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Archiv "Vor einem „Gesamtkonzept“ für die Soziale Sicherung" (01.12.1977)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Vor einem

„Gesamtkonzept"

für die

Soziale Sicherung

Für die Gesundheitspolitik hatten die Delegierten auf dem SPD- Parteitag in Hamburg gerade noch 40 Sekunden Zeit, für die Sozial- politik ganze 10 Sekunden mehr. Es war schon beschämend für eine Partei mit hohem sozialpolitischem Anspruch, daß Dutzende von Anträgen aus so bevölkerungsnahen Bereichen kurz vor Tores- schluß nach dem „K.-o.-System" abgehandelt wurden: Keine Dis- kussion, förmliche Abstimmung über die „Leitanträge", Überwei- sung des großen Restes an den Parteivorstand — jenes Gremium, mit dem die Basis zuvor in den Redeschlachten um Kernenergie, Schuß- waffengebrauch und Vollbeschäftigung um Punkt und Komma gefeilscht hatte.

Dennoch ist in Hamburg Mitte November sozial- und gesundheitspo- litisch Bemerkenswertes geschehen. Der Antrag 357, der die gesundheitspolitischen Leitsätze enthielt, ist mit kleineren Änderun- gen der Antragskommission in dem geschilderten Schnellverfahren verabschiedet worden. Nach demselben Verfahren beschlossen die 436 Vorstandsmitglieder und Delegierten über einen sozialpoliti- schen Grundsatzantrag, der zwar überwiegend Leerformeln enthält, aber doch an einigen Stellen Aufschluß über die nächsten Schritte im Terrain der sozialen Sicherung gibt.

Der ideologische Hintergrund, vor dem sich Sozialpolitik bei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abspielt, wird zudem deutlich aus den Diskussionen und Beschlüssen zur Beschäfti- gungspolitik: Die SPD — oder genauer: Die Basis, weniger die Regie- renden — zeigt immer deutlicher ihre Vorliebe für rätedemokratische Elemente, ein merkwürdiger Rückzug auf Vorstellungen aus dem vorigen Jahrhundert.

Weitaus aktueller als all das, was über eine dereinstige „Selbstver- waltung" im Gesundheitswesen und über künftige Räte beschlossen wurde, die die Beschäftigung steuern sollen, war das, was Herbert Wehner zu sagen hatte. Sein Bericht vor dem Parteitag wurde in der allgemeinen Presse kaum gewürdigt. Zu Unrecht: Denn Wehner kündigte nicht mehr und nicht weniger als „die größte Reform

Auf dem Hamburger Partei- tag der SPD kündigten Hel- mut Schmidt und Herbert Wehner ein völlig neues Gesamtkonzept zur Weiter- entwicklung der Sozialver- sicherung an.

Die „Gesundheitspoliti- schen Leitsätze" wurden — aus Zeitmangel ohne vor hergehende Diskussion vom Parteitag gebilligt.

Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2831

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Die Information:

Bericht und Meinung SPD-Parteitag

unseres Sozialversicherungssy- stems weit über die 57er hinausge- hend" an. Die SPD müsse ein überzeugendes Gesamtkonzept zur Weiterentwicklung der Sozial- politik erarbeiten und eine neue sozialpolitische Offensive vorbe- reiten. Sozial- und Gesellschafts- politik würden zunehmend in den Mittelpunkt der politischen Aus- einandersetzungen geraten. Und beim Wahlkampf 1980 würden sol- che Fragen eine existentielle Be- deutung für die Sozialdemokratie als Regierungspartei haben.

Der Hebel, mit dem die Sozialpoli- tik in Bewegung gesetzt werden soll, ist die Weiterentwicklung der sozialen Sicherung der Frau. Das Bundesverfassungsgericht hat ja dem Gesetzgeber zur Auflage ge- macht, Männer und Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Vorliegen gleicher versiche- rungsrechtlicher Tatbestände gleich zu behandeln. Dieser eigen- ständige Rentenanspruch der Frau wird, wenn man Herbert Wehner glauben kann, und man kann es, eine grundlegende Ände- rung des Rechtes der gesamten sozialen Sicherung in den näch- sten Jahren zur Folge haben. Auch Bundeskanzler Helmut Schmidt hat auf diese Konsequenz vor dem Parteitag hingewiesen und „mas- sive Änderungen" auf der Einnah- men- und Ausgabenseite ange- deutet.

Die Bundesregierung hat eine Kommission unter Anke Fuchs, der Staatssekretärin im Bundesar- beitsministerium, mit der Vorklä- rung dieser Fragen beauftragt. Die SPD hat eine eigene Arbeitsgrup- pe „Sozialpolitisches Programm 1980" eingerichtet; deren Vorsit- zender ist Herbert Wehner; sie hat ihre Tätigkeit bereits aufgenom- men und will ihre Vorschläge bis Dezember 1978 vorlegen. Wehner:

„Unser Ehrgeiz ist es nicht, Ge- räusch zu machen, sondern unse- rerseits Vorsorge zu treffen, daß die Arbeit der Regierungskommis- sion, der von unserer Fraktion Eu- gen Glombig zugehört, mit unse- ren Anregungen versorgt wird —

um es zurückhaltend auszudrük- ken." Hinter diesem Willen zur massiven Einflußnahme steckt of- fenbar auch Wehners Verärgerung über die vor und nach der letzten Bundestagswahl gelaufene Ren- tendiskussion. Wehner wäre es — das war in Hamburg herauszuhö- ren — offenbar lieber gewesen, wenn frühzeitig mit wahrheitsge- mäßen Zahlen operiert worden wäre.

Auflebende Diskussion um die Einheitsversicherung Eugen Glombig, Wehners Mann in der Regierungskommission, hat kurz nach dem SPD-Parteitag der Deutschen Presse-Agentur ein In- terview gegeben, in dem er sich zu den inhaltlichen Fragen, die bei der Neukonzeption der Sozialpoli- tik anstehen, geäußert hat. Danach und deutlicher noch einigen An- trägen auf dem SPD-Parteitag zu- folge, wird eine der wesentlichen Fragen jene nach der Einheitsver- sicherung sein — wie immer das Kind auch heißen wird. In Ham- burg wurde (innerhalb des er- wähnten sozialpolitischen Leitan- trags) bereits beschlossen, die SPD trete dafür ein, „die gesamte Bevölkerung in den Schutz der Sozialversicherung einzubezie- hen". Die SPD wünscht eine „Ge- samtreform" der Altersversorgung mit dem Ziel „größerer Transpa- renz und Gerechtigkeit" in und zwischen den einzelnen Versor- gungssystemen. In einem anderen Antrag (des Ortsvereins Kiel-Süd), der von der Antragskommission mit einem positiven Votum verse- hen und lediglich aus den ein- gangs geschilderten formellen Gründen an den Parteivorstand überwiesen wurde, wird die „Zu- sammenfassung der Renten- und Altersversorgung, der Kranken- und Unfallversicherung unter ei- nem gemeinsamen Dach bei Be- rücksichtigung regionaler und struktureller Besonderheiten" ge- fordert.

Man sieht — die Regelung der Al- tersversorgung der Frau wird sich

nicht auf eine isolierte Behand- lung dieses Komplexes beschrän- ken, sondern zu einer grundlegen- den Systemveränderung der so- zialen Sicherung und so nebenbei auch zu einem neuen sozialpoliti- schen Programm der SPD führen.

Und das bis 1980!

Demgegenüber wird es noch gute Weile haben, ehe die „Gesund- heitspolitischen Leitsätze" auch nur ansatzweise realisiert werden könnten. Einstweilen soll es „Mo- dellversuche" geben mit dem „in- tegrierten System", sprich: dem Verbund von Praxen, Krankenhäu- sern, MTZ und zentralen Informa- tionssystemen. Eine Übernahme des geschlossenen Modells des Systems der „regionalen Selbst- verwaltung", die das Angebot an medizinischer Versorgung steuern soll, erscheint bei der heutigen po- litischen Machtverteilung in und zwischen Bund und Ländern da- gegen kaum machbar. Auch in der SPD ist das „Selbstverwaltungs"- Modell umstritten. Deshalb dürfte die diskussionslose Verabschie- dung der Gesundheitspolitischen Leitsätze den Parteigenossen, die dahinterstehen, im Grunde ganz lieb gewesen sein. Bei genügen- der Zeit zur Diskussion hätte es allzu leicht zu einer Grundsatz-De- batte kommen können, deren Aus- gang möglicherweise nicht ganz im Sinne der Protagonisten gewe- sen wäre. Vom Landesverband Berlin jedenfalls lag ein (offenbar von Ernst Paetzoldt veranlaßter) Antrag vor, wegen „der tiefgrei- fenden Veränderungen der bishe- rigen Strukturen der Gesundheits- versorgung weitere Überlegun- gen" anzustellen. Die Berliner wollten „das vorgeschlagene Mo- dell der Selbstverwaltung in enger Zusammenarbeit mit den politisch Verantwortlichen im Gesundheits- wesen" überprüfen lassen. Über das Ergebnis dieser Prüfung sollte dann später einem Parteitag be- richtet werden. Ein solcher Be- schluß hätte die bindende Wir- kung der „Leitsätze" für die Partei praktisch für längere Zeit außer Kraft gesetzt. Um eine solche De- batte sind Friedel Läpple von der

2832 Heft 48 vom 1. Dezember 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

Gesundheitspolitischen Kommis- sion beim Parteivorstand und Dr.

med. Fritz Cremer von der Arbeits- gemeinschaft der Sozialdemokra- ten im Gesundheitswesen gut her- umgekommen. Sie haben jetzt ihr Modell; und für sie ist die Verab- schiedung zweifellos ein großer Erfolg (Näheres dazu in Heft 45/

1977: „Der Marsch der Gesund- heitsarbeiter durch die Partei-In- stitutionen"; die „Leitsätze" wer- den in einem der nächsten Hefte dokumentiert.).

Ein Erfolg des „linken Flügels", wenn man so will. Denn die Partei- oberen standen bislang nur halb- herzig hinter ihrer Gesundheits- kommission und deren Sandka- stenspielen. Immerhin paßt die Selbstverwaltung „Modell Ge- sundheit" ideologisch gut zu den — ebenfalls von „links" ausgehen- den — Beschlüssen des Parteitages zur Beschäftigungspolitik. Was der Parteitag dazu nach einer hef- tigen Debatte verabschiedete, stand in auffallendem Gegensatz zum marktwirtschaftlichen Credo, das Bundeskanzler Helmut Schmidt zuvor in seiner ,Grund- satz`-Rede abgegeben hatte.

Wenn es um Beschäftigung geht, dann scheint die Basis gesonnen, von der Marktwirtschaft abzuge- hen. Der Parteitag proklamierte mehrfach das Recht auf Arbeit.

Und einer der Delegierten formu- lierte völlig richtig, daß dieses Recht in unserem bisherigen Wirt- schaftssystem in letzter Konse- quenz nicht durchsetzbar ist. Dazu bedarf es eines mit Eingriffsrech- ten ausgestatteten Staates, der

„verteilt".

Wirtschaftslenkung durch „Räte"

Das hat zwar die SPD in Hamburg keineswegs beschlossen, doch sie hat sich für Zwischenformen aus- gesprochen. In Hamburg flammte

— immer unter der Devise Vollbe- schäftigung — wiederum die Dis- kussion um „Investitionslenkung"

auf. Das Reizwort selbst, das vor zwei Jahren beim Mannheimer Parteitag der SPD für Aufsehen gesorgt hatte, wurde in Hamburg

zwar vermieden, aber in der Sache ging es eben darum. Die SPD for- derte zum Beispiel — und das ist als Vorstufe zur „Investitionslen- kung" verstanden — eine Melde- pflicht für Investitionsplanungen, eine Meldepflicht für Personal- planungen und dazu eine ganze Reihe von „Räten". Zunächst nur mit anhörendem, beratendem und koordinierendem Charakter. Doch Wolfgang Roth, ehedem Vorsit- zender der Jungsozialisten, in Hamburg Berichterstatter für den Bereich Wirtschafts- und Beschäf- tigungspolitik, versicherte, mit die- sen Räten befinde man sich auf dem richtigen Weg.

Ein „Strukturrat der öffentlichen Hand" soll Konjunktur- und Fi- nanzpolitik mit Strukturpolitik in Einklang bringen. Die Konzertierte Aktion beim Bundeswirtschaftsmi- nister soll zu einem „Strukturrat der sozialen Gruppen" weiterent- wickelt werden, der die Meinungs- bildung „der gesellschaftlichen Gruppen zum Strukturwandel und eine bessere Abstimmung zwi- schen staatlicher Wirtschaftspoli- tik und privaten Unternehmens- planungen" besorgen soll. Als neues Instrument der Konjunktur- und Beschäftigungspolitik schlägt die SPD überdies Investitionsrück- lagen der Unternehmen vor, die in einem Fond bei der Deutschen Bundesbank eingebracht werden sollen. Über die Einlagen soll auf Vorschlag der Bundesregierung ein „Konjunkturrat für die öffentli- che Hand" befinden.

In der SPD werden solche, die freie Entscheidung der wirtschaf- tenden Unternehmer und Selb- ständigen berührenden Beschlüs- se mit den Notwendigkeiten einer arbeitnehmer-orientierten Politik begründet. Die SPD sei nun einmal mehrheitlich eine Arbeitnehmer- partei, so meinte Willy Brandt in seinem Schlußwort. Die Bedeu- tung der Selbständigen in unserer Gesellschaft wolle er damit freilich gar nicht verkennen.

Der Vorsitzende der Arbeitsge- meinschaft der Selbständigen in der SPD hatte auf dem Parteitag

freilich beklagt, daß die Partei auf seine Getreuen nicht ausreichend Rücksicht nimmt. Dieses Monitum hatte Hans Koschnick, den Bremer Bürgermeister und stellvertreten- den Parteivorsitzenden, zu einer energischen Gegenrede veranlaßt:

Die Selbständigen hätten durch- aus Raum in dieser Partei, ja die SPD sei seit Bebels Zeiten auch eine Partei der Selbständigen!

Freilich — mehrere Anträge, die die Selbständigen und die freien Be- rufe insbesondere zum Gegen- stand hatten, zeugten nicht gerade für sonderliches Verständnis für die spezifische Situation dieser Gruppe. Immerhin, einem Antrag zufolge soll jetzt vom Parteivor- stand auch an einem Selbständi- genprogramm gearbeitet werden.

Vertrauensbeweis für Walter Arendt

Die Vorstandswahlen brachten (über das hinaus, was schon in der allgemeinen Presse zu lesen war) ein bemerkenswertes Ergebnis:

Walter Arendt, der frühere Arbeits- minister, erzielte mit 401 Stimmen eines der besten Stimmenergeb- nisse dieses Parteitages. Sein ehe- maliger Mitarbeiter und jetziger Nachfolger Dr. Herbert Ehrenberg kam auf 280 Stimmen (immerhin einige mehr als 1975, als er im zweiten Wahlgang mit 261 Stim- men durchkam). Der Parlamentari- sche Staatssekretär im Bundesar- beitsministerium Hermann Busch- fort wurde mit 259 Stimmen (1975:

241 Stimmen) in den Parteivor- stand wiedergewählt. Bundesge- sundheitsministerin Antje Huber kam auf 242 Stimmen (1975 waren es 250 Stimmen im zweiten Wahl- gang), auch das reichte noch für den Parteivorstand. Friedel Läpple blieb gleichfalls im Vorstand: mit 229 Stimmen (gegenüber 269 Stimmen im Jahr 1975).

Walter Arendt hat übrigens dieses überraschend gute Wahlergebnis sichtlich Auftrieb gegeben. Wie je- der Beobachter der Szene feststel- len konnte, hatte er nach der Wahl wieder viele Freunde.. .

Norbert Jachertz

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2833

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