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er leitende Arzt der medizinischen Klinik in Sundsvall musste im März 2004 vor laufenden Kameras der Sendung „Uppdrag granskning“(Politikmagazin des staatlichen schwedi- schen Fernsehens) erklären, warum sei- ne Abteilung einen so geringen Anteil Herzinfarktpatienten koronarangiogra- phiert. Hintergrund war der neueste Be- richt des Schwedischen Registers für Herzintensivstationsbehandlung (RIKS-HIA), in dem die Daten schwedischer Krankenhäuser für Herzinfarktpatienten gesammelt werden, die auf den Intensivsta- tionen des Landes behandelt wur- den. Die Daten reichen von Pati- entenalter, Infarkttyp,Art der Re- vaskularisierung (Thrombolyse, primäre PTCA), Anwendung von unterschiedlichen Medikamen- tenklassen bis hin zur Mortalität der Patienten.
Der RIKS-HIA-Report wird dann von Fach- und Publikums- medien aufgegriffen und mehr oder minder sachlich kommen- tiert. Mancher verantwortliche Arzt muss sich in den Tagen nach der Veröffentlichung vor Kolle- gen, Krankenhausleitungen, Poli- tikern und Journalisten rechtferti- gen, warum seine Abteilung eine 1-Jah- res-Mortalität von 20 Prozent nach aku- tem Infarkt hat, während das Kranken- haus in einer anderen Stadt nur eine von fünf Prozent aufweist. Dabei lebt das schwedische „Schreckgespenst“ der Un- gleichbehandlung auf, wenn zum Bei- spiel die Rate der Primär-PTCA bei ST- Hebungsinfarkt zwischen Krankenhäu- sern und Regionen zwischen null und 80 Prozent schwankt. Dieses muss man vor dem Hintergrund sehen, dass die oberste
schwedische Gesundheitsbehörde (So- cialstyrelsen) entsprechend der interna- tionalen wissenschaftlichen Literatur der primären PTCA Priorität gegenüber an- deren Behandlungsformen einräumt.
So geriet der TV-Auftritt dem ein- gangs erwähnten Arzt aus Sundsvall nicht zur Ehre. Seine trotzigen Rechtfer- tigungsversuche zu den Therapie- und Diagnostikgewohnheiten seiner Klinik
wurden von dem Leiter des Registers, Prof. Dr. med. Lars Wallentin (Uppsala), eindeutig kommentiert: Manche hätten es halt schwer, Neues zu erlernen und der medizinischen Entwicklung zu fol- gen. Das würde sich dann in schlechteren Behandlungsresultaten widerspiegeln.
Die Grafik zeigt als Beispiel aus dem RIKS-HIA-Report 2005 (mit den Da- ten von 2004) die 30-Tage-Sterblichkeit nach Herzinfarkt in den unterschiedli- chen Regierungsprovinzen des Landes.
Diese Daten fassen dabei mehrere Krankenhäuser zusammen, jedoch fin- det sich auch eine solche Aufstellung für individuelle Krankenhäuser, und diese ist für jeden Interessierten im Internet einsehbar (www.ucr.uu.se/rikshia). Da- für bedarf es keines Passwortes, aber ei- ner gewissen medizinischen Grund- kenntnis, um das Zahlen- und Fakten- werk zu interpretieren.
Begonnen hat RIKS-HIA als ein re- gionales Projekt im Jahr 1991 und wurde dann 1995 zu einem landesweiten Qua- litätsregister ausgeweitet, in das immer mehr Krankenhäuser ihre Patientenda- ten einspeisen: In 2004 waren es 72 der 77 Krankenhäuser der kardiologischen Akutbehandlung. Die Registrierung der Patienten ist keinesfalls anonym, son- dern geschieht auf der Basis der schwe- dischen Personenkennziffer, die jeden in Schweden registrierten Bürger eindeutig kennzeichnet.
Datenschutz in diesem Zusammen- hang ist zwar ein sehr relativer Begriff.
Jedoch bringt dieses Vorgehen den Vor- teil mit sich, dass das Zusammenführen von RIKS-HIA und dem schwedischen Bevölkerungsregister ohne Zweifel die Wahrheit in puncto Mortalität ans Licht bringt. Denn ob ein Krankenhaus nun den Patienten als tot oder lebendig mel- det, spielt keine Rolle, da diese Form der Kontrolle über das Bevölkerungsregister gesichert ist und vor Fälschungen schützt.
Zwar ist RIKS-HIA das international prominenteste Beispiel für ein landes- weites Register in der Kardiologie: Es existieren aber darüber hinaus solche für Koronarangiographien, Angioplastien, Schrittmacher und Defibrillatorbehand- lung und Herzinsuffizienzbehandlung.
So konnten die Schweden beispiels- weise am 6. Dezember 2005 in der Bou- M E D I Z I N R E P O R T
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A1050 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 16⏐⏐21. April 2006
Schwedisches Herzinfarktregister
Spiegel des ärztlichen Handelns und Transparenz für die Patienten
In der überregionalen Datenbank RIKS-HIA werden die Befunde und Therapie- formen von Herzinfarktpatienten gesammelt, die auf den Intensivstationen des Landes behandelt wurden.
Neben dem Herzinfarktregister existieren in Schwe- den solche für Koronarangiographien, Angioplastien, Schrittmacher, Defibrillatorbehandlung und Herz- insuffizienz.
Foto:BMBF
levardzeitung „Aftonbladet“ eine Liste studieren, die zeigt, wie viele Herzin- farktpatienten in den Krankenhäusern mit dem Thrombozytenaggregations- hemmer Clopidogrel therapiert wur- den. Die Rate schwankte zwischen 95 Prozent in Trelleborg bis zu 16 Prozent in Lidköping, sodass die RIKS-HIA- Daten am 15. Februar in der Boulevard- zeitung mit der Überschrift kommen- tiert wurden: „In der richtigen Gegend zu wohnen kann dein Leben retten“.
Eine farbige Landkarte zeigte zudem die Gebiete, in denen man besser kei- nen Infarkt erleiden sollte. Wenn der Nutzen der Veröffentlichung von Be- handlungsdaten nicht in der informa- tiven Unterstützung der Wahlfreiheit des Patienten liegt, worin ist er dann zu sehen?
Das zehnjährige Jubiläum von RIKS- HIA-2005 wurde dazu genutzt, einige Behandlungsdaten im Verlauf darzustel- len: So zeigte sich, dass 2004 trotz höhe- ren Durchschnittsalters der Patienten und höherer Frequenz von Risikofakto- ren die Letalität des akuten Infarktes seit 1995 kontinuierlich abgenommen hat. Dieses galt für die Krankenhaus- mortalität, die 30-Tage- und 1-Jahres- mortalität in allen Alterskategorien und für beiderlei Geschlechter.
Natürlich ist nicht das Register pri- mär für diese Entwicklung verantwort- lich, sondern es sind die verbesserten
Therapiemöglichkeiten. Die Verbreitung dieser Optionen beruht erheblich auf jährlichen, vergleichenden Registerrap- porten. Ein Register, das öffentlich und unter Kollegen diskutiert wird, hilft, die viel zitierte „evidenced based medicine“
zu verbreiten. Auch für die eigene tägli- che Arbeit ist ein solches öffentliches Register wertvoll.
Plausibilitätskontrollen und Besuche von Monitorpersonal
Via Internet kann man sich jederzeit den Spiegel vorhalten: Wo stehe ich im Vergleich? Sind wir wirklich so gut, wie wir glauben? Nicht zuletzt das Überle- ben des Patienten ist – Wochen oder Jahre nach seiner Behandlung – ohne diese Hilfe schwerlich zu erfahren. Als invasiv tätiger Kardiologe kann man bei- spielsweise im schwedischen Angiogra- phie- und Angioplastie-Register SAAR erfahren, wie viel Kontrastmittel man verbraucht oder welche Durchleuch- tungszeiten man hat – und das alles im Vergleich zum Landesdurchschnitt oder zu anderen Operateuren des eigenen Krankenhauses.
Der Patient kann im gleichen Regi- ster nachlesen, wie viele medikamenten- beschichtete Stents welches Kranken- haus verwendet und wer Erfolge bei chronischen Gefäßverschlüssen aufzu-
weisen hat. Dabei geht es in Schweden bisher nicht so weit wie in New York, wo die Mortalitätsraten einzelner Kardiolo- gen mit Namensnennung veröffentlicht werden (www.health.state.ny.us). Aller- dings können die vergleichenden Daten auch in Schweden negativ erlebt wer- den, wenn beispielsweise Gesundheits- politiker für ihre Argumentation Regi- sterdaten verwenden, die sie nicht ver- standen haben.
Ein potenzielles Problem aller Regi- ster ist ihre Korrektheit und Vollständig- keit. Bereits bei der internetbasierten Eingabe werden einfache Plausibilitäts- kontrollen durchgeführt, sodass keine prinzipiell unsinnigen Angaben gemacht werden können. Ebenso wird die Voll- ständigkeit der Angaben kontrolliert.
Als weiteres Kontrollelement dienen Besuche von Monitorpersonal in den einzelnen Krankenhäusern. Dabei wer- den zufällig ausgewählte Patienten und Angaben unter Zuhilfenahme der Pati- entenakte überprüft.
Das wesentliche ungelöste Problem besteht in der fehlenden externen Kon- trolle, ob alle Patienten erfasst sind. Ein Patient, der absichtlich oder zufällig nicht in das System eingegeben wurde, wird auch nicht extern kontrolliert wer- den. Hier sind die einzelnen Abteilungen in der Pflicht, die Vollständigkeit zu ge- währleisten.
Fazit: Im Vergleich zu Deutschland ist Schweden deutlich weiter fortgeschrit- ten in der Veröffentlichung von Qua- litätsdaten in der Kardiologie. Während die deutschen so genannten Qualitätsbe- richte der Krankenhäuser im Wesentli- chen Quantitätsberichte sind, kann sich der schwedische Patient über Letalitäts- raten bei Herzinfarkt im Krankenhaus- vergleich informieren (wenn auch seine Wahlmöglichkeiten beschränkt sind).
Auch die deutsche Bundesgeschäftsstel- le für Qualitätssicherung bietet dem Pa- tienten keine vergleichenden Informa- tionen über individuelle Krankenhäu- ser, wie dies in Schweden der Fall ist.
Anschrift für die Verfasser:
Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Carlsson Ltd. Arzt, Medicinska kliniken/kardiologi Länssjukhuset i Kalmar
Lasarettsvägen, S-391 85 Kalmar E-Mail: jorgc@ltkalmar.se
Mitautor: Dr. med. Burkard Frhr. von Wangenheim M E D I Z I N R E P O R T
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A1052 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 16⏐⏐21. April 2006
Aus dem Schwedischen Herzinfarktregister: Die 30-Tages-Mortalität bei Patienten (< 80 Jahre) mit Myokardinfarkt im Jahre 2004. Die Buchstaben stehen für die schwedischen Provinzen. Zum Beispiel: AB für Stockholm, H für Kalmar, BD für Norrbotten. Informationen über einzelne Kran- kenhäuser kann in Tabellenform ebenfalls eingesehen werden und zeigt eine Schwankung in der 30-Tage-Mortalität zwischen ein und elf Prozent (www.ucr.uu.se/rikshia).
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W C H G K D LM AB F X U Y O T S E N AC I Z BD
Regierungsprovinzen