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Archiv "Bereitschaftsdienste im Krankenhaus: Das Ende einer Hängepartie" (19.09.2003)

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m Dienstag, dem 9. September, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg endlich für Klarheit gesorgt und bestätigt, wo- mit alle Beteiligten seit dem 3. Oktober 2000 rechnen mussten: Beim ärztlichen Bereitschaftsdienst im Krankenhaus handelt es sich in vollem Umfang um Arbeitszeit – auch, wenn der Arzt sich in der Zeit, in der seine Arbeitskraft nicht beansprucht wird, an der Arbeitsstelle ausruhen darf. Bundeswirtschaftsmini- ster Wolfgang Clement kündigte bereits an, das Urteil „schnellstmöglich“ umzu- setzen und das deutsche Arbeitszeitge- setz an die maßgebliche europäische Ar- beitszeitrichtlinie 93/104 anzupassen.

Bis dahin gilt das Urteil zunächst nur für Ärzte mit öffentlich-rechtlichen Ar- beitsverträgen, weil europäische Richt- linien bei Verträgen mit privaten Arbeit- gebern nicht unmittelbar greifen.

De facto arbeiten derzeit viele Kran- kenhausärzte bis zu 80 Stunden in der Woche, weil sie Bereitschaftsdienste ab- leisten, die zwar als Ruhezeit eingestuft sind, in denen sie aber selten zur Ruhe kommen. Erlaubt sind (regelmäßig) nur 48 Wochenstunden. Dieser Ausbeutung ärztlicher Arbeitskraft haben die Lu- xemburger Richter nun einen Riegel vorgeschoben – aus arbeitsschutzrecht- lichen Gründen, wie sie betonen. Dass für geleistete Bereitschaftsdienste in Deutschland Freizeit- oder Vergütungs- ausgleich vorgesehen ist, sei für die Entscheidung unerheblich. Dement- sprechend hat das Urteil auch keinen Einfluss auf Vergütungsfragen. Erst wenn die Arbeits- oder Tarifverträge entsprechend geändert sind, haben die Arbeitnehmer einen unmittelbaren Rechtsanspruch darauf, dass ihre Be- reitschaftsdienste voll vergütet werden.

Da die Krankenhausärzte infolge des EuGH-Urteils nicht mehr so viel arbei- ten dürfen wie bisher, sind die Kranken-

häuser – trotz knapper Kassen – ge- zwungen, zusätzliche Ärzte einzustellen.

Mindestens 27 000, schätzt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), rund 15 000, meint der Marburger Bund. Da- bei können bereits heute mehr als 4 800 ärztliche Stellen in den Krankenhäusern nicht besetzt werden, weil geeignete Be- werber fehlen. „Wir können uns die feh-

lenden Ärzte doch nicht einfach schnit- zen“, klagte denn auch DKG-Präsident Dr. Burghard Rocke in den ARD-Ta- gesthemen. Klar ist aber, dass die Kran- kenhäuser umdenken müssen. Offene Arztstellen besetzen sich künftig nicht mehr von selbst. Daraus ergeben sich viel versprechende Perspektiven für die Ärzte: Sie können selbstbewusster ver- handeln, bevor sie ihren Arbeitsvertrag unterschreiben. Mit etwas Glück ist der dann sogar unbefristet.

„Vielleicht lassen sich ja bald viele Mediziner doch dazu bewegen, in die Patientenversorgung zu gehen, wenn sich die Arbeitsbedingungen sukzessive verbessern“, erinnerte Prof. Dr. Jörg- Dietrich Hoppe, Präsident der Bundes- ärztekammer, an die vielen Ärzte, die ihren Beruf derzeit nicht ausüben. Ein brachliegendes Potenzial. Zu denken ist dabei insbesondere an die rund 20 000

Ärztinnen, die nach Angaben des Deut- schen Ärztinnenbundes momentan we- gen der noch schlechten Rahmenbedin- gungen nicht ärztlich tätig sind. Fragen nach Hortplätzen oder Teilzeitstellen werden in den Vorstellungsgesprächen bald vielleicht kein Tabu mehr sein. Dar- über hinaus könnten wohl auch viele ins Ausland „geflüchtete“ Ärzte zur Rück- kehr nach Deutschland bewegt werden, wenn sich die Arbeitsbedingungen in den Kliniken bessern.

Gestritten wird noch darüber, wie die notwendige Einstellung des zusätzlichen Personals finanziert werden soll. Die DKG betont, dass die Krankenhäuser unter den Bedingungen gedeckelter Budgets nicht in der Lage sind, die Mehr- kosten zu schultern. Diese beliefen sich auf 1,75 Milliarden Euro jährlich. Ulla Schmidt verweist hingegen darauf, dass den Kliniken dafür in den Jahren 2003 und 2004 zusätzliche Finanzmittel in Höhe von bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung ständen. Im Rahmen der Ge- sundheitsreform sei eine Aufstockung um weitere 100 Millionen Euro jährlich vorgesehen. Ab dem Jahr 2009 stünden den Krankenhäusern somit zweckgebun- den für die Verbesserung der Arbeitszeit- bedingungen bis zu 700 Millionen Euro jährlich mehr zur Verfügung. Dies müsse reichen, meint die Ministerin. Schmidt sieht darüber hinaus Einsparpotenziale über die Einführung neuer Arbeitszeit- modelle, „wie sie bereits 40 Prozent der rund 2 240 Kliniken nutzen“. DKG-Prä- sident Rocke hält diese Zahl jedoch für viel zu hoch: „Krankenhäuser mit geeig- neten Arbeitszeitmodellen sind an einer Hand abzuzählen und nur an Standorten zu finden, an denen es genügend Ärzte gibt.“ Darüber hinaus seien die Einspar- potenziale über die Arbeitsorganisation marginal. Rocke: „Wer auf Arbeitszeit- modelle setzt, verkennt die Realität im Klinikalltag.“ Jens Flintrop P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3819. September 2003 AA2409

Bereitschaftsdienste im Krankenhaus

Das Ende einer Hängepartie

Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass Bereitschaftsdienste

auch in Deutschland zur Arbeitszeit zählen. Damit verschärft sich der Ärztemangel.

Die Krankenhäuser müssen umdenken.

Unterstützt vom Marburger Bund, hat er den Kampf durch die Instanzen gewonnen:

Dr. Norbert Jäger, Chirurg am Städtischen Krankenhaus Kiel.

Foto:ddp

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