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Archiv "Der Sachverständige im Recht der sozialen Sicherung" (07.11.1974)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KOMPENDIUM

In der Rechtsprechung und im juri- stischen Schrifttum ist es seit jeher üblich, den gerichtlichen Sachver- ständigen als „Gehilfen des Rich- ters" zu bezeichnen. Das hat sich unter Juristen so fest eingebürgert, daß sich kaum noch jemand Ge- danken macht, ob diese Bezeich- nung der Stellung des Sachver- ständigen auch wirklich gerecht wird. Tatsächlich ist der Ausdruck schief. Er führt Zu Mißverständnis- sen.

Sachverständiger

als medizinischer Berater

Es wird übersehen, daß Gutachten nicht nur in Rechtsstreiten einge- holt werden. Vielmehr werden sie in weit größerer Anzahl im Verwal- tungsverfahren erstattet, längst be- vor an einen Rechtsstreit zu den- ken ist; in den weitaus meisten Fäl- len kommt es gar nicht zum Rechtsstreit. Schon im Verwal- tungsverfahren sind aber Mediziner mit der gleichen Aufgabe betraut wie im Rechtsstreit der gerichtli- che Sachverständige: Sie haben bestimmte medizinische Fragen zu beantworten, auf die es zur Ent- scheidung über einen Leistungsan- spruch ankommt.

Diese Mediziner in Anlehnung an das Wort „Richtergehilfen" etwa

„Beamtengehilfen" zu nennen wäre nicht nur kurios, sondern gin- ge an ihrer Stellung in der Verwal- tung vollkommen vorbei. Der im Verwaltungsverfahren tätige Medi- ziner ist Teil dieser Verwaltung

selbst. Das Recht der sozialen Si- cherung setzt wie wohl kaum ein anderes Rechtsgebiet gerade in- nerhalb des Verwaltungsbereichs eine möglichst enge Zusammenar- beit mit Medizinern voraus mit dem Ziel, aus dem Fächer der mannig- faltigen Sozialleistungen die für den betroffenen Menschen sozial beste und wirkungsvollste Lösung zu suchen.

Der Jurist, auf dem weiten Gebiet der Medizin nicht sachkundig, ist gezwungen, sich vom Mediziner sachverständigen Rat zu holen.

Dieser Sachlage entspricht es eher, den Sachverständigen nicht

„Richtergehilfen", sondern, je nachdem ob er im Verwaltungsver- fahren oder im Rechtsstreit tätig ist, „Berater der Verwaltung oder des Richters" zu nennen.

Als medizinischer Berater ist der Arzt einbezogen in die Lösung ei- nes bestimmten Rechtsfalles. Er hat nicht selbst zu entscheiden, aber er hat mit seinem Fachwissen und seinen Erfahrungen däzu bei- zutragen, daß der Jurist die Lösung des Falles findet. Diese Aufgabe, Berater des Juristen zu sein, kann der Mediziner nur schwer erfüllen, wenn ihm juristisches Denken fremd bleibt, wenn er sich nicht in juristische Gedankengänge hinein- zuversetzen vermag. Als Sachver- ständiger muß er sich dem juristi- schen Begriffssystem anpassen.

Wem das nicht gelingt oder wer das gar ablehnt, wird das Ziel der medizinischen Begutachtung nur

Ärzte und Juristen müssen gemeinsam dazu beitragen, daß sich die dringlichste al- ler Sozialleistungen in der sozialen Praxis durchsetzt:

die individuell angepaßte, sinnvoll geplante und ausge- staltete Rehabilitation. Bei seiner Gutachtertätigkeit darf sich der Arzt nicht auf außer- medizinische Sachgebiete drängen lassen. Gleichzeitig muß er sich aber auch dem juristischen Begriffssystem anpassen. Manches Mißver- ständnis ließe sich vermei- den, wenn sich Juristen und Mediziner über die Verschie- denheit ihrer Denkweise im klaren wären.

allzuleicht verfehlen. Sicherlich lie- ße sich manches Mißverständnis vermeiden, wenn sich Juristen und Mediziner über die Verschiedenheit ihrer Denkweise im klaren wären.

Grenzen des Gutachtenauftrages

— „non liquet"

Der Arzt Witter hat berechtigt her- be Kritik an den Juristen geübt. Er wendet sich mit Recht dagegen, daß die Erkenntnis, die der Arzt aus Forschungsergebnissen und mehr noch aus dem täglichen Um- gang mit leidenden Menschen ge- winnt, „durch lebensfremde, ab- strakte, logisch-rationale Konstruk- tionen am grünen Tisch völlig er- stickt wird". Der Jurist, gewohnt von Rechtsbegriffen und abstrak- ten Rechtskonstruktionen auszuge- hen, gerät leicht in Versuchung, die Wirklichkeit des Lebens vom

„grünen Tisch" erfassen zu wollen.

In seinem Bestreben, die Wahrheit für den Einzelfall zu finden, erwar- tet er eine Antwort auf alle Fragen, die er für rechts-erheblich hält.

Und dabei geschieht es gelegent- lich, daß er vom Mediziner etwas verlangt, was dieser ihm unmöglich geben kann.

Der Sachverständige im Recht der sozialen Sicherung

Günter Hennies

Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Berlin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 45 vom 7. November 1974 3245

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Ärztliche Gutachten

Diese Spannung läßt sich nur da- durch lösen, daß der Arzt dem Juri- sten die Grenzen der medizini- schen Erkenntnis aufzeigt. Der me- dizinische Sachverständige darf sich nicht, nur weil er befragt wird, eine Antwort abringen, die wissen- schaftlich nicht stichhaltig ist. Er muß die Grenzen seiner Wissen- schaft deutlich machen und offen zugeben, wenn sich eine Beweis- frage nicht oder nicht genau beant- worten läßt. Er darf und muß sich unter Umständen zu einem „non li- quet" bekennen. Er soll sich seiner Aufgabe, auf die Beweisfragen Ant- wort zu geben, nicht ohne Not ent- ziehen, muß alle Möglichkeiten zur Klärung ausschöpfen, er darf aber nicht seine Wissenschaft beugen.

Wer Gutachten liest, wird nicht sel- ten finden, daß es ehrlicher gewe- sen wäre, wenn der Sachverständi- ge erklärt hätte: „Ich weiß es nicht." Der Jurist muß ein solches

„non liquet" hinnehmen und seine juristischen Schlüsse daraus zie- hen. Er hat die Grenzen seiner Pflicht zur Sachaufklärung er- reicht.

In solchen Fällen sollten, wenn ir- gend möglich, Juristen und Medizi- ner gemeinsam nach einer Lösung suchen. Es bietet sich folgender Weg an: Der Sachverständige er- klärt offen, wenn er eine Beweisfra- ge nicht beantworten kann, gibt aber zugleich zu bedenken, ob es sinnvoll wäre, die Frage anders, nämlich so zu stellen, daß er Ant- wort geben könnte. Er versucht also, der Beweisfrage eine andere Richtung zu geben, die nicht beim

„non liquet" endet; der Richter muß dann entscheiden, ob diese Richtung für ihn rechtserheblich ist.

Unbehagen

an der Begutachtung

Diese Betrachtung leitet über auf ein Gebiet, auf dem besonders vie- le Fehlerquellen von Gutachten und darauf fußenden richterlichen Urteilen zu finden sind. Die Sozial- gesetze enthalten keine rein medi-

zinisch zu beurteilenden Tatbe- stände, mag man dabei an Begriffe wie Arbeitsunfähigkeit, Berufsunfä- higkeit, Erwerbsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit denken. Die Aufgabe des Medizi- ners als Sachverständigen berührt das Verhältnis Mensch/Krankheit/

Arbeit.

Im Sozialrecht ist Leistungsfähig- keit, dem Schutzzweck des Geset- zes entsprechend, immer nur im Blick auf Arbeit rechtserheblich.

Erwerbsfähigkeit bedeutet — ver- einfacht erklärt — die Fähigkeit, Arbeitskraft im Erwerbsleben wirt- schaftlich zu verwerten. Dieser Be- griff überschreitet den „Kompe- tenzbereich der medizinischen Wissenschaft und der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit". Leistungsfä- higkeit und Erwerbsfähigkeit sind zwei sich überschneidende Kreise.

Ein besonders augenfälliges Bei- spiel für einen schwer zu fassen- den rechtlich-medizinisch-soziologi- schen Mischtatbestand ist der Be- griff der Berufsunfähigkeit. Das Ur- teil über die Leistungsfähigkeit für bestimmte Berufstätigkeiten setzt voraus, daß der medizinische Sachverständige die Merkmale die- ses Berufs kennt.

Die Schwierigkeiten liegen schon darin, daß Fragen zum Beruf weder in das medizinische noch in das ju- ristische Gebiet fallen. Gewiß gibt es Berufe, über die sich jedermann nach seinen Lebenserfahrungen ein entsprechendes Bild machen kann. Auch bieten einige Sammlun- gen zur Berufskunde einen Anhalt, namentlich die — allerdings noch nicht vollständigen — Blätter „Ak- tuelle ärztliche Berufskunde"*). Bei zahlreichen Berufen liegt aber nicht offen zutage, welche körperli- chen und geistigen Anforderungen sie stellen. Gar zu leicht wird die eigene Lebenserfahrung über- schätzt.

Der Mediziner ist kein Sachver- ständiger für allgemeine Fragen zum Erwerbsleben. Medizinische Sachverständige wissen von Be- rufskunde wohl kaum mehr als So-

zialjuristen, wenn sie nicht umfas- sende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin erworben haben. Trotzdem fragen Richter den Mediziner unbeküm- mert danach, ob die dem Versi- cherten verbliebene Leistungsfä- higkeit für Tätigkeiten, wie bei- spielsweise als Drucker, Falzer, For- mer, Kernmacher, Einrichter, aus- reicht. Und der Sachverständige gibt darauf sogar Antwort, obwohl ihm ebensowenig wie dem Richter bekannt ist, welche Tätigkeiten in diesen Berufen auszuführen sind.

Schellworth hat mit Recht gewarnt:

Die Antwort auf außermedizinische Fragen bezahlt der Sachverständi- ge gar zu leicht mit einem Presti- geverlust, gar zu leicht auch nimmt sein ärztliches Ansehen Schaden.

Er darf es sich nicht gefallen las- sen, auf außermedizinisches Ge- biet gedrängt zu werden.

Sofern eine Sachkunde und sei- ne Erfahrungen nicht ausreichen, kann und muß er jede Antwort ab- lehnen. Er sollte beim Auftraggeber des Gutachtens anregen, erst die noch offenen außermedizinischen Tatfragen, zum Beispiel auf berufs- kundlichem Gebiet, zu klären. Die Aussage des Mediziners be- schränkt sich auf den Ausschnitt, der die medizinische Wissenschaft berührt, also darauf, dem Juristen das aktuelle Leistungsbild des Ver- sicherten darzustellen und mit ei- ner Leistungsprognose zu verbin- den.

Diese Beschränkung ist um so not- wendiger, als der Gesetzgeber durch vielfältige Begriffe zur Er- werbsfähigkeit erhebliche Verwir- rung gestiftet hat. Wer als Versor- gungsberechtigter mit einer Minde- rung der Erwerbsfähigkeit von hun- dert Prozent anerkannt ist, muß längst nicht berufsunfähig, ge- schweige denn erwerbsunfähig im Sinne der Rentenversicherung sein. Ebensowenig sagt die Aner- kennung als Schwerbehinderter et- was über Berufsunfähigkeit aus.

*) Beilage zur Zeitschrift „Arbeitsmedi- zin, Sozialmedizin, Präventivmedizin"

— ASP

3246 Heft 45 vom 7. November 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Ärztliche Gutachten

Minderung der Erwerbsfähigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Dienstunfähig- keit, Berufsunfähigkeit, Erwerbs- unfähigkeit sind verschiedene Be- griffe mit grundverschiedenem In- halt; man kann nicht ohne weiteres von einem auf den anderen schlie- ßen. Gutachten auf den einzelnen Rechtsgebieten geben untereinan- der allerdings insofern einen An- halt, als sie medizinische- Erwägun- gen zum Ausmaß der körperlichen oder geistigen Leistungseinbuße erkennen lassen.

Das Gebiet der eigenen Wissen- schaft nicht zu verlassen ist für den Sachverständigen nicht zuletzt auch deswegen notwendig, weil er medizinisch ohnehin erhebliche Schwierigkeiten zu meistern hat.

Trotz aller technischer Untersu- chungsmethoden gibt es keine ein- wandfreie Methode, die vorhande- ne Leistungsbreite und Belastbar- keit eines Menschen zu messen, mit einer „Normalleistung" in Ver- gleich zu setzen und außerdem noch eine Leistungsprognose zu stellen.

Dabei taucht schon die Frage auf, wonach denn nun eigentlich die

„Normalleistung" zu bestimmen ist.

Der Gesetzgeber geht von der Existenz einer Art idealer Ver- gleichsperson aus, setzt ein Stan- dardmaß an Leistungsfähigkeit und läßt die unbezweifelbare Tatsache der enormen individuellen Unter- schiede jedweder geistigen und kör- perlichen Fähigkeiten unberück- sichtigt. Die Schwierigkeiten wer- den noch dadurch verstärkt, daß das Leistungsbild mit Hilfe tech- nischer Untersuchungsmethoden zwar aufgehellt werden kann, der tatsächliche Leistungsabfall aber ebensowenig wie Krankheit exakt meßbar ist; es vermischen sich vielfältige somatische, psychische und soziale Bedingungen.

Wer das alles erkennt, wird einräu- men müssen, daß gutachtliche Be- urteilungen bei allem Bemühen um Objektivität sehr wesentlich auch den eigenen subjektiven Kenntnis-

und Erkenntnisgrenzen des Sach- verständigen entspringen. Selbst- kritisch wird von ärztlicher Seite auf den „beträchtlichen Ermes- sensspielraum" und auf „viel Sub- jektivität" hingewiesen, vor allem soweit die Leistungsfähigkeit eines Menschen zu beurteilen ist (Eg- genweiler). Der Sozialmediziner Scharfer spricht sogar vom „ho- hen Maß Willkür". Auf jeden Fall fließen neben den naturwissen- schaftlich meßbaren auch rational nicht begründbare Entscheidungen ein. Daher wird medizinischen Gut- achten ein mehr oder weniger gro- ßes Maß an Unsicherheit anhaften.

Das aber übersehen Juristen leicht bei ihrem Streben nach möglichst vollkommener Gewißheit. Sie ma- chen sich die naturgegebene Unsi- cherheit medizinischer Einsichten nicht hinreichend bewußt und nei- gen dazu, Gutachten einen zu ho- hen Grad von Gewißheit beizumes- sen.

Der Sachverständige muß sich des- halb auch hüten, seine Erkennt- nisse für sicherer hinzustellen, als sie sind. Da der Grad an Gewißheit nicht selten von dem abweichen wird, den der Jurist zu der ihm ob- liegenden Beweisführung braucht, wird sich ein Rest von Unbehagen an der medizinischen Begutach- tung wohl kaum jemals beseitigen lassen.

Besinnung auf die eigentlich ärztlichen Aufgaben

Man hört immer wieder, der medi- zinische Sachverständige habe die wesentliche Aufgabe des ärztlichen Berufes, zu helfen und zu heilen, nicht zu erfüllen. Diese Binsen- wahrheit ist gewiß richtig, und doch liegt das Helfen und Heilen dem Sachverständigen nicht ferner als Medizinern anderer Bereiche.

Er hat auch typisch ärztliche Auf- gaben zu erfüllen, allerdings nicht in dem Sinne, daß er dem „Gutach- tenpatienten" ein falsch verstande- nes „Wohlwollen" entgegenbringt mit dem Ziel, ihm zur Rente zu

verhelfen. Vom Arzt, der helfen und heilen will, wird einseitiges Enga- gement für seinen Patienten erwar- tet; vom unparteiischen, möglichst objektiv urteilenden Sachverständi- gen dagegen mehr abwägende Di- stanz. Dennoch kann auch der Sachverständige seine Aufgaben auf dem weiten Gebiet der sozialen Sicherung nicht ohne Engagement als Arzt erfüllen.

Wer den Einfluß medizinisch gut- achterlicher Beurteilungen auf das Lebensschicksal von Menschen sieht, wird die Gutachtertätigkeit mit Holldack zur „ärztlichen Kunst"

rechnen. Die Begutachtungskunde ist keine Tochter der Pathologie.

Sie ist ein Zweig der Sozialmedi- zin, die sich mit dem Menschen in der Gemeinschaft beschäftigt. Die- se Beschäftigung greift in Men- schenleben ein. Man braucht sich nur daran zu erinnern, welchen Einfluß die Aussage des medizini- schen Sachverständigen auf die Entwicklung seelisch-geistiger Fehlhaltungen nehmen kann. Auch die ärztlichen Erfahrungen bei- spielsweise mit Infarktpatienten, Anfallskranken oder mit Tumorlei- denden haben gelehrt, wie notwen- dig es ist, die Patienten zu einer möglichst aktiven Lebensweise zu bringen.

Einfluß auf das Lebensschicksal nimmt aber nicht nur das medizini- sche Gutachten, sondern ebenso die auf ihm aufbauende juristische Entscheidung. Sie kann unter Um- ständen wesentlich dafür sein, ob dieser Mensch in seiner Fehlhal- tung versinkt und Heilungschancen verbaut werden oder ob er wieder dazu gebracht wird, aus eigener Kraft zu leben und zu arbeiten. Sie kann subjektive Beschwerdebilder und subjektives Krankheitsempfin- den verstärken oder abschwächen, kann den Gesundungswillen för- dern oder hemmen. Sie kann Wege zur Heilung oder Besserung aufzei- gen oder erschweren, ja vielleicht sogar endgültig verbauen.

Zu den echten ärztlichen Aufgaben des Sachverständigen gehört es

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 45 vom 7. November 1974 3247

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Ärztliche Gutachten

daher vor allem auch, innerhalb der Grenzen des Gutachtenauftra- ges nach Wegen zu dem Ziel zu suchen, den durch Leiden oder Krankheit aus der Bahn geworfe- nen Menschen wieder in das Ge- sellschafts- und Arbeitsleben ein- zugliedern.

Rehabilitation als ärztliche Aufgabe Nach dem klaren Gesetzesplan al- ler Zweige der Sozialversicherung soll in den zur Rehabilitation ge- eigneten Fällen „Rentendenken"

möglichst im Kern erstickt werden.

An erster Stelle steht mit Vorrang das wichtigste Ziel: Gesundheit wiederherzustellen, diesen Men- schen möglichst wieder sozial ein- zugliedern und ihm zu helfen, seine Fähigkeiten und Kräfte zu entfal- ten. Damit ist nicht gemeint, was man heute mit dem verlockenden Wort „Sozialkur" umschreibt, son- dern es geht um den weiten Be- reich der vielfältigen Maßnahmen zur gesundheitlichen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Gera- de in diesem Bereich können durch medizinische Gutachten ent- scheidende Weichen für das weite- re Lebensschicksal des Patienten gestellt werden.

Der Beginn liegt im Verwaltungs- verfahren beim Versicherungsträ- ger. Ein Rentenantrag kann letztes Alarmzeichen sein, sich Gedanken über die Rehabilitation zu machen.

In dem sonst anonymen Verwal- tungsverfahren ist es der zum me- dizinischen Berater berufene Arzt, der dem Antragsteller persönlich gegenübertritt. Er ist es auch, den eine besondere, typisch ärztliche Verantwortung trifft. In geeigneten Fällen ist es seine Aufgabe, für die rechtzeitige, schnelle, möglichst unbürokratische Einleitung plan- mäßiger Rehabilitationsmaßnah- men zu sorgen und auf diese Wei- se zu verhindern, daß es überhaupt erst zum Rentenkampf kommt.

Wie wir aus zahlreichen Fällen wis- sen, stehen Rentenkampf und Ren- te einer wirkungsvollen Rehabilita-

tion im Wege. Es gibt in der gericht- lichen Praxis immer wieder schlim- me Beispiele, in denen ursprüng- lich vorhandene Aussichten auf eine möglicherweise erfolgreiche Rehabilitation im Laufe langdau- ernder Rechtsstreite mehr und mehr verschüttet worden sind.

Was bisher schon als allgemeiner Rechtsgrundsatz gegolten hat, be- stimmt jetzt das kürzlich verkünde- te wichtige Gesetz über die Anglei- chung der Leistungen zur Rehabili- tation vom 7. August 1974 im § 7 ausdrücklich: Renten wegen Min- derung der Erwerbsfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit sollen erst bewilligt werden, wenn zuvor Maßnahmen zur Rehabilitation durchgeführt worden sind oder wenn, insbesondere wegen Art oder Schwere der Behinderung, ein Erfolg solcher Maßnahmen nicht zu erwarten ist. Daher muß der Weg vom Rentenantrag her zu- nächst einmal zu der Frage führen, ob dem durch Krankheit leistungs- geminderten Versicherten auf an- dere Weise als durch Rente gehol- fen werden kann.

Die gleiche ärztliche Verantwor- tung liegt aber auch beim gerichtli- chen Sachverständigen, ganz be- sonders dann, wenn er im An- fangsstadium des Rechtsstreits tä- tig wird.

Ärzte und Juristen müssen gemein- sam dazu beitragen, daß sich in der sozialen Praxis unserer Zeit durchsetzt, was vorrangig zur Ren- te die dringlichste Sozialleistung ist: Die individuell angepaßte, sinn- voll geplante und ausgestaltete Rehabilitation, angefangen von der notwendigen ärztlichen Behand- lung über die soziale Betreuung bis hin zur Vermittlung eines Ar- beitsplatzes.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Günter Hennies 1 Berlin 37

Johannesstraße 12a

ECHO

Zu: „Vernachlässigung jun- ger Kinder" von Prof. Dr.

med. Ulrich Köttgen, in Heft 37/1974, Seite 2648 ff.

„Den gravierenden Vorwurf, daß den vielerorts zu beob- achtenden schweren Ver- nachlässigungen kleiner Kin- der zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt und für Abhilfe ge- sorgt wird, erhob das DEUT- SCHE ÄRZTEBLATT, das Fachorgan der Bundesärzte- kammer. Mit Sicherheit dürfe angenommen werden, daß die Anzahl von Vernachlässi- gungen noch ‚erheblich' über der von Kindesmißhandlun- gen läge, deren Zahl ,er- schreckend viel höher ist, als allgemein angenommen wird'. Dabei seien auch die Folgen von Vernachlässigun- gen oft schwerwiegend. Eine ,gebrochene Kindheit' wirke sich auf das ganze fernere Leben, ja auf die nächste Ge- neration aus. In seinem Auf- satz beklagte der Mainzer Professor Dr. Ulrich Köttgen die oft ,sehr unbefriedigende Zusammenarbeit' der Sozial- arbeiterinnen mit dem Ge- sundheitsamt. Das aktive Aufspüren und spontane Auf- suchen von Mißständen liege im argen. Was die Umwelt der betroffenen Kinder ange- he, so meint Professor Kött- gen, sei hier die Situation ähnlich wie bei Kindesmiß- handlungen, die häufiger von Nachbarn registriert oder zu- mindest vermutet würden, ohne daß dies eine Reaktion auslöse ..."

(Braunschweiger Zeitung und viele andere Tageszeitungen)

3248 Heft 45 vom 7. November 1974 DEUTSCHES ÄRZTE BLATT

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