R
echtsanwälte, Steuerberater und Notare wurden im Juli dieses Jah- res mit einer stolzen 21-prozenti- gen Steigerung ihres Vergütungsniveaus„bedient“, ergaben interne Berechnun- gen der von der Honorarsteigerung betroffenen Versicherungswirtschaft zu den Auswirkungen der BRAGO-Novel- le. Die Zahnärzte verhandeln mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung über eine No- vellierung der Amtlichen Gebühren- ordnung für Zahnärzte (GOZ). Die Tierärzte erhielten ein Angebot für eine als politisch dringlich angesehene An- hebung ihrer Gebühren. Die Gebühren- ordnung der Hebammen ist bereits an- gehoben worden. Demgegenüber wird die dringende GOÄ-Reform weiter auf die lange Bank geschoben.
Politische Beschwichtigungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, wonach eine Ak- tualisierung als notwendig erkannt scheint, und zugesagt wird, dass die GOÄ-Reform in unmittelbarem An- schluss an die GOZ-Novelle – voraus- sichtlich Ende 2005 – in Angriff genom- men wird, sind nur ein schwacher Trost angesichts eskalierender Rechtsstreite und Konflikte mit überbordenden Ho- norarprüfungen von Kostenträgern. Ins- besondere die Marktführer in der priva- ten Krankenversicherung (PKV), die großartige Erfolgsmeldungen über ihr verbessertes Ergebnis feiern, überzie- hen Ärzte mit Honorarkürzungen. Der Ton, der dabei in Schreiben an ihre Ver- sicherten angeschlagen wird, belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient; wohl wissend, dass der vor- geworfene Missbrauch weit überwie- gend auf Auslegungsschwierigkeiten der veralteten GOÄ und ihrer unsyste- matischen Fortschreibung beruht.
Der Ärzteschaft und letztlich auch den acht Millionen Privatversicherten und 14,7 Millionen Zusatzversicherten
wird die Abkopplung von der moder- nen Medizin zugemutet. Zudem sind die Ärzte auch von der wirtschaftlichen Ent- wicklung abgeschnitten. Für die vergan- genen 25 Jahre wurde ein Inflationsaus- gleich in Höhe von lediglich 13,6 Prozent gewährt, obwohl die gesamtwirtschaftli- che Entwicklung allein in den letzten zwölf Jahren (1991 bis 2003) 42 Prozent und die Erhöhung der Grundlohnsum- me im gleichen Zeitraum 27 Prozent betrugen. Der den Ärzten gesetzlich zu- gestandene magere Inflationsausgleich wurde dabei noch teilweise aus der Sen- kung der Vergütungen für Sachleistun- gen (Labor, Sonographie, Röntgen) fi- nanziert. Die Behauptung der Privat- assekuranz, die Ärzteschaft habe sich durch Ausweitung der Menge an ärztli- chen Leistungen den notwendigen wirt- schaftlichen Ausgleich geschaffen, ist nicht stichhaltig. Der erhöhte Leistungs- bedarf ist in erster Linie durch den Fort- schritt der Medizin, die demographische Entwicklung und die Besonderheiten des Privatklientel begründet. Selbst der gerade beschlossene EBM 2000plus für Kassenärzte ist nicht nur aktueller, son- dern zum Teil auch besser bewertet.
Wenig Unterstützung von der PKV
Von der PKV ist wenig Unterstützung für eine gemeinsame Initiative zur GOÄ-Weiterentwicklung zu erwarten.
Dies ist das Ergebnis mehrerer Verhand- lungsrunden der Bundesärztekammer mit dem PKV-Verband. Die Interessen- gegensätze der Verhandlungspartner zur jeweils als notwendig erachteten Steige- rung des Vergütungsniveaus sind zwar nachvollziehbar. Dass es jedoch bereits über Grundzüge einer GOÄ-Reform schwer überbrückbare Auffassungsun- terschiede gibt, ist erstaunlich, vor allem angesichts des Ziels der Bundesärzte-
kammer, durch die eigenständige Ge- staltung der Privatgebührenordnung die erforderliche Abgrenzung der PKV von der Gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) zu erhalten. Die Wahrung des eigenen Profils der PKV müsste ge- meinsames strategisches Ziel sein.
Während die Eckpunkte der Bundes- ärztekammer (siehe DÄ, Heft 10/2004) neben einer Aktualisierung auf der Grundlage eines international aner- kannten Klassifikationssystems eine mengenbegrenzende Neustrukturie- rung operativer Leistungen in Form ab- laufbezogener Fallkomplexe beinhal- ten, die den Arztbezug und damit die der Privatliquidation immanente indivi- duelle Patient-Arzt-Beziehung wahren, pocht der PKV-Verband auf eine Annäherung an GKV-Vergütungssyste- me. So will der PKV die stationären Leistungen in der GOÄ aus den DRG- Fallpauschalen entwickeln. Durch den vermeintlichen Vorteil einer „neutralen Institution“, des Instituts für das Ent- geltsystem im Krankenhaus (InEK), zur Weiterentwicklung der DRGs und der daraus zu entwickelnden GOÄ, ei- ner automatischen Aktualisierung im Schlepptau der DRG-Fortschreibung und einem geringeren Prüfaufwand wird das erhebliche Gefährdungspoten- zial einer solchen Lösung verdrängt.
Das PKV-Konzept führt zu fachüber- greifenden Fallpauschalen, die auf die beteiligten Arztgruppen verteilt werden müssen. Die Nähe zum DRG-Fallpau- schalensystem verwischt die spezifischen Unterschiede zwischen DRG-Fallpau- schalen und Privatliquidation. Sie stuft das Prinzip der individuellen Leistungs- erbringung auf eine Betrachtung des Durchschnittsfalls herab, überträgt alle Mängel des DRG-Systems auf die GOÄ und bereitet letztlich den Weg zur Ab- schaffung der spezifischen Liquidation auf eigener Rechtsgrundlage.
Das Konzept kommt dem vom Bun- desgesundheitsministerium präferierten Zuschlag zur DRG für die wahlärztliche Behandlung anstelle der GOÄ-Liquida- tion sehr nahe. Eine solche Pauschalver- gütung motiviert weder zur besonderen individuellen Behandlung für den dies erwartenden Privatpatienten, noch setzt sie innovative Impulse. Der Rechtferti- gungsdruck für die Daseinsberechtigung der PKV wird stärker. Renate Hess P O L I T I K
A
A3234 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4826. November 2004