• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Transparenz-Modelle und kein Ende?" (20.04.1984)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Transparenz-Modelle und kein Ende?" (20.04.1984)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Transparenz-Modelle und kein Ende?

Regierungsamtliche Durchleuchtungsprojekte am Scheideweg

Alfred Boßmann

Seit mehr als zwei Jahren fördert das Bundesministerium für Ar- beit und Sozialordnung im Rahmen des regierungsamtlichen Pro- gramms „zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dien- ste der Gesundheit" auch fünf unterschiedlich strukturierte Mo- dellversuche „zur Verbesserung der Leistungs- und Kostentrans- parenz der gesetzlichen Krankenversicherung". Sie sollen u. a.

die praktische Umsetzung des mit dem „Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetz" am 1. Juli 1977 eingeführten § 223 der Reichsversicherungsordnung erproben. Das Bundesarbeitsmini- sterium übernimmt die mit der praktischen Erprobung und Trans- parenzforschung verbundenen Mehraufwendungen der „Modell- Krankenkassen". In die mehrstufige Testphase ist auch die Be- triebskrankenkasse des VW-Werkes, Wolfsburg, einbezogen wor- den. Untersuchungsgegenstand: „Transparenz bei betriebsspezi- fisch überdurchschnittlich häufigen Krankheitsfällen mit hohen Behandlungskosten bei Arzneimitteln im Feld der Herz-Kreislauf- Krankheiten".

Wissenschaftlich beraten, betreut und ausgewertet werden sämt- liche Transparenzforschungsprojekte vom Institut für Gesund- heits- und Sozialforschung (IGES), Berlin. Das Berliner Institut hat den zusammenfassenden Bericht bereits Anfang 1984 dem Bun- desarbeitsministerium eingereicht, ohne daß dieser bisher veröf- fentlicht worden ist.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT Ausländer

650 000. Erst im zweiten Halbjahr 1982 und auch 1983 wieder ging er zurück; 1983 sank die Zahl der Ausländer um etwa 132 000.

Die Ursache für das konjunkturell widersprüchliche Verhalten: Frü- her kamen Ausländer durchweg als Arbeitskräfte ins Land, deren Zahl schwankte mit der Wirt- schaftsentwicklung. - Ende der 70er Jahre setzte dann der Famili- ennachzug ein, und der hielt auch während der Flaute an. Der jüng- ste Rückgang dürfte mit einem wachsenden „Problembewußt- sein" (wie immer man das bewer- ten mag) zusammenhängen; be- merkenswert ist nämlich der An- stieg der Rückwanderer in die Türkei um 10 Prozent (in 1983).

Außerdem ging die Zahl der Asyl- bewerber zurück.

Deutliche Unterschiede im

„generativen Verhalten" bei Deutschen und Ausländern Das generative Verhalten der Aus- länder — auch ein Punkt der Dis- kussion — unterscheidet sich ge- genüber dem der Deutschen. Bei Ausländern kommen 17,2 Gebur- ten auf 1000 Einwohner p. a., bei Deutschen 9,5.

Die Berliner Ausländerbeauftrag- te, Barbara John, hat eine auf- schlußreiche Relation errechnet.

Sie teilt die Bevölkerung in drei Altersgruppen: Minderjährige, Er- wachsene im Erwerbsalter und Er- wachsene über 65. Bei den Deut- schen kommt so ein Zahlenver- hältnis von 21:62:16 heraus, bei den Ausländern allgemein von 29:29:2 und bei den Türken gar von 41:59:0,2.

Die meisten hierzulande leben- den Ausländer dürften sich so ein- gelebt haben, daß ihnen eine Rückkehr in ihre Heimat (sofern sie daran nicht ohnehin durch po- litische Umstände gehindert sind) schwerfallen würde: der „durch- schnittliche Ausländer" lebt näm- lich seit fast 11 Jahren in der Bun- desrepublik Deutschland. NJ

Das Krankenversicherungs-Ko- stendämpfungsgesetz (KVKG) hat die Krankenkassen mit der zum 1.

Juli 1977 neu eingeführten Vor- schrift des § 223 RVO ermuntert,

„in geeigneten Fällen ... die Krankheitsfälle vor allem in Hin- blick auf die in Anspruch genom- menen Leistungen (zu) überprü- fen." Dies sollte in den geeigne- ten Fällen „im Zusammenwirken mit den Kassenärztlichen Vereini- gungen ... " geschehen. Außer- dem bietet § 223 RVO den Kran- kenkassen die Möglichkeit, „den Versicherten und den behandeln- den Arzt über die in Anspruch ge- nommenen Leistungen und ihre Kosten zu unterrichten." Proble- me hinsichtlich der Definition des Begriffes der „geeigneten Fälle"

sowie des Verständnisses über Zeitpunkt und Umfang des Zu- sammenwirkens mit der Kassen- ärztlichen Vereinigung (KV) und methodische beziehungsweise EDV-technische Schwierigkeiten der Realisierung dieses „Transpa- renzparagraphen" mögen — ne- ben der Ungewißheit über die Ko- sten solcher Maßnahmen — die wesentlichen Ansatzpunkte für die vom Bundesarbeitsministeri- um beschlossenen Projektförde- rungen gewesen sein — jedenfalls zunächst. In der Tat stand im Mit- telpunkt der ersten Stufe der Pro- jekte die Frage, welche Krank- heitsfälle im Sinne einer besseren Leistungs- und Kostentranspa- renz für eine Prüfung und Unter- richtung der Versicherten und der Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 16 vom 20. April 1984 (39) 1255

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Transparenz-Modelle

behandelnden Ärzte geeignet sein könnten.

In der Folgezeit konzentrierten sich die „Modellkrankenkassen"

darauf, besonders ausgabenin- tensive Bereiche und teuere Krankheitsfälle in den Blick zu nehmen, möglichst viele Daten patientenbezogen zu erfassen und so zusammenzuführen, daß sich erkennen läßt, wer welche Leistungen wann erbracht oder veranlaßt hat. Orientierungs- schwerpunkte sind Krankheitsfäl- le mit hohen Kosten, insbesonde- re wenn solche Leistungen von ei- nem Versicherten über einen län- geren Zeitraum in Anspruch ge- nommen worden sind.

Frei von Zweifeln über die Durch- führbarkeit der geplanten Projek- te denken die Krankenkassen dar- an, für Kostenentwicklungen eine spezifizierende Ursachenanalyse mit Hilfe sozialmedizinischer und gesundheitsökonomischer Ansät- ze präsentieren zu können, um anschließend die erforderlichen Maßnahmen zur Unterrichtung und Beratung der Versicherten und der Ärzte inhaltlich und me- thodisch durchführen zu können.

Kostenkenntnis und Kontrolle

Der damalige Bundesarbeitsmini- ster Dr. Herbert Ehrenberg wollte mit diesem regierungsamtlichen Forschungsvorhaben angeblich keine Elemente zusätzlicher Kon- trolle von Versicherten und Ärzten einführen. Seine Aktivitäten, so hieß es, seien darauf gerichtet, mit den Modellversuchen Er- kenntnisse zu gewinnen, ob und wie, mit welchem Aufwand und mit welchem Nutzen sich „geeig- nete Krankheitsfälle" überprüfen lassen, um damit Versicherte und Ärzte mit dem Ziel der Kosten- dämpfung unterrichten zu kön- nen.

Inzwischen sind seit der ersten Ankündigung der Modellversuche mehr als drei Jahre vergangen.

Das „Drehbuch" ist noch immer dasselbe, trotz Bonner Wende!

Abgesehen davon, daß Bundesar- beitsminister Dr. Norbert Blüm nicht einfach von heute auf mor- gen die von seinem Amtsvorgän- ger erteilten Aufträge und Finan- zierungszusagen annullieren kann, scheint er auch keine Nei- gung für solche Entscheidungen zu verspüren.

Dies zeigt das persönliche Auftre- ten des Ministers am 20. Dezem- ber 1983 in Dortmund bei der öf- fentlichen Ankündigung des Mo- dellversuchs „Arzneitransparenz"

(vgl. DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 5/ 1984). Aber auch das von seinem Hause der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen am 15. Dezember 1983 vorgelegte Diskussionspapier läßt keinen Zweifel über den künftigen Kurs aufkommen.

Auch in Niedersachsen wird „geforscht"

Die Betriebskrankenkasse Volks- wagenwerk AG hat sich nach eige- ner Mitteilung und der Erklärung des parlamentarischen Staatsse- kretärs im Bundesarbeitsministe- rium, Vogt, für die Untersuchung von „betriebsspezifisch" über- durchschnittlich häufigen Krank- heitsfällen und von „Arzneiver- ordnungen für Herz-/Kreislaufer- krankungen bei Ärzten mit unter- schiedlichen Verschreibungsar- ten" entschieden. Sie will bei die- sen Erkrankungen die „in An- spruch genommenen Leistungen und ihre Kosten" näher analysie- ren, hierzu sollen unterschied- liche Behandlungsformen der Ärzte ausfindig gemacht werden.

Es geht also um die Ermittlung un- terschiedlichen ärztlichen Ent- scheidungsverhaltens. Ohne die Individualität des Einzelfalles zu kennen, gilt alles als problema- tisch, was „aufwendig" ist, eben- so aber auch eine Behandlungs- weise, bei der keine „bezüglich der Diagnose einschlägigen Ver- ordnungen festzustellen sind bzw.

die Medikation sehr restriktiv oder

diskontinuierlich erfolgt". Nach- dem entsprechend große Daten- mengen erfaßt worden sind, will die BKK die nach den Verord- nungsmengen und -kosten auffäl- ligen Ärzte, bei denen „deutlich unterschiedliche Therapiekon- zepte festgestellt bzw. bedenklich erscheinende Behandlungs- und Inanspruchnahmeformen" vermu- tet werden, überprüfen.

Es erübrigt sich der Hinweis, daß dieses konzeptionelle Kunstpro- dukt nicht im Zusammenwirken mit der Kassenärztlichen Vereini- gung Niedersachsen (KVN) ent- wickelt worden ist. Wäre dies ge- schehen, so hätte sich das Phäno- men der selbsterfüllenden Pro- phezeihung bei den Projektver- antwortlichen in der Wolfsburger Zentrale vielleicht schon zu Be- ginn ihrer Überlegungen verflüch- tigt. Aber man scheint anzuneh- men, daß aus einer Sammlung von Millionen von Daten „schon etwas herauskommen" wird. Dies rechtfertigt zwar nicht den Pro- jektaufwand, wird aber — wie der Hessische Landesdatenschutzbe- auftragte Prof. Spiros Simitis im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz be- merkt hat — „zur Einschüchte- rung" ausreichen.

Das heißt im Klartext: Was „geeig- nete Fälle" sind, was mit den ad- ministrativ erhobenen Kranken- scheindaten und Verordnungs- blattdaten gemacht werden soll, auf welche wissenschaftlich gesi- cherten Theorien, Fragestellun- gen und Hypothesen sich die Ana- lyse der Daten und die Projekt- durchführung beziehen soll, wird offensichtlich der EDV-Software überlassen. Sie wird solange ro- tieren, bis sich durch „auffällige Verhaltensmuster" die Schwer- punkte der Projektziele von selbst ergeben.

Sind gar mehrere Ärzte während eines Krankheitsfalles in An- spruch genommen worden, soll die „Auffälligkeit" durch den Nachweis eines „unkoordinier- 1256 (40) Heft 16 vom 20. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(3)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Transparenz-Modelle

ten" diagnostischen und thera- peutischen Vorgehens belegt werden. Was dann noch fehlt, ist das Raster einer bestimmten me- dizinischen und wirtschaftlichen Normcharakteristik und ein hier- von abgeleiteter Bedarfswert als Effektivitätsmaß für die Behand- lung kranker Menschen. Weshalb soll man sich bei dieser Projektion mit den zahlreichen Problemen empirischer Forschungsansätze belasten, an denen bereits andere Forschungsprojekte seit Anfang der 70er Jahre gescheitert sind?

Es scheint Verantwortlichen zu genügen, Daten über Leistungen und Kosten personenbezogen zu sammeln, bestimmte Analyse- schwerpunkte festzulegen, Auffäl- ligkeitskriterien unter Verwen- dung von Meßzahlen und Norm- vorgaben zu definieren, diese als quasi medizinische Bedarfswerte auszugeben und sie über be- stimmte ökonomische Sanktions- mechanismen gegenüber Ärzten zur Wirksamkeit zu bringen.

Abbild der Individualität des Patienten

Der KVN ist die Arbeitshypothese der BKK VW nicht mitgeteilt wor- den, man weiß nicht, wie sie die Hauptfragestellungen (z. B. das Problem der sinnvollen Homoge- nisierung von Krankheitsfällen in unterschiedlichen Praxen, die Zu- sammenfassung von Patienten zu bestimmten Merkmalsgruppen, die funktionale Vergleichbarkeit von Leistungen) zuverlässig be- antworten will. Auch was die erste Stufe der Projektdurchführung („Grundauswertung") anbetrifft, ergeben sich zahlreiche Fragen.

Wie will die BKK VW Erkenntnisse über unterschiedliche „Behand- Jungsstrategien" von Ärzten er- mitteln, wenn sie letztlich nur auf unterschiedliche Diagnose-Lei- stungs-Relationen aus Abrech- nungsdaten zurückgreifen kann?

Sollen ärztliche Handlungen an einem Patienten, ohne den Be-

handlungshintergrund zu kennen, an dem Text der Gebührenord-

nung gemessen und beurteilt wer- den? Kann man davon ausgehen, auf diese Weise die „Wirklichkeit"

ärztlicher Tätigkeit „erfassen" zu können? Sollen die Ärzte ohne qualitative Merkmalskriterien „be- raten" werden, um ihr Verhalten zu „ändern?"

Oder nimmt man die „Kranken- scheindiagnose" als „Einstiegs- kriterium" in die Effektivitätsun- tersuchung: Zahlreiche Untersu- chungen haben bewiesen, daß sie ohne medizinisch-wissenschaft- lichen Anspruch ist. Sie kann auch nicht der entscheidende Orientie- rungspunkt für die Effektivitäts- beurteilung sein, und schon gar nicht Grundlage für normative Modelle. Man kann auch durch Verkettung von Gebührenord- nungsnummern und Kranken- scheindiagnosen keine Standards aufstellen, hierzu sind — sofern überhaupt denkbar — objektive und zuverlässige Daten erforder- lich.

Auch die vom Bundesforschungs- ministerium geförderte Studie über „Auffälligkeitskriterien zur Überprüfung der Wirtschaftlich- keit in der gesetzlichen Kranken- versicherung" (Projektnehmer:

Beratungsgesellschaft für ange- wandte Systemforschung mbH. — BASYS — Augsburg, 1983) weist darauf hin, daß man Unwirtschaft- lichkeit nur „gegen den Hinter- grund der Krankheit des Patienten diskutieren kann". Die Studie un- tersucht zwar auch die Zuverläs- sigkeit „nichtmedizinischer Aus- wahlkriterien", kommt aber schließlich zu der Feststellung, daß bloße „Auffälligkeiten" die Diskussion über die Wirtschaft- lichkeit nicht voranbringen kann,

„sie können keinen Aufschluß über die Zweckmäßigkeit der Lei- stungsgewährung geben."

Man mag mit der Methode und den Ergebnissen der heutigen Wirtschaftlichkeitsprüfung in den paritätisch besetzten Ausschüs- sen der KVen unzufrieden sein;

nicht zu übersehen ist jedoch, daß

— bei aller Notwendigkeit von Ver-

besserungen — einzig der zur Zeit praktizierte und rechtlich gesi- cherte methodische Ansatz die Möglichkeit bietet, sich nicht dem wissenschaftlichen Streit über die relative Unvereinbarkeit von Ein- zelfall und gegebener Norm aus- gesetzt zu sehen.

Persönlichkeitsrecht der Versicherten

Die in der Zeitschrift „Die Be- triebskrankenkasse" Heft 11/1983, Seite 361 ff.) aufgestellte Behaup- tung, „den Projektbearbeitern in den Krankenkassen wie auch der wissenschaftlichen Begleitung und dem BMAuS (seien) die Pro- bleme des Datenschutzes vertraut und die Sicherung sensibler Da- ten selbstverständlich", scheint jedenfalls einige Landes-Daten- schutzbeauftragte bis jetzt nicht überzeugt zu haben. Nicht nur Krankenkassen können irren, auch dem Gesetzgeber unterlau- fen Verstöße — sogar gegen die Verfassung — wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 zum „Volks- zählungsgesetz" zeigt. Das Ge- richt hat dem Datenschutz Grund- rechtscharakter (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1) inso- fern zuerkannt, als eine unbe- grenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe per- sonenbezogener Daten schlecht- hin unzulässig ist.

Wie immer die Stellungnahme der Datenschutzexperten zur Zuläs- sigkeit umfassender Datensamm- lungen bei den „Modellkranken- kassen" auch ausfallen wird, der Verfasser des Berichts in der

„BKK" scheint sich der daten- schutzrechtlichen Absicherung des Forschungsvorhabens der BKK VW nicht sicher gewesen zu sein, sonst hätte er nicht ohne Gründe den unbekannten „Zeit- genossen" erwähnt, bei dem so- fort „die Klappe fällt", wenn das Wort „Transparenz" auftaucht und der dann nur noch Worthül- sen, wie „gläserner Mensch" ver- breitet. Es könnte nämlich sein, Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 16 vom 20. April 1984 (45) 1257

(4)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Transparenz-Modelle

daß die von der BKK VW angekün- digten Gespräche mit der Kassen- ärztlichen Vereinigung Nieder- sachsen zeitlich eingeholt werden von einer zunehmenden öffent- lichen Erörterung der Daten- schutzproblematik, wozu die

„Hannoversche Allgemeine Zei- tung" vom 25. Januar 1984 bereits den Auftakt gegeben hat. Die Schlagzeile „Sammelwut ade!"

könnte die weitere Perspektive des VW-Modells richtig getroffen haben, wenn nämlich dem Bun- des-Datenschutzbeauftragten zur Kenntnis kommen sollte, daß in Wolfsburg eine bereichsübergrei- fende Verknüpfung von Daten des Arbeitgebers VW und der BKK stattfindet.

Wenn die BKK auch ihre Ver- pflichtung zum „Zusammenwir- ken" mit der zuständigen Kassen- ärztlichen Vereinigung wenig ernst nimmt, so möchte sie des Sachverstandes der Ärzte aber doch teilhaftig werden, denn eine Überprüfung der Kassenärzte soll

„mit dem VÄD, dem Werksärzt- lichen Dienst, unter Hinzuziehung vertraglich zu verpflichtender In- ternisten und pharmakologischen Sachverstandes" vorbereitet wer- den. Anschließend will die BKK VW die Kassenärzte informieren, sie zu einem Fachgespräch einla- den und ihnen Behandlungsvor- schläge machen.

Fragt man nach dem gesetzlich vorgeschriebenen „Zusammen- wirken" mit der KVN, soll sich die- se nach den Vorstellungen der BKK wohl darauf beschränken, an der Beratung eines von ihr konzi- pierten Prüfverfahrens teilzuneh- men.

Angesichts dieser höchst bemer- kenswerten Perspektive bedarf es wohl eines deutlichen Hinweises auf die Kompetenz der Kassen- ärztlichen Vereinigungen im Re- gelungsgefüge des ambulanten Versorgungssystems. Nach dem Gesetz haben sie gegenüber den Krankenkassen die Gewähr für die Erfüllung der kassenärztlichen Pflichten durch die Kassenärzte

zu übernehmen. Diese Gewährlei- stungspflicht umfaßt die gesamte Tätigkeit als Kassenarzt. Für Infor- mation und Beratung des Kassen- arztes ist die KV zuständig; § 223 RVO ist nicht die „Supernorm", (Kilian) nicht die Generalklausel, mit der die Kassenärztlichen Ver- einigungen aus ihrer Verantwor- tung für das Funktionieren des ambulanten Versorgungssystems hinausgedrängt werden können.

Zu viele Vorschriften

überfordern den Kassenarzt Abgesehen von den direkten Fol- gen der „Transparenz-Projekte"

für das Verhältnis zwischen Ärz- ten und Krankenkassen, gilt es, der Gefahr von „Übermaßreaktio- nen" zu begegnen, die den Kas- senärzten in verständlicher Ge- genwehr durch verschärfte inter- ne Prüfma'ßnahmen der KVen dro- hen könnten. Was Kassenärzte brauchen, ist nicht „noch mehr Prüfung", sondern Hilfestellung für die Bewältigung zahlreicher Probleme, vor allem im admini- strativen Bereich der Praxis. Eine der zahlreichen Ursachen für so- genanntes Fehlverhalten von Ärz- ten ist die kaum noch zu bewälti- gende und weiter steigende Flut von Vorschriften, die zu einer im- mensen Belastung des Praxisab- laufes führen.

Die „Verden-Studie" ermittelt, daß in einer Kassenpraxis durch- schnittlich 60 verschiedene Vor- drucke im Einsatz sind. Eine neu- erliche Untersuchung hat erge- ben, daß in Bezirksstellen der KVN inzwischen 95 verschiedene Vordrucke für die Kassenärzte be- reitgehalten werden müssen.

Anstatt Vereinfachung in der Arzt- praxis durch Abbau von „Verwal- tung" nimmt diese ständig zu.

Wenn eine Behörde meint, sie müsse eine Statistik „aussagefä- higer" machen oder, es müsse ein weiterer Bereich des Gesund- heitswesens für die „Planung" er- schlossen werden oder wenn im Rahmen der Rechnungslegung in

der Krankenversicherung eine neue „Kostenstelle" für notwen- dig gehalten wird, fast jedesmal ist ein solcher Vorgang mit einer Belästigung der Kassenärzte ver- bunden. Ohne Einführung eines neuen Vordrucks oder besondere Aufzeichnung von immer neuen Sachverhalten in der Arztpraxis

„funktioniert" die Bürokratie un- seres Sozialstaates schon längst nicht mehr. In den letzten zwei Jahren ist über den Kassenarzt ei- ne Flut von Richtlinien des Bun- desausschusses der Ärzte und Krankenkassen hereingebrochen, sind neue Bestimmungen über die Qualitätssicherung erlassen worden, für fast keine ärztliche Handlung gibt es nicht irgendeine Vorschrift. Gefragt sind For- schungsprojekte, durch die Büro- kratie als Ursache für „Ressour- cenverschwendung" in der Arzt- praxis beseitigt werden kann.

Es ist so einfach, von den Kassen- ärzten ein bestimmtes effektivi- tätsbezogenes „Normverhalten"

zu verlangen, während die Kran- kenkassen zum Ärger der Ärzte scheinbar große Probleme haben, die „Normen" für den Formular- druck einzuhalten. Es wäre sinn- voll, alle Anstrengungen darauf zu richten, die zahlreichen Alltags- probleme in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu lösen, als sich in „Transparenzmodellen" zu erschöpfen und sich im Dunst-

kreis ständig neuer Verdächtigun- gen zu bewegen?

„Beseitigung von Schwachstel- len", so die offizielle Lesart für die Projektziele der Transparenzmo- delle. Wann aber beginnen die Krankenkassen damit, diese Ziele auch bei sich selbst zu erfüllen?

Anschrift des Verfassers:

Alfred Boßmann Hauptgeschäftsführer

der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen

Berliner Allee 22 3000 Hannover 1 1258 (46) Heft 16 vom 20. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wer als Angestellter oder Beauftragter eines ge- schäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Ge- genleistung dafür fordert,

Wir bestreiten auch nicht, daß sich ein großer Teil der Versicherten nur mit Mühe oder vielleicht auch gar nicht an Einzelheiten bei der ärztlichen Behandlung erinnert, aber wird

Diese Daten fassen dabei mehrere Krankenhäuser zusammen, jedoch fin- det sich auch eine solche Aufstellung für individuelle Krankenhäuser, und diese ist für jeden Interessierten

ihrer „Inselerfahrungen“ erkannt haben, wie schwer eine flächendeckende Versor- gung zu organisieren ist.Manche große De- batte um ihre Gestaltungsmacht relativiere sich sowieso

90 Prozent der Sportmediziner wünschten sich weitere Informationen zum Thema Doping, zum größten Teil zur Verbesserung der eigenen Kenntnisse (87 Prozent), aber auch zur

Politische Beschwichtigungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, wonach eine Ak- tualisierung als notwendig erkannt scheint, und zugesagt wird, dass

habe mir für die Fälle, wo Pa- tienten vor Ablauf der Dreijah- resfrist eine neue unveränderte Brille haben wollen, einen roten Stempel ,Nur nach vorheriger Genehmigung durch

Nach § 203 StGB (Schweigepflicht- paragraf) ist es Ärzten, die Kinder behandeln, grundsätzlich nicht ge- stattet, sich ohne Einverständnis der Erziehungsberechtigten (und