muster der Gewerk- schaften läßt das Vertragsrecht keinen Raum.

Die KBV hat allerdings die Spitzen der anderen ärztlichen Verbände stets über den Gang der Verhand- lungen auf dem laufenden gehal- ten und sich mit ihnen abge- stimmt. Natürlich haben diese die von der KBV getroffenen Verein- barungen ebenso wie ich häufig nur als Kompromisse empfunden, die wir unter dem Druck der Ver- hältnisse akzeptiert haben.

Frage: Herr Dr. Muschallik, Sie ha- ben in verschiedenen Reden und Verlautbarungen angedeutet, daß

(4)

die Vertragspartner, also die Kran- kenkassen, Verständnis dafür ge- zeigt hätten, daß die Kassenärzte bis Ende 1980 durch einen Vertrag gebunden seien, dessen volks- wirtschaftliche Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Die poli- tische und wirtschaftliche Ent- wicklung ist über alle Orientie- rungsdaten hinweggegangen, und zwar in einem nicht vorhersehba-

ren Ausmaß. Sehen Sie bei den Krankenkassen Anzeichen einer Bereitschaft, den veränderten Ver- hältnissen Rechnung zu tragen und sich nicht an einen formalisti- schen Pacta-sunt-servanda-Stand- punkt zu klammern? Die Aus- führungen des Vorstandsvorsit- zenden des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, Alfred Schmidt, vor der Vertreterver- sammlung in Aachen, wo er sei- nen Sorgen über die Ausgaben- entwicklung der Krankenkassen im Jahre 1980 Ausdruck gab, las- sen in dieser Beziehung wenig Raum für Optimismus.

Muschallik: Die Besorgnisse von Alfred Schmidt galten, das geht aus seiner Rede klar hervor, in er- ster Linie der Kostenentwicklung im Krankenhausbereich. Wir sind in ständigen Gesprächen mit un- seren Vertragspartnern und prü- fen verschiedene Möglichkeiten einer Regelung, die den berech- tigten Forderungen der Kassen- ärzte entgegenkommt, beispiels- weise durch einen Zusatzvertrag zu dem derzeitigen Vertragswerk.

Dabei muß man immer berück- sichtigen, daß wir im Bereiche der RVO-Kassen nur Empfehlungen vereinbaren können, die weder unsere eigenen, vertragsautono- men Länder-KVen noch die Lan- desverbände der RVO-Kassen binden.

Sie werden verstehen, daß ich zu diesem Zeitpunkt Einzelheiten des Verhandlungsstandes nicht darle- gen kann. Das erklärte Ziel ist und bleibt aber, den Einbruch in unser Einkommensgefüge abzufangen und Vorkehrungen gegen eine Wiederholung zu treffen.

Frage: Ihre Kritiker, Herr Dr. Mu- schallik, haben Ihnen vorgewor- fen, daß Sie das von der anderen Seite des grünen Tisches und vom Hause Ehrenberg verkündete Prin- zip einer einnahmenorientierten Ausgabenpolitik der Krankenkas- sen und der unbedingten Wah- rung der Beitragsstabilität allzu bereitwillig übernommen hätten, obwohl damit die Politik des Versi- cherungswesens auf den Kopf ge- stellt wird. Jede Versicherung be- rechnet ihre Beiträge nach dem Umfange der gebotenen Leistun- gen. Beitragsstabilität bei steigen- den Kosten ist in der Versicherung unmöglich ohne Abstriche im Lei- stungsbereich oder zu Lasten der

Leistungserbringer, die für gleiche Leistungen weniger Geld bekom- men, also auf dem Rücken der Kassenärzte.

Muschallik: Von einer Anerken- nung des von Ihnen beschriebe- nen Prinzips durch die Vertretung der Kassenärzteschaft kann keine Rede sein.

Die Krankenkassenbeiträge nach Möglichkeit stabil zu halten liegt jedoch auch im Interesse aller an der kassenärztlichen Versorgung Beteiligten. Es gibt für den Bei- tragszahler eine Grenze der Be- lastbarkeit. Ob diese Grenze schon erreicht ist oder ob wir dicht davor stehen, ist dabei nicht entscheidend. Aber ebenso klar ist, daß auch die Kassenärzte eine solche Grenze der Belastbarkeit haben.

Die Tendenz, die hinter dem Schlagwort von der einnahmen- orientierten Ausgabenpolitik steht, habe ich niemals anerkannt, sondern immer wieder vor ihr ge- warnt. Sie geht, wie ich in Berlin noch ausgeführt habe, zu Lasten einer qualifizierten und leistungs- optimierten Versorgung des Bür- gers, macht auf die Dauer die not- wendigen Investitionen des Kas- senarztes unmöglich und behin- dert die im Interesse des Patienten notwendige Anpassung an den medizinischen Fortschritt.

Frage: Herr Dr. Muschallik, die An- griffe auf die Honorarpolitik der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung sind in der letzten Zeit von einzelnen Blättern recht persön- lich geführt worden. Ich denke da an Überschriften wie „Wann wacht Muschallik auf" oder „Mu- schalliks Stern beginnt zu sin- ken". Inwieweit können Sie als der Vater dieser Politik verantwortlich gemacht werden?

Muschallik: Was die Vaterschaft angeht, so ist es damit, wie der Volksmund sagt: Der Sieg hat vie- le Väter, die Niederlage ist ein Wai- senkind.

Ich habe als Verhandlungsleiter diese Ergebnisse vorgetragen und vertreten, und ich nehme das Er- gebnis der mageren Jahre genau- so auf mein Konto wie die Ergeb- nisse der fetten mit Traumzuwäch- sen von 17 bis 20 Prozent, von denen allerdings niemand mehr spricht. Ich wehre mich allerdings dagegen, daß man — möglicher- weise mit Blick auf die im Herbst anstehenden KV-Wahlen und die Neuwahl des KBV-Vorstandes im nächsten Frühjahr — auf eine nicht immer honorige Weise den Ein- druck zu erwecken versucht, als seien die Organe der KBV und die Verbände von mir überfahren und vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Die Strategie der Honorarverhand- lungen wird vor Beginn mit dem Vorstand der KBV abgesprochen.

Der Länderausschuß der KBV, dem die Vorsitzenden aller 18 KVen angehören, wurde und wird laufend über den Stand der Ver- handlungen unterrichtet. Auch al- le Zwischenergebnisse sind in Vorstand und Länderausschuß der KBV durchgesprochen und von beiden Gremien mit einer breiten Mehrheit getragen worden.

Frage: Herr Dr. Muschallik, Sie ha- ben bei unserem Gespräch die strategische Ausgangslage für die Kassenärzteschaft bei den Hono- rarverhandlungen und die Mög- lichkeiten ihres kämpferischen

(5)

Höchstbeiträge in der Sozialversicherung

(Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) in DM monatlich

780,50 427,80 189,45

1004,70

Renten- versiche- rung Kranken- versiche- rung Arbeits1.- versicherung 1960 1970 1975 1977 1979 1980 1981

1 359,00 DM 1 247,00 insgesamt

Die Finanzierung der sozialen Leistungen wird für die Arbeitnehmer von Jahr zu Jahr teurer. Die monatlichen Höchstbeiträge zur Sozialversicherung (Ren- ten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung), die 1970 noch bei knapp 428 DM gelegen hatten, erreichten 1980 mit 1247 DM nahezu das Dreifache und werden 1981 weiter ansteigen. Für Arbeitnehmer mit einem Brutto-Monats- einkommen von 4500 DM und mehr ergeben sich dann Sozialbeiträge in Höhe von 1359 DM, von denen die Hälfte allerdings vom Arbeitgeber getra- gen wird. Der Anstieg der Höchstbeiträge erklärt sich aus der regelmäßigen Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, die sich am jeweiligen durch- schnittlichen Bruttomonatsentgelt der Arbeiter und Angestellten orientiert.

In der Krankenversicherung wird sie sich von gegenwärtig 3150 DM auf 3375 DM im nächsten Jahr erhöhen, in der Rentenversicherung steigt sie von 4200 DM auf 4500 DM an. Gleichzeitig wird 1981 der Beitragssatz in der Rentenver- sicherung von 18 auf 18,5 Prozent angehoben „Zahlenbilder"

Einsatzes recht ungünstig beur- teilt. Kein Streikrecht, keine ande- ren Druckmittel, geringe politi- sche Unterstützung, dabei ein ste- tig steigender Kosten- und Kon- kurrenzdruck — bedeutet das nicht, daß die andere Seite den Kassenärzten ihre Bedingungen mehr oder weniger diktieren kann?

Muschallik: Das wäre ein in keiner Weise gerechtfertigter Pessimis- mus. Was sich zwischen den Kas- sen und uns abspielt, sind Hono- rarverhandlungen und keine Ver- nichtungskämpfe.

Wir als Kassenärzte haben nicht die Absicht, die Krankenkassen zu plündern und die Beitragsschrau- be bei den Versicherten immer fe- ster anzuziehen. Wir wollen je- doch ein leistungsgerechtes Ent- gelt mit Berücksichtigung der Ko- stensteigerungen, der allgemei- nen Teuerung und der Notwendig- keit von Investitionen, damit der heute erreichte hohe Standard der kassenärztlichen Versorgung ge- halten werden kann.

Die Kassen wiederum können kein Interesse daran haben, den freibe- ruflich tätigen niedergelassenen Arzt als Institution zu beseitigen, denn einmal wissen sie, daß die- ses System gut, wirtschaftlich und unbürokratisch arbeitet und funk- tioniert. Zum anderen ist ihnen klar, daß mit der Beseitigung des freiberuflich tätigen Arztes und der ärztlichen Selbstverwaltung auch für die gegliederte Kranken- versicherung die letzte Stunde ge- schlagen hätte. Die Erhaltung die- ses Systems erfordert gegenseiti- ge Zugeständnisse.

Ich bin kein „appeaser", der die Interessen der Kassenärzte stück- weise opfern würde, weil er die Konfrontation scheut. Aber ich muß Realist sein und erkennen, wo objektiv die Grenzen dessen liegen, was erreichbar ist, ohne das zu gefährden, für dessen Schutz und Weiterentwicklung ich angetreten bin.

Frage: Herr Dr. Muschallik, im kommenden Frühjahr läuft Ihre Amtszeit ab. Angenommen, der nächste KBV-Vorsitzende hieße nicht mehr Dr. Muschallik. Sei es, weil der nicht mehr will, sei es, weil die Vertreterversammlung es mit einem sogenannten starken Mann versuchen will. Nun ist die Zahl derjenigen, die für ein sol- ches Amt ernsthaft in Frage kom- men, in Anbetracht der dafür not- wendigen Kenntnisse und Erfah- rungen recht klein. Gibt es von einem dieser mutmaßlichen An- wärter auf Ihren Sessel in der Hae- denkampstraße eine fest umrisse- ne Alternative zu der von Ihnen seit einigen Jahren betriebenen Honorarpolitik? Das heißt also, nicht einfach Mutmaßungen, man würde durch härteres oder ge- schickteres Taktieren einen hal- ben oder ganzen Prozentpunkt

mehr herausgeholt haben, son- dern wirklich einen anderen Kurs, etwa wie der, den die bayerischen RVO-Kassen und die KV Bayerns mit ihrem Vertrag eingeschlagen haben und der ja verlängert wer- den soll.

Muschallik: Lassen Sie mich vor- weg eines sagen: Ich schicke mich keineswegs an, wie ein Blatt so schön daherplauderte, mein eige- ner Nachfolger zu werden. Im Au- genblick habe ich im Bemühen um eine befriedigende und tragbare Lösung der Honorarfrage Wichti- geres zu tun, als mir den Kopf über eine neue Kandidatur für das Amt des KBV-Vorsitzenden zu zerbre- chen.

Und nun zum „Bayern-Vertrag".

Dieser Vertrag ist allein durch sei- ne Existenz der Gegenbeweis für

(6)

die Politik der Empfehlungsverein- barungen die Honorarvertragsfrei- heit der Länder-KVen de facto be- seitigt. Ob er den Kassenärzten die erwarteten besseren Ergebnisse gebracht hat oder bringt, wird sich zeigen.

Sieht man von dem Bayern-Ver- trag, der sich im übrigen durchaus an die Grundsätze der Bundes- empfehlung hält, ab, so ist mir kein Ansatz für eine alternative Honorarpolitik bekannt. Ich höre immer nur, ich müsse endlich mal NEIN sagen. Aber es bleibt die Fra- ge nach dem, wozu ich dann JA sagen soll. Haben wir nichts ande- res zu bieten als ein Nein, dann wäre das die Bankrotterklärung der ärztlichen Selbstverwaltung, und ich könnte mir ohne Mühe vorstellen, daß Herr Ehrenberg sich gern als Konkursverwalter be- tätigen würde. Wollen wir das?

Das Bisrnarck-Wort von der Politik als Kunst des Möglichen gilt auch für unsere kassenärztliche Hono- rarpolitik. Unsere Möglichkeiten aber sind, da unser Gesundheits- wesen in das politische und volks- wirtschaftliche Gesamtgefüge ein- gebettet ist, zur Zeit begrenzt. Wir können unsere Ausgaben für das Gesundheitswesen nicht fest an Richtzahlen, wie Bruttolohnsum- me oder Volkseinkommen, binden lassen, aber auch nicht ganz da- von lösen, sondern müssen uns nach der gesamtwirtschaftlichen Situation richten. Betonen möchte ich aber meinen Hinweis auf das

„zur Zeit". Ich bin sicher, daß bei einer allgemeinen Konsolidierung unser Verhandlungsspielraum auch wieder weiter wird. Ich bin sogar davon überzeugt, daß wir dann auch Lösungen finden wer- den, den großen Zustrom junger Ärzte aufzunehmen, und zwar oh- ne daß wir dazu vom Staat ge- zwungen werden.

Alles in allem: Wenn wir uns au- ßerstande zeigen, gemeinsam mit unseren Vertragspartnern unsere Probleme zu lösen, wird der Ge- setzgeber uns seine Lösungen

diktieren.

begrüßt

Der Beschluß des 83. Deutschen Ärztetages in Berlin, Selbstbeteili- gungsmodelle auf gesetzlicher Basis zu erproben, wird ausdrück- lich von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbän- de (BDA), Köln, begrüßt. Eine Ei- genleistung der Versicherten sei gerechter, als ihm durch allgemei- ne Beitragserhöhungen ohne Rücksicht auf die unterschiedli- che individuelle Einstellung zur Gesundheit ständig wachsende Einkommensteile abzunehmen, heißt es in einer Presseerklärung.

Die sozialpolitische Spitzenorga- nisation der Arbeitgeber erklärte, nur durch eine moderate Eigenbe- teiligung der Versicherten sei es möglich, weiter ausufernde Ko- stensteigerungen zu verhindern.

Die Arbeitgeber treten seit langem für eine modellhafte Erprobung wirtschaftlicherer Leistungsge- staltungen in der Krankenversi- cherung ein. Bereits die Kodifizie- rung des Krankenversicherungs- rechts im Sozialgesetzbuch (SGB) böte Gelegenheit, die im Kosten- dämpfungsgesetz nicht genutzte Chance wahrzunehmen. EB

Vorerst keine neue ärztliche Gebührenordnung

Obgleich die Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (16. Dezember 1976) an- kündigte, „die ärztliche Gebüh- renordnung soll nach dem Grund- satz leistungsgerechter Bezah- lung neu gestaltet werden", wird die Bundesregierung in dieser Le- gislaturperiode keinen Entwurf für eine neue Amtliche Gebührenord- nung mehr vorlegen. Damit wird die am 18. März 1965 verabschie- dete Gebührenordnung noch eini- ge Zeit weitergelten.

Im Herbst vergangenen Jahres hatte der inzwischen auch für die

„Amtliche Gebührenordnung für Ärzte" zuständige Minister Dr.

er die ihm bei Beginn der Legisla- turperiode gestellten Aufgaben bis auf den kleinen Punkt „Gebühren- ordnung" gelöst habe und auch dieser Bereich „in Kürze abge- hakt" werden könne.

Bei den Beratungen zu diesem Themenkomplex, die praktisch erst im Herbst 1978 begannen, stellte sich heraus, daß eine Fülle von Einzelfragen abzuklären war.

Es sollte ventiliert werden, inwie- weit der Leistungskatalog des er- weiterten Bewertungsmaßstabs zu ergänzen sei, Mindest- und Höchstsätze für ärztliche Leistun- gen neu festgesetzt und techni- sche Leistungen neu bewertet, die Transparenz der Rechnungsle- gung erhöht oder die ärztliche Li- quidation überprüft und wie die Amtliche Gebührenordnung an die wirtschaftliche, medizinisch- wissenschaftliche und technische Entwicklung angepaßt werden soll. Dies alles veranlaßte den Mi- nister zu der Überlegung, die No- vellierung der ärztlichen Gebüh- renordnung in dieser Legislatur- periode seitens der Regierung nicht weiter zu betreiben.

Das Ministerium selbst hat jedoch in einem Schreiben an die ärztli- chen Organisationen und Verbän- de angekündigt, daß die Erörte- rungen fortgeführt werden, und um Vorschläge insbesondere hin- sichtlich der Einarbeitung von kassenärztlichen Überlegungen in die Gebührenordnung gebeten.

Die Diskussionen werden sicher erst fortgesetzt werden können, nachdem sich die neue Bundesre- gierung konstituiert hat und die Regierungserklärung abgegeben sein wird. Zwischenzeitlich sollen Teilfragen durch besondere Unter- suchungen weiter geklärt werden.

Bei den bisherigen Beratungen war Einvernehmen mit dem Bun- desminister für Arbeit und Sozial- ordnung darüber erzielt worden, daß die Abdingbarkeit der Gebüh- renordnung erhalten und auch weiter Mehrfachsätze berechnet werden können. uer

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die bis heute erkennbare Bilanz hinsichtlich des Gesundheitswert- bewußtseins und Informations- standes unserer Bevölkerung wie auch hinsichtlich der derzeitigen

serte Information zukommen zu lassen. Dies betrifft zum einen An- gaben über die von ihm verursach- ten Arzneikosten. So soll in Zu- kunft jeder Kassen- und Vertrags- arzt

Muschallik hat sich dabei viele Verdienste er- worben: in den fünfziger Jahren um den Zugang zur Berufsaus- übung für alle zulassungswilligen Ärzte, die die gesetzlich

Die Verbände plädieren außerdem für die Einführung der Kostenerstattung in der GKV und eine feste Vergü- tung der niedergelassenen Ärzte in Euro.. Darüber hinaus haben sie sich

gewährleisten, also insgesamt 3 Mil- liarden DM; gegebenenfalls kann die- ser Betrag auch teilweise im Rahmen der Bundesanstalt für Arbeit aufge- bracht werden. 5)

Muschallik: Wenn das Prinzip der sozial verpflichteten und sozial gebundenen Selbstgestaltung der eigenen Verhältnisse und Belange nicht mehr funktionieren würde, wenn

Colchicum autumnale (Herbstzeitlose), Coriandri fructus (Koriander); Equiseti herba (Schachtelhalmkraut), Eucalypti aetheroleum (Eucalyptusöl), Eucalypti folium

Wir sollten auch die Diskussion um den Wert des Hausarztes — des komplexesten und ursprünglich- sten Arzt-Typus, der ganz beson- ders darum weiß, daß der Arzt sei- nem Patienten